siebzig, 1807 zwölf, 1808 siebenunddreißig, 1809 dreiundvierzig. Sie wurden dann seltener, folgten jedoch im Jahre 1812 den sich aus Rußland zurückziehenden Franzosen und kamen nun wieder in sehr großer Menge vor. So wurden im Kösliner Regierungsbezirk im Jahre 1816 bis 1817 hundert- dreiundsunfzig Stück getödtet. Jetzt sind sie sehr selten geworden. Die Zahl der Wölfe, welche jähr- lich in Rußland erlegt und von den Behörden ausgelöst werden, ist nicht genau bekannt, jedenfalls ist es aber eine sehr erhebliche Menge. Dasselbe ist in Schweden und Norwegen der Fall. Jn diesen drei nördlichen Reichen sind sie die hauptsächlichsten Störer der öffentlichen Ruhe und Sicherheit und bringen jährlich ungeheuren Schaden: -- ich will weiter unten darüber ausführlicher reden.
Der Wolf bewohnt einsame, stille Gegenden und Wildnisse, namentlich dichte, düstere Wälder, Brüche mit morastigen und trockenen Stellen und im Süden die Steppen. Jn Mitteleuropa findet er sich nur in den Hochgebirgen, schon in Spanien aber liegt er häufig genug in den Getreidefeldern und oft gar nicht sehr entfernt von bewohnten Gebäuden. Bei Tage hält er sich in versteckten Plätzen auf und vermeidet es mit Sorgfalt, sich irgendwie bemerklich zu machen. Zur Nachtzeit streift er einzeln oder paarweise nach Nahrung umher. Jm Sommer ist er selten zu großen Gesellschaften ver- einigt, im Winter aber bildet er Rudel von bedeutender Anzahl. Seine Beweglichkeit bedingt einen bedeutenden Nahrungsverbrauch, und deshalb wird er empfindlich schädlich, getrieben vom Hunger sogar gefährlich. Jm Winter fällt er alle Thiere und zuweilen auch den Menschen an, und reißt Alles nieder, was er erreichen kann. Seine Beute ermüdet er durch eifrige Verfolgung, seltner be- schleicht er einzelne Thiere. Zuweilen tödtet er mehr, als er verzehrt; namentlich unter den wehr- losen, in Herden lebenden Thieren richtet er manchmal entsetzliche Verwüstungen an: der "Wolf im Schafstall" ist ja zum Sprichwort geworden. Unter Schafherden wüthet er nicht selten in er- schrecklicher Weise: es kann vorkommen, daß er in einer Nacht den dritten Theil einer ziemlich zahl- reichen Herde niederwürgt und tödtet. Seine liebste Nahrung bilden die größeren Jagd- und Haus- thiere, doch verschmäht er auch kleine Wirbelthiere, ja selbst niedere Thiere nicht. Er frißt ebensowohl Säugethiere, als Geflügel von jeder Größe, überhaupt Alles, was er fassen und überwältigen kann: Hirsche ebensogut wie Mäuse, Gänse wie kleinere Vögel, Frösche, Maikäfer u. s. w. Den Zügen der Lemminge folgt er in den nordosteuropäischen Tundren, wie Jslawin berichtet, oft durch Hunderte von Wersten und nährt sich dann einzig und allein von jenen Wühlmäusen. Das Aas liebt er, wie alle Hunde, leidenschaftlich; es will scheinen, als zöge er es dem frischen Fleische vor. Jm Winter durchstreift er mit anderen seiner Art gemeinschaftlich bedeutende Strecken. So folgt er Gebirgszügen mehr als funfzig Meilen weit und wandert über Ebenen von hundert Meilen Durch- messer. Dabei legt er in einer Nacht bedeutende Strecken zurück und ändert erst dann seine Wanderung, wenn er einen passenden Versteck für den Tag findet. Bei diesen Raubzügen bildet er gewöhnlich lange Rotten; die einzelnen Thiere laufen dabei nicht blos in einer Reihe hinter einander her, sondern treten, wie die Jndianer auf ihren Kriegszügen, auch gewöhnlich in dieselben Fußtapfen, und es wird dann schwer, zu erkennen, wie stark eine solche Meute ist. Sobald die Bande eine Beute bemerkt, umringt sie dieselbe und sucht ihr auf der Flucht immer soviel als möglich den Weg abzuschneiden, bis sie Einer erreicht und niederreißt. Dann fällt die ganze Gesellschaft unter wüthendem Knurren und Heulen über das verendende Thier her und frißt es bis auf die Knochen auf. Wenn der Hunger den Wolf peinigt, ist er ein abscheuliches Thier, obgleich er dann gerade eine ihm sonst gänzlich mangelnde, rühmenswerthe Eigenschaft zeigt: Muth nämlich. Der hungrige Wolf überwältigt Pferde und Rinder, deren Hufen und Hörnern er im Sommer sorgfältig ausweicht, und greift manchmal, obschon äußerst selten, rücksichtslos auch den bewehrten Menschen an, selbst wenn er sieht, daß dieser mehrere seiner Gefährten mit seiner Feuerwaffe niedergestreckt hat. Gewöhnlich bleibt bei diesen Todten ein Theil des Rudels zurück, um sie in der scheußlichsten Weise zu begraben -- in dem Jnnern ihres bellenden Magens. Auch kranke Wölfe werden unter Umständen von ihren Mitbrüdern aufgefressen. Jm allergrößten Nothfalle, d. h. nur dann, wenn ihm thierische Kost gebricht, nimmt der Wolf seine Zuflucht zu Pflanzennahrung und begnügt sich mit Mos und Baumknospen. Jm hohen Norden,
Die Raubthiere. Hunde. — Wolf.
ſiebzig, 1807 zwölf, 1808 ſiebenunddreißig, 1809 dreiundvierzig. Sie wurden dann ſeltener, folgten jedoch im Jahre 1812 den ſich aus Rußland zurückziehenden Franzoſen und kamen nun wieder in ſehr großer Menge vor. So wurden im Kösliner Regierungsbezirk im Jahre 1816 bis 1817 hundert- dreiundſunfzig Stück getödtet. Jetzt ſind ſie ſehr ſelten geworden. Die Zahl der Wölfe, welche jähr- lich in Rußland erlegt und von den Behörden ausgelöſt werden, iſt nicht genau bekannt, jedenfalls iſt es aber eine ſehr erhebliche Menge. Daſſelbe iſt in Schweden und Norwegen der Fall. Jn dieſen drei nördlichen Reichen ſind ſie die hauptſächlichſten Störer der öffentlichen Ruhe und Sicherheit und bringen jährlich ungeheuren Schaden: — ich will weiter unten darüber ausführlicher reden.
Der Wolf bewohnt einſame, ſtille Gegenden und Wildniſſe, namentlich dichte, düſtere Wälder, Brüche mit moraſtigen und trockenen Stellen und im Süden die Steppen. Jn Mitteleuropa findet er ſich nur in den Hochgebirgen, ſchon in Spanien aber liegt er häufig genug in den Getreidefeldern und oft gar nicht ſehr entfernt von bewohnten Gebäuden. Bei Tage hält er ſich in verſteckten Plätzen auf und vermeidet es mit Sorgfalt, ſich irgendwie bemerklich zu machen. Zur Nachtzeit ſtreift er einzeln oder paarweiſe nach Nahrung umher. Jm Sommer iſt er ſelten zu großen Geſellſchaften ver- einigt, im Winter aber bildet er Rudel von bedeutender Anzahl. Seine Beweglichkeit bedingt einen bedeutenden Nahrungsverbrauch, und deshalb wird er empfindlich ſchädlich, getrieben vom Hunger ſogar gefährlich. Jm Winter fällt er alle Thiere und zuweilen auch den Menſchen an, und reißt Alles nieder, was er erreichen kann. Seine Beute ermüdet er durch eifrige Verfolgung, ſeltner be- ſchleicht er einzelne Thiere. Zuweilen tödtet er mehr, als er verzehrt; namentlich unter den wehr- loſen, in Herden lebenden Thieren richtet er manchmal entſetzliche Verwüſtungen an: der „Wolf im Schafſtall‟ iſt ja zum Sprichwort geworden. Unter Schafherden wüthet er nicht ſelten in er- ſchrecklicher Weiſe: es kann vorkommen, daß er in einer Nacht den dritten Theil einer ziemlich zahl- reichen Herde niederwürgt und tödtet. Seine liebſte Nahrung bilden die größeren Jagd- und Haus- thiere, doch verſchmäht er auch kleine Wirbelthiere, ja ſelbſt niedere Thiere nicht. Er frißt ebenſowohl Säugethiere, als Geflügel von jeder Größe, überhaupt Alles, was er faſſen und überwältigen kann: Hirſche ebenſogut wie Mäuſe, Gänſe wie kleinere Vögel, Fröſche, Maikäfer u. ſ. w. Den Zügen der Lemminge folgt er in den nordoſteuropäiſchen Tundren, wie Jslawin berichtet, oft durch Hunderte von Werſten und nährt ſich dann einzig und allein von jenen Wühlmäuſen. Das Aas liebt er, wie alle Hunde, leidenſchaftlich; es will ſcheinen, als zöge er es dem friſchen Fleiſche vor. Jm Winter durchſtreift er mit anderen ſeiner Art gemeinſchaftlich bedeutende Strecken. So folgt er Gebirgszügen mehr als funfzig Meilen weit und wandert über Ebenen von hundert Meilen Durch- meſſer. Dabei legt er in einer Nacht bedeutende Strecken zurück und ändert erſt dann ſeine Wanderung, wenn er einen paſſenden Verſteck für den Tag findet. Bei dieſen Raubzügen bildet er gewöhnlich lange Rotten; die einzelnen Thiere laufen dabei nicht blos in einer Reihe hinter einander her, ſondern treten, wie die Jndianer auf ihren Kriegszügen, auch gewöhnlich in dieſelben Fußtapfen, und es wird dann ſchwer, zu erkennen, wie ſtark eine ſolche Meute iſt. Sobald die Bande eine Beute bemerkt, umringt ſie dieſelbe und ſucht ihr auf der Flucht immer ſoviel als möglich den Weg abzuſchneiden, bis ſie Einer erreicht und niederreißt. Dann fällt die ganze Geſellſchaft unter wüthendem Knurren und Heulen über das verendende Thier her und frißt es bis auf die Knochen auf. Wenn der Hunger den Wolf peinigt, iſt er ein abſcheuliches Thier, obgleich er dann gerade eine ihm ſonſt gänzlich mangelnde, rühmenswerthe Eigenſchaft zeigt: Muth nämlich. Der hungrige Wolf überwältigt Pferde und Rinder, deren Hufen und Hörnern er im Sommer ſorgfältig ausweicht, und greift manchmal, obſchon äußerſt ſelten, rückſichtslos auch den bewehrten Menſchen an, ſelbſt wenn er ſieht, daß dieſer mehrere ſeiner Gefährten mit ſeiner Feuerwaffe niedergeſtreckt hat. Gewöhnlich bleibt bei dieſen Todten ein Theil des Rudels zurück, um ſie in der ſcheußlichſten Weiſe zu begraben — in dem Jnnern ihres bellenden Magens. Auch kranke Wölfe werden unter Umſtänden von ihren Mitbrüdern aufgefreſſen. Jm allergrößten Nothfalle, d. h. nur dann, wenn ihm thieriſche Koſt gebricht, nimmt der Wolf ſeine Zuflucht zu Pflanzennahrung und begnügt ſich mit Mos und Baumknospen. Jm hohen Norden,
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[402/0470]
Die Raubthiere. Hunde. — Wolf.
ſiebzig, 1807 zwölf, 1808 ſiebenunddreißig, 1809 dreiundvierzig. Sie wurden dann ſeltener, folgten
jedoch im Jahre 1812 den ſich aus Rußland zurückziehenden Franzoſen und kamen nun wieder in ſehr
großer Menge vor. So wurden im Kösliner Regierungsbezirk im Jahre 1816 bis 1817 hundert-
dreiundſunfzig Stück getödtet. Jetzt ſind ſie ſehr ſelten geworden. Die Zahl der Wölfe, welche jähr-
lich in Rußland erlegt und von den Behörden ausgelöſt werden, iſt nicht genau bekannt, jedenfalls iſt
es aber eine ſehr erhebliche Menge. Daſſelbe iſt in Schweden und Norwegen der Fall. Jn dieſen
drei nördlichen Reichen ſind ſie die hauptſächlichſten Störer der öffentlichen Ruhe und Sicherheit und
bringen jährlich ungeheuren Schaden: — ich will weiter unten darüber ausführlicher reden.
Der Wolf bewohnt einſame, ſtille Gegenden und Wildniſſe, namentlich dichte, düſtere Wälder,
Brüche mit moraſtigen und trockenen Stellen und im Süden die Steppen. Jn Mitteleuropa findet er
ſich nur in den Hochgebirgen, ſchon in Spanien aber liegt er häufig genug in den Getreidefeldern und
oft gar nicht ſehr entfernt von bewohnten Gebäuden. Bei Tage hält er ſich in verſteckten Plätzen
auf und vermeidet es mit Sorgfalt, ſich irgendwie bemerklich zu machen. Zur Nachtzeit ſtreift er
einzeln oder paarweiſe nach Nahrung umher. Jm Sommer iſt er ſelten zu großen Geſellſchaften ver-
einigt, im Winter aber bildet er Rudel von bedeutender Anzahl. Seine Beweglichkeit bedingt einen
bedeutenden Nahrungsverbrauch, und deshalb wird er empfindlich ſchädlich, getrieben vom Hunger
ſogar gefährlich. Jm Winter fällt er alle Thiere und zuweilen auch den Menſchen an, und reißt
Alles nieder, was er erreichen kann. Seine Beute ermüdet er durch eifrige Verfolgung, ſeltner be-
ſchleicht er einzelne Thiere. Zuweilen tödtet er mehr, als er verzehrt; namentlich unter den wehr-
loſen, in Herden lebenden Thieren richtet er manchmal entſetzliche Verwüſtungen an: der „Wolf
im Schafſtall‟ iſt ja zum Sprichwort geworden. Unter Schafherden wüthet er nicht ſelten in er-
ſchrecklicher Weiſe: es kann vorkommen, daß er in einer Nacht den dritten Theil einer ziemlich zahl-
reichen Herde niederwürgt und tödtet. Seine liebſte Nahrung bilden die größeren Jagd- und Haus-
thiere, doch verſchmäht er auch kleine Wirbelthiere, ja ſelbſt niedere Thiere nicht. Er frißt ebenſowohl
Säugethiere, als Geflügel von jeder Größe, überhaupt Alles, was er faſſen und überwältigen kann:
Hirſche ebenſogut wie Mäuſe, Gänſe wie kleinere Vögel, Fröſche, Maikäfer u. ſ. w. Den
Zügen der Lemminge folgt er in den nordoſteuropäiſchen Tundren, wie Jslawin berichtet, oft
durch Hunderte von Werſten und nährt ſich dann einzig und allein von jenen Wühlmäuſen. Das Aas
liebt er, wie alle Hunde, leidenſchaftlich; es will ſcheinen, als zöge er es dem friſchen Fleiſche vor.
Jm Winter durchſtreift er mit anderen ſeiner Art gemeinſchaftlich bedeutende Strecken. So folgt er
Gebirgszügen mehr als funfzig Meilen weit und wandert über Ebenen von hundert Meilen Durch-
meſſer. Dabei legt er in einer Nacht bedeutende Strecken zurück und ändert erſt dann ſeine Wanderung,
wenn er einen paſſenden Verſteck für den Tag findet. Bei dieſen Raubzügen bildet er gewöhnlich lange
Rotten; die einzelnen Thiere laufen dabei nicht blos in einer Reihe hinter einander her, ſondern treten,
wie die Jndianer auf ihren Kriegszügen, auch gewöhnlich in dieſelben Fußtapfen, und es wird dann
ſchwer, zu erkennen, wie ſtark eine ſolche Meute iſt. Sobald die Bande eine Beute bemerkt, umringt
ſie dieſelbe und ſucht ihr auf der Flucht immer ſoviel als möglich den Weg abzuſchneiden, bis ſie Einer
erreicht und niederreißt. Dann fällt die ganze Geſellſchaft unter wüthendem Knurren und Heulen
über das verendende Thier her und frißt es bis auf die Knochen auf. Wenn der Hunger den Wolf
peinigt, iſt er ein abſcheuliches Thier, obgleich er dann gerade eine ihm ſonſt gänzlich mangelnde,
rühmenswerthe Eigenſchaft zeigt: Muth nämlich. Der hungrige Wolf überwältigt Pferde und
Rinder, deren Hufen und Hörnern er im Sommer ſorgfältig ausweicht, und greift manchmal, obſchon
äußerſt ſelten, rückſichtslos auch den bewehrten Menſchen an, ſelbſt wenn er ſieht, daß dieſer mehrere
ſeiner Gefährten mit ſeiner Feuerwaffe niedergeſtreckt hat. Gewöhnlich bleibt bei dieſen Todten ein
Theil des Rudels zurück, um ſie in der ſcheußlichſten Weiſe zu begraben — in dem Jnnern ihres
bellenden Magens. Auch kranke Wölfe werden unter Umſtänden von ihren Mitbrüdern aufgefreſſen.
Jm allergrößten Nothfalle, d. h. nur dann, wenn ihm thieriſche Koſt gebricht, nimmt der Wolf ſeine
Zuflucht zu Pflanzennahrung und begnügt ſich mit Mos und Baumknospen. Jm hohen Norden,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/470>, abgerufen am 22.11.2024.
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