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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Nahrung. Winterschlaf.

Wenn der Herbst fast zu Ende geht und der Winter hereinbricht, ziehen sich die Schläfer
in ihre künstlichen, sehr warmen Schlupfwinkel zurück, rollen sich zusammen und fallen nun bald in
eine schlafähnliche Erstarrung. Jhr Herzschlag wird langsamer und ihre Athmungsthätigkeit Dem
entsprechend in auffallender Weise gemildert oder unterbrochen; die Körperwärme nimmt ab; die Glie-
der werden steif und kalt; der Magen und Darmschlauch entleeren sich vollständig und schrumpfen zu-
sammen. Der ganze Leib erhält hierdurch eine Fühllosigkeit, die ohne Gleichen ist. Um hierzu einen
Beleg zu geben, will ich erwähnen, daß das Herz eines im Winterschlafe enthaupteten Murmel-
thiers
noch drei Stunden nach seiner Tödtung fortschlug, anfangs 16 bis 17 Mal in der Minute,
dann immer seltener; -- der abgeschnittene Kopf zeigte nach einer halben Stunde noch Spuren von Reiz-
barkeit. Der Winterschlaf ist ein wirklicher Scheintod; das Leben des Schläfers gibt sich blos noch in
Andentungen kund. Allein auch nur aus diesem Grunde ist es möglich, daß ihn das Thier überdauert.
Wenn Herz und Lungen wie bei dem lebenden Thiere arbeiteten, würde das im Sommer gesammelte
Fett, welches für mehrere Monate ausreichen muß, bald aufgezehrt sein. Die geringe Athmungs-
thätigkeit aber verlangsamt den Verbrennungshergang im Junern des Körpers in günstigster Weise
für die Erhaltung des Lebens. Jch habe oben mitgetheilt, daß der Winterschläfer während seines
Scheintodes etwa neunzig Mal weniger athmet, als im wachen Zustande, und füge hinzu, daß im ent-
sprechenden Verhältniß auch die Körperwärme herabgestimmt wird. Ein Wärmemesser, welchen
man in den Leib eines während des Winterschlafes getödteten Murmelthiers senkte, wies blos noch
71/2° R. Wärme nach, während die Blutwärme der Säugethiere sonst durchschnittlich zwischen 28 und
30° beträgt. Setzt man das schlafende Thier der Kälte aus, so erfriert es, wenn ich nicht irre, schon
bei einer Wärme unter der seines Blutes während der Schlafzeit, und ebenso hat eine plötzliche Er-
wärmung des Scheintodten den Tod zur Folge; bringt man ihn aber allmählig in höhere und höhere
Wärme, so erwacht er nach und nach, und seine Blutwärme steigt allgemach bis auf die gewöhnliche
Höhe. Uebrigens erträgt kein Winterschläfer auch solches gemachsame Erwecken mehrere Male nach
einander. Jeder Wechsel ist ihm während seines Halblebens schädlich. Hieraus erklärt sich wohl
auch, daß er sein Winterlager immer nur in Höhlen nimmt und diese durch sorgfältiges Verstopfen
noch besonders gegen die äußere Luft und deren Wärmewechsel abzuschließen sucht. Es ist höchst
merkwürdig, daß Siebenschläfer aus fremden Ländern, wenn sie zu uns gebracht werden, im Winter
ebenfalls ihren Todtenschlaf halten, während sie Dies in ihrer Heimat gerade in der Zeit der größten
Hitze thun. Allein wir sehen auch hieraus wieder, daß die Zeit der Dürre heißer Erdstriche eben
nur mit unserem Winter verglichen werden kann, niemals mit unserem Sommer, wie so oft selbst von
gediegenen Leuten fälschlich geschieht.

Mit dem Heraunahen des Frühlings erwacht der Winterschläfer und fristet sich nun sein
Leben zuerst mit den Schätzen, welche er im vorigen Sommer sich eintrug. Anfangs schläft er auch
nach dem Erwachtsein aus dem Todtenschlafe noch oft und lange, doch mehr in gewöhnlicher Weise;
sobald er aber sein Schutzlager verlassen kann, überkommt ihn große Aufregung; denn nunmehr geht
er seinem Geschlechtsleben nach. Nur die kleineren Säugethiere verfallen in einen wirklichen Winter-
schlaf, die größeren, wie z. B. der Bär, schlafen zeitweilig, obschon tage-, ja vielleicht wochenlang,
nehmen aber während dieser Zeit ebenfalls fast gar keine Nahrung zu sich.

Einige Säugethiere unternehmen zuweilen Reisen, um ihre Lage zu verbessern; doch kann
man bei unserer Klasse nicht von einer wirklichen Wanderung sprechen, wie bei den Vögeln. Es
kommt allerdings vor, daß sie eine Gegend verlassen und in eine andere ziehen, der Weg aber, den sie
zurücklegen, ist nie so lang, daß er mit dem Zuge der Vögel verglichen werden könnte. Von Nah-
rungsmangel gepeinigt, rotten sich die Lemminge, jene muntern und anziehenden Bewohner der nor-
dischen Gebirge und Ebenen, in großer Masse zusammen und wandern nun gemeinschaftlich in die
Tiefe hinab, setzen sogar über Meeresarme, gehen aber dabei fast regelmäßig zu Grunde; südafrika-
nische Antilopen, das Neuthier und der nordamerikanische Büffel, die wilden Esel, die See-
hunde
und Wale treten aus demselben Grunde noch weitere Wanderungen an, und einige Fleder-
mäuse
haben sogar einen beschränkten Zug. Allein alle diese Reisen stehen unendlich weit hinter
denen der Vögel zurück.

Das Leben der Säugethiere ist überhaupt viel einförmiger, als das der beweglichen Luft-
bewohner. Blos die gescheiteren Arten suchen in dieses Einerlei einige Abwechselungen zu bringen,

Nahrung. Winterſchlaf.

Wenn der Herbſt faſt zu Ende geht und der Winter hereinbricht, ziehen ſich die Schläfer
in ihre künſtlichen, ſehr warmen Schlupfwinkel zurück, rollen ſich zuſammen und fallen nun bald in
eine ſchlafähnliche Erſtarrung. Jhr Herzſchlag wird langſamer und ihre Athmungsthätigkeit Dem
entſprechend in auffallender Weiſe gemildert oder unterbrochen; die Körperwärme nimmt ab; die Glie-
der werden ſteif und kalt; der Magen und Darmſchlauch entleeren ſich vollſtändig und ſchrumpfen zu-
ſammen. Der ganze Leib erhält hierdurch eine Fühlloſigkeit, die ohne Gleichen iſt. Um hierzu einen
Beleg zu geben, will ich erwähnen, daß das Herz eines im Winterſchlafe enthaupteten Murmel-
thiers
noch drei Stunden nach ſeiner Tödtung fortſchlug, anfangs 16 bis 17 Mal in der Minute,
dann immer ſeltener; — der abgeſchnittene Kopf zeigte nach einer halben Stunde noch Spuren von Reiz-
barkeit. Der Winterſchlaf iſt ein wirklicher Scheintod; das Leben des Schläfers gibt ſich blos noch in
Andentungen kund. Allein auch nur aus dieſem Grunde iſt es möglich, daß ihn das Thier überdauert.
Wenn Herz und Lungen wie bei dem lebenden Thiere arbeiteten, würde das im Sommer geſammelte
Fett, welches für mehrere Monate ausreichen muß, bald aufgezehrt ſein. Die geringe Athmungs-
thätigkeit aber verlangſamt den Verbrennungshergang im Junern des Körpers in günſtigſter Weiſe
für die Erhaltung des Lebens. Jch habe oben mitgetheilt, daß der Winterſchläfer während ſeines
Scheintodes etwa neunzig Mal weniger athmet, als im wachen Zuſtande, und füge hinzu, daß im ent-
ſprechenden Verhältniß auch die Körperwärme herabgeſtimmt wird. Ein Wärmemeſſer, welchen
man in den Leib eines während des Winterſchlafes getödteten Murmelthiers ſenkte, wies blos noch
7½° R. Wärme nach, während die Blutwärme der Säugethiere ſonſt durchſchnittlich zwiſchen 28 und
30° beträgt. Setzt man das ſchlafende Thier der Kälte aus, ſo erfriert es, wenn ich nicht irre, ſchon
bei einer Wärme unter der ſeines Blutes während der Schlafzeit, und ebenſo hat eine plötzliche Er-
wärmung des Scheintodten den Tod zur Folge; bringt man ihn aber allmählig in höhere und höhere
Wärme, ſo erwacht er nach und nach, und ſeine Blutwärme ſteigt allgemach bis auf die gewöhnliche
Höhe. Uebrigens erträgt kein Winterſchläfer auch ſolches gemachſame Erwecken mehrere Male nach
einander. Jeder Wechſel iſt ihm während ſeines Halblebens ſchädlich. Hieraus erklärt ſich wohl
auch, daß er ſein Winterlager immer nur in Höhlen nimmt und dieſe durch ſorgfältiges Verſtopfen
noch beſonders gegen die äußere Luft und deren Wärmewechſel abzuſchließen ſucht. Es iſt höchſt
merkwürdig, daß Siebenſchläfer aus fremden Ländern, wenn ſie zu uns gebracht werden, im Winter
ebenfalls ihren Todtenſchlaf halten, während ſie Dies in ihrer Heimat gerade in der Zeit der größten
Hitze thun. Allein wir ſehen auch hieraus wieder, daß die Zeit der Dürre heißer Erdſtriche eben
nur mit unſerem Winter verglichen werden kann, niemals mit unſerem Sommer, wie ſo oft ſelbſt von
gediegenen Leuten fälſchlich geſchieht.

Mit dem Heraunahen des Frühlings erwacht der Winterſchläfer und friſtet ſich nun ſein
Leben zuerſt mit den Schätzen, welche er im vorigen Sommer ſich eintrug. Anfangs ſchläft er auch
nach dem Erwachtſein aus dem Todtenſchlafe noch oft und lange, doch mehr in gewöhnlicher Weiſe;
ſobald er aber ſein Schutzlager verlaſſen kann, überkommt ihn große Aufregung; denn nunmehr geht
er ſeinem Geſchlechtsleben nach. Nur die kleineren Säugethiere verfallen in einen wirklichen Winter-
ſchlaf, die größeren, wie z. B. der Bär, ſchlafen zeitweilig, obſchon tage-, ja vielleicht wochenlang,
nehmen aber während dieſer Zeit ebenfalls faſt gar keine Nahrung zu ſich.

Einige Säugethiere unternehmen zuweilen Reiſen, um ihre Lage zu verbeſſern; doch kann
man bei unſerer Klaſſe nicht von einer wirklichen Wanderung ſprechen, wie bei den Vögeln. Es
kommt allerdings vor, daß ſie eine Gegend verlaſſen und in eine andere ziehen, der Weg aber, den ſie
zurücklegen, iſt nie ſo lang, daß er mit dem Zuge der Vögel verglichen werden könnte. Von Nah-
rungsmangel gepeinigt, rotten ſich die Lemminge, jene muntern und anziehenden Bewohner der nor-
diſchen Gebirge und Ebenen, in großer Maſſe zuſammen und wandern nun gemeinſchaftlich in die
Tiefe hinab, ſetzen ſogar über Meeresarme, gehen aber dabei faſt regelmäßig zu Grunde; ſüdafrika-
niſche Antilopen, das Neuthier und der nordamerikaniſche Büffel, die wilden Eſel, die See-
hunde
und Wale treten aus demſelben Grunde noch weitere Wanderungen an, und einige Fleder-
mäuſe
haben ſogar einen beſchränkten Zug. Allein alle dieſe Reiſen ſtehen unendlich weit hinter
denen der Vögel zurück.

Das Leben der Säugethiere iſt überhaupt viel einförmiger, als das der beweglichen Luft-
bewohner. Blos die geſcheiteren Arten ſuchen in dieſes Einerlei einige Abwechſelungen zu bringen,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXXV[XXXV]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/45>, abgerufen am 21.11.2024.