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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Hunde.
des Menschen. Nicht die dunkelste Sage kann uns über seine Vorfahren Aufschluß geben, und auch
die genaueste und sorgfältigste Forschung hat Dies bis jetzt noch nicht vermocht. Ueber die Abstammung
des wichtigsten aller Hausthiere liegt ein scheinbar undurchdringliches Dunkel. Es giebt kein anderes
Thier weiter, über welches soviele Muthmaßungen, soviele Annahmen herrschen, als über den Hund.
Nach der Ansicht der Einen gehören alle Hunde der ganzen Erde nur zu einer einzigen Art, die
Anderen nehmen, und jedenfalls mit Recht, mehrere Stammeltern an. Die Ersteren betrachten
alle Hunde als Abkömmlinge vom Wolf, vom Schakal, vom Dingo, vom Dole und Buansu;
die Anderen glauben, daß er ein Erzeugniß mehrfacher Kreuzungen zwischen diesen oder jenen der ge-
nannten, ein Blendling verschiedener wilder Hunde sei. Wo ist hier ein Ausweg zu finden, und wer
hat Recht? Wir vermögen Dies nicht zu entscheiden; wohl aber sind wir befugt, die verschiedenen An-
nahmen gegeneinander abzuwägen, und getrost dürfen wir uns für die wahrscheinlichste aussprechen.
Nach dieser müssen wir glauben, daß das Geschlecht der zahmen Hunde in verschiedenen Arte zerfällt,
über deren ursprüngliche Heimat keine Forschung und keine Sage irgend welchen Anhalt geben kann.

Jch halte es für unumgänglich nothwendig, hier diese sich entgegenstehenden Meinungen zweier
der gründlichsten Forscher anzugeben, damit sich jeder meiner Leser selbsteigen eine Ansicht bilden kann.

"Will man den Haushund," sagt Blasius, "als Art von den übrigen Wölfen trennen, so
giebt es noch jetzt keine besseren Merkmale, als der links gekrümmte Schwanz, wie es Linne angiebt."

"Das naturgeschichtliche Schicksal des Hundes gleicht dem des Menschen. Daß der Hund sich
dem Herrn der Erde ganz unterworfen und angeeignet hat, ist von Folgen gewesen, wie wir ihres
Gleichen in der Thierwelt nicht finden. Das Vorhandensein des Hundes ist mit dem des Menschen
so eng verschmolzen, der Hund hat sich, wie der Mensch, den manchfaltigsten und gegensätzlichsten Natur-
einflüssen in einem solchen Maß unterwerfen müssen, um den ganzen Erdkreis erobern und beherrschen
zu helfen, daß von seinem ursprünglichen Naturzustande, wie von dem des Menschen, nur willkürliche
Vermuthungen uns Kunde geben können. Doch gilt Dies blos von seinen leiblichen Eigenthümlich-
keiten. Ueber sein geistiges Wesen können die Stimmen nicht getheilt sein."

"Der Hund ist nach seinem Geripp, nach Schädel und nach Gebiß ein Wolf; doch ist es nach
Schädel noch nach Gebiß weder möglich, ihn mit irgend einer wild vorkommenden Wolfsart zu ver-
einigen, noch von den bekannten Wolfsarten scharf zu trennen. Unsere europäischen Hunde schwanken
in ihren Schädeleigenthümlichkeiten zwischen denen des Wolfes und des Schakals, doch so, daß sich die
Eigenthümlichkeiten manchfaltigst kreuzen, verbinden und abändern. Doch wenn auch der Schädel
Aehnlichkeit mit dem des Wolfes und Schakals hat, sogar entfernt an den des Fuchses erinnert,
hält er doch immer etwas Eigenthümliches fest. Die Stirn tritt in der Regel etwas stärker über dem
Scheitel und dem Nasenrücken hervor, als beim Wolf und Schakal. Doch darin zeigen sich erst recht
gegensätzliche Abweichungen bei den verschiedenen Hunderassen. Es versteht sich, daß in diesen Eigen-
thümlichkeiten nur Schädel von ungefähr gleichem Alter mit einander erfolgreich verglichen werden können."

"Die Amerikaner haben Hunde gehabt, ehe durch die Spanier der europäische Hund nach Amerika
gebracht wurde. Jn Mejiko fanden die Spanier stumme Hunde vor. Humboldt führt an, daß von
den Jndianern von Jauja und Huanca, ehe sie der Jnka Pachacutec zum Sonnendienste bekehrte,
die Hunde göttlich verehrt wurden. Jhre Priester bliesen auf skelettirten Hundeköpfen, und Hunde-
schädel und Hundemumien fanden sich in den peruanischen Grabmälern der ältesten Zeit. Tschudi
hat diese Schädel untersucht, hält sie für verschieden von denen der europäischen Hunde und glaubt,
daß sie von einer eignen Art herrühren, die er Canis Ingae nennt; auch werden die einheimischen
Hunde im Peruanischen mit dem Namen Runa-allco bezeichnet um sie von den europäischen, die
verwildert in Südamerika vorkommen, zu unterscheiden. Diese Hunde sollen besonders gegen Europäer
feindlich gesinnt sein."

"Merkwürdig ist es, daß da, wo keine Vertreter der Wölfe wild vorkommen, auch der Haushund
gefehlt zu haben scheint, obwohl, soweit die Geschichte des Menschen in der Vorzeit und seine Ver-
breitung über den Erdkreis reicht, der Hund dem Menschen durchgängig als Gesellschafter treu gefolgt

Die Raubthiere. Hunde.
des Menſchen. Nicht die dunkelſte Sage kann uns über ſeine Vorfahren Aufſchluß geben, und auch
die genaueſte und ſorgfältigſte Forſchung hat Dies bis jetzt noch nicht vermocht. Ueber die Abſtammung
des wichtigſten aller Hausthiere liegt ein ſcheinbar undurchdringliches Dunkel. Es giebt kein anderes
Thier weiter, über welches ſoviele Muthmaßungen, ſoviele Annahmen herrſchen, als über den Hund.
Nach der Anſicht der Einen gehören alle Hunde der ganzen Erde nur zu einer einzigen Art, die
Anderen nehmen, und jedenfalls mit Recht, mehrere Stammeltern an. Die Erſteren betrachten
alle Hunde als Abkömmlinge vom Wolf, vom Schakal, vom Dingo, vom Dole und Buanſu;
die Anderen glauben, daß er ein Erzeugniß mehrfacher Kreuzungen zwiſchen dieſen oder jenen der ge-
nannten, ein Blendling verſchiedener wilder Hunde ſei. Wo iſt hier ein Ausweg zu finden, und wer
hat Recht? Wir vermögen Dies nicht zu entſcheiden; wohl aber ſind wir befugt, die verſchiedenen An-
nahmen gegeneinander abzuwägen, und getroſt dürfen wir uns für die wahrſcheinlichſte ausſprechen.
Nach dieſer müſſen wir glauben, daß das Geſchlecht der zahmen Hunde in verſchiedenen Arte zerfällt,
über deren urſprüngliche Heimat keine Forſchung und keine Sage irgend welchen Anhalt geben kann.

Jch halte es für unumgänglich nothwendig, hier dieſe ſich entgegenſtehenden Meinungen zweier
der gründlichſten Forſcher anzugeben, damit ſich jeder meiner Leſer ſelbſteigen eine Anſicht bilden kann.

„Will man den Haushund,‟ ſagt Blaſius, „als Art von den übrigen Wölfen trennen, ſo
giebt es noch jetzt keine beſſeren Merkmale, als der links gekrümmte Schwanz, wie es Linné angiebt.‟

„Das naturgeſchichtliche Schickſal des Hundes gleicht dem des Menſchen. Daß der Hund ſich
dem Herrn der Erde ganz unterworfen und angeeignet hat, iſt von Folgen geweſen, wie wir ihres
Gleichen in der Thierwelt nicht finden. Das Vorhandenſein des Hundes iſt mit dem des Menſchen
ſo eng verſchmolzen, der Hund hat ſich, wie der Menſch, den manchfaltigſten und gegenſätzlichſten Natur-
einflüſſen in einem ſolchen Maß unterwerfen müſſen, um den ganzen Erdkreis erobern und beherrſchen
zu helfen, daß von ſeinem urſprünglichen Naturzuſtande, wie von dem des Menſchen, nur willkürliche
Vermuthungen uns Kunde geben können. Doch gilt Dies blos von ſeinen leiblichen Eigenthümlich-
keiten. Ueber ſein geiſtiges Weſen können die Stimmen nicht getheilt ſein.‟

„Der Hund iſt nach ſeinem Geripp, nach Schädel und nach Gebiß ein Wolf; doch iſt es nach
Schädel noch nach Gebiß weder möglich, ihn mit irgend einer wild vorkommenden Wolfsart zu ver-
einigen, noch von den bekannten Wolfsarten ſcharf zu trennen. Unſere europäiſchen Hunde ſchwanken
in ihren Schädeleigenthümlichkeiten zwiſchen denen des Wolfes und des Schakals, doch ſo, daß ſich die
Eigenthümlichkeiten manchfaltigſt kreuzen, verbinden und abändern. Doch wenn auch der Schädel
Aehnlichkeit mit dem des Wolfes und Schakals hat, ſogar entfernt an den des Fuchſes erinnert,
hält er doch immer etwas Eigenthümliches feſt. Die Stirn tritt in der Regel etwas ſtärker über dem
Scheitel und dem Naſenrücken hervor, als beim Wolf und Schakal. Doch darin zeigen ſich erſt recht
gegenſätzliche Abweichungen bei den verſchiedenen Hunderaſſen. Es verſteht ſich, daß in dieſen Eigen-
thümlichkeiten nur Schädel von ungefähr gleichem Alter mit einander erfolgreich verglichen werden können.‟

„Die Amerikaner haben Hunde gehabt, ehe durch die Spanier der europäiſche Hund nach Amerika
gebracht wurde. Jn Mejiko fanden die Spanier ſtumme Hunde vor. Humboldt führt an, daß von
den Jndianern von Jauja und Huanca, ehe ſie der Jnka Pachacutec zum Sonnendienſte bekehrte,
die Hunde göttlich verehrt wurden. Jhre Prieſter blieſen auf ſkelettirten Hundeköpfen, und Hunde-
ſchädel und Hundemumien fanden ſich in den peruaniſchen Grabmälern der älteſten Zeit. Tſchudi
hat dieſe Schädel unterſucht, hält ſie für verſchieden von denen der europäiſchen Hunde und glaubt,
daß ſie von einer eignen Art herrühren, die er Canis Ingae nennt; auch werden die einheimiſchen
Hunde im Peruaniſchen mit dem Namen Runa-allco bezeichnet um ſie von den europäiſchen, die
verwildert in Südamerika vorkommen, zu unterſcheiden. Dieſe Hunde ſollen beſonders gegen Europäer
feindlich geſinnt ſein.‟

„Merkwürdig iſt es, daß da, wo keine Vertreter der Wölfe wild vorkommen, auch der Haushund
gefehlt zu haben ſcheint, obwohl, ſoweit die Geſchichte des Menſchen in der Vorzeit und ſeine Ver-
breitung über den Erdkreis reicht, der Hund dem Menſchen durchgängig als Geſellſchafter treu gefolgt

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[314/0380] Die Raubthiere. Hunde. des Menſchen. Nicht die dunkelſte Sage kann uns über ſeine Vorfahren Aufſchluß geben, und auch die genaueſte und ſorgfältigſte Forſchung hat Dies bis jetzt noch nicht vermocht. Ueber die Abſtammung des wichtigſten aller Hausthiere liegt ein ſcheinbar undurchdringliches Dunkel. Es giebt kein anderes Thier weiter, über welches ſoviele Muthmaßungen, ſoviele Annahmen herrſchen, als über den Hund. Nach der Anſicht der Einen gehören alle Hunde der ganzen Erde nur zu einer einzigen Art, die Anderen nehmen, und jedenfalls mit Recht, mehrere Stammeltern an. Die Erſteren betrachten alle Hunde als Abkömmlinge vom Wolf, vom Schakal, vom Dingo, vom Dole und Buanſu; die Anderen glauben, daß er ein Erzeugniß mehrfacher Kreuzungen zwiſchen dieſen oder jenen der ge- nannten, ein Blendling verſchiedener wilder Hunde ſei. Wo iſt hier ein Ausweg zu finden, und wer hat Recht? Wir vermögen Dies nicht zu entſcheiden; wohl aber ſind wir befugt, die verſchiedenen An- nahmen gegeneinander abzuwägen, und getroſt dürfen wir uns für die wahrſcheinlichſte ausſprechen. Nach dieſer müſſen wir glauben, daß das Geſchlecht der zahmen Hunde in verſchiedenen Arte zerfällt, über deren urſprüngliche Heimat keine Forſchung und keine Sage irgend welchen Anhalt geben kann. Jch halte es für unumgänglich nothwendig, hier dieſe ſich entgegenſtehenden Meinungen zweier der gründlichſten Forſcher anzugeben, damit ſich jeder meiner Leſer ſelbſteigen eine Anſicht bilden kann. „Will man den Haushund,‟ ſagt Blaſius, „als Art von den übrigen Wölfen trennen, ſo giebt es noch jetzt keine beſſeren Merkmale, als der links gekrümmte Schwanz, wie es Linné angiebt.‟ „Das naturgeſchichtliche Schickſal des Hundes gleicht dem des Menſchen. Daß der Hund ſich dem Herrn der Erde ganz unterworfen und angeeignet hat, iſt von Folgen geweſen, wie wir ihres Gleichen in der Thierwelt nicht finden. Das Vorhandenſein des Hundes iſt mit dem des Menſchen ſo eng verſchmolzen, der Hund hat ſich, wie der Menſch, den manchfaltigſten und gegenſätzlichſten Natur- einflüſſen in einem ſolchen Maß unterwerfen müſſen, um den ganzen Erdkreis erobern und beherrſchen zu helfen, daß von ſeinem urſprünglichen Naturzuſtande, wie von dem des Menſchen, nur willkürliche Vermuthungen uns Kunde geben können. Doch gilt Dies blos von ſeinen leiblichen Eigenthümlich- keiten. Ueber ſein geiſtiges Weſen können die Stimmen nicht getheilt ſein.‟ „Der Hund iſt nach ſeinem Geripp, nach Schädel und nach Gebiß ein Wolf; doch iſt es nach Schädel noch nach Gebiß weder möglich, ihn mit irgend einer wild vorkommenden Wolfsart zu ver- einigen, noch von den bekannten Wolfsarten ſcharf zu trennen. Unſere europäiſchen Hunde ſchwanken in ihren Schädeleigenthümlichkeiten zwiſchen denen des Wolfes und des Schakals, doch ſo, daß ſich die Eigenthümlichkeiten manchfaltigſt kreuzen, verbinden und abändern. Doch wenn auch der Schädel Aehnlichkeit mit dem des Wolfes und Schakals hat, ſogar entfernt an den des Fuchſes erinnert, hält er doch immer etwas Eigenthümliches feſt. Die Stirn tritt in der Regel etwas ſtärker über dem Scheitel und dem Naſenrücken hervor, als beim Wolf und Schakal. Doch darin zeigen ſich erſt recht gegenſätzliche Abweichungen bei den verſchiedenen Hunderaſſen. Es verſteht ſich, daß in dieſen Eigen- thümlichkeiten nur Schädel von ungefähr gleichem Alter mit einander erfolgreich verglichen werden können.‟ „Die Amerikaner haben Hunde gehabt, ehe durch die Spanier der europäiſche Hund nach Amerika gebracht wurde. Jn Mejiko fanden die Spanier ſtumme Hunde vor. Humboldt führt an, daß von den Jndianern von Jauja und Huanca, ehe ſie der Jnka Pachacutec zum Sonnendienſte bekehrte, die Hunde göttlich verehrt wurden. Jhre Prieſter blieſen auf ſkelettirten Hundeköpfen, und Hunde- ſchädel und Hundemumien fanden ſich in den peruaniſchen Grabmälern der älteſten Zeit. Tſchudi hat dieſe Schädel unterſucht, hält ſie für verſchieden von denen der europäiſchen Hunde und glaubt, daß ſie von einer eignen Art herrühren, die er Canis Ingae nennt; auch werden die einheimiſchen Hunde im Peruaniſchen mit dem Namen Runa-allco bezeichnet um ſie von den europäiſchen, die verwildert in Südamerika vorkommen, zu unterſcheiden. Dieſe Hunde ſollen beſonders gegen Europäer feindlich geſinnt ſein.‟ „Merkwürdig iſt es, daß da, wo keine Vertreter der Wölfe wild vorkommen, auch der Haushund gefehlt zu haben ſcheint, obwohl, ſoweit die Geſchichte des Menſchen in der Vorzeit und ſeine Ver- breitung über den Erdkreis reicht, der Hund dem Menſchen durchgängig als Geſellſchafter treu gefolgt

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/380>, abgerufen am 24.11.2024.