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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Ein Blick auf das Leben der Gesammtheit.
fahrungen auf und benutzt sie; es erkennt Gefahren und denkt über die Mittel nach, um sie zu vermei-
den; es beweist Neigung und Abneigung, Liebe gegen Gatten und Kind, Freunde und Wohlthäter,
Haß gegen Feinde und Widersacher, Dankbarkeit, Treue, Achtung und Mißachtung, Freude und Schmerz,
Zorn und Sauftmuth, List und Klugheit, Ehrlichkeit und Verschlagenheit. Das kluge Thier rechnet,
bedenkt, erwägt, ehe es handelt, das gefühlvolle setzt mit Bewußtsein Freiheit und Leben ein, um seinem
inneren Drange zu genügen. Das Thier hat von Geselligkeit sehr hohe Begriffe und opfert sich
zum Wohle der Gesammtheit; es pflegt Kranke, unterstützt Schwächere und theilt mit Hungrigen
seine Nahrung. Es überwindet Begierden und Leidenschaften und lernt sich beherrschen: es zeigt
also auch selbständigen Willen und Willenskraft. Es erinnert sich der Vergangenheit jahrelang und
gedenkt sogar der Zukunft: es sammelt und spart für sie.

Diese verschiedenen Geistesgaben bestimmen den Charakter.

Das Thier ist muthig oder furchtsam, tapfer oder feig, kühn oder ängstlich, ehrlich oder diebisch,
offen oder verschmitzt, gerade oder hämisch, stolz oder bescheiden, zutraulich oder mißtrauisch, folgsam
oder störrisch, dienstsam oder herrschsüchtig, friedfertig oder streitlustig, heiter oder traurig, lustig
oder grämlich, gesellig oder ungesellig, freundschaftlich gegen Andere oder feindselig gegen die ganze
Welt -- und wer könnte sagen, was sonst noch Alles!

Jch müßte ein besonderes Buch schreiben, wie Scheitlin, wollte ich mich jetzt über den Thier-
geist noch weiter auslassen. Vorstehendes genügt jedem Unbefangenen, -- und selbst der hochmüthige
Vergötterer des Menschen kann die Wahrheit des Gesagten nicht leugnen. Bei der Einzelbeschreibung
der Säugethiere werde ich nicht verfehlen, zu meinen Behauptungen auch Beweise zu liefern.

Dem Menschen geschieht kein Unrecht, ihm wird nicht Abbruch gethan, wenn wir die Thiere
auch hochstellen. Herder nennt diese "die erstgeborenen Brüder des Menschen" und Scheitlin sagt
sehr wahr und treffend: "Alles Thier ist im Menschen, aber im Thier ist nicht aller Mensch." Dieser
bleibt auch neben dem höchsten Thiere, was er ist.

Eins dürfen wir hier nicht vergessen: ich meine die Steigerung, welcher alle Geisteskräfte
des Thieres fähig sind, wenn ihm Erziehung zu Theil wird. Es gibt ebensowohl gesittete, wohler-
zogene, oder ungesittete, flegelhafte, ungezogene Thiere als Menschen. Der Erzieher übt einen unend-
lichen Einfluß auf das Thier aus. Schon eine wohlerzogene Thiermutter vererbt einen guten Theil
ihrer Tugenden auf ihre Kinder: der hauptsächlichste und vorzüglichste Erzieher aber ist der Mensch.
Ein einziges Beispiel mag genügen: unser am besten erzogenes Thier, der Hund, soll es sein. Dieser
wird mit der Zeit ein wahres Spiegelbild seines Herrn; er eignet sich, so zu sagen, dessen Charakter
an: der Jagdhund den des Jägers, der Fleischerhund den des Fleischers, der Schifferhund
den des Schiffers, der Lappen-, Eskimo-, Jndianerhund den seiner bezüglichen Gebieter. Nur
Männer können Thiere erziehen: Dies beweisen oder bewiesen alle Mopse, dies zeigen die Hunde
und Katzen einsamstehender Frauen oder Jungfrauen: sie sind regelmäßig verzogen, nicht erzogen.
Das Thier verlangt Ernst und Festigkeit von Dem, welcher es lehrt, nicht aber zu große Milde und
Wankelmuth.



Der Heimatkreis des Säugethieres ist beschränkter, als der eines Vogels oder Fisches,
ja selbst eines Lurches. Nur das Meer gestattet den Bewohnern aus unserer Klasse große Willkür-
lichkeit der Bewegung und Ortsveränderung, allein immer nicht in demselben Grade, wie dem Vogel;
in den zusammenhängenden Meeren aller Erdtheile finden sich blos folgende Säugethiere: der See-
hund,
die Ohrenrobbe, mehrere Delfine und zwei Wale. Auch die Meersäuger beweisen, daß
ihre Klasse dem Lande und nicht dem Wasser angehört; denn auch sie ziehen die Küste dem offenen
Meere vor.

Auf dem Festlande nimmt der Verbreitungskreis der Säugethiere viel engere Grenzen an,
als in dem Meere. Viele Arten haben ein sehr kleines Vaterland. Man hat die Erde mit Rück-
sicht auf ihre Bewohner in gewisse Reiche getheilt, welche man thierkundliche (zoologische) genannt
hat. Ein solches Reich hat immer seine ihm eigenthümlichen, thierischen Einwohner; zwei sich ent-
sprechende Reiche weisen auch ähnliche Thiere auf, selbst wenn das eine Reich von der Tiefe zur Höhe,
und das andere von niederer Breite zur höheren aufsteigt. Um Dies deutlicher zu machen, will ich
hier die besonders abgeschlossenen Reiche angeben und ihre Bewohner dazu nennen:

Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
fahrungen auf und benutzt ſie; es erkennt Gefahren und denkt über die Mittel nach, um ſie zu vermei-
den; es beweiſt Neigung und Abneigung, Liebe gegen Gatten und Kind, Freunde und Wohlthäter,
Haß gegen Feinde und Widerſacher, Dankbarkeit, Treue, Achtung und Mißachtung, Freude und Schmerz,
Zorn und Sauftmuth, Liſt und Klugheit, Ehrlichkeit und Verſchlagenheit. Das kluge Thier rechnet,
bedenkt, erwägt, ehe es handelt, das gefühlvolle ſetzt mit Bewußtſein Freiheit und Leben ein, um ſeinem
inneren Drange zu genügen. Das Thier hat von Geſelligkeit ſehr hohe Begriffe und opfert ſich
zum Wohle der Geſammtheit; es pflegt Kranke, unterſtützt Schwächere und theilt mit Hungrigen
ſeine Nahrung. Es überwindet Begierden und Leidenſchaften und lernt ſich beherrſchen: es zeigt
alſo auch ſelbſtändigen Willen und Willenskraft. Es erinnert ſich der Vergangenheit jahrelang und
gedenkt ſogar der Zukunft: es ſammelt und ſpart für ſie.

Dieſe verſchiedenen Geiſtesgaben beſtimmen den Charakter.

Das Thier iſt muthig oder furchtſam, tapfer oder feig, kühn oder ängſtlich, ehrlich oder diebiſch,
offen oder verſchmitzt, gerade oder hämiſch, ſtolz oder beſcheiden, zutraulich oder mißtrauiſch, folgſam
oder ſtörriſch, dienſtſam oder herrſchſüchtig, friedfertig oder ſtreitluſtig, heiter oder traurig, luſtig
oder grämlich, geſellig oder ungeſellig, freundſchaftlich gegen Andere oder feindſelig gegen die ganze
Welt — und wer könnte ſagen, was ſonſt noch Alles!

Jch müßte ein beſonderes Buch ſchreiben, wie Scheitlin, wollte ich mich jetzt über den Thier-
geiſt noch weiter auslaſſen. Vorſtehendes genügt jedem Unbefangenen, — und ſelbſt der hochmüthige
Vergötterer des Menſchen kann die Wahrheit des Geſagten nicht leugnen. Bei der Einzelbeſchreibung
der Säugethiere werde ich nicht verfehlen, zu meinen Behauptungen auch Beweiſe zu liefern.

Dem Menſchen geſchieht kein Unrecht, ihm wird nicht Abbruch gethan, wenn wir die Thiere
auch hochſtellen. Herder nennt dieſe „die erſtgeborenen Brüder des Menſchen‟ und Scheitlin ſagt
ſehr wahr und treffend: „Alles Thier iſt im Menſchen, aber im Thier iſt nicht aller Menſch.‟ Dieſer
bleibt auch neben dem höchſten Thiere, was er iſt.

Eins dürfen wir hier nicht vergeſſen: ich meine die Steigerung, welcher alle Geiſteskräfte
des Thieres fähig ſind, wenn ihm Erziehung zu Theil wird. Es gibt ebenſowohl geſittete, wohler-
zogene, oder ungeſittete, flegelhafte, ungezogene Thiere als Menſchen. Der Erzieher übt einen unend-
lichen Einfluß auf das Thier aus. Schon eine wohlerzogene Thiermutter vererbt einen guten Theil
ihrer Tugenden auf ihre Kinder: der hauptſächlichſte und vorzüglichſte Erzieher aber iſt der Menſch.
Ein einziges Beiſpiel mag genügen: unſer am beſten erzogenes Thier, der Hund, ſoll es ſein. Dieſer
wird mit der Zeit ein wahres Spiegelbild ſeines Herrn; er eignet ſich, ſo zu ſagen, deſſen Charakter
an: der Jagdhund den des Jägers, der Fleiſcherhund den des Fleiſchers, der Schifferhund
den des Schiffers, der Lappen-, Eskimo-, Jndianerhund den ſeiner bezüglichen Gebieter. Nur
Männer können Thiere erziehen: Dies beweiſen oder bewieſen alle Mopſe, dies zeigen die Hunde
und Katzen einſamſtehender Frauen oder Jungfrauen: ſie ſind regelmäßig verzogen, nicht erzogen.
Das Thier verlangt Ernſt und Feſtigkeit von Dem, welcher es lehrt, nicht aber zu große Milde und
Wankelmuth.



Der Heimatkreis des Säugethieres iſt beſchränkter, als der eines Vogels oder Fiſches,
ja ſelbſt eines Lurches. Nur das Meer geſtattet den Bewohnern aus unſerer Klaſſe große Willkür-
lichkeit der Bewegung und Ortsveränderung, allein immer nicht in demſelben Grade, wie dem Vogel;
in den zuſammenhängenden Meeren aller Erdtheile finden ſich blos folgende Säugethiere: der See-
hund,
die Ohrenrobbe, mehrere Delfine und zwei Wale. Auch die Meerſäuger beweiſen, daß
ihre Klaſſe dem Lande und nicht dem Waſſer angehört; denn auch ſie ziehen die Küſte dem offenen
Meere vor.

Auf dem Feſtlande nimmt der Verbreitungskreis der Säugethiere viel engere Grenzen an,
als in dem Meere. Viele Arten haben ein ſehr kleines Vaterland. Man hat die Erde mit Rück-
ſicht auf ihre Bewohner in gewiſſe Reiche getheilt, welche man thierkundliche (zoologiſche) genannt
hat. Ein ſolches Reich hat immer ſeine ihm eigenthümlichen, thieriſchen Einwohner; zwei ſich ent-
ſprechende Reiche weiſen auch ähnliche Thiere auf, ſelbſt wenn das eine Reich von der Tiefe zur Höhe,
und das andere von niederer Breite zur höheren aufſteigt. Um Dies deutlicher zu machen, will ich
hier die beſonders abgeſchloſſenen Reiche angeben und ihre Bewohner dazu nennen:

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[XXVIII[XXVIII]/0038] Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit. fahrungen auf und benutzt ſie; es erkennt Gefahren und denkt über die Mittel nach, um ſie zu vermei- den; es beweiſt Neigung und Abneigung, Liebe gegen Gatten und Kind, Freunde und Wohlthäter, Haß gegen Feinde und Widerſacher, Dankbarkeit, Treue, Achtung und Mißachtung, Freude und Schmerz, Zorn und Sauftmuth, Liſt und Klugheit, Ehrlichkeit und Verſchlagenheit. Das kluge Thier rechnet, bedenkt, erwägt, ehe es handelt, das gefühlvolle ſetzt mit Bewußtſein Freiheit und Leben ein, um ſeinem inneren Drange zu genügen. Das Thier hat von Geſelligkeit ſehr hohe Begriffe und opfert ſich zum Wohle der Geſammtheit; es pflegt Kranke, unterſtützt Schwächere und theilt mit Hungrigen ſeine Nahrung. Es überwindet Begierden und Leidenſchaften und lernt ſich beherrſchen: es zeigt alſo auch ſelbſtändigen Willen und Willenskraft. Es erinnert ſich der Vergangenheit jahrelang und gedenkt ſogar der Zukunft: es ſammelt und ſpart für ſie. Dieſe verſchiedenen Geiſtesgaben beſtimmen den Charakter. Das Thier iſt muthig oder furchtſam, tapfer oder feig, kühn oder ängſtlich, ehrlich oder diebiſch, offen oder verſchmitzt, gerade oder hämiſch, ſtolz oder beſcheiden, zutraulich oder mißtrauiſch, folgſam oder ſtörriſch, dienſtſam oder herrſchſüchtig, friedfertig oder ſtreitluſtig, heiter oder traurig, luſtig oder grämlich, geſellig oder ungeſellig, freundſchaftlich gegen Andere oder feindſelig gegen die ganze Welt — und wer könnte ſagen, was ſonſt noch Alles! Jch müßte ein beſonderes Buch ſchreiben, wie Scheitlin, wollte ich mich jetzt über den Thier- geiſt noch weiter auslaſſen. Vorſtehendes genügt jedem Unbefangenen, — und ſelbſt der hochmüthige Vergötterer des Menſchen kann die Wahrheit des Geſagten nicht leugnen. Bei der Einzelbeſchreibung der Säugethiere werde ich nicht verfehlen, zu meinen Behauptungen auch Beweiſe zu liefern. Dem Menſchen geſchieht kein Unrecht, ihm wird nicht Abbruch gethan, wenn wir die Thiere auch hochſtellen. Herder nennt dieſe „die erſtgeborenen Brüder des Menſchen‟ und Scheitlin ſagt ſehr wahr und treffend: „Alles Thier iſt im Menſchen, aber im Thier iſt nicht aller Menſch.‟ Dieſer bleibt auch neben dem höchſten Thiere, was er iſt. Eins dürfen wir hier nicht vergeſſen: ich meine die Steigerung, welcher alle Geiſteskräfte des Thieres fähig ſind, wenn ihm Erziehung zu Theil wird. Es gibt ebenſowohl geſittete, wohler- zogene, oder ungeſittete, flegelhafte, ungezogene Thiere als Menſchen. Der Erzieher übt einen unend- lichen Einfluß auf das Thier aus. Schon eine wohlerzogene Thiermutter vererbt einen guten Theil ihrer Tugenden auf ihre Kinder: der hauptſächlichſte und vorzüglichſte Erzieher aber iſt der Menſch. Ein einziges Beiſpiel mag genügen: unſer am beſten erzogenes Thier, der Hund, ſoll es ſein. Dieſer wird mit der Zeit ein wahres Spiegelbild ſeines Herrn; er eignet ſich, ſo zu ſagen, deſſen Charakter an: der Jagdhund den des Jägers, der Fleiſcherhund den des Fleiſchers, der Schifferhund den des Schiffers, der Lappen-, Eskimo-, Jndianerhund den ſeiner bezüglichen Gebieter. Nur Männer können Thiere erziehen: Dies beweiſen oder bewieſen alle Mopſe, dies zeigen die Hunde und Katzen einſamſtehender Frauen oder Jungfrauen: ſie ſind regelmäßig verzogen, nicht erzogen. Das Thier verlangt Ernſt und Feſtigkeit von Dem, welcher es lehrt, nicht aber zu große Milde und Wankelmuth. Der Heimatkreis des Säugethieres iſt beſchränkter, als der eines Vogels oder Fiſches, ja ſelbſt eines Lurches. Nur das Meer geſtattet den Bewohnern aus unſerer Klaſſe große Willkür- lichkeit der Bewegung und Ortsveränderung, allein immer nicht in demſelben Grade, wie dem Vogel; in den zuſammenhängenden Meeren aller Erdtheile finden ſich blos folgende Säugethiere: der See- hund, die Ohrenrobbe, mehrere Delfine und zwei Wale. Auch die Meerſäuger beweiſen, daß ihre Klaſſe dem Lande und nicht dem Waſſer angehört; denn auch ſie ziehen die Küſte dem offenen Meere vor. Auf dem Feſtlande nimmt der Verbreitungskreis der Säugethiere viel engere Grenzen an, als in dem Meere. Viele Arten haben ein ſehr kleines Vaterland. Man hat die Erde mit Rück- ſicht auf ihre Bewohner in gewiſſe Reiche getheilt, welche man thierkundliche (zoologiſche) genannt hat. Ein ſolches Reich hat immer ſeine ihm eigenthümlichen, thieriſchen Einwohner; zwei ſich ent- ſprechende Reiche weiſen auch ähnliche Thiere auf, ſelbſt wenn das eine Reich von der Tiefe zur Höhe, und das andere von niederer Breite zur höheren aufſteigt. Um Dies deutlicher zu machen, will ich hier die beſonders abgeſchloſſenen Reiche angeben und ihre Bewohner dazu nennen:

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXVIII[XXVIII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/38>, abgerufen am 25.11.2024.