dreihundert Ellen an das Rudel heranfahren. Sobald nun die Jäger nahe genug sind, enthauben sie den Tschitah und machen ihn durch sehr ausdrucksvolle Winke und leise Aufmunterungen auf seine Beute aufmerksam.
Kaum hat das vortreffliche Thier seine Beute ersehen, so erwacht in ihm das ganze Jagdfeuer, und all seine natürliche List und Schlauheit bekundet sich. Zierlich, ungesehn und ungehört schlüpft er von dem Wagen und schleicht nun in der oben angegebenen Weise sorgfältig an das Rudel heran und reißt ein Stück von ihm zu Boden. Ein Augenzeuge erzählt eine solche Jagd mit folgenden Worten:
"Kurz bevor wir unser Revier berührten, meldete uns der Kameltreiber (denn deren bedient man sich gewöhnlich zum Aufsuchen des Wildes und zum Vorbereiten der Jagdlust) daß eine halbe Meile von unserm Stande eine Herde Gazellen weide, und wir beschlossen sogleich, sie mit unseren Gepards zu verfolgen. Jeder derselben befand sich auf einem offenen, mit zwei Ochsen bespannten Karren ohne Leitern, und jeder hatte ein Gefolge von zwei Männern. Die Gepards waren mit einem Halfter an ein leichtes Halsband oben auf den Karren gebunden und wurden noch von den Beileuten an einem Riemen gehalten, welcher um die Lenden ging. Eine lederne Kappe bedeckte ihnen die Augen. Da die Gazellen außerordentlich scheu sind, so ist die beste Weise an sie zu kommen, wenn der Treiber an der langen Seite des Jagdwagens sitzt, und man baut auch darum letztern so, wie die Karren der Bauern, weil an deren Anblick die Thiere gewöhnt sind, so daß man sich ihnen auf 100 bis 200 Ellen nähern kann. Diesmal hatten wir drei Gepards bei uns und rückten auf die Stelle, wo die Gazellen gesehen worden waren, in einer Linie vor, in welcher jeder 100 Ellen vom andern entfernt blieb. Als wir eben in ein Baumwollenfeld kamen, erblickten wir vier Gazellen und mein Kutscher bemühte sich, bis auf 100 Ellen an sie zu kommen. Schnell wurden dem Gepard die Kappe und die Fesseln abgenommen, und kaum erblickte er das Wild, als er sich nach der entgegensetzten Richtung, mit dem Bauche gänzlich zur Erde gedrückt, äußerst langsam und schmiegsam, hinter jedem Hindernisse, das im Wege lag, sich verbergend, fortschlich; sobald er indessen vermuthete, bemerkt zu werden, beflügelte er seine Schritte und war nach einigen Sätzen plötzlich mitten unter den Thieren. Er faßte ein Weibchen und rannte, indem er dieses gepackt, gegen 200 Ellen weit, gab ihm dann einen Schlag mit der Tatze, wälzte es um, und in einem Augenblicke trank er das Blut aus der geöffneten Kehle. Einer der ande- ren Gepards war zu derselben Zeit losgelassen worden; nachdem er aber vier bis fünf verzweifelte Sprünge gemacht hatte, mit denen er die Beute verfehlte, gab er die Verfolgung auf, kehrte knurrend zurück und setzte sich wieder auf den Karren. Als jenes Thier überwältigt worden, lief einer vom Gefolge hin, setzte dem Gepard seine Kappe auf und schnitt der Gazelle die Kehle ab, sammelte Blut in ein hölzernes Gefäß und hielt es dem Gepard unter die Nase. Die Gazelle wurde fortgeschleppt und in ein Behältniß unter dem Wagen gebracht, während dem Gepard durch ein Bein des Thieres sein Wildrecht gegeben wurde."
Sehr auffallend ist es, daß man von dem Freileben dieser so oft gezähmten Katze noch wenig oder gar Nichts weiß. Auf meinem Jagdausfluge nach Habesch erlegte mein Gefährte, van Arkel d'Ablaing, einen Gepard, welcher bei hellem Tage einer angeschossenen Gazelle nachgeschlichen war; aber er sah das Raubthier eben auch nur, ohne es länger beobachten zu können. Ueber die Fort- pflanzung des Jagdleoparden ist gar Nichts bekannt. Jch habe mich in Afrika sogar bei den Nomaden vergebens hiernach erkundigt; diese Leute, welche das Thier ganz genau kennen, konnten mir eben blos sagen, daß man es in Schlingen fängt und trotz seiner ursprünglichen Wildheit binnen sehr kurzer Zeit zähmt. Daß die Zähmung so gut als gar keine Schwierigkeiten macht, wird Jedem klar, welcher einen Gepard in der Gefangenschaft gesehen hat. Jch glaube nicht zuviel zu sagen, wenn ich behaupte, daß es in der ganzen Katzenfamilie kein so gemüthliches Thier giebt, als unsern Jagdleoparden, und bezweifle, daß (vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Löwen) irgend eine Wild- katze so zahm wird, wie er. Jn Afrika hielt ich selbst Gepards längere Zeit gefangen; im Ham- burger Thiergarten besitzen wir sie auch. Unter allen, welche ich sah, war nicht ein einziger, welcher jemals auch nur die leisesten Spuren von Wildheit gezeigt hätte. Gemüthlichkeit ist der Grundzug
Die Raubthiere. Katzen. — Tſchitah.
dreihundert Ellen an das Rudel heranfahren. Sobald nun die Jäger nahe genug ſind, enthauben ſie den Tſchitah und machen ihn durch ſehr ausdrucksvolle Winke und leiſe Aufmunterungen auf ſeine Beute aufmerkſam.
Kaum hat das vortreffliche Thier ſeine Beute erſehen, ſo erwacht in ihm das ganze Jagdfeuer, und all ſeine natürliche Liſt und Schlauheit bekundet ſich. Zierlich, ungeſehn und ungehört ſchlüpft er von dem Wagen und ſchleicht nun in der oben angegebenen Weiſe ſorgfältig an das Rudel heran und reißt ein Stück von ihm zu Boden. Ein Augenzeuge erzählt eine ſolche Jagd mit folgenden Worten:
„Kurz bevor wir unſer Revier berührten, meldete uns der Kameltreiber (denn deren bedient man ſich gewöhnlich zum Aufſuchen des Wildes und zum Vorbereiten der Jagdluſt) daß eine halbe Meile von unſerm Stande eine Herde Gazellen weide, und wir beſchloſſen ſogleich, ſie mit unſeren Gepards zu verfolgen. Jeder derſelben befand ſich auf einem offenen, mit zwei Ochſen beſpannten Karren ohne Leitern, und jeder hatte ein Gefolge von zwei Männern. Die Gepards waren mit einem Halfter an ein leichtes Halsband oben auf den Karren gebunden und wurden noch von den Beileuten an einem Riemen gehalten, welcher um die Lenden ging. Eine lederne Kappe bedeckte ihnen die Augen. Da die Gazellen außerordentlich ſcheu ſind, ſo iſt die beſte Weiſe an ſie zu kommen, wenn der Treiber an der langen Seite des Jagdwagens ſitzt, und man baut auch darum letztern ſo, wie die Karren der Bauern, weil an deren Anblick die Thiere gewöhnt ſind, ſo daß man ſich ihnen auf 100 bis 200 Ellen nähern kann. Diesmal hatten wir drei Gepards bei uns und rückten auf die Stelle, wo die Gazellen geſehen worden waren, in einer Linie vor, in welcher jeder 100 Ellen vom andern entfernt blieb. Als wir eben in ein Baumwollenfeld kamen, erblickten wir vier Gazellen und mein Kutſcher bemühte ſich, bis auf 100 Ellen an ſie zu kommen. Schnell wurden dem Gepard die Kappe und die Feſſeln abgenommen, und kaum erblickte er das Wild, als er ſich nach der entgegenſetzten Richtung, mit dem Bauche gänzlich zur Erde gedrückt, äußerſt langſam und ſchmiegſam, hinter jedem Hinderniſſe, das im Wege lag, ſich verbergend, fortſchlich; ſobald er indeſſen vermuthete, bemerkt zu werden, beflügelte er ſeine Schritte und war nach einigen Sätzen plötzlich mitten unter den Thieren. Er faßte ein Weibchen und rannte, indem er dieſes gepackt, gegen 200 Ellen weit, gab ihm dann einen Schlag mit der Tatze, wälzte es um, und in einem Augenblicke trank er das Blut aus der geöffneten Kehle. Einer der ande- ren Gepards war zu derſelben Zeit losgelaſſen worden; nachdem er aber vier bis fünf verzweifelte Sprünge gemacht hatte, mit denen er die Beute verfehlte, gab er die Verfolgung auf, kehrte knurrend zurück und ſetzte ſich wieder auf den Karren. Als jenes Thier überwältigt worden, lief einer vom Gefolge hin, ſetzte dem Gepard ſeine Kappe auf und ſchnitt der Gazelle die Kehle ab, ſammelte Blut in ein hölzernes Gefäß und hielt es dem Gepard unter die Naſe. Die Gazelle wurde fortgeſchleppt und in ein Behältniß unter dem Wagen gebracht, während dem Gepard durch ein Bein des Thieres ſein Wildrecht gegeben wurde.‟
Sehr auffallend iſt es, daß man von dem Freileben dieſer ſo oft gezähmten Katze noch wenig oder gar Nichts weiß. Auf meinem Jagdausfluge nach Habeſch erlegte mein Gefährte, van Arkel d’Ablaing, einen Gepard, welcher bei hellem Tage einer angeſchoſſenen Gazelle nachgeſchlichen war; aber er ſah das Raubthier eben auch nur, ohne es länger beobachten zu können. Ueber die Fort- pflanzung des Jagdleoparden iſt gar Nichts bekannt. Jch habe mich in Afrika ſogar bei den Nomaden vergebens hiernach erkundigt; dieſe Leute, welche das Thier ganz genau kennen, konnten mir eben blos ſagen, daß man es in Schlingen fängt und trotz ſeiner urſprünglichen Wildheit binnen ſehr kurzer Zeit zähmt. Daß die Zähmung ſo gut als gar keine Schwierigkeiten macht, wird Jedem klar, welcher einen Gepard in der Gefangenſchaft geſehen hat. Jch glaube nicht zuviel zu ſagen, wenn ich behaupte, daß es in der ganzen Katzenfamilie kein ſo gemüthliches Thier giebt, als unſern Jagdleoparden, und bezweifle, daß (vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Löwen) irgend eine Wild- katze ſo zahm wird, wie er. Jn Afrika hielt ich ſelbſt Gepards längere Zeit gefangen; im Ham- burger Thiergarten beſitzen wir ſie auch. Unter allen, welche ich ſah, war nicht ein einziger, welcher jemals auch nur die leiſeſten Spuren von Wildheit gezeigt hätte. Gemüthlichkeit iſt der Grundzug
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[308/0374]
Die Raubthiere. Katzen. — Tſchitah.
dreihundert Ellen an das Rudel heranfahren. Sobald nun die Jäger nahe genug ſind, enthauben
ſie den Tſchitah und machen ihn durch ſehr ausdrucksvolle Winke und leiſe Aufmunterungen auf ſeine
Beute aufmerkſam.
Kaum hat das vortreffliche Thier ſeine Beute erſehen, ſo erwacht in ihm das ganze Jagdfeuer,
und all ſeine natürliche Liſt und Schlauheit bekundet ſich. Zierlich, ungeſehn und ungehört ſchlüpft er
von dem Wagen und ſchleicht nun in der oben angegebenen Weiſe ſorgfältig an das Rudel heran und
reißt ein Stück von ihm zu Boden. Ein Augenzeuge erzählt eine ſolche Jagd mit folgenden Worten:
„Kurz bevor wir unſer Revier berührten, meldete uns der Kameltreiber (denn deren bedient man
ſich gewöhnlich zum Aufſuchen des Wildes und zum Vorbereiten der Jagdluſt) daß eine halbe Meile
von unſerm Stande eine Herde Gazellen weide, und wir beſchloſſen ſogleich, ſie mit unſeren Gepards
zu verfolgen. Jeder derſelben befand ſich auf einem offenen, mit zwei Ochſen beſpannten Karren ohne
Leitern, und jeder hatte ein Gefolge von zwei Männern. Die Gepards waren mit einem Halfter an
ein leichtes Halsband oben auf den Karren gebunden und wurden noch von den Beileuten an einem
Riemen gehalten, welcher um die Lenden ging. Eine lederne Kappe bedeckte ihnen die Augen. Da
die Gazellen außerordentlich ſcheu ſind, ſo iſt die beſte Weiſe an ſie zu kommen, wenn der Treiber an
der langen Seite des Jagdwagens ſitzt, und man baut auch darum letztern ſo, wie die Karren der
Bauern, weil an deren Anblick die Thiere gewöhnt ſind, ſo daß man ſich ihnen auf 100 bis 200 Ellen
nähern kann. Diesmal hatten wir drei Gepards bei uns und rückten auf die Stelle, wo die Gazellen
geſehen worden waren, in einer Linie vor, in welcher jeder 100 Ellen vom andern entfernt blieb.
Als wir eben in ein Baumwollenfeld kamen, erblickten wir vier Gazellen und mein Kutſcher bemühte
ſich, bis auf 100 Ellen an ſie zu kommen. Schnell wurden dem Gepard die Kappe und die Feſſeln
abgenommen, und kaum erblickte er das Wild, als er ſich nach der entgegenſetzten Richtung, mit dem
Bauche gänzlich zur Erde gedrückt, äußerſt langſam und ſchmiegſam, hinter jedem Hinderniſſe, das im
Wege lag, ſich verbergend, fortſchlich; ſobald er indeſſen vermuthete, bemerkt zu werden, beflügelte er
ſeine Schritte und war nach einigen Sätzen plötzlich mitten unter den Thieren. Er faßte ein Weibchen
und rannte, indem er dieſes gepackt, gegen 200 Ellen weit, gab ihm dann einen Schlag mit der Tatze,
wälzte es um, und in einem Augenblicke trank er das Blut aus der geöffneten Kehle. Einer der ande-
ren Gepards war zu derſelben Zeit losgelaſſen worden; nachdem er aber vier bis fünf verzweifelte
Sprünge gemacht hatte, mit denen er die Beute verfehlte, gab er die Verfolgung auf, kehrte knurrend
zurück und ſetzte ſich wieder auf den Karren. Als jenes Thier überwältigt worden, lief einer vom
Gefolge hin, ſetzte dem Gepard ſeine Kappe auf und ſchnitt der Gazelle die Kehle ab, ſammelte Blut
in ein hölzernes Gefäß und hielt es dem Gepard unter die Naſe. Die Gazelle wurde fortgeſchleppt
und in ein Behältniß unter dem Wagen gebracht, während dem Gepard durch ein Bein des Thieres
ſein Wildrecht gegeben wurde.‟
Sehr auffallend iſt es, daß man von dem Freileben dieſer ſo oft gezähmten Katze noch wenig
oder gar Nichts weiß. Auf meinem Jagdausfluge nach Habeſch erlegte mein Gefährte, van Arkel
d’Ablaing, einen Gepard, welcher bei hellem Tage einer angeſchoſſenen Gazelle nachgeſchlichen war;
aber er ſah das Raubthier eben auch nur, ohne es länger beobachten zu können. Ueber die Fort-
pflanzung des Jagdleoparden iſt gar Nichts bekannt. Jch habe mich in Afrika ſogar bei den Nomaden
vergebens hiernach erkundigt; dieſe Leute, welche das Thier ganz genau kennen, konnten mir eben
blos ſagen, daß man es in Schlingen fängt und trotz ſeiner urſprünglichen Wildheit binnen ſehr
kurzer Zeit zähmt. Daß die Zähmung ſo gut als gar keine Schwierigkeiten macht, wird Jedem
klar, welcher einen Gepard in der Gefangenſchaft geſehen hat. Jch glaube nicht zuviel zu ſagen,
wenn ich behaupte, daß es in der ganzen Katzenfamilie kein ſo gemüthliches Thier giebt, als unſern
Jagdleoparden, und bezweifle, daß (vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Löwen) irgend eine Wild-
katze ſo zahm wird, wie er. Jn Afrika hielt ich ſelbſt Gepards längere Zeit gefangen; im Ham-
burger Thiergarten beſitzen wir ſie auch. Unter allen, welche ich ſah, war nicht ein einziger, welcher
jemals auch nur die leiſeſten Spuren von Wildheit gezeigt hätte. Gemüthlichkeit iſt der Grundzug
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/374>, abgerufen am 24.11.2024.
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