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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Schätzung der Katze. Jhr häusliches Leben. Sinnesschärfe.

Unsere Hauskatze ist vortrefflich geeignet, ihre ganze Familie kennen zu lehren, eben weil
Jedermann sie beobachten kann. Sie ist ein außerordentlich schmuckes, reinliches, zierliches und au-
muthiges Geschöpf. Jede ihrer Bewegungen ist nett und angenehm und ihre Gewandtheit wahrhaft
bewunderungswürdig. Sie geht gemessen und tritt mit ihren Sammetpfötchen, deren Krallen sehr
sorgfältig eingezogen sind, so leise auf, daß ihr Gang für den Menschen vollkommen unhörbar wird.
Bei jedem Schritte zeigt sie die Beweglichkeit, welche ihr eigenthümlich ist, zugleich aber die größte
Anmuth und Zierlichkeit. Nur wenn sie von einem andern Thiere verfolgt oder plötzlich sehr
erschreckt wird, beschleunigt sie ihren Gang zu einem Laufe in schnell hinter einander folgenden
Sätzen oder Sprüngen, welche sie ziemlich rasch fördern und fast regelmäßig vor dem Verfolger
retten, weil sie klug jeden Schlupfwinkel zu benutzen oder jede Höhe zu gewinnen weiß. Sie klettert
durch Einhäkeln ihrer Krallen sehr leicht und geschickt an Bäumen und rauhen oder weichen Mauern
empor und ist im Stande, mit einem einzigen Satze eine Höhe von sechs, ja sogar von acht Fuß zu
gewinnen. Jm freien Felde ist ihr Lauf nicht eben rasch, wenigstens wird sie dort von jedem Hunde
eingeholt. Jhre große Gewandtheit zeigt sich namentlich bei Sprüngen, welche sie freiwillig oder
gezwungen ausführen muß. Sie mag fallen, wie sie will, immer wird sie mit den Beinen den Boden
erreichen und verhältnißmäßig sanft auf die weichen Ballen der Füße fallen. Mir ist es niemals ge-
lungen, eine Katze, welche ich mit dem Rücken nach unten dicht über einen Tisch oder über einen Stühl
hielt, so zu Falle zu bringen, daß sie mit dem Rücken aufschlug. Sie wendet sich, sobald man sie
freiläßt, blitzschnell um und steht dann ganz harmlos und fest auf allen vier Beinen. Wie sie Dies
anstellt, ist, bei so kurzen Entfernungen wenigstens, geradezu unerklärlich; beim Herabfallen aus
bedeutender Höhe dagegen kann man es sich sehr wohl erklären, weil dann die Katze ihren gerade
emporgestreckten Schwanz als Steuer benutzt und hierdurch die Richtung des Falles regelt. Das
Schwimmen versteht sie auch, sie macht aber von dieser Fertigkeit blos dann Gebrauch, wenn sie in
die unangenehme Lage kommt, sich aus dem Wasser retten zu müssen. Freiwillig geht sie niemals in
das Wasser, ja sie meidet sogar den Regen mit der größten Aengstlichkeit. Sie sitzt, wie der Hund,
auf dem Hintertheil und stützt sich vorn mit beiden Füßen; im Schlafe rollt sie sich zusammen und
legt sich auf eine Seite. Dabei sucht sie gern eine weiche und warme Unterlage auf, kann es aber
nur selten vertragen, wenn sie auch bedeckt wird. Vor allem Andern benutzt sie das Heu zum Pfühl,
wahrscheinlich, weil sie den Duft desselben sehr gut leiden mag. Von diesem Lager nimmt auch ihr
Fell einen höchst angenehmen Geruch an.

Unter den Sinnen der Katze sind Gefühl, Gesicht und Gehör die ausgezeichnetsten. Am
schlechtesten ist wohl der Geruch, wie man sich sehr leicht selbst überzeugen kann, wenn man einer
Katze irgendwelche Lieblingsnahrung so vorlegt, daß sie dieselbe nur durch den Geruch ermitteln
kann. Sie naht sich dann dem Gegenstande und wendet, wenn sie in seine nächste Nähe gekommen
ist, den Kopf so vielfach hin und her, daß man gleich an diesen Bewegungen sieht, wie wenig der
Geruchsinn sie leitet. Und ist sie dann ganz nahe gekommen, so benutzt sie ihre Schnurrhaare,
welche vortreffliche Tastwerkzeuge sind, noch immer weit mehr, als die Nase. Man muß ihr eine
Maus, welche man in der Handhöhlung versteckt, schon nahe vorhalten, ehe sie dieselbe riecht. Weit
feiner ist ihr Gefühl. Die Schnurrhaare zeigen Dies am besten; denn man darf blos ein einziges ganz
leise berühren, so wird man sehen, wie die Katze augenblicklich zurückzuckt. Auch in den weichen Pfoten
besitzt sie Tastgefühl, obschon in untergeordneterem Grade. Ausgezeichnet ist das Gesicht, und zwar
sieht die Katze ebensogut bei Tage, als bei Nacht. Sie ist fähig, bei verschiedenem Lichte ihren
Augenstern passend einzurichten d. h. ihn bei großer Helligkeit so zu verkleinern und bei Dunkelheit so
zu vergrößern, daß ihr das Sinneswerkzeug jederzeit vortreffliche Dienste leistet. Aber unter allen
Sinnen steht das Gehör obenan. "Jch hatte mich," sagt Lenz, "vor nicht gar zu langer Zeit bei
warmer stiller Luft in meinem Hofe auf einer Bank im Schatten der Bäume niedergelassen und wollte
lesen. Da kam eins von meinen Kätzchen schnurrend und schmeichelnd heran und kletterte mir nach
alter Gewohnheit auf Schulter und Kopf. Beim Lesen war das störend; ich legte also ein zu solchem

Schätzung der Katze. Jhr häusliches Leben. Sinnesſchärfe.

Unſere Hauskatze iſt vortrefflich geeignet, ihre ganze Familie kennen zu lehren, eben weil
Jedermann ſie beobachten kann. Sie iſt ein außerordentlich ſchmuckes, reinliches, zierliches und au-
muthiges Geſchöpf. Jede ihrer Bewegungen iſt nett und angenehm und ihre Gewandtheit wahrhaft
bewunderungswürdig. Sie geht gemeſſen und tritt mit ihren Sammetpfötchen, deren Krallen ſehr
ſorgfältig eingezogen ſind, ſo leiſe auf, daß ihr Gang für den Menſchen vollkommen unhörbar wird.
Bei jedem Schritte zeigt ſie die Beweglichkeit, welche ihr eigenthümlich iſt, zugleich aber die größte
Anmuth und Zierlichkeit. Nur wenn ſie von einem andern Thiere verfolgt oder plötzlich ſehr
erſchreckt wird, beſchleunigt ſie ihren Gang zu einem Laufe in ſchnell hinter einander folgenden
Sätzen oder Sprüngen, welche ſie ziemlich raſch fördern und faſt regelmäßig vor dem Verfolger
retten, weil ſie klug jeden Schlupfwinkel zu benutzen oder jede Höhe zu gewinnen weiß. Sie klettert
durch Einhäkeln ihrer Krallen ſehr leicht und geſchickt an Bäumen und rauhen oder weichen Mauern
empor und iſt im Stande, mit einem einzigen Satze eine Höhe von ſechs, ja ſogar von acht Fuß zu
gewinnen. Jm freien Felde iſt ihr Lauf nicht eben raſch, wenigſtens wird ſie dort von jedem Hunde
eingeholt. Jhre große Gewandtheit zeigt ſich namentlich bei Sprüngen, welche ſie freiwillig oder
gezwungen ausführen muß. Sie mag fallen, wie ſie will, immer wird ſie mit den Beinen den Boden
erreichen und verhältnißmäßig ſanft auf die weichen Ballen der Füße fallen. Mir iſt es niemals ge-
lungen, eine Katze, welche ich mit dem Rücken nach unten dicht über einen Tiſch oder über einen Stühl
hielt, ſo zu Falle zu bringen, daß ſie mit dem Rücken aufſchlug. Sie wendet ſich, ſobald man ſie
freiläßt, blitzſchnell um und ſteht dann ganz harmlos und feſt auf allen vier Beinen. Wie ſie Dies
anſtellt, iſt, bei ſo kurzen Entfernungen wenigſtens, geradezu unerklärlich; beim Herabfallen aus
bedeutender Höhe dagegen kann man es ſich ſehr wohl erklären, weil dann die Katze ihren gerade
emporgeſtreckten Schwanz als Steuer benutzt und hierdurch die Richtung des Falles regelt. Das
Schwimmen verſteht ſie auch, ſie macht aber von dieſer Fertigkeit blos dann Gebrauch, wenn ſie in
die unangenehme Lage kommt, ſich aus dem Waſſer retten zu müſſen. Freiwillig geht ſie niemals in
das Waſſer, ja ſie meidet ſogar den Regen mit der größten Aengſtlichkeit. Sie ſitzt, wie der Hund,
auf dem Hintertheil und ſtützt ſich vorn mit beiden Füßen; im Schlafe rollt ſie ſich zuſammen und
legt ſich auf eine Seite. Dabei ſucht ſie gern eine weiche und warme Unterlage auf, kann es aber
nur ſelten vertragen, wenn ſie auch bedeckt wird. Vor allem Andern benutzt ſie das Heu zum Pfühl,
wahrſcheinlich, weil ſie den Duft deſſelben ſehr gut leiden mag. Von dieſem Lager nimmt auch ihr
Fell einen höchſt angenehmen Geruch an.

Unter den Sinnen der Katze ſind Gefühl, Geſicht und Gehör die ausgezeichnetſten. Am
ſchlechteſten iſt wohl der Geruch, wie man ſich ſehr leicht ſelbſt überzeugen kann, wenn man einer
Katze irgendwelche Lieblingsnahrung ſo vorlegt, daß ſie dieſelbe nur durch den Geruch ermitteln
kann. Sie naht ſich dann dem Gegenſtande und wendet, wenn ſie in ſeine nächſte Nähe gekommen
iſt, den Kopf ſo vielfach hin und her, daß man gleich an dieſen Bewegungen ſieht, wie wenig der
Geruchſinn ſie leitet. Und iſt ſie dann ganz nahe gekommen, ſo benutzt ſie ihre Schnurrhaare,
welche vortreffliche Taſtwerkzeuge ſind, noch immer weit mehr, als die Naſe. Man muß ihr eine
Maus, welche man in der Handhöhlung verſteckt, ſchon nahe vorhalten, ehe ſie dieſelbe riecht. Weit
feiner iſt ihr Gefühl. Die Schnurrhaare zeigen Dies am beſten; denn man darf blos ein einziges ganz
leiſe berühren, ſo wird man ſehen, wie die Katze augenblicklich zurückzuckt. Auch in den weichen Pfoten
beſitzt ſie Taſtgefühl, obſchon in untergeordneterem Grade. Ausgezeichnet iſt das Geſicht, und zwar
ſieht die Katze ebenſogut bei Tage, als bei Nacht. Sie iſt fähig, bei verſchiedenem Lichte ihren
Augenſtern paſſend einzurichten d. h. ihn bei großer Helligkeit ſo zu verkleinern und bei Dunkelheit ſo
zu vergrößern, daß ihr das Sinneswerkzeug jederzeit vortreffliche Dienſte leiſtet. Aber unter allen
Sinnen ſteht das Gehör obenan. „Jch hatte mich,‟ ſagt Lenz, „vor nicht gar zu langer Zeit bei
warmer ſtiller Luft in meinem Hofe auf einer Bank im Schatten der Bäume niedergelaſſen und wollte
leſen. Da kam eins von meinen Kätzchen ſchnurrend und ſchmeichelnd heran und kletterte mir nach
alter Gewohnheit auf Schulter und Kopf. Beim Leſen war das ſtörend; ich legte alſo ein zu ſolchem

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[283/0347] Schätzung der Katze. Jhr häusliches Leben. Sinnesſchärfe. Unſere Hauskatze iſt vortrefflich geeignet, ihre ganze Familie kennen zu lehren, eben weil Jedermann ſie beobachten kann. Sie iſt ein außerordentlich ſchmuckes, reinliches, zierliches und au- muthiges Geſchöpf. Jede ihrer Bewegungen iſt nett und angenehm und ihre Gewandtheit wahrhaft bewunderungswürdig. Sie geht gemeſſen und tritt mit ihren Sammetpfötchen, deren Krallen ſehr ſorgfältig eingezogen ſind, ſo leiſe auf, daß ihr Gang für den Menſchen vollkommen unhörbar wird. Bei jedem Schritte zeigt ſie die Beweglichkeit, welche ihr eigenthümlich iſt, zugleich aber die größte Anmuth und Zierlichkeit. Nur wenn ſie von einem andern Thiere verfolgt oder plötzlich ſehr erſchreckt wird, beſchleunigt ſie ihren Gang zu einem Laufe in ſchnell hinter einander folgenden Sätzen oder Sprüngen, welche ſie ziemlich raſch fördern und faſt regelmäßig vor dem Verfolger retten, weil ſie klug jeden Schlupfwinkel zu benutzen oder jede Höhe zu gewinnen weiß. Sie klettert durch Einhäkeln ihrer Krallen ſehr leicht und geſchickt an Bäumen und rauhen oder weichen Mauern empor und iſt im Stande, mit einem einzigen Satze eine Höhe von ſechs, ja ſogar von acht Fuß zu gewinnen. Jm freien Felde iſt ihr Lauf nicht eben raſch, wenigſtens wird ſie dort von jedem Hunde eingeholt. Jhre große Gewandtheit zeigt ſich namentlich bei Sprüngen, welche ſie freiwillig oder gezwungen ausführen muß. Sie mag fallen, wie ſie will, immer wird ſie mit den Beinen den Boden erreichen und verhältnißmäßig ſanft auf die weichen Ballen der Füße fallen. Mir iſt es niemals ge- lungen, eine Katze, welche ich mit dem Rücken nach unten dicht über einen Tiſch oder über einen Stühl hielt, ſo zu Falle zu bringen, daß ſie mit dem Rücken aufſchlug. Sie wendet ſich, ſobald man ſie freiläßt, blitzſchnell um und ſteht dann ganz harmlos und feſt auf allen vier Beinen. Wie ſie Dies anſtellt, iſt, bei ſo kurzen Entfernungen wenigſtens, geradezu unerklärlich; beim Herabfallen aus bedeutender Höhe dagegen kann man es ſich ſehr wohl erklären, weil dann die Katze ihren gerade emporgeſtreckten Schwanz als Steuer benutzt und hierdurch die Richtung des Falles regelt. Das Schwimmen verſteht ſie auch, ſie macht aber von dieſer Fertigkeit blos dann Gebrauch, wenn ſie in die unangenehme Lage kommt, ſich aus dem Waſſer retten zu müſſen. Freiwillig geht ſie niemals in das Waſſer, ja ſie meidet ſogar den Regen mit der größten Aengſtlichkeit. Sie ſitzt, wie der Hund, auf dem Hintertheil und ſtützt ſich vorn mit beiden Füßen; im Schlafe rollt ſie ſich zuſammen und legt ſich auf eine Seite. Dabei ſucht ſie gern eine weiche und warme Unterlage auf, kann es aber nur ſelten vertragen, wenn ſie auch bedeckt wird. Vor allem Andern benutzt ſie das Heu zum Pfühl, wahrſcheinlich, weil ſie den Duft deſſelben ſehr gut leiden mag. Von dieſem Lager nimmt auch ihr Fell einen höchſt angenehmen Geruch an. Unter den Sinnen der Katze ſind Gefühl, Geſicht und Gehör die ausgezeichnetſten. Am ſchlechteſten iſt wohl der Geruch, wie man ſich ſehr leicht ſelbſt überzeugen kann, wenn man einer Katze irgendwelche Lieblingsnahrung ſo vorlegt, daß ſie dieſelbe nur durch den Geruch ermitteln kann. Sie naht ſich dann dem Gegenſtande und wendet, wenn ſie in ſeine nächſte Nähe gekommen iſt, den Kopf ſo vielfach hin und her, daß man gleich an dieſen Bewegungen ſieht, wie wenig der Geruchſinn ſie leitet. Und iſt ſie dann ganz nahe gekommen, ſo benutzt ſie ihre Schnurrhaare, welche vortreffliche Taſtwerkzeuge ſind, noch immer weit mehr, als die Naſe. Man muß ihr eine Maus, welche man in der Handhöhlung verſteckt, ſchon nahe vorhalten, ehe ſie dieſelbe riecht. Weit feiner iſt ihr Gefühl. Die Schnurrhaare zeigen Dies am beſten; denn man darf blos ein einziges ganz leiſe berühren, ſo wird man ſehen, wie die Katze augenblicklich zurückzuckt. Auch in den weichen Pfoten beſitzt ſie Taſtgefühl, obſchon in untergeordneterem Grade. Ausgezeichnet iſt das Geſicht, und zwar ſieht die Katze ebenſogut bei Tage, als bei Nacht. Sie iſt fähig, bei verſchiedenem Lichte ihren Augenſtern paſſend einzurichten d. h. ihn bei großer Helligkeit ſo zu verkleinern und bei Dunkelheit ſo zu vergrößern, daß ihr das Sinneswerkzeug jederzeit vortreffliche Dienſte leiſtet. Aber unter allen Sinnen ſteht das Gehör obenan. „Jch hatte mich,‟ ſagt Lenz, „vor nicht gar zu langer Zeit bei warmer ſtiller Luft in meinem Hofe auf einer Bank im Schatten der Bäume niedergelaſſen und wollte leſen. Da kam eins von meinen Kätzchen ſchnurrend und ſchmeichelnd heran und kletterte mir nach alter Gewohnheit auf Schulter und Kopf. Beim Leſen war das ſtörend; ich legte alſo ein zu ſolchem

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/347>, abgerufen am 25.11.2024.