Jede Biegung ist zierlich, gerundet und weich: kurz, ein laufender oder schleichender Leopard wird für Jedermann zu einer wahren Augenweide.
Leider steht sein geistiges Wesen mit seiner Leibesschöne nicht im Einklang. Der Leopard ist listig, verschlagen, tückisch, boshaft, wild, raub- und mordlustig, blutdürstig und rachsüchtig. Jn Afrika nennt man ihn geradezu Tiger, weil man unter diesem Namen das Urbild eines blutdürstigen Wesens bezeichnet. Und wahrhaftig, keine andere altweltliche Katze kann den Namen des furchtbarsten Gliedes der Familie mehr verdienen, als unser Leopard. Er mordet alle Geschöpfe, welche er be- wältigen kann, gleichviel, ob sie groß oder klein sind, ob sie sich wehren oder ihm ohne Abwehr zur Beute fallen. Antilopen, Ziegen und Schafe bilden wohl seine Hauptnahrung: aber er klettert auch den Affen auf den Bäumen, den Klippschliefern auf den Felsen nach. Den Pavianen ist er beständig auf den Fersen. Er ist es, welcher ein gefährliches Ueberhandnehmen dieser Thiere verhindert: Dies sieht man in jenen Höhen, wo er nicht hinkommt. Nicht einmal das Stachel- schwein ist vor ihm sicher. Er legt sich, wie Jules Gerard in Algerien beobachtete, auf den Wechsel dieses Nagers, lauert mit der größten Geduld und faßt, wenn der wohlbewehrte Stachelheld nächtlich seines Weges geht, blitzschnell zu, giebt ihm einen Schlag auf die Nase und zermalmt ihm dann rasch den Kopf. Die Antilopen soll er, wie die Kaffern erzählen, durch einen eigenthümlichen Kunstgriff zu berücken versuchen. Er schleicht im Grafe an sie heran und beginnt in einiger Ent- fernung ganz sonderbare Bewegungen zu machen, um die Neugierde dieser Thiere zu erregen. Läßt es sich ein Stück des Rudels beikommen, dieser Neugierde Folge zu geben, so ist es verloren. Etwas ist jedenfalls an der Sache, wenn auch die Deutung jener Bewegung kaum die richtige sein dürfte.
Unter den Herden richtet er oft ein fürchterliches Blutbad an. Manche Leoparden haben in einer einzigen Nacht dreißig bis vierzig Schafe getödtet. Deshalb wird er von den Viehzüchtern auch weit mehr gefürchtet, als der Löwe, welcher sich stets mit einem Wildpret begnügt. Aus der Klasse der Vögel fallen ihm hauptsächlich die Hühner zum Opfer; ihnen schleicht er ohne Unterlaß nach. Aber nicht einmal der Mensch ist vor ihm gesichert, und namentlich Kinder finden durch ihn gar häufig ihren Tod. So erzählte mir der Pater Filippini, ein sehr sorgsam beobachtender Jäger, welcher länger als zwanzig Jahre in Habesch gelebt hat, daß unser, von ihm grimmig gehaßtes Raubthier binnen drei Monaten aus dem Bogosdorfe Mensa allein acht Kinder weg- getragen und verspeist hatte.
Mit der Kühnheit, Raublust und Mordgier verbindet der Leopard überdies die größte Frech- heit. Dreist und unverschämt kommt er bis in das Dorf oder bis in die Stadt, ja selbst bis in die bewohnten Hütten hinein. Als sich Rüppell in der abissinischen Provinz Simeen befand, packte ein großer Leopard unfern des Lagerplatzes und bei hellem Tage einen der Esel, wurde indessen noch zeitig genug durch das Geschrei der Hirtenknaben verscheucht. "Bei Gondar," sagt derselbe Naturforscher, "wurden wir durch das Geschrei einer in unserm Haushofe befindlichen Ziege aus dem Schlafe geweckt. Es zeigte sich, daß ein Leopard über die neun Schuh hohe Hofmauer geklettert war und die schlafende Ziege an der Kehle gepackt hatte. Ein Pistolenschuß, der aber nicht traf, verscheuchte das Raubthier aus dem Hofe, in welchem es die sterbende Ziege zurückließ. Nach zwei Stunden kam der Leopard wieder in den Hof gesprungen und drang sogar bis in mein Schlafzimmer, wo die todte Ziege lag! Als er uns aber auffpringen hörte, entfloh er abermals unverletzt. Sieben Tage später wurden wir nachts durch das Jammergeschrei unserer Haushühner geweckt, welche hoch oben an der Decke des Vorzimmers auf einer schwebend hängenden Stange saßen. Drei Leoparden auf einmal hatten uns einen Besuch zugedacht. Während nun mein Neger Abdallah mit gespanntem Gewehr das Knurren einer dieser Bestien in dem Vorhofe bei den Maulthieren belauschte, sah ich die beiden anderen auf der Mauer des Hinterhofs, wohin ich mich begeben hatte, umhergehen und zwar mit leisem, aber sicherm Tritte, daß ich darüber ganz erstaunt war. Die zu große Dunkelheit der Nacht machte einen sichern Schuß unmöglich. Da es den Leoparden gelungen war, einige Hühner zu erhaschen, so konnten wir einer baldigen Wiederholung ihres Besuchs gewiß sein. Wirklich
Die Raubthiere. Katzen. — Leopard.
Jede Biegung iſt zierlich, gerundet und weich: kurz, ein laufender oder ſchleichender Leopard wird für Jedermann zu einer wahren Augenweide.
Leider ſteht ſein geiſtiges Weſen mit ſeiner Leibesſchöne nicht im Einklang. Der Leopard iſt liſtig, verſchlagen, tückiſch, boshaft, wild, raub- und mordluſtig, blutdürſtig und rachſüchtig. Jn Afrika nennt man ihn geradezu Tiger, weil man unter dieſem Namen das Urbild eines blutdürſtigen Weſens bezeichnet. Und wahrhaftig, keine andere altweltliche Katze kann den Namen des furchtbarſten Gliedes der Familie mehr verdienen, als unſer Leopard. Er mordet alle Geſchöpfe, welche er be- wältigen kann, gleichviel, ob ſie groß oder klein ſind, ob ſie ſich wehren oder ihm ohne Abwehr zur Beute fallen. Antilopen, Ziegen und Schafe bilden wohl ſeine Hauptnahrung: aber er klettert auch den Affen auf den Bäumen, den Klippſchliefern auf den Felſen nach. Den Pavianen iſt er beſtändig auf den Ferſen. Er iſt es, welcher ein gefährliches Ueberhandnehmen dieſer Thiere verhindert: Dies ſieht man in jenen Höhen, wo er nicht hinkommt. Nicht einmal das Stachel- ſchwein iſt vor ihm ſicher. Er legt ſich, wie Jules Gerard in Algerien beobachtete, auf den Wechſel dieſes Nagers, lauert mit der größten Geduld und faßt, wenn der wohlbewehrte Stachelheld nächtlich ſeines Weges geht, blitzſchnell zu, giebt ihm einen Schlag auf die Naſe und zermalmt ihm dann raſch den Kopf. Die Antilopen ſoll er, wie die Kaffern erzählen, durch einen eigenthümlichen Kunſtgriff zu berücken verſuchen. Er ſchleicht im Grafe an ſie heran und beginnt in einiger Ent- fernung ganz ſonderbare Bewegungen zu machen, um die Neugierde dieſer Thiere zu erregen. Läßt es ſich ein Stück des Rudels beikommen, dieſer Neugierde Folge zu geben, ſo iſt es verloren. Etwas iſt jedenfalls an der Sache, wenn auch die Deutung jener Bewegung kaum die richtige ſein dürfte.
Unter den Herden richtet er oft ein fürchterliches Blutbad an. Manche Leoparden haben in einer einzigen Nacht dreißig bis vierzig Schafe getödtet. Deshalb wird er von den Viehzüchtern auch weit mehr gefürchtet, als der Löwe, welcher ſich ſtets mit einem Wildpret begnügt. Aus der Klaſſe der Vögel fallen ihm hauptſächlich die Hühner zum Opfer; ihnen ſchleicht er ohne Unterlaß nach. Aber nicht einmal der Menſch iſt vor ihm geſichert, und namentlich Kinder finden durch ihn gar häufig ihren Tod. So erzählte mir der Pater Filippini, ein ſehr ſorgſam beobachtender Jäger, welcher länger als zwanzig Jahre in Habeſch gelebt hat, daß unſer, von ihm grimmig gehaßtes Raubthier binnen drei Monaten aus dem Bogosdorfe Menſa allein acht Kinder weg- getragen und verſpeiſt hatte.
Mit der Kühnheit, Raubluſt und Mordgier verbindet der Leopard überdies die größte Frech- heit. Dreiſt und unverſchämt kommt er bis in das Dorf oder bis in die Stadt, ja ſelbſt bis in die bewohnten Hütten hinein. Als ſich Rüppell in der abiſſiniſchen Provinz Simeen befand, packte ein großer Leopard unfern des Lagerplatzes und bei hellem Tage einen der Eſel, wurde indeſſen noch zeitig genug durch das Geſchrei der Hirtenknaben verſcheucht. „Bei Gondar,‟ ſagt derſelbe Naturforſcher, „wurden wir durch das Geſchrei einer in unſerm Haushofe befindlichen Ziege aus dem Schlafe geweckt. Es zeigte ſich, daß ein Leopard über die neun Schuh hohe Hofmauer geklettert war und die ſchlafende Ziege an der Kehle gepackt hatte. Ein Piſtolenſchuß, der aber nicht traf, verſcheuchte das Raubthier aus dem Hofe, in welchem es die ſterbende Ziege zurückließ. Nach zwei Stunden kam der Leopard wieder in den Hof geſprungen und drang ſogar bis in mein Schlafzimmer, wo die todte Ziege lag! Als er uns aber auffpringen hörte, entfloh er abermals unverletzt. Sieben Tage ſpäter wurden wir nachts durch das Jammergeſchrei unſerer Haushühner geweckt, welche hoch oben an der Decke des Vorzimmers auf einer ſchwebend hängenden Stange ſaßen. Drei Leoparden auf einmal hatten uns einen Beſuch zugedacht. Während nun mein Neger Abdallah mit geſpanntem Gewehr das Knurren einer dieſer Beſtien in dem Vorhofe bei den Maulthieren belauſchte, ſah ich die beiden anderen auf der Mauer des Hinterhofs, wohin ich mich begeben hatte, umhergehen und zwar mit leiſem, aber ſicherm Tritte, daß ich darüber ganz erſtaunt war. Die zu große Dunkelheit der Nacht machte einen ſichern Schuß unmöglich. Da es den Leoparden gelungen war, einige Hühner zu erhaſchen, ſo konnten wir einer baldigen Wiederholung ihres Beſuchs gewiß ſein. Wirklich
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[260/0324]
Die Raubthiere. Katzen. — Leopard.
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Jedermann zu einer wahren Augenweide.
Leider ſteht ſein geiſtiges Weſen mit ſeiner Leibesſchöne nicht im Einklang. Der Leopard iſt
liſtig, verſchlagen, tückiſch, boshaft, wild, raub- und mordluſtig, blutdürſtig und rachſüchtig. Jn
Afrika nennt man ihn geradezu Tiger, weil man unter dieſem Namen das Urbild eines blutdürſtigen
Weſens bezeichnet. Und wahrhaftig, keine andere altweltliche Katze kann den Namen des furchtbarſten
Gliedes der Familie mehr verdienen, als unſer Leopard. Er mordet alle Geſchöpfe, welche er be-
wältigen kann, gleichviel, ob ſie groß oder klein ſind, ob ſie ſich wehren oder ihm ohne Abwehr zur
Beute fallen. Antilopen, Ziegen und Schafe bilden wohl ſeine Hauptnahrung: aber er klettert
auch den Affen auf den Bäumen, den Klippſchliefern auf den Felſen nach. Den Pavianen iſt
er beſtändig auf den Ferſen. Er iſt es, welcher ein gefährliches Ueberhandnehmen dieſer Thiere
verhindert: Dies ſieht man in jenen Höhen, wo er nicht hinkommt. Nicht einmal das Stachel-
ſchwein iſt vor ihm ſicher. Er legt ſich, wie Jules Gerard in Algerien beobachtete, auf den
Wechſel dieſes Nagers, lauert mit der größten Geduld und faßt, wenn der wohlbewehrte Stachelheld
nächtlich ſeines Weges geht, blitzſchnell zu, giebt ihm einen Schlag auf die Naſe und zermalmt ihm
dann raſch den Kopf. Die Antilopen ſoll er, wie die Kaffern erzählen, durch einen eigenthümlichen
Kunſtgriff zu berücken verſuchen. Er ſchleicht im Grafe an ſie heran und beginnt in einiger Ent-
fernung ganz ſonderbare Bewegungen zu machen, um die Neugierde dieſer Thiere zu erregen. Läßt
es ſich ein Stück des Rudels beikommen, dieſer Neugierde Folge zu geben, ſo iſt es verloren. Etwas
iſt jedenfalls an der Sache, wenn auch die Deutung jener Bewegung kaum die richtige ſein dürfte.
Unter den Herden richtet er oft ein fürchterliches Blutbad an. Manche Leoparden haben in
einer einzigen Nacht dreißig bis vierzig Schafe getödtet. Deshalb wird er von den Viehzüchtern
auch weit mehr gefürchtet, als der Löwe, welcher ſich ſtets mit einem Wildpret begnügt. Aus der
Klaſſe der Vögel fallen ihm hauptſächlich die Hühner zum Opfer; ihnen ſchleicht er ohne Unterlaß
nach. Aber nicht einmal der Menſch iſt vor ihm geſichert, und namentlich Kinder finden durch ihn
gar häufig ihren Tod. So erzählte mir der Pater Filippini, ein ſehr ſorgſam beobachtender
Jäger, welcher länger als zwanzig Jahre in Habeſch gelebt hat, daß unſer, von ihm grimmig
gehaßtes Raubthier binnen drei Monaten aus dem Bogosdorfe Menſa allein acht Kinder weg-
getragen und verſpeiſt hatte.
Mit der Kühnheit, Raubluſt und Mordgier verbindet der Leopard überdies die größte Frech-
heit. Dreiſt und unverſchämt kommt er bis in das Dorf oder bis in die Stadt, ja ſelbſt bis in die
bewohnten Hütten hinein. Als ſich Rüppell in der abiſſiniſchen Provinz Simeen befand, packte
ein großer Leopard unfern des Lagerplatzes und bei hellem Tage einen der Eſel, wurde indeſſen
noch zeitig genug durch das Geſchrei der Hirtenknaben verſcheucht. „Bei Gondar,‟ ſagt derſelbe
Naturforſcher, „wurden wir durch das Geſchrei einer in unſerm Haushofe befindlichen Ziege aus
dem Schlafe geweckt. Es zeigte ſich, daß ein Leopard über die neun Schuh hohe Hofmauer geklettert
war und die ſchlafende Ziege an der Kehle gepackt hatte. Ein Piſtolenſchuß, der aber nicht traf,
verſcheuchte das Raubthier aus dem Hofe, in welchem es die ſterbende Ziege zurückließ. Nach zwei
Stunden kam der Leopard wieder in den Hof geſprungen und drang ſogar bis in mein Schlafzimmer,
wo die todte Ziege lag! Als er uns aber auffpringen hörte, entfloh er abermals unverletzt. Sieben
Tage ſpäter wurden wir nachts durch das Jammergeſchrei unſerer Haushühner geweckt, welche hoch
oben an der Decke des Vorzimmers auf einer ſchwebend hängenden Stange ſaßen. Drei Leoparden
auf einmal hatten uns einen Beſuch zugedacht. Während nun mein Neger Abdallah mit geſpanntem
Gewehr das Knurren einer dieſer Beſtien in dem Vorhofe bei den Maulthieren belauſchte, ſah ich
die beiden anderen auf der Mauer des Hinterhofs, wohin ich mich begeben hatte, umhergehen und
zwar mit leiſem, aber ſicherm Tritte, daß ich darüber ganz erſtaunt war. Die zu große Dunkelheit
der Nacht machte einen ſichern Schuß unmöglich. Da es den Leoparden gelungen war, einige Hühner
zu erhaſchen, ſo konnten wir einer baldigen Wiederholung ihres Beſuchs gewiß ſein. Wirklich
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/324>, abgerufen am 25.11.2024.
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