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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Der Tigertödter Rice und seine Jagden.
zurückgezogen, als daß man ihn noch mit Sicherheit hätte treffen können. Er wurde nun von den
ungeduldigen Jägern mit mehr Hitze als Vorsicht verfolgt. An der Spitze ihres geordneten Jagd-
trupps durchzogen sie das Dickicht, von den Blutspuren geleitet, bis sie nach etwa 300 Schritten auf
eine offene Gegend kamen, wo alle Zeichen verschwanden. Vergebens waren einige Leute auf die
höchsten Bäume geklettert, sie hatten weder in den Büschen, noch im hohen Grase Etwas bemerkt.
Die beiden Engländer gingen ihren Begleitern etwa 20 Schritte langsam voran mit auf den Boden
gerichteten Blicken, um hier nach den Blutspuren zu spähen. Da läßt sich plötzlich ein wüthendes
Gebrüll hören, und der Tiger springt aus einer unter dem Grase verborgenen Höhlung hervor
und gerade auf Rice los. Dieser hat kaum Zeit, auf zwei oder drei Schritt Entfernung seine
beiden Läufe auf den Kopf des Unthiers loszubrennen, und durch den Knall, den Rauch und viel-
leicht auch durch die Kugeln abgelenkt, springt es nun mit einem ungeheuern Satze auf den Jagd-
gefährten, noch ehe derselbe seine Büchse anlegen kann. Mit der Schnelligkeit des Blitzes war Dies
geschehen, und als Rice dem Tiger nacheilte, sah er schon seinen unglücklichen Freund zu den Füßen
des grimmigen Gegners hingestreckt. Jn demselben Augenblicke reichte ihm der Haupttreiber mit be-
wundernswürdiger Kaltblütigkeit und Ruhe ein zweites geladenes Doppelgewehr. Er schoß sogleich
den ersten Lauf ab, aber erfolglos; -- jetzt mußte er inne halten: der Tiger hatte seinen ohnmächtig
gewordenen Gefährten beim Oberarm gepackt und schleppte ihn nach dem Loche zu, aus welchem er
hervorgesprungen war. Der nächste Schuß mußte also nothwendig das Thier in das Gehirn treffen,
denn eine jede andere, nicht augenblicklich tödliche Wunde würde die rasende Wuth der furchtbaren
Katze nur noch mehr gereizt haben. Rice folgte deshalb dem Thiere in ganz kurzer Entfernung, um
den günstigsten Augenblick abzuwarten. Nachdem er einige Male vergeblich gezielt, glaubte er endlich
diesen Augenblick gekommen zu sehen, feuerte ab und traf den Schädel des Tigers, welcher sterbend
über sein Opfer hinrollte. Ein zweiter Schuß tödtete ihn vollends, und jubelnd befreite er jetzt seinen
Freund von dem erdrückenden Gewicht des Raubthiers.

Die Treiber waren in der größten Aufregung. Bei dem ersten Angriffe waren sie unwillkürlich
zurückgewichen, bald aber traten sie muthig herbei und baten den Lieutenant um Erlaubniß, mit
ihren Lanzen einen Angriff zu machen. Vor allen Anderen machte sich Elliots Diener durch seine
Verzweiflung bemerklich. Er schrie laut auf, daß sein Herr verloren sei und schoß zu dessen großer
Gefahr auf den Tiger. Zum Glück war Elliot nicht tödlich verwundet; denn die Tatze des Räubers,
welche nach seinem Kopfe gezielt hatte, war an der Büchse abgeglitten, und der Jäger kam mit einer
schrecklichen Armverletzung davon. Der Schlag war so heftig gewesen, daß er den Kolben der Büchse
tief eingefurcht und den Hahn derselben abgeplattet hatte! --

Außer dieser Jagdart giebt es noch viele andere, zum Theil sehr eigenthümliche, um sich des
Raubthieres zu entledigen. Fallen aller Art werden gestellt, um den Tiger zu fangen; namentlich
leisten die Fallgruben gute Dienste. Von vortrefflicher Wirkung ist auch das Feuer. Man zündet
nämlich von Zeit zu Zeit die Hauptversteckplätze des Tigers an, zieht an der dem Feuer entgegen-
gesetzten Seite starke Netze quervor und stellt dort in Zwischenräumen auf erhöhten Gerüsten sichere
Schützen auf. Kann man den Ort auskundschaften, an welchem ein Tiger seine Beute verzehrt hat,
so errichtet man rasch in der Nähe eine Schießhütte und erlegt ihn, wenn er zurückkommt, um den
Rest seiner Beute zu verzehren.

Manche Jagdarten sind höchst sonderbar und eigenthümlich. So streut man auf einen häufig
begangenen Wechsel des Tigers eine große Menge von Blättern, welche mit Vogelleim bestrichen
sind. Der Tiger erscheint, tritt auf die klebrigen Blätter und hat im nächsten Augenblick eine Menge
dieser unangenehmen Anhängsel an seinen Füßen. Dies reizt seinen Zorn; er versucht, dieselben
loszumachen, bewegt sich heftiger und leimt sich im gleichen Verhältniß immer mehr Blätter an.
Schließlich wird er so wüthend, daß er sich wälzt, und nun ist er natürlich in sehr kurzer Frist
vollkommen mit den widerwärtigen Blättern bedeckt. Dabei kommt es vor, daß er sich auch die
Augen und Ohren beklebt und geradezu unfähig wird, sich nach Willkür weiterzubewegen. Jetzt

Der Tigertödter Rice und ſeine Jagden.
zurückgezogen, als daß man ihn noch mit Sicherheit hätte treffen können. Er wurde nun von den
ungeduldigen Jägern mit mehr Hitze als Vorſicht verfolgt. An der Spitze ihres geordneten Jagd-
trupps durchzogen ſie das Dickicht, von den Blutſpuren geleitet, bis ſie nach etwa 300 Schritten auf
eine offene Gegend kamen, wo alle Zeichen verſchwanden. Vergebens waren einige Leute auf die
höchſten Bäume geklettert, ſie hatten weder in den Büſchen, noch im hohen Graſe Etwas bemerkt.
Die beiden Engländer gingen ihren Begleitern etwa 20 Schritte langſam voran mit auf den Boden
gerichteten Blicken, um hier nach den Blutſpuren zu ſpähen. Da läßt ſich plötzlich ein wüthendes
Gebrüll hören, und der Tiger ſpringt aus einer unter dem Graſe verborgenen Höhlung hervor
und gerade auf Rice los. Dieſer hat kaum Zeit, auf zwei oder drei Schritt Entfernung ſeine
beiden Läufe auf den Kopf des Unthiers loszubrennen, und durch den Knall, den Rauch und viel-
leicht auch durch die Kugeln abgelenkt, ſpringt es nun mit einem ungeheuern Satze auf den Jagd-
gefährten, noch ehe derſelbe ſeine Büchſe anlegen kann. Mit der Schnelligkeit des Blitzes war Dies
geſchehen, und als Rice dem Tiger nacheilte, ſah er ſchon ſeinen unglücklichen Freund zu den Füßen
des grimmigen Gegners hingeſtreckt. Jn demſelben Augenblicke reichte ihm der Haupttreiber mit be-
wundernswürdiger Kaltblütigkeit und Ruhe ein zweites geladenes Doppelgewehr. Er ſchoß ſogleich
den erſten Lauf ab, aber erfolglos; — jetzt mußte er inne halten: der Tiger hatte ſeinen ohnmächtig
gewordenen Gefährten beim Oberarm gepackt und ſchleppte ihn nach dem Loche zu, aus welchem er
hervorgeſprungen war. Der nächſte Schuß mußte alſo nothwendig das Thier in das Gehirn treffen,
denn eine jede andere, nicht augenblicklich tödliche Wunde würde die raſende Wuth der furchtbaren
Katze nur noch mehr gereizt haben. Rice folgte deshalb dem Thiere in ganz kurzer Entfernung, um
den günſtigſten Augenblick abzuwarten. Nachdem er einige Male vergeblich gezielt, glaubte er endlich
dieſen Augenblick gekommen zu ſehen, feuerte ab und traf den Schädel des Tigers, welcher ſterbend
über ſein Opfer hinrollte. Ein zweiter Schuß tödtete ihn vollends, und jubelnd befreite er jetzt ſeinen
Freund von dem erdrückenden Gewicht des Raubthiers.

Die Treiber waren in der größten Aufregung. Bei dem erſten Angriffe waren ſie unwillkürlich
zurückgewichen, bald aber traten ſie muthig herbei und baten den Lieutenant um Erlaubniß, mit
ihren Lanzen einen Angriff zu machen. Vor allen Anderen machte ſich Elliots Diener durch ſeine
Verzweiflung bemerklich. Er ſchrie laut auf, daß ſein Herr verloren ſei und ſchoß zu deſſen großer
Gefahr auf den Tiger. Zum Glück war Elliot nicht tödlich verwundet; denn die Tatze des Räubers,
welche nach ſeinem Kopfe gezielt hatte, war an der Büchſe abgeglitten, und der Jäger kam mit einer
ſchrecklichen Armverletzung davon. Der Schlag war ſo heftig geweſen, daß er den Kolben der Büchſe
tief eingefurcht und den Hahn derſelben abgeplattet hatte! —

Außer dieſer Jagdart giebt es noch viele andere, zum Theil ſehr eigenthümliche, um ſich des
Raubthieres zu entledigen. Fallen aller Art werden geſtellt, um den Tiger zu fangen; namentlich
leiſten die Fallgruben gute Dienſte. Von vortrefflicher Wirkung iſt auch das Feuer. Man zündet
nämlich von Zeit zu Zeit die Hauptverſteckplätze des Tigers an, zieht an der dem Feuer entgegen-
geſetzten Seite ſtarke Netze quervor und ſtellt dort in Zwiſchenräumen auf erhöhten Gerüſten ſichere
Schützen auf. Kann man den Ort auskundſchaften, an welchem ein Tiger ſeine Beute verzehrt hat,
ſo errichtet man raſch in der Nähe eine Schießhütte und erlegt ihn, wenn er zurückkommt, um den
Reſt ſeiner Beute zu verzehren.

Manche Jagdarten ſind höchſt ſonderbar und eigenthümlich. So ſtreut man auf einen häufig
begangenen Wechſel des Tigers eine große Menge von Blättern, welche mit Vogelleim beſtrichen
ſind. Der Tiger erſcheint, tritt auf die klebrigen Blätter und hat im nächſten Augenblick eine Menge
dieſer unangenehmen Anhängſel an ſeinen Füßen. Dies reizt ſeinen Zorn; er verſucht, dieſelben
loszumachen, bewegt ſich heftiger und leimt ſich im gleichen Verhältniß immer mehr Blätter an.
Schließlich wird er ſo wüthend, daß er ſich wälzt, und nun iſt er natürlich in ſehr kurzer Friſt
vollkommen mit den widerwärtigen Blättern bedeckt. Dabei kommt es vor, daß er ſich auch die
Augen und Ohren beklebt und geradezu unfähig wird, ſich nach Willkür weiterzubewegen. Jetzt

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[231/0295] Der Tigertödter Rice und ſeine Jagden. zurückgezogen, als daß man ihn noch mit Sicherheit hätte treffen können. Er wurde nun von den ungeduldigen Jägern mit mehr Hitze als Vorſicht verfolgt. An der Spitze ihres geordneten Jagd- trupps durchzogen ſie das Dickicht, von den Blutſpuren geleitet, bis ſie nach etwa 300 Schritten auf eine offene Gegend kamen, wo alle Zeichen verſchwanden. Vergebens waren einige Leute auf die höchſten Bäume geklettert, ſie hatten weder in den Büſchen, noch im hohen Graſe Etwas bemerkt. Die beiden Engländer gingen ihren Begleitern etwa 20 Schritte langſam voran mit auf den Boden gerichteten Blicken, um hier nach den Blutſpuren zu ſpähen. Da läßt ſich plötzlich ein wüthendes Gebrüll hören, und der Tiger ſpringt aus einer unter dem Graſe verborgenen Höhlung hervor und gerade auf Rice los. Dieſer hat kaum Zeit, auf zwei oder drei Schritt Entfernung ſeine beiden Läufe auf den Kopf des Unthiers loszubrennen, und durch den Knall, den Rauch und viel- leicht auch durch die Kugeln abgelenkt, ſpringt es nun mit einem ungeheuern Satze auf den Jagd- gefährten, noch ehe derſelbe ſeine Büchſe anlegen kann. Mit der Schnelligkeit des Blitzes war Dies geſchehen, und als Rice dem Tiger nacheilte, ſah er ſchon ſeinen unglücklichen Freund zu den Füßen des grimmigen Gegners hingeſtreckt. Jn demſelben Augenblicke reichte ihm der Haupttreiber mit be- wundernswürdiger Kaltblütigkeit und Ruhe ein zweites geladenes Doppelgewehr. Er ſchoß ſogleich den erſten Lauf ab, aber erfolglos; — jetzt mußte er inne halten: der Tiger hatte ſeinen ohnmächtig gewordenen Gefährten beim Oberarm gepackt und ſchleppte ihn nach dem Loche zu, aus welchem er hervorgeſprungen war. Der nächſte Schuß mußte alſo nothwendig das Thier in das Gehirn treffen, denn eine jede andere, nicht augenblicklich tödliche Wunde würde die raſende Wuth der furchtbaren Katze nur noch mehr gereizt haben. Rice folgte deshalb dem Thiere in ganz kurzer Entfernung, um den günſtigſten Augenblick abzuwarten. Nachdem er einige Male vergeblich gezielt, glaubte er endlich dieſen Augenblick gekommen zu ſehen, feuerte ab und traf den Schädel des Tigers, welcher ſterbend über ſein Opfer hinrollte. Ein zweiter Schuß tödtete ihn vollends, und jubelnd befreite er jetzt ſeinen Freund von dem erdrückenden Gewicht des Raubthiers. Die Treiber waren in der größten Aufregung. Bei dem erſten Angriffe waren ſie unwillkürlich zurückgewichen, bald aber traten ſie muthig herbei und baten den Lieutenant um Erlaubniß, mit ihren Lanzen einen Angriff zu machen. Vor allen Anderen machte ſich Elliots Diener durch ſeine Verzweiflung bemerklich. Er ſchrie laut auf, daß ſein Herr verloren ſei und ſchoß zu deſſen großer Gefahr auf den Tiger. Zum Glück war Elliot nicht tödlich verwundet; denn die Tatze des Räubers, welche nach ſeinem Kopfe gezielt hatte, war an der Büchſe abgeglitten, und der Jäger kam mit einer ſchrecklichen Armverletzung davon. Der Schlag war ſo heftig geweſen, daß er den Kolben der Büchſe tief eingefurcht und den Hahn derſelben abgeplattet hatte! — Außer dieſer Jagdart giebt es noch viele andere, zum Theil ſehr eigenthümliche, um ſich des Raubthieres zu entledigen. Fallen aller Art werden geſtellt, um den Tiger zu fangen; namentlich leiſten die Fallgruben gute Dienſte. Von vortrefflicher Wirkung iſt auch das Feuer. Man zündet nämlich von Zeit zu Zeit die Hauptverſteckplätze des Tigers an, zieht an der dem Feuer entgegen- geſetzten Seite ſtarke Netze quervor und ſtellt dort in Zwiſchenräumen auf erhöhten Gerüſten ſichere Schützen auf. Kann man den Ort auskundſchaften, an welchem ein Tiger ſeine Beute verzehrt hat, ſo errichtet man raſch in der Nähe eine Schießhütte und erlegt ihn, wenn er zurückkommt, um den Reſt ſeiner Beute zu verzehren. Manche Jagdarten ſind höchſt ſonderbar und eigenthümlich. So ſtreut man auf einen häufig begangenen Wechſel des Tigers eine große Menge von Blättern, welche mit Vogelleim beſtrichen ſind. Der Tiger erſcheint, tritt auf die klebrigen Blätter und hat im nächſten Augenblick eine Menge dieſer unangenehmen Anhängſel an ſeinen Füßen. Dies reizt ſeinen Zorn; er verſucht, dieſelben loszumachen, bewegt ſich heftiger und leimt ſich im gleichen Verhältniß immer mehr Blätter an. Schließlich wird er ſo wüthend, daß er ſich wälzt, und nun iſt er natürlich in ſehr kurzer Friſt vollkommen mit den widerwärtigen Blättern bedeckt. Dabei kommt es vor, daß er ſich auch die Augen und Ohren beklebt und geradezu unfähig wird, ſich nach Willkür weiterzubewegen. Jetzt

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/295>, abgerufen am 22.11.2024.