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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Katzen. -- Der Löwe.
sei, und nunmehr wird er ein "Mannesser", wie die Kaffern ihn dann nennen. Diese versichern, daß
solche menschenfressende Löwen auch nicht selten mitten unter die Lagerfeuer stürzen und einen oder
den anderen der schlafenden Männer ohne weiteres mit sich nehmen. Unter den Eingebornen, wie
unter den Ansiedlern herrscht der Glaube, daß dunkelfarbige Menschen mehr seinen Angriffen aus-
gesetzt seien, als der Weiße.

Man behauptet, daß der Löwe, während er alle von ihm angefallenen Thiere augenblicklich
tödtet, den Menschen, welchen er überwältigt und unter sich in seinen Krallen hat, nicht alsogleich
morde, sondern ihm erst später und zwar unter fürchterlichem Gebrüll den tödtlichen Schlag mit seiner
Tatze auf die Brust versetze. Dies ist wohl als glaubwürdig anzunehmen; denn auch Livingstone,
dessen einfache Berichte durchaus nicht den Stempel der Uebertreibung oder der Lügenhaftigkeit an sich
tragen, behauptet Dasselbe. Bei einer Treibjagd, welche er mit den Bewohnern des Dorfes Mabotsa
in Ostafrika anstellte, waren die Löwen bald auf einem kleinen, bewaldeten Hügel umstellt. "Jch
befand mich," so erzählt Livingstone, "neben einem eingebornen Schullehrer, Namens Mebalwe, als
ich innerhalb des Jägerkreises einen der Löwen gewahrte, welcher auf einem Felsstück lag. Mebalwe
feuerte auf ihn, und die Kugel traf den Felsen. Der Löwe biß auf die getroffene Stelle, wie ein Hund
in einen Stock, der nach ihm geworfen wird. Dann sprang er weg, durchbrach den Kreis und entkam
unbeschädigt. Als der Kreis wieder geschlossen war, sahen wir zwei andere Löwen innerhalb desselben,
und diese brachen ebenfalls durch. Darauf gingen wir dem Dorfe wieder zu. Unterwegs bemerkte ich
wiederum einen Löwen auf einem Felsen, aber diesmal hatte er einen kleinen Busch vor sich. Da
ich etwa 30 Yards entfernt war, zielte ich gut auf seinen Körper hinter dem Busch und feuerte beide
Läufe ab. "Er ist getroffen!" riefen einige der Leute und wollten zu ihm laufen. Jch sah den Schweif
des Löwen hinter dem Busche emporgerichtet und rief den Leuten zu: "Wartet, bis ich wieder geladen
habe!" Als ich die Kngeln hinunterstieß, hörte ich einen Schrei und gewahrte den Löwen gerade im
Begriff, auf mich zu springen. Er packte im Sprunge meine Schulter, und wir fielen beide zusammen
zu Boden. Schrecklich neben meinem Ohre knurrend, schüttelte er mich, wie ein Dachshund eine
Ratte schüttelt. Diese Erschütterung brachte eine Betäubung hervor; ich fühlte weder Schmerz noch
Angst, obgleich ich mir alles Dessen, was vorging, bewußt war. Jch suchte mich von der Last zu
befreien und bemerkte, daß seine Augen auf Mebalwe gerichtet waren, welcher auf ihn zu schießen
versuchte. Sein Gewehr verfagte mit beiden Läufen. Der Löwe verließ mich augenblicklich und packte
Mebalwe am Scheukel. Ein andrer Mann, dem ich früher das Leben gerettet hatte, als er von einem
Büffel gestoßen wurde, versuchte, den Löwen mit dem Spieße zu treffen, während derselbe Mebalwe
biß. Er verließ Letzteren und packte diesen Mann bei der Schulter; aber in dem Augenblicke beendeten
die zwei Kugeln, welche er bekommen hatte, ihre Wirksamkeit, und er fiel todt nieder. Das Ganze
war das Werk weniger Minuten. Er hatte den Knochen meines Oberarms zerbissen, und mein Arm
blutete aus elf Wunden, welche aussahen, als wenn Flintenkugeln eingedrungen wären. Beim Heilen
wurde der Arm krumm. Meine zwei Kampfgenossen haben viele Schmerzen an ihren Wunden gelitten,
und die an der Schulter des einen brachen genau nach einem Jahre wieder auf."

Ob es wahr ist, daß sich der Löwe jedesmal vor seinem Angriffe in einer Entfernung von etwa
acht oder zehn Fuß niederlege, um den Sprung abzumessen, lasse ich dahin gestellt sein. Jch meines
Theils habe nach allen im Sudahn erhaltenen Nachrichten Ursache, daran zu zweifeln. Die Araber
jener Gegenden versichern, daß der Mensch, welcher einen ruhenden Löwen treffe, denselben durch einen
einzigen Steinwurf verscheuchen könne, falls er Muth genug habe, auf ihn loszugehen. Wer dagegen
entfliehe, sei unrettbar verloren. "Zweimal, so sagen sie, weicht jeder Löwe dem Manne aus, denn er
weiß, daß dieser das Ebenbild Gottes des Allbarmherzigen ist, den auch er, als ein gerechtes Thier,
in Demuth anerkennt. Frevelt jedoch der Mensch an den Geboten des Erhaltenden, welche bestimmen,
daß Niemand sein Leben tollkühn wage, und geht er dem Löwen zum dritten Male entgegen, so muß
er sein Leben lassen."

Daß die Löwen vor dem Menschen wirklich zurückweichen, sagen auch andere Beobachter. "Ein

Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe.
ſei, und nunmehr wird er ein „Manneſſer‟, wie die Kaffern ihn dann nennen. Dieſe verſichern, daß
ſolche menſchenfreſſende Löwen auch nicht ſelten mitten unter die Lagerfeuer ſtürzen und einen oder
den anderen der ſchlafenden Männer ohne weiteres mit ſich nehmen. Unter den Eingebornen, wie
unter den Anſiedlern herrſcht der Glaube, daß dunkelfarbige Menſchen mehr ſeinen Angriffen aus-
geſetzt ſeien, als der Weiße.

Man behauptet, daß der Löwe, während er alle von ihm angefallenen Thiere augenblicklich
tödtet, den Menſchen, welchen er überwältigt und unter ſich in ſeinen Krallen hat, nicht alſogleich
morde, ſondern ihm erſt ſpäter und zwar unter fürchterlichem Gebrüll den tödtlichen Schlag mit ſeiner
Tatze auf die Bruſt verſetze. Dies iſt wohl als glaubwürdig anzunehmen; denn auch Livingſtone,
deſſen einfache Berichte durchaus nicht den Stempel der Uebertreibung oder der Lügenhaftigkeit an ſich
tragen, behauptet Daſſelbe. Bei einer Treibjagd, welche er mit den Bewohnern des Dorfes Mabotſa
in Oſtafrika anſtellte, waren die Löwen bald auf einem kleinen, bewaldeten Hügel umſtellt. „Jch
befand mich,‟ ſo erzählt Livingſtone, „neben einem eingebornen Schullehrer, Namens Mebalwe, als
ich innerhalb des Jägerkreiſes einen der Löwen gewahrte, welcher auf einem Felsſtück lag. Mebalwe
feuerte auf ihn, und die Kugel traf den Felſen. Der Löwe biß auf die getroffene Stelle, wie ein Hund
in einen Stock, der nach ihm geworfen wird. Dann ſprang er weg, durchbrach den Kreis und entkam
unbeſchädigt. Als der Kreis wieder geſchloſſen war, ſahen wir zwei andere Löwen innerhalb deſſelben,
und dieſe brachen ebenfalls durch. Darauf gingen wir dem Dorfe wieder zu. Unterwegs bemerkte ich
wiederum einen Löwen auf einem Felſen, aber diesmal hatte er einen kleinen Buſch vor ſich. Da
ich etwa 30 Yards entfernt war, zielte ich gut auf ſeinen Körper hinter dem Buſch und feuerte beide
Läufe ab. „Er iſt getroffen!‟ riefen einige der Leute und wollten zu ihm laufen. Jch ſah den Schweif
des Löwen hinter dem Buſche emporgerichtet und rief den Leuten zu: „Wartet, bis ich wieder geladen
habe!‟ Als ich die Kngeln hinunterſtieß, hörte ich einen Schrei und gewahrte den Löwen gerade im
Begriff, auf mich zu ſpringen. Er packte im Sprunge meine Schulter, und wir fielen beide zuſammen
zu Boden. Schrecklich neben meinem Ohre knurrend, ſchüttelte er mich, wie ein Dachshund eine
Ratte ſchüttelt. Dieſe Erſchütterung brachte eine Betäubung hervor; ich fühlte weder Schmerz noch
Angſt, obgleich ich mir alles Deſſen, was vorging, bewußt war. Jch ſuchte mich von der Laſt zu
befreien und bemerkte, daß ſeine Augen auf Mebalwe gerichtet waren, welcher auf ihn zu ſchießen
verſuchte. Sein Gewehr verfagte mit beiden Läufen. Der Löwe verließ mich augenblicklich und packte
Mebalwe am Scheukel. Ein andrer Mann, dem ich früher das Leben gerettet hatte, als er von einem
Büffel geſtoßen wurde, verſuchte, den Löwen mit dem Spieße zu treffen, während derſelbe Mebalwe
biß. Er verließ Letzteren und packte dieſen Mann bei der Schulter; aber in dem Augenblicke beendeten
die zwei Kugeln, welche er bekommen hatte, ihre Wirkſamkeit, und er fiel todt nieder. Das Ganze
war das Werk weniger Minuten. Er hatte den Knochen meines Oberarms zerbiſſen, und mein Arm
blutete aus elf Wunden, welche ausſahen, als wenn Flintenkugeln eingedrungen wären. Beim Heilen
wurde der Arm krumm. Meine zwei Kampfgenoſſen haben viele Schmerzen an ihren Wunden gelitten,
und die an der Schulter des einen brachen genau nach einem Jahre wieder auf.‟

Ob es wahr iſt, daß ſich der Löwe jedesmal vor ſeinem Angriffe in einer Entfernung von etwa
acht oder zehn Fuß niederlege, um den Sprung abzumeſſen, laſſe ich dahin geſtellt ſein. Jch meines
Theils habe nach allen im Sudahn erhaltenen Nachrichten Urſache, daran zu zweifeln. Die Araber
jener Gegenden verſichern, daß der Menſch, welcher einen ruhenden Löwen treffe, denſelben durch einen
einzigen Steinwurf verſcheuchen könne, falls er Muth genug habe, auf ihn loszugehen. Wer dagegen
entfliehe, ſei unrettbar verloren. „Zweimal, ſo ſagen ſie, weicht jeder Löwe dem Manne aus, denn er
weiß, daß dieſer das Ebenbild Gottes des Allbarmherzigen iſt, den auch er, als ein gerechtes Thier,
in Demuth anerkennt. Frevelt jedoch der Menſch an den Geboten des Erhaltenden, welche beſtimmen,
daß Niemand ſein Leben tollkühn wage, und geht er dem Löwen zum dritten Male entgegen, ſo muß
er ſein Leben laſſen.‟

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[200/0260] Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe. ſei, und nunmehr wird er ein „Manneſſer‟, wie die Kaffern ihn dann nennen. Dieſe verſichern, daß ſolche menſchenfreſſende Löwen auch nicht ſelten mitten unter die Lagerfeuer ſtürzen und einen oder den anderen der ſchlafenden Männer ohne weiteres mit ſich nehmen. Unter den Eingebornen, wie unter den Anſiedlern herrſcht der Glaube, daß dunkelfarbige Menſchen mehr ſeinen Angriffen aus- geſetzt ſeien, als der Weiße. Man behauptet, daß der Löwe, während er alle von ihm angefallenen Thiere augenblicklich tödtet, den Menſchen, welchen er überwältigt und unter ſich in ſeinen Krallen hat, nicht alſogleich morde, ſondern ihm erſt ſpäter und zwar unter fürchterlichem Gebrüll den tödtlichen Schlag mit ſeiner Tatze auf die Bruſt verſetze. Dies iſt wohl als glaubwürdig anzunehmen; denn auch Livingſtone, deſſen einfache Berichte durchaus nicht den Stempel der Uebertreibung oder der Lügenhaftigkeit an ſich tragen, behauptet Daſſelbe. Bei einer Treibjagd, welche er mit den Bewohnern des Dorfes Mabotſa in Oſtafrika anſtellte, waren die Löwen bald auf einem kleinen, bewaldeten Hügel umſtellt. „Jch befand mich,‟ ſo erzählt Livingſtone, „neben einem eingebornen Schullehrer, Namens Mebalwe, als ich innerhalb des Jägerkreiſes einen der Löwen gewahrte, welcher auf einem Felsſtück lag. Mebalwe feuerte auf ihn, und die Kugel traf den Felſen. Der Löwe biß auf die getroffene Stelle, wie ein Hund in einen Stock, der nach ihm geworfen wird. Dann ſprang er weg, durchbrach den Kreis und entkam unbeſchädigt. Als der Kreis wieder geſchloſſen war, ſahen wir zwei andere Löwen innerhalb deſſelben, und dieſe brachen ebenfalls durch. Darauf gingen wir dem Dorfe wieder zu. Unterwegs bemerkte ich wiederum einen Löwen auf einem Felſen, aber diesmal hatte er einen kleinen Buſch vor ſich. Da ich etwa 30 Yards entfernt war, zielte ich gut auf ſeinen Körper hinter dem Buſch und feuerte beide Läufe ab. „Er iſt getroffen!‟ riefen einige der Leute und wollten zu ihm laufen. Jch ſah den Schweif des Löwen hinter dem Buſche emporgerichtet und rief den Leuten zu: „Wartet, bis ich wieder geladen habe!‟ Als ich die Kngeln hinunterſtieß, hörte ich einen Schrei und gewahrte den Löwen gerade im Begriff, auf mich zu ſpringen. Er packte im Sprunge meine Schulter, und wir fielen beide zuſammen zu Boden. Schrecklich neben meinem Ohre knurrend, ſchüttelte er mich, wie ein Dachshund eine Ratte ſchüttelt. Dieſe Erſchütterung brachte eine Betäubung hervor; ich fühlte weder Schmerz noch Angſt, obgleich ich mir alles Deſſen, was vorging, bewußt war. Jch ſuchte mich von der Laſt zu befreien und bemerkte, daß ſeine Augen auf Mebalwe gerichtet waren, welcher auf ihn zu ſchießen verſuchte. Sein Gewehr verfagte mit beiden Läufen. Der Löwe verließ mich augenblicklich und packte Mebalwe am Scheukel. Ein andrer Mann, dem ich früher das Leben gerettet hatte, als er von einem Büffel geſtoßen wurde, verſuchte, den Löwen mit dem Spieße zu treffen, während derſelbe Mebalwe biß. Er verließ Letzteren und packte dieſen Mann bei der Schulter; aber in dem Augenblicke beendeten die zwei Kugeln, welche er bekommen hatte, ihre Wirkſamkeit, und er fiel todt nieder. Das Ganze war das Werk weniger Minuten. Er hatte den Knochen meines Oberarms zerbiſſen, und mein Arm blutete aus elf Wunden, welche ausſahen, als wenn Flintenkugeln eingedrungen wären. Beim Heilen wurde der Arm krumm. Meine zwei Kampfgenoſſen haben viele Schmerzen an ihren Wunden gelitten, und die an der Schulter des einen brachen genau nach einem Jahre wieder auf.‟ Ob es wahr iſt, daß ſich der Löwe jedesmal vor ſeinem Angriffe in einer Entfernung von etwa acht oder zehn Fuß niederlege, um den Sprung abzumeſſen, laſſe ich dahin geſtellt ſein. Jch meines Theils habe nach allen im Sudahn erhaltenen Nachrichten Urſache, daran zu zweifeln. Die Araber jener Gegenden verſichern, daß der Menſch, welcher einen ruhenden Löwen treffe, denſelben durch einen einzigen Steinwurf verſcheuchen könne, falls er Muth genug habe, auf ihn loszugehen. Wer dagegen entfliehe, ſei unrettbar verloren. „Zweimal, ſo ſagen ſie, weicht jeder Löwe dem Manne aus, denn er weiß, daß dieſer das Ebenbild Gottes des Allbarmherzigen iſt, den auch er, als ein gerechtes Thier, in Demuth anerkennt. Frevelt jedoch der Menſch an den Geboten des Erhaltenden, welche beſtimmen, daß Niemand ſein Leben tollkühn wage, und geht er dem Löwen zum dritten Male entgegen, ſo muß er ſein Leben laſſen.‟ Daß die Löwen vor dem Menſchen wirklich zurückweichen, ſagen auch andere Beobachter. „Ein

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/260>, abgerufen am 25.11.2024.