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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Katzen. -- Der Löwe.

Ungefähr um zehn Uhr am Morgen nach dem neuen Unfall machte sich der Jäger auf. Er nahm
seinen treuen Hottentotten nicht mit, weil er meinte, daß dessen Ausdünstung, welche, wie bei allen
Schwarzen, sehr stark ist, dem Löwen die herannahenden Menschen verrathen und ihn vertreiben
möchte. Mit äußerster Vorsicht näherte sich unser Mann dem Kloof und folgte der Spur, welche das
fortgeschleppte Pferd zurückgelassen hatte. Bald war er vom Dickicht umgeben und mußte nun all seine
Aufmerksamkeit darauf setzen, so geräuschlos als möglich vorwärts zu gehen oder zu kriechen: eine
Aufgabe, welche bei der Menge von trockenen Zweigen und Blättern ihre großen Schwierigkeiten
hatte. Doch unser Jäger löste sie. Die kleinen Vögel, welche wie gewöhnlich auf Alles achten und
merken, flogen erst weg, wenn er unter ihnen dahinkroch, ein Zeichen, daß nicht ihr Gehör, sondern
ihr Gesicht sie auf die Gegenwart eines Menschen aufmerksam gemacht hatte. Vögel und Affen sind,
wie bekannt, in jedem dichten Walde die größten Hindernisse eines erfolgreichen Ueberfalls; denn die
Vögel fliegen von Baum zu Baum und pfeifen oder zwitschern, während die Affen gurgeln oder
Grimassen schneiden und durch alle Arten von Hanswurstbewegungen ausdrücken, daß sich ein ver-
dächtiges Wesen nähert.

Der Bauer war kaum funfzig Schritte tief in den Busch vorgedrungen, als er Grund bekam,
zu vermuthen, daß er schon nahe an das Lager des Löwen hinangerückt sei. Die Reste des erbeuteten
Pferdes wurden zwischen den Bäumen sichtbar, und unser erfahrner Buschjäger wußte sehr wohl, daß
der Löwe sich nicht weit davon niedergethan haben würde. Er kauerte sich also hinter einen Busch
und nahm eine möglichst bequeme Stellung ein, damit er sich ohne Beschwerde ruhig verhalten konnte.
Nachdem er so einige Zeit gelauert hatte, sah er endlich, daß sich etwas hinter einigen großen, breit-
blätterigen Pflanzen bewegte, ungefähr zwanzig Schritte von ihm. Er erkannte nach und nach den
Kopf des Löwen und bemerkte, daß dieser mit großer Aufmerksamkeit die Gegend beobachtete, in welcher
er, der Jäger, sich verborgen hatte. Es war augenscheinlich, daß das Raubthier die Annäherung eines
Wesens vernommen hatte, aber noch nicht sicher war, wo dies sich verborgen hielt. Der Bauer
wußte, daß jetzt ein bedenklicher Augenblick für ihn gekommen war, und verblieb deshalb so ruhig
wie eine Bildsäule. Er wollte keinen Schuß nach der Stirn des Löwen wagen, denn es hätte Dies
ein sehr guter Schuß sein müssen, und die vielen Zweige und Aeste, welche die Schußlinie durch-
kreuzten, machten einen solchen mehr als unwahrscheinlich.

Nach einer sehr sorgfältigen Besichtigung schien der Löwe zufriedengestellt und legte sich hinter
den Büschen nieder. Jetzt spannte unser Jäger leise beide Hähne seines Gewehres und richtete das-
selbe langsam nach der Gegend hin, wo der Löwe lag; dabei änderte er seine Lage nur umsoviel,
als nothwendig war, um eines guten Schusses sicher sein zu können. Das leise Geräusch, welches er
dabei machen mußte, war der Wachsamkeit des Löwen nicht entgangen. Er erhob sich augenblicklich,
zeigte aber wieder blos die Stirnseite. Der Jäger nahm die Stelle zwischen den Augen aufs Korn
und feuerte, traf jedoch, wie Dies bei kurzen Entfernungen und starken Pulverladungen gewöhnlich
ist, zu hoch. Zwar fiel der Löwe auf den Rücken, aber er sprang sogleich wieder auf und brüllte
entsetzlich. Doch jetzt zeigte er dem sichern Schützen seine Breitseite, einen Augenblick später hatte
er die zweite Kugel in der Brust und stürzte jetzt, mit dem Tode kämpfend, in das Dickicht der
Büsche. -- Vor Sonnenuntergang hing die Haut des Löwen an der Thüre des Bauerhauses;
sämmtliche Hottentotten waren selig vor Entzücken über den Erfolg ihres Herrn und -- über den
ihnen gespendeten Branntwein. --

Der Mensch ist häufig genug fast der alleinige Ernährer des Löwen; doch auch die Steppe und
der Wald bieten ihm hinreichende Nahrung. Kein Säugethier ist ihm zu klein und geringfügig, keins
ist vor ihm sicher. Er ist kein Kostverächter, obgleich er in der Regel sich leckere Braten auszusuchen
weiß. Bei seiner Jagd zeigt er außerordentlich viel Verstand, List und große Kühnheit. Es scheint
durch glaubwürdige Reisende verbürgt zu sein, daß er sich mitten unter die Lagerfeuer stürzt und sich
dort ein Stück Vieh wegnimmt, oder aber, daß er dicht an das Lager herankommt und durch sein
Brüllen die durch die Menschen geschützten Thiere solange ängstigt, bis sie fast besinnungslos durch-

Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe.

Ungefähr um zehn Uhr am Morgen nach dem neuen Unfall machte ſich der Jäger auf. Er nahm
ſeinen treuen Hottentotten nicht mit, weil er meinte, daß deſſen Ausdünſtung, welche, wie bei allen
Schwarzen, ſehr ſtark iſt, dem Löwen die herannahenden Menſchen verrathen und ihn vertreiben
möchte. Mit äußerſter Vorſicht näherte ſich unſer Mann dem Kloof und folgte der Spur, welche das
fortgeſchleppte Pferd zurückgelaſſen hatte. Bald war er vom Dickicht umgeben und mußte nun all ſeine
Aufmerkſamkeit darauf ſetzen, ſo geräuſchlos als möglich vorwärts zu gehen oder zu kriechen: eine
Aufgabe, welche bei der Menge von trockenen Zweigen und Blättern ihre großen Schwierigkeiten
hatte. Doch unſer Jäger löſte ſie. Die kleinen Vögel, welche wie gewöhnlich auf Alles achten und
merken, flogen erſt weg, wenn er unter ihnen dahinkroch, ein Zeichen, daß nicht ihr Gehör, ſondern
ihr Geſicht ſie auf die Gegenwart eines Menſchen aufmerkſam gemacht hatte. Vögel und Affen ſind,
wie bekannt, in jedem dichten Walde die größten Hinderniſſe eines erfolgreichen Ueberfalls; denn die
Vögel fliegen von Baum zu Baum und pfeifen oder zwitſchern, während die Affen gurgeln oder
Grimaſſen ſchneiden und durch alle Arten von Hanswurſtbewegungen ausdrücken, daß ſich ein ver-
dächtiges Weſen nähert.

Der Bauer war kaum funfzig Schritte tief in den Buſch vorgedrungen, als er Grund bekam,
zu vermuthen, daß er ſchon nahe an das Lager des Löwen hinangerückt ſei. Die Reſte des erbeuteten
Pferdes wurden zwiſchen den Bäumen ſichtbar, und unſer erfahrner Buſchjäger wußte ſehr wohl, daß
der Löwe ſich nicht weit davon niedergethan haben würde. Er kauerte ſich alſo hinter einen Buſch
und nahm eine möglichſt bequeme Stellung ein, damit er ſich ohne Beſchwerde ruhig verhalten konnte.
Nachdem er ſo einige Zeit gelauert hatte, ſah er endlich, daß ſich etwas hinter einigen großen, breit-
blätterigen Pflanzen bewegte, ungefähr zwanzig Schritte von ihm. Er erkannte nach und nach den
Kopf des Löwen und bemerkte, daß dieſer mit großer Aufmerkſamkeit die Gegend beobachtete, in welcher
er, der Jäger, ſich verborgen hatte. Es war augenſcheinlich, daß das Raubthier die Annäherung eines
Weſens vernommen hatte, aber noch nicht ſicher war, wo dies ſich verborgen hielt. Der Bauer
wußte, daß jetzt ein bedenklicher Augenblick für ihn gekommen war, und verblieb deshalb ſo ruhig
wie eine Bildſäule. Er wollte keinen Schuß nach der Stirn des Löwen wagen, denn es hätte Dies
ein ſehr guter Schuß ſein müſſen, und die vielen Zweige und Aeſte, welche die Schußlinie durch-
kreuzten, machten einen ſolchen mehr als unwahrſcheinlich.

Nach einer ſehr ſorgfältigen Beſichtigung ſchien der Löwe zufriedengeſtellt und legte ſich hinter
den Büſchen nieder. Jetzt ſpannte unſer Jäger leiſe beide Hähne ſeines Gewehres und richtete das-
ſelbe langſam nach der Gegend hin, wo der Löwe lag; dabei änderte er ſeine Lage nur umſoviel,
als nothwendig war, um eines guten Schuſſes ſicher ſein zu können. Das leiſe Geräuſch, welches er
dabei machen mußte, war der Wachſamkeit des Löwen nicht entgangen. Er erhob ſich augenblicklich,
zeigte aber wieder blos die Stirnſeite. Der Jäger nahm die Stelle zwiſchen den Augen aufs Korn
und feuerte, traf jedoch, wie Dies bei kurzen Entfernungen und ſtarken Pulverladungen gewöhnlich
iſt, zu hoch. Zwar fiel der Löwe auf den Rücken, aber er ſprang ſogleich wieder auf und brüllte
entſetzlich. Doch jetzt zeigte er dem ſichern Schützen ſeine Breitſeite, einen Augenblick ſpäter hatte
er die zweite Kugel in der Bruſt und ſtürzte jetzt, mit dem Tode kämpfend, in das Dickicht der
Büſche. — Vor Sonnenuntergang hing die Haut des Löwen an der Thüre des Bauerhauſes;
ſämmtliche Hottentotten waren ſelig vor Entzücken über den Erfolg ihres Herrn und — über den
ihnen geſpendeten Branntwein. —

Der Menſch iſt häufig genug faſt der alleinige Ernährer des Löwen; doch auch die Steppe und
der Wald bieten ihm hinreichende Nahrung. Kein Säugethier iſt ihm zu klein und geringfügig, keins
iſt vor ihm ſicher. Er iſt kein Koſtverächter, obgleich er in der Regel ſich leckere Braten auszuſuchen
weiß. Bei ſeiner Jagd zeigt er außerordentlich viel Verſtand, Liſt und große Kühnheit. Es ſcheint
durch glaubwürdige Reiſende verbürgt zu ſein, daß er ſich mitten unter die Lagerfeuer ſtürzt und ſich
dort ein Stück Vieh wegnimmt, oder aber, daß er dicht an das Lager herankommt und durch ſein
Brüllen die durch die Menſchen geſchützten Thiere ſolange ängſtigt, bis ſie faſt beſinnungslos durch-

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[196/0256] Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe. Ungefähr um zehn Uhr am Morgen nach dem neuen Unfall machte ſich der Jäger auf. Er nahm ſeinen treuen Hottentotten nicht mit, weil er meinte, daß deſſen Ausdünſtung, welche, wie bei allen Schwarzen, ſehr ſtark iſt, dem Löwen die herannahenden Menſchen verrathen und ihn vertreiben möchte. Mit äußerſter Vorſicht näherte ſich unſer Mann dem Kloof und folgte der Spur, welche das fortgeſchleppte Pferd zurückgelaſſen hatte. Bald war er vom Dickicht umgeben und mußte nun all ſeine Aufmerkſamkeit darauf ſetzen, ſo geräuſchlos als möglich vorwärts zu gehen oder zu kriechen: eine Aufgabe, welche bei der Menge von trockenen Zweigen und Blättern ihre großen Schwierigkeiten hatte. Doch unſer Jäger löſte ſie. Die kleinen Vögel, welche wie gewöhnlich auf Alles achten und merken, flogen erſt weg, wenn er unter ihnen dahinkroch, ein Zeichen, daß nicht ihr Gehör, ſondern ihr Geſicht ſie auf die Gegenwart eines Menſchen aufmerkſam gemacht hatte. Vögel und Affen ſind, wie bekannt, in jedem dichten Walde die größten Hinderniſſe eines erfolgreichen Ueberfalls; denn die Vögel fliegen von Baum zu Baum und pfeifen oder zwitſchern, während die Affen gurgeln oder Grimaſſen ſchneiden und durch alle Arten von Hanswurſtbewegungen ausdrücken, daß ſich ein ver- dächtiges Weſen nähert. Der Bauer war kaum funfzig Schritte tief in den Buſch vorgedrungen, als er Grund bekam, zu vermuthen, daß er ſchon nahe an das Lager des Löwen hinangerückt ſei. Die Reſte des erbeuteten Pferdes wurden zwiſchen den Bäumen ſichtbar, und unſer erfahrner Buſchjäger wußte ſehr wohl, daß der Löwe ſich nicht weit davon niedergethan haben würde. Er kauerte ſich alſo hinter einen Buſch und nahm eine möglichſt bequeme Stellung ein, damit er ſich ohne Beſchwerde ruhig verhalten konnte. Nachdem er ſo einige Zeit gelauert hatte, ſah er endlich, daß ſich etwas hinter einigen großen, breit- blätterigen Pflanzen bewegte, ungefähr zwanzig Schritte von ihm. Er erkannte nach und nach den Kopf des Löwen und bemerkte, daß dieſer mit großer Aufmerkſamkeit die Gegend beobachtete, in welcher er, der Jäger, ſich verborgen hatte. Es war augenſcheinlich, daß das Raubthier die Annäherung eines Weſens vernommen hatte, aber noch nicht ſicher war, wo dies ſich verborgen hielt. Der Bauer wußte, daß jetzt ein bedenklicher Augenblick für ihn gekommen war, und verblieb deshalb ſo ruhig wie eine Bildſäule. Er wollte keinen Schuß nach der Stirn des Löwen wagen, denn es hätte Dies ein ſehr guter Schuß ſein müſſen, und die vielen Zweige und Aeſte, welche die Schußlinie durch- kreuzten, machten einen ſolchen mehr als unwahrſcheinlich. Nach einer ſehr ſorgfältigen Beſichtigung ſchien der Löwe zufriedengeſtellt und legte ſich hinter den Büſchen nieder. Jetzt ſpannte unſer Jäger leiſe beide Hähne ſeines Gewehres und richtete das- ſelbe langſam nach der Gegend hin, wo der Löwe lag; dabei änderte er ſeine Lage nur umſoviel, als nothwendig war, um eines guten Schuſſes ſicher ſein zu können. Das leiſe Geräuſch, welches er dabei machen mußte, war der Wachſamkeit des Löwen nicht entgangen. Er erhob ſich augenblicklich, zeigte aber wieder blos die Stirnſeite. Der Jäger nahm die Stelle zwiſchen den Augen aufs Korn und feuerte, traf jedoch, wie Dies bei kurzen Entfernungen und ſtarken Pulverladungen gewöhnlich iſt, zu hoch. Zwar fiel der Löwe auf den Rücken, aber er ſprang ſogleich wieder auf und brüllte entſetzlich. Doch jetzt zeigte er dem ſichern Schützen ſeine Breitſeite, einen Augenblick ſpäter hatte er die zweite Kugel in der Bruſt und ſtürzte jetzt, mit dem Tode kämpfend, in das Dickicht der Büſche. — Vor Sonnenuntergang hing die Haut des Löwen an der Thüre des Bauerhauſes; ſämmtliche Hottentotten waren ſelig vor Entzücken über den Erfolg ihres Herrn und — über den ihnen geſpendeten Branntwein. — Der Menſch iſt häufig genug faſt der alleinige Ernährer des Löwen; doch auch die Steppe und der Wald bieten ihm hinreichende Nahrung. Kein Säugethier iſt ihm zu klein und geringfügig, keins iſt vor ihm ſicher. Er iſt kein Koſtverächter, obgleich er in der Regel ſich leckere Braten auszuſuchen weiß. Bei ſeiner Jagd zeigt er außerordentlich viel Verſtand, Liſt und große Kühnheit. Es ſcheint durch glaubwürdige Reiſende verbürgt zu ſein, daß er ſich mitten unter die Lagerfeuer ſtürzt und ſich dort ein Stück Vieh wegnimmt, oder aber, daß er dicht an das Lager herankommt und durch ſein Brüllen die durch die Menſchen geſchützten Thiere ſolange ängſtigt, bis ſie faſt beſinnungslos durch-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/256>, abgerufen am 25.11.2024.