Man hat die Säugethiere oft "Haarthiere" genannt, damit aber niemals die ganze Klasse scharf bezeichnet. Die Haare, welche wir als Graunen- und Wollhaare, Wolle und Borsten unterscheiden, sind allerdings vorherrschend, doch kommen auch Schuppen und Stacheln, hornige Schilder und hornartige Hautschwielen oder die bloße Haut als äußere Leibesbedeckungen vor, wie ja überhaupt die Gebilde der Oberhaut höchst verschieden sein können, obgleich sie allesammt nur als manchfaltige Ausprägungen ein und desselben Stoffes betrachtet werden müssen. Eine solche Verschie- denheit zeigt sich auch in den Nägeln, welche bald glatt und dünn, bald rund und dick, gerade und gebogen, stumpf und scharf, oder Nägel und Krallen, Klauen und Hufe sind.
Weit bezeichneuder, als alle diese bisher betrachteten Eigenthümlichkeiten des Säugethierlei- bes sind die Geschlechtstheile für unsere Klasse. Die äußere Gestalt derselben darf als bekannt vor- ausgesetzt werden, den inneren Bau derselben müssen wir jedoch etwas ausführlicher betrachten. Jch brauche wohl kaum zu erwähnen, daß die Geschlechtswerkzeuge die allervollkommensten in der ganzen Thierreihe sind. Was in den unteren Klassen nur angedeutet oder wenigstens nicht ausgeführt ist, erscheint hier vollendet. Schon die äußeren Reiz- und Begattungswerkzeuge sind weit vollkom- mener, als bei den Vögeln; die inneren erzeugenden und eruährenden Drüsen sind bei diesen ebensowenig vorhanden, als die Milchdrüsen, welche dem neugeborenen Jungen seine Nahrung liefern. Alle weiblichen Säugethiere besitzen einen paarigen, nur bei dem Schnabelthier und Ameisenigel verkümmerten Eierstock und Eileiter, sowie einen Fruchthälter, in welchem das befruchtete Ei zur Reife gelangt. Der Eierstock ist rundlich, eiförmig oder traubig und enthält viele, aber sehr kleine Eierchen, so daß erst die Neuzeit Näheres über sie berichten konnte. Von hier aus führen die Eileiter zum Fruchthälter hinab, welcher bei den obengenannten Thieren blos eine Erweiterung des hier sehr einfachen Organs ist, bei den Beutelthieren und vielen Nagern als eine doppelte Ausweitung beider Eileiter angesehen wer- den kann, bei den höher stehenden Ordnungen aber zu einem einzigen Sacke zusammenschmilzt. Er mündet bei den Schnabelthieren in den unteren Mastdarm, bei allen übrigen mit dem Harn- leiter in die Scheide. -- Die äußeren Ernährungsdrüsen für das neugeborene Junge, die Brüste oder Zitzen, fehlen bei keinem Säugethiere, sind aber bald an die Brust allein, bald zwischen die Leisten, bald endlich auf Brust, Bauch und Leistengegend zugleich gestellt und schwanken auch in ihrer Zahl zwi- schen Zwei und Zwölf. Sie bestehen aus zelligen, blinden und offenen Röhren und sondern aus dem Blute die Milch ab, welche durch eine mehrfach durchbohrte Warze ausfließen kann. Kurz vor und nach der Zeugung treten sie in Wirksamkeit; in der Kindheit sind sie nur angedeutet.
Diese allgemeinen Bemerkungen mögen für unsere oberflächliche Betrachtung des Säugethier- leibes genügen. Wer sich darüber ausführlich belehren will, findet Hand- und Lehrbücher genug, welche ihn in verständlicher oder dunkler Weise mehr berichten können, als er vielleicht selbst wünscht. Unser Zweck ist, das Leben des Leibes und der Seele, das Leben des ganzen Thieres kennen zu lernen, und diesen Zweck fassen wir daher vor Allem ins Auge.
Das Leben aller Augehörigen der ersten Klasse bietet uns reichen Stoff zur Belehrung und Unterhaltung. Die Säugethiere leben nicht so viel, wie die Vögel; denn ihr Leben ist bedächtiger und schwerfälliger, als das jenes leichtsinnigen Volkes der Höhe. Jhnen mangelt die heitere Lebendigkeit und unerschöpfliche Lebensfröhlichkeit der Lieblinge des Lichtes: sie zeigen dafür eine gewisse Behäbigkeit und Lebensgenußsucht, welche vielen sehr gut und vielen sehr schlecht ansteht. Hinsichtlich ihrer Beweglichkeit und Bewegungsfähigkeit stehen sie weit hinter den Vögeln zurück. Nur wenige kennen die unbeschreib- liche Lust einer ungebundenen Bewegung, nur wenige jagen jauchzend zwecklos umher, wie die mit ihren herrlichen Gaben scherzenden und spielenden Kinder der Luft. Die Säugethiere haben ein ernsthafteres Wesen, als diese; sie verschmähen ein unnützes Anstrengen ihrer leiblichen Kräfte. Blos in der Kindheit, und wenn sie die allmächtige Liebe kindisch oder kindlich macht, sind sie zu lustigem Spiel geneigt und geben sich ganz der Lust der Bewegung hin. Bei den Vögeln ist es anders. Hier heißt sich bewegen, leben, und leben, sich bewegen. Der gange Vogel ist in steter Unruhe und möchte am liebsten die ganze Nacht zum Tage machen, um seiner ewigen Regsamkeit volles Genüge zu leisten. Sein kleines Herz
Man hat die Säugethiere oft „Haarthiere‟ genannt, damit aber niemals die ganze Klaſſe ſcharf bezeichnet. Die Haare, welche wir als Graunen- und Wollhaare, Wolle und Borſten unterſcheiden, ſind allerdings vorherrſchend, doch kommen auch Schuppen und Stacheln, hornige Schilder und hornartige Hautſchwielen oder die bloße Haut als äußere Leibesbedeckungen vor, wie ja überhaupt die Gebilde der Oberhaut höchſt verſchieden ſein können, obgleich ſie alleſammt nur als manchfaltige Ausprägungen ein und deſſelben Stoffes betrachtet werden müſſen. Eine ſolche Verſchie- denheit zeigt ſich auch in den Nägeln, welche bald glatt und dünn, bald rund und dick, gerade und gebogen, ſtumpf und ſcharf, oder Nägel und Krallen, Klauen und Hufe ſind.
Weit bezeichneuder, als alle dieſe bisher betrachteten Eigenthümlichkeiten des Säugethierlei- bes ſind die Geſchlechtstheile für unſere Klaſſe. Die äußere Geſtalt derſelben darf als bekannt vor- ausgeſetzt werden, den inneren Bau derſelben müſſen wir jedoch etwas ausführlicher betrachten. Jch brauche wohl kaum zu erwähnen, daß die Geſchlechtswerkzeuge die allervollkommenſten in der ganzen Thierreihe ſind. Was in den unteren Klaſſen nur angedeutet oder wenigſtens nicht ausgeführt iſt, erſcheint hier vollendet. Schon die äußeren Reiz- und Begattungswerkzeuge ſind weit vollkom- mener, als bei den Vögeln; die inneren erzeugenden und eruährenden Drüſen ſind bei dieſen ebenſowenig vorhanden, als die Milchdrüſen, welche dem neugeborenen Jungen ſeine Nahrung liefern. Alle weiblichen Säugethiere beſitzen einen paarigen, nur bei dem Schnabelthier und Ameiſenigel verkümmerten Eierſtock und Eileiter, ſowie einen Fruchthälter, in welchem das befruchtete Ei zur Reife gelangt. Der Eierſtock iſt rundlich, eiförmig oder traubig und enthält viele, aber ſehr kleine Eierchen, ſo daß erſt die Neuzeit Näheres über ſie berichten konnte. Von hier aus führen die Eileiter zum Fruchthälter hinab, welcher bei den obengenannten Thieren blos eine Erweiterung des hier ſehr einfachen Organs iſt, bei den Beutelthieren und vielen Nagern als eine doppelte Ausweitung beider Eileiter angeſehen wer- den kann, bei den höher ſtehenden Ordnungen aber zu einem einzigen Sacke zuſammenſchmilzt. Er mündet bei den Schnabelthieren in den unteren Maſtdarm, bei allen übrigen mit dem Harn- leiter in die Scheide. — Die äußeren Ernährungsdrüſen für das neugeborene Junge, die Brüſte oder Zitzen, fehlen bei keinem Säugethiere, ſind aber bald an die Bruſt allein, bald zwiſchen die Leiſten, bald endlich auf Bruſt, Bauch und Leiſtengegend zugleich geſtellt und ſchwanken auch in ihrer Zahl zwi- ſchen Zwei und Zwölf. Sie beſtehen aus zelligen, blinden und offenen Röhren und ſondern aus dem Blute die Milch ab, welche durch eine mehrfach durchbohrte Warze ausfließen kann. Kurz vor und nach der Zeugung treten ſie in Wirkſamkeit; in der Kindheit ſind ſie nur angedeutet.
Dieſe allgemeinen Bemerkungen mögen für unſere oberflächliche Betrachtung des Säugethier- leibes genügen. Wer ſich darüber ausführlich belehren will, findet Hand- und Lehrbücher genug, welche ihn in verſtändlicher oder dunkler Weiſe mehr berichten können, als er vielleicht ſelbſt wünſcht. Unſer Zweck iſt, das Leben des Leibes und der Seele, das Leben des ganzen Thieres kennen zu lernen, und dieſen Zweck faſſen wir daher vor Allem ins Auge.
Das Leben aller Augehörigen der erſten Klaſſe bietet uns reichen Stoff zur Belehrung und Unterhaltung. Die Säugethiere leben nicht ſo viel, wie die Vögel; denn ihr Leben iſt bedächtiger und ſchwerfälliger, als das jenes leichtſinnigen Volkes der Höhe. Jhnen mangelt die heitere Lebendigkeit und unerſchöpfliche Lebensfröhlichkeit der Lieblinge des Lichtes: ſie zeigen dafür eine gewiſſe Behäbigkeit und Lebensgenußſucht, welche vielen ſehr gut und vielen ſehr ſchlecht anſteht. Hinſichtlich ihrer Beweglichkeit und Bewegungsfähigkeit ſtehen ſie weit hinter den Vögeln zurück. Nur wenige kennen die unbeſchreib- liche Luſt einer ungebundenen Bewegung, nur wenige jagen jauchzend zwecklos umher, wie die mit ihren herrlichen Gaben ſcherzenden und ſpielenden Kinder der Luft. Die Säugethiere haben ein ernſthafteres Weſen, als dieſe; ſie verſchmähen ein unnützes Anſtrengen ihrer leiblichen Kräfte. Blos in der Kindheit, und wenn ſie die allmächtige Liebe kindiſch oder kindlich macht, ſind ſie zu luſtigem Spiel geneigt und geben ſich ganz der Luſt der Bewegung hin. Bei den Vögeln iſt es anders. Hier heißt ſich bewegen, leben, und leben, ſich bewegen. Der gange Vogel iſt in ſteter Unruhe und möchte am liebſten die ganze Nacht zum Tage machen, um ſeiner ewigen Regſamkeit volles Genüge zu leiſten. Sein kleines Herz
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[XV[XV]/0025]
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unterſcheiden, ſind allerdings vorherrſchend, doch kommen auch Schuppen und Stacheln, hornige
Schilder und hornartige Hautſchwielen oder die bloße Haut als äußere Leibesbedeckungen vor, wie
ja überhaupt die Gebilde der Oberhaut höchſt verſchieden ſein können, obgleich ſie alleſammt nur als
manchfaltige Ausprägungen ein und deſſelben Stoffes betrachtet werden müſſen. Eine ſolche Verſchie-
denheit zeigt ſich auch in den Nägeln, welche bald glatt und dünn, bald rund und dick, gerade und
gebogen, ſtumpf und ſcharf, oder Nägel und Krallen, Klauen und Hufe ſind.
Weit bezeichneuder, als alle dieſe bisher betrachteten Eigenthümlichkeiten des Säugethierlei-
bes ſind die Geſchlechtstheile für unſere Klaſſe. Die äußere Geſtalt derſelben darf als bekannt vor-
ausgeſetzt werden, den inneren Bau derſelben müſſen wir jedoch etwas ausführlicher betrachten. Jch
brauche wohl kaum zu erwähnen, daß die Geſchlechtswerkzeuge die allervollkommenſten in der ganzen
Thierreihe ſind. Was in den unteren Klaſſen nur angedeutet oder wenigſtens nicht ausgeführt iſt,
erſcheint hier vollendet. Schon die äußeren Reiz- und Begattungswerkzeuge ſind weit vollkom-
mener, als bei den Vögeln; die inneren erzeugenden und eruährenden Drüſen ſind bei dieſen ebenſowenig
vorhanden, als die Milchdrüſen, welche dem neugeborenen Jungen ſeine Nahrung liefern. Alle weiblichen
Säugethiere beſitzen einen paarigen, nur bei dem Schnabelthier und Ameiſenigel verkümmerten
Eierſtock und Eileiter, ſowie einen Fruchthälter, in welchem das befruchtete Ei zur Reife gelangt.
Der Eierſtock iſt rundlich, eiförmig oder traubig und enthält viele, aber ſehr kleine Eierchen, ſo daß erſt
die Neuzeit Näheres über ſie berichten konnte. Von hier aus führen die Eileiter zum Fruchthälter hinab,
welcher bei den obengenannten Thieren blos eine Erweiterung des hier ſehr einfachen Organs iſt, bei
den Beutelthieren und vielen Nagern als eine doppelte Ausweitung beider Eileiter angeſehen wer-
den kann, bei den höher ſtehenden Ordnungen aber zu einem einzigen Sacke zuſammenſchmilzt. Er
mündet bei den Schnabelthieren in den unteren Maſtdarm, bei allen übrigen mit dem Harn-
leiter in die Scheide. — Die äußeren Ernährungsdrüſen für das neugeborene Junge, die Brüſte oder
Zitzen, fehlen bei keinem Säugethiere, ſind aber bald an die Bruſt allein, bald zwiſchen die Leiſten,
bald endlich auf Bruſt, Bauch und Leiſtengegend zugleich geſtellt und ſchwanken auch in ihrer Zahl zwi-
ſchen Zwei und Zwölf. Sie beſtehen aus zelligen, blinden und offenen Röhren und ſondern aus dem
Blute die Milch ab, welche durch eine mehrfach durchbohrte Warze ausfließen kann. Kurz vor und
nach der Zeugung treten ſie in Wirkſamkeit; in der Kindheit ſind ſie nur angedeutet.
Dieſe allgemeinen Bemerkungen mögen für unſere oberflächliche Betrachtung des Säugethier-
leibes genügen. Wer ſich darüber ausführlich belehren will, findet Hand- und Lehrbücher genug, welche
ihn in verſtändlicher oder dunkler Weiſe mehr berichten können, als er vielleicht ſelbſt wünſcht. Unſer
Zweck iſt, das Leben des Leibes und der Seele, das Leben des ganzen Thieres kennen zu lernen, und
dieſen Zweck faſſen wir daher vor Allem ins Auge.
Das Leben aller Augehörigen der erſten Klaſſe bietet uns reichen Stoff zur Belehrung und
Unterhaltung. Die Säugethiere leben nicht ſo viel, wie die Vögel; denn ihr Leben iſt bedächtiger und
ſchwerfälliger, als das jenes leichtſinnigen Volkes der Höhe. Jhnen mangelt die heitere Lebendigkeit und
unerſchöpfliche Lebensfröhlichkeit der Lieblinge des Lichtes: ſie zeigen dafür eine gewiſſe Behäbigkeit und
Lebensgenußſucht, welche vielen ſehr gut und vielen ſehr ſchlecht anſteht. Hinſichtlich ihrer Beweglichkeit
und Bewegungsfähigkeit ſtehen ſie weit hinter den Vögeln zurück. Nur wenige kennen die unbeſchreib-
liche Luſt einer ungebundenen Bewegung, nur wenige jagen jauchzend zwecklos umher, wie die mit ihren
herrlichen Gaben ſcherzenden und ſpielenden Kinder der Luft. Die Säugethiere haben ein ernſthafteres
Weſen, als dieſe; ſie verſchmähen ein unnützes Anſtrengen ihrer leiblichen Kräfte. Blos in der Kindheit,
und wenn ſie die allmächtige Liebe kindiſch oder kindlich macht, ſind ſie zu luſtigem Spiel geneigt und
geben ſich ganz der Luſt der Bewegung hin. Bei den Vögeln iſt es anders. Hier heißt ſich bewegen,
leben, und leben, ſich bewegen. Der gange Vogel iſt in ſteter Unruhe und möchte am liebſten die ganze
Nacht zum Tage machen, um ſeiner ewigen Regſamkeit volles Genüge zu leiſten. Sein kleines Herz
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XV[XV]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/25>, abgerufen am 23.11.2024.
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