Die Halbaffen. Fingerthier. -- Pelzflatterer. -- Flattermaki.
bekundet eine Trägheit, eine Langweiligkeit ohne Gleichen in jeder Bewegung, jeder Handlung. Erst wenn die volle dunkle Nacht hereingebrochen ist, lange nach der Dämmerung, ermuntert er sich und kriecht aus seiner Dunkelkammer hervor, scheinbar noch immer mit Gefühlen der Angst, daß irgend ein Lichtstrahl ihn behelligen möchte. Der Schein einer Kerze, welcher andere Nachtthiere nicht im geringsten ansicht, macht ihn eilig zurückflüchten.
Die Bewegungen des Thieres sind langsam und träge, obschon weniger, als man vermuthen möchte. Wenn es gilt, dem störenden Licht sich zu entziehen, beweist der Aye-Aye, daß er unter Um- ständen sogar ziemlich flink sein kann. Der Gang ähnelt dem anderer Nachtaffen, nur ist er ungleich langsamer. Dabei steht das Thier hinten viel höher, als vorn, wo es sich auf die sehr gebreiteten und stark gekrümmten Finger stützt, und streckt den buschigen Schwanz wagrecht von sich, ohne ihn auf dem Boden schleppen zu lassen. Jeder Schritt wird, wie es scheinen möchte, mit Ueberlegung aus- geführt; Zeit genug zur Ueberlegung nimmt sich das Thier wenigstens. Jm Klettern konnte ich es nicht beobachten: es soll dies aber eben so langsam geschehen, wie das Gehen.
Wenn Sonnerat richtig beobachtet hat, muß er es mit einem besonders gutmüthigen Aye-Aye zu thun gehabt haben. Derjenige, welchen ich fah, war nichts weniger als sanft, sondern im Gegentheil sehr reizbar und ungemüthlich. Wenn man sich ihm näherte, fauchte er, wie eine Katze; wenn man ihm die Hand vorhielt, fuhr er unter Ausstoßen derselben Laute wüthend und sehr rasch auf die Hand los und versuchte, sie mit seinen beiden Vorderpfoten zu packen. Dabei zeigte er auffallend viel Ver- stand: er unterschied zwischen der Hand und einem eisernen Stäbchen. Mit diesem ließ er sich be- rühren, ohne zu fauchen oder zuzugreifen. Die Wärter, welche große Achtung vor dem Gebiß ihres Schutzbefohlenen an den Tag legten, versicherten, von diesem Unterscheidungsvermögen des Thieres überzeugende Beweise erhalten zu haben: sie waren mehrer Male derb gebissen worden. Eigentlich furchtsam also darf man den Aye-Aye nicht nennen; er ist nur scheu und meidet jede Gesellschaft. Auch nachts bewegt ihn das geringste Geräusch, so eilig als möglich seinen Versteckplatz aufzusuchen.
Die einzige Nahrung, welche man unserm Thiere reicht, ist frische Milch, mit welcher man das gekochte und zerriebene Dotter eines Eies zusammenrührt. Eine kleine Schüssel davon genügt für den täglichen Bedarf. Beim Fressen gebraucht der Aye-Aye seine beiden Hände: er wirft die flüssige Speise mit ihnen in seinen Mund. Fleischkost hat er bis jetzt hartnäckig verschmäht; ob man versucht hat, ihn auch an andere Nahrungsmittel zu gewöhnen, weiß ich nicht. Bei den genannten scheint er gut zu gedeihen; denn er lebt bereis seit dem 12. August vorigen Jahres (1862) in seiner neuen Heimat.
Beachtenswerth scheint mir eine Beobachtung zu sein, welche gemacht wurde. Alle Zweige des Käfigs, welchen dieser Aye-Aye bewohnt, sind von ihm abgeschält und angebissen worden. Er scheint also seine Schneidezähne, welche den Naturforschern soviel Kopfzerbrechen verursacht haben, in ganz eigenthümlicher Weise zu verwenden. Jch glaube aus dieser Verwendung schließen zu dürfen, daß das Thier in der Freiheit auf dürren Bäumen seine Nahrung sucht und wirklich Kerbthiere frißt, wie Sonnerat angiebt. Es schält, so vermuthe ich, mit seinen dazu vortrefflich geeigneten Zähnen die Baumrinde ab, legt damit die Schlupfwinkel gewisser Kerbthiere oder deren Larven bloß, und zieht diese dann mit seinen langen Fingern aus Ritzen und Spalten vollends hervor, um sie zu verspeisen.
Die Natur liebt keine Sprünge -- diese Wahrheit spricht sich bei einer vergleichenden Rund- schau in allen drei Reichen hundertfach aus und wird auch dem Uneingeweihten verständlich. Nicht einmal die Klassen scheinen streng geschieden zu sein; denn fast immer bemerken wir, daß eine Gestalt gleichsam ein vermittelndes Bindeglied ist. Als solche sind denn auch alle Arten der letzten Familie unserer Ordnung anzusehen. Diese selbst ist eine vermittelnde, zwischen jener der Affen und vielen anderen stehende: kaum eine Familie oder Sippe aber zeigt so schlagende, allgemein verständliche Uebergangsformen, wie die der Pelzflatterer. Die wenigen Arten, welche man kennt, bilden nur eine
Die Halbaffen. Fingerthier. — Pelzflatterer. — Flattermaki.
bekundet eine Trägheit, eine Langweiligkeit ohne Gleichen in jeder Bewegung, jeder Handlung. Erſt wenn die volle dunkle Nacht hereingebrochen iſt, lange nach der Dämmerung, ermuntert er ſich und kriecht aus ſeiner Dunkelkammer hervor, ſcheinbar noch immer mit Gefühlen der Angſt, daß irgend ein Lichtſtrahl ihn behelligen möchte. Der Schein einer Kerze, welcher andere Nachtthiere nicht im geringſten anſicht, macht ihn eilig zurückflüchten.
Die Bewegungen des Thieres ſind langſam und träge, obſchon weniger, als man vermuthen möchte. Wenn es gilt, dem ſtörenden Licht ſich zu entziehen, beweiſt der Aye-Aye, daß er unter Um- ſtänden ſogar ziemlich flink ſein kann. Der Gang ähnelt dem anderer Nachtaffen, nur iſt er ungleich langſamer. Dabei ſteht das Thier hinten viel höher, als vorn, wo es ſich auf die ſehr gebreiteten und ſtark gekrümmten Finger ſtützt, und ſtreckt den buſchigen Schwanz wagrecht von ſich, ohne ihn auf dem Boden ſchleppen zu laſſen. Jeder Schritt wird, wie es ſcheinen möchte, mit Ueberlegung aus- geführt; Zeit genug zur Ueberlegung nimmt ſich das Thier wenigſtens. Jm Klettern konnte ich es nicht beobachten: es ſoll dies aber eben ſo langſam geſchehen, wie das Gehen.
Wenn Sonnerat richtig beobachtet hat, muß er es mit einem beſonders gutmüthigen Aye-Aye zu thun gehabt haben. Derjenige, welchen ich fah, war nichts weniger als ſanft, ſondern im Gegentheil ſehr reizbar und ungemüthlich. Wenn man ſich ihm näherte, fauchte er, wie eine Katze; wenn man ihm die Hand vorhielt, fuhr er unter Ausſtoßen derſelben Laute wüthend und ſehr raſch auf die Hand los und verſuchte, ſie mit ſeinen beiden Vorderpfoten zu packen. Dabei zeigte er auffallend viel Ver- ſtand: er unterſchied zwiſchen der Hand und einem eiſernen Stäbchen. Mit dieſem ließ er ſich be- rühren, ohne zu fauchen oder zuzugreifen. Die Wärter, welche große Achtung vor dem Gebiß ihres Schutzbefohlenen an den Tag legten, verſicherten, von dieſem Unterſcheidungsvermögen des Thieres überzeugende Beweiſe erhalten zu haben: ſie waren mehrer Male derb gebiſſen worden. Eigentlich furchtſam alſo darf man den Aye-Aye nicht nennen; er iſt nur ſcheu und meidet jede Geſellſchaft. Auch nachts bewegt ihn das geringſte Geräuſch, ſo eilig als möglich ſeinen Verſteckplatz aufzuſuchen.
Die einzige Nahrung, welche man unſerm Thiere reicht, iſt friſche Milch, mit welcher man das gekochte und zerriebene Dotter eines Eies zuſammenrührt. Eine kleine Schüſſel davon genügt für den täglichen Bedarf. Beim Freſſen gebraucht der Aye-Aye ſeine beiden Hände: er wirft die flüſſige Speiſe mit ihnen in ſeinen Mund. Fleiſchkoſt hat er bis jetzt hartnäckig verſchmäht; ob man verſucht hat, ihn auch an andere Nahrungsmittel zu gewöhnen, weiß ich nicht. Bei den genannten ſcheint er gut zu gedeihen; denn er lebt bereis ſeit dem 12. Auguſt vorigen Jahres (1862) in ſeiner neuen Heimat.
Beachtenswerth ſcheint mir eine Beobachtung zu ſein, welche gemacht wurde. Alle Zweige des Käfigs, welchen dieſer Aye-Aye bewohnt, ſind von ihm abgeſchält und angebiſſen worden. Er ſcheint alſo ſeine Schneidezähne, welche den Naturforſchern ſoviel Kopfzerbrechen verurſacht haben, in ganz eigenthümlicher Weiſe zu verwenden. Jch glaube aus dieſer Verwendung ſchließen zu dürfen, daß das Thier in der Freiheit auf dürren Bäumen ſeine Nahrung ſucht und wirklich Kerbthiere frißt, wie Sonnerat angiebt. Es ſchält, ſo vermuthe ich, mit ſeinen dazu vortrefflich geeigneten Zähnen die Baumrinde ab, legt damit die Schlupfwinkel gewiſſer Kerbthiere oder deren Larven bloß, und zieht dieſe dann mit ſeinen langen Fingern aus Ritzen und Spalten vollends hervor, um ſie zu verſpeiſen.
Die Natur liebt keine Sprünge — dieſe Wahrheit ſpricht ſich bei einer vergleichenden Rund- ſchau in allen drei Reichen hundertfach aus und wird auch dem Uneingeweihten verſtändlich. Nicht einmal die Klaſſen ſcheinen ſtreng geſchieden zu ſein; denn faſt immer bemerken wir, daß eine Geſtalt gleichſam ein vermittelndes Bindeglied iſt. Als ſolche ſind denn auch alle Arten der letzten Familie unſerer Ordnung anzuſehen. Dieſe ſelbſt iſt eine vermittelnde, zwiſchen jener der Affen und vielen anderen ſtehende: kaum eine Familie oder Sippe aber zeigt ſo ſchlagende, allgemein verſtändliche Uebergangsformen, wie die der Pelzflatterer. Die wenigen Arten, welche man kennt, bilden nur eine
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0208"n="150"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Die Halbaffen.</hi> Fingerthier. — Pelzflatterer. —<hirendition="#g">Flattermaki.</hi></fw><lb/>
bekundet eine Trägheit, eine Langweiligkeit ohne Gleichen in jeder Bewegung, jeder Handlung. Erſt<lb/>
wenn die volle dunkle Nacht hereingebrochen iſt, lange nach der Dämmerung, ermuntert er ſich und<lb/>
kriecht aus ſeiner Dunkelkammer hervor, ſcheinbar noch immer mit Gefühlen der Angſt, daß irgend<lb/>
ein Lichtſtrahl ihn behelligen möchte. Der Schein einer Kerze, welcher andere Nachtthiere nicht im<lb/>
geringſten anſicht, macht ihn eilig zurückflüchten.</p><lb/><p>Die Bewegungen des Thieres ſind langſam und träge, obſchon weniger, als man vermuthen<lb/>
möchte. Wenn es gilt, dem ſtörenden Licht ſich zu entziehen, beweiſt der Aye-Aye, daß er unter Um-<lb/>ſtänden ſogar ziemlich flink ſein kann. Der Gang ähnelt dem anderer Nachtaffen, nur iſt er ungleich<lb/>
langſamer. Dabei ſteht das Thier hinten viel höher, als vorn, wo es ſich auf die ſehr gebreiteten<lb/>
und ſtark gekrümmten Finger ſtützt, und ſtreckt den buſchigen Schwanz wagrecht von ſich, ohne ihn<lb/>
auf dem Boden ſchleppen zu laſſen. Jeder Schritt wird, wie es ſcheinen möchte, mit Ueberlegung aus-<lb/>
geführt; Zeit genug zur Ueberlegung nimmt ſich das Thier wenigſtens. Jm Klettern konnte ich es<lb/>
nicht beobachten: es ſoll dies aber eben ſo langſam geſchehen, wie das Gehen.</p><lb/><p>Wenn Sonnerat richtig beobachtet hat, muß er es mit einem beſonders gutmüthigen Aye-Aye zu<lb/>
thun gehabt haben. Derjenige, welchen ich fah, war nichts weniger als ſanft, ſondern im Gegentheil<lb/>ſehr reizbar und ungemüthlich. Wenn man ſich ihm näherte, fauchte er, wie eine <hirendition="#g">Katze;</hi> wenn man<lb/>
ihm die Hand vorhielt, fuhr er unter Ausſtoßen derſelben Laute wüthend und ſehr raſch auf die Hand<lb/>
los und verſuchte, ſie mit ſeinen beiden Vorderpfoten zu packen. Dabei zeigte er auffallend viel Ver-<lb/>ſtand: er unterſchied zwiſchen der Hand und einem eiſernen Stäbchen. Mit dieſem ließ er ſich be-<lb/>
rühren, ohne zu fauchen oder zuzugreifen. Die Wärter, welche große Achtung vor dem Gebiß ihres<lb/>
Schutzbefohlenen an den Tag legten, verſicherten, von dieſem Unterſcheidungsvermögen des Thieres<lb/>
überzeugende Beweiſe erhalten zu haben: ſie waren mehrer Male derb gebiſſen worden. Eigentlich<lb/>
furchtſam alſo darf man den Aye-Aye nicht nennen; er iſt nur ſcheu und meidet jede Geſellſchaft. Auch<lb/>
nachts bewegt ihn das geringſte Geräuſch, ſo eilig als möglich ſeinen Verſteckplatz aufzuſuchen.</p><lb/><p>Die einzige Nahrung, welche man unſerm Thiere reicht, iſt friſche Milch, mit welcher man das<lb/>
gekochte und zerriebene Dotter eines Eies zuſammenrührt. Eine kleine Schüſſel davon genügt für den<lb/>
täglichen Bedarf. Beim Freſſen gebraucht der Aye-Aye ſeine beiden Hände: er wirft die flüſſige<lb/>
Speiſe mit ihnen in ſeinen Mund. Fleiſchkoſt hat er bis jetzt hartnäckig verſchmäht; ob man verſucht<lb/>
hat, ihn auch an andere Nahrungsmittel zu gewöhnen, weiß ich nicht. Bei den genannten ſcheint er gut<lb/>
zu gedeihen; denn er lebt bereis ſeit dem 12. Auguſt vorigen Jahres (1862) in ſeiner neuen Heimat.</p><lb/><p>Beachtenswerth ſcheint mir eine Beobachtung zu ſein, welche gemacht wurde. Alle Zweige des<lb/>
Käfigs, welchen dieſer Aye-Aye bewohnt, ſind von ihm abgeſchält und angebiſſen worden. Er ſcheint<lb/>
alſo ſeine Schneidezähne, welche den Naturforſchern ſoviel Kopfzerbrechen verurſacht haben, in ganz<lb/>
eigenthümlicher Weiſe zu verwenden. Jch glaube aus dieſer Verwendung ſchließen zu dürfen, daß das<lb/>
Thier in der Freiheit auf dürren Bäumen ſeine Nahrung ſucht und wirklich Kerbthiere frißt, wie<lb/>
Sonnerat angiebt. Es ſchält, ſo vermuthe ich, mit ſeinen dazu vortrefflich geeigneten Zähnen die<lb/>
Baumrinde ab, legt damit die Schlupfwinkel gewiſſer Kerbthiere oder deren Larven bloß, und zieht<lb/>
dieſe dann mit ſeinen langen Fingern aus Ritzen und Spalten vollends hervor, um ſie zu verſpeiſen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Die Natur liebt keine Sprünge — dieſe Wahrheit ſpricht ſich bei einer vergleichenden Rund-<lb/>ſchau in allen drei Reichen hundertfach aus und wird auch dem Uneingeweihten verſtändlich. Nicht<lb/>
einmal die Klaſſen ſcheinen ſtreng geſchieden zu ſein; denn faſt immer bemerken wir, daß eine<lb/>
Geſtalt gleichſam ein vermittelndes Bindeglied iſt. Als ſolche ſind denn auch alle Arten der letzten<lb/>
Familie unſerer Ordnung anzuſehen. Dieſe ſelbſt iſt eine vermittelnde, zwiſchen jener der Affen und<lb/>
vielen anderen ſtehende: kaum eine Familie oder Sippe aber zeigt ſo ſchlagende, allgemein verſtändliche<lb/>
Uebergangsformen, wie die der <hirendition="#g">Pelzflatterer.</hi> Die wenigen Arten, welche man kennt, bilden nur eine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[150/0208]
Die Halbaffen. Fingerthier. — Pelzflatterer. — Flattermaki.
bekundet eine Trägheit, eine Langweiligkeit ohne Gleichen in jeder Bewegung, jeder Handlung. Erſt
wenn die volle dunkle Nacht hereingebrochen iſt, lange nach der Dämmerung, ermuntert er ſich und
kriecht aus ſeiner Dunkelkammer hervor, ſcheinbar noch immer mit Gefühlen der Angſt, daß irgend
ein Lichtſtrahl ihn behelligen möchte. Der Schein einer Kerze, welcher andere Nachtthiere nicht im
geringſten anſicht, macht ihn eilig zurückflüchten.
Die Bewegungen des Thieres ſind langſam und träge, obſchon weniger, als man vermuthen
möchte. Wenn es gilt, dem ſtörenden Licht ſich zu entziehen, beweiſt der Aye-Aye, daß er unter Um-
ſtänden ſogar ziemlich flink ſein kann. Der Gang ähnelt dem anderer Nachtaffen, nur iſt er ungleich
langſamer. Dabei ſteht das Thier hinten viel höher, als vorn, wo es ſich auf die ſehr gebreiteten
und ſtark gekrümmten Finger ſtützt, und ſtreckt den buſchigen Schwanz wagrecht von ſich, ohne ihn
auf dem Boden ſchleppen zu laſſen. Jeder Schritt wird, wie es ſcheinen möchte, mit Ueberlegung aus-
geführt; Zeit genug zur Ueberlegung nimmt ſich das Thier wenigſtens. Jm Klettern konnte ich es
nicht beobachten: es ſoll dies aber eben ſo langſam geſchehen, wie das Gehen.
Wenn Sonnerat richtig beobachtet hat, muß er es mit einem beſonders gutmüthigen Aye-Aye zu
thun gehabt haben. Derjenige, welchen ich fah, war nichts weniger als ſanft, ſondern im Gegentheil
ſehr reizbar und ungemüthlich. Wenn man ſich ihm näherte, fauchte er, wie eine Katze; wenn man
ihm die Hand vorhielt, fuhr er unter Ausſtoßen derſelben Laute wüthend und ſehr raſch auf die Hand
los und verſuchte, ſie mit ſeinen beiden Vorderpfoten zu packen. Dabei zeigte er auffallend viel Ver-
ſtand: er unterſchied zwiſchen der Hand und einem eiſernen Stäbchen. Mit dieſem ließ er ſich be-
rühren, ohne zu fauchen oder zuzugreifen. Die Wärter, welche große Achtung vor dem Gebiß ihres
Schutzbefohlenen an den Tag legten, verſicherten, von dieſem Unterſcheidungsvermögen des Thieres
überzeugende Beweiſe erhalten zu haben: ſie waren mehrer Male derb gebiſſen worden. Eigentlich
furchtſam alſo darf man den Aye-Aye nicht nennen; er iſt nur ſcheu und meidet jede Geſellſchaft. Auch
nachts bewegt ihn das geringſte Geräuſch, ſo eilig als möglich ſeinen Verſteckplatz aufzuſuchen.
Die einzige Nahrung, welche man unſerm Thiere reicht, iſt friſche Milch, mit welcher man das
gekochte und zerriebene Dotter eines Eies zuſammenrührt. Eine kleine Schüſſel davon genügt für den
täglichen Bedarf. Beim Freſſen gebraucht der Aye-Aye ſeine beiden Hände: er wirft die flüſſige
Speiſe mit ihnen in ſeinen Mund. Fleiſchkoſt hat er bis jetzt hartnäckig verſchmäht; ob man verſucht
hat, ihn auch an andere Nahrungsmittel zu gewöhnen, weiß ich nicht. Bei den genannten ſcheint er gut
zu gedeihen; denn er lebt bereis ſeit dem 12. Auguſt vorigen Jahres (1862) in ſeiner neuen Heimat.
Beachtenswerth ſcheint mir eine Beobachtung zu ſein, welche gemacht wurde. Alle Zweige des
Käfigs, welchen dieſer Aye-Aye bewohnt, ſind von ihm abgeſchält und angebiſſen worden. Er ſcheint
alſo ſeine Schneidezähne, welche den Naturforſchern ſoviel Kopfzerbrechen verurſacht haben, in ganz
eigenthümlicher Weiſe zu verwenden. Jch glaube aus dieſer Verwendung ſchließen zu dürfen, daß das
Thier in der Freiheit auf dürren Bäumen ſeine Nahrung ſucht und wirklich Kerbthiere frißt, wie
Sonnerat angiebt. Es ſchält, ſo vermuthe ich, mit ſeinen dazu vortrefflich geeigneten Zähnen die
Baumrinde ab, legt damit die Schlupfwinkel gewiſſer Kerbthiere oder deren Larven bloß, und zieht
dieſe dann mit ſeinen langen Fingern aus Ritzen und Spalten vollends hervor, um ſie zu verſpeiſen.
Die Natur liebt keine Sprünge — dieſe Wahrheit ſpricht ſich bei einer vergleichenden Rund-
ſchau in allen drei Reichen hundertfach aus und wird auch dem Uneingeweihten verſtändlich. Nicht
einmal die Klaſſen ſcheinen ſtreng geſchieden zu ſein; denn faſt immer bemerken wir, daß eine
Geſtalt gleichſam ein vermittelndes Bindeglied iſt. Als ſolche ſind denn auch alle Arten der letzten
Familie unſerer Ordnung anzuſehen. Dieſe ſelbſt iſt eine vermittelnde, zwiſchen jener der Affen und
vielen anderen ſtehende: kaum eine Familie oder Sippe aber zeigt ſo ſchlagende, allgemein verſtändliche
Uebergangsformen, wie die der Pelzflatterer. Die wenigen Arten, welche man kennt, bilden nur eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/208>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.