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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Entdeckung und Wiederauffindung. Kennzeichen und Eigenschaften.
auch, sich an die Baumäste zu hängen. Die Hinterfüße haben vier mit krummen Klauen versehene
Finger: Der fünfte oder innere bildet den Daumen, und hat einen platten Nagel, gleich den Nägeln
des Menschen. -- Der Aye-Aye hat in jeder Kinnlade zween Schneidezähne, die sehr nahe beysammen
stehen, und dem Schnabel eines Papageien ähnlich sehen: die untern sind viel stärker als die obern. --
Er hat große, breite und flache Ohren: Sie sind schwarz, glatt, glänzend, und an der Außenseite mit
langen Haaren besetzt. -- Ueber den Augen und der Nase, auf den Backen und am Kinn hat er Büschel
von langen Haaren. -- Das ganze Thier ist mit weißfalben Flaumen oder feinen Haaren bewachsen,
aus denen große (starke) schwarze Haare hervorstechen. Der Vordertheil des Kopfes und Halses sind
von falbem Weiß. Der Schwanz ist platt, buschig und mit langen Haaren besetzt. Ob es schon ganz
schwarz scheint, sind die Haare desselben doch von ihrer Wurzel an bis zur Mitte ihrer ganzen Länge weiß. --
Der Aye-Aye ist vom Kopf bis zum Schwanz 18 Zoll 6 Linien, und der Schwanz desselben 11/2 Fuß lang."

Ueber Vorkommen und Aufenthalt des Thieres berichtet uns Sonnerat gar Nichts, über sein
Betragen in der Gefangenschaft sehr wenig: "Dieses Thier," sagt er, "scheint von der Art derjenigen
zu seyn, die sich in die Erde graben. Bei Tage sieht es nicht; sein Aug ist röthlicht und starr, wie
das Aug der Eule. Es ist sehr träge, folglich auch sehr sanft. Jch hatte ein Männchen und ein
Weibchen, aber beyde lebten nicht länger als zween Monate; ich nährte sie mit gekochtem Reis, und
sie bedienten sich der dünnen zween Finger ihrer Vorderfüße, wie die Chineser ihrer Stäbchen. Sie
waren scheu, furchtsam, liebten sehr die Wärme, krochen immer zusammen, um zu schlafen, legten sich
auf die Seite und verbargen ihren Kopf zwischen den Vorderfüßen. Sie lagen stets unbeweglich da;
und nur durch vieles Rütteln konnte man sie dahin bringen, daß sie sich regten."

Zu meinem innigen Bedauern war mir die Zeit meines Aufenthaltes in London so kurz zu-
gemessen, daß ich dem jetzt dort lebenden Aye-Aye blos einen einzigen Abend widmen durfte. Dieser
eine Abend belehrte mich aber, daß vorstehende Beschreibung nicht nur einer Erweiterung, sondern
auch, theilweise wenigstens, der Berichtigung bedarf. Jch nehme an, daß auch der geringste Beitrag
zur Vervollständigung der Kunde eines so räthselhaften Geschöpfes willkommen ist und will deshalb
meine dürftigen Beobachtungen und Das, was ich den Wärtern abfragte, hier kurz zusammenstellen.

Der Aye-Aye ist ein höchst auffallendes Thier. Jch würde ihn, wäre ich sein Entdecker gewesen,
Chiromys paradoxus genannt haben. Daß die Madagassen bei seinem Anblick Ausrufe der Verwun-
derung ausstießen, wurde mir sehr erklärlich; ich habe genau dasselbe gethan.

Das Thier hat buchstäblich mit keinem andern Säuger eine beachtenswerthe Aehnlichkeit. Es
erinnert in mancher Hinsicht an die Galagos; doch wird es schwerlich einem Forscher einfallen, es mit
diesen in einer Familie zu vereinigen. Der dicke, breite Kopf mit den großen Ohren, welche den
breiten Kopf noch breiter erscheinen lassen, die kleinen, gewölbten, starren, regungslosen, aber glühen-
den Augen mit viel kleinerm Stern, als das Nachtaffenauge ihn besitzt, der Mund, welcher in der
That eine gewisse Aehnlichkeit mit einem Papageischnabel hat, die bedeutende Leibesgröße und der
lange Schwanz, welcher, wie der ganze Leib, mit dünn stehenden, aber langen, steifen, fast borsten-
artigen Grannenhaaren besetzt ist und die so merkwürdigen Hände endlich, deren Mittelfinger aussieht,
als ob er zusammengedorrt wäre: diese Merkmale insgesammt verleihen der ganzen Erscheinung etwas
so Eigenthümliches, daß man sich unwillkürlich den Kopf zermartert, in der fruchtlosen Absicht, ein
diesem Thiere verwandtes Geschöpf aufzufinden.

Es kann für den Thierkundigen, welcher dieses wundersame Wesen lebend vor sich sieht, gar
keinem Zweifel unterliegen, daß er es mit einem vollendeten Nachtfreunde zu thun hat. Der Aye-Aye
ist lichtscheuer, als jedes mir bekannte Säugethier. Ein Nachtaffe läßt sich wenigstens erwecken,
tappt herum, schaut sich die helle Tageswelt verwundert an, lauscht theilnehmend auf das Summen
eines vorüberfliegenden Kerbthieres, leckt und putzt sich sogar: der Aye-Aye scheint, bei Tage, wenn
man ihn nach vieler Mühe wach gerüttelt, vollkommen geistesabwesend zu sein. Mechanisch, maschinen-
artig schleppt er sich wieder seinem Dunkelplatze zu, mechanisch rollt er sich zusammen, mechanisch ver-
hüllt er mit dem dicken Schwanze, den er wie einen Reifen um den Kopf schlägt, sein Gesicht. Er

Entdeckung und Wiederauffindung. Kennzeichen und Eigenſchaften.
auch, ſich an die Baumäſte zu hängen. Die Hinterfüße haben vier mit krummen Klauen verſehene
Finger: Der fünfte oder innere bildet den Daumen, und hat einen platten Nagel, gleich den Nägeln
des Menſchen. — Der Aye-Aye hat in jeder Kinnlade zween Schneidezähne, die ſehr nahe beyſammen
ſtehen, und dem Schnabel eines Papageien ähnlich ſehen: die untern ſind viel ſtärker als die obern. —
Er hat große, breite und flache Ohren: Sie ſind ſchwarz, glatt, glänzend, und an der Außenſeite mit
langen Haaren beſetzt. — Ueber den Augen und der Naſe, auf den Backen und am Kinn hat er Büſchel
von langen Haaren. — Das ganze Thier iſt mit weißfalben Flaumen oder feinen Haaren bewachſen,
aus denen große (ſtarke) ſchwarze Haare hervorſtechen. Der Vordertheil des Kopfes und Halſes ſind
von falbem Weiß. Der Schwanz iſt platt, buſchig und mit langen Haaren beſetzt. Ob es ſchon ganz
ſchwarz ſcheint, ſind die Haare deſſelben doch von ihrer Wurzel an bis zur Mitte ihrer ganzen Länge weiß. —
Der Aye-Aye iſt vom Kopf bis zum Schwanz 18 Zoll 6 Linien, und der Schwanz deſſelben 1½ Fuß lang.‟

Ueber Vorkommen und Aufenthalt des Thieres berichtet uns Sonnerat gar Nichts, über ſein
Betragen in der Gefangenſchaft ſehr wenig: „Dieſes Thier,‟ ſagt er, „ſcheint von der Art derjenigen
zu ſeyn, die ſich in die Erde graben. Bei Tage ſieht es nicht; ſein Aug iſt röthlicht und ſtarr, wie
das Aug der Eule. Es iſt ſehr träge, folglich auch ſehr ſanft. Jch hatte ein Männchen und ein
Weibchen, aber beyde lebten nicht länger als zween Monate; ich nährte ſie mit gekochtem Reis, und
ſie bedienten ſich der dünnen zween Finger ihrer Vorderfüße, wie die Chineſer ihrer Stäbchen. Sie
waren ſcheu, furchtſam, liebten ſehr die Wärme, krochen immer zuſammen, um zu ſchlafen, legten ſich
auf die Seite und verbargen ihren Kopf zwiſchen den Vorderfüßen. Sie lagen ſtets unbeweglich da;
und nur durch vieles Rütteln konnte man ſie dahin bringen, daß ſie ſich regten.‟

Zu meinem innigen Bedauern war mir die Zeit meines Aufenthaltes in London ſo kurz zu-
gemeſſen, daß ich dem jetzt dort lebenden Aye-Aye blos einen einzigen Abend widmen durfte. Dieſer
eine Abend belehrte mich aber, daß vorſtehende Beſchreibung nicht nur einer Erweiterung, ſondern
auch, theilweiſe wenigſtens, der Berichtigung bedarf. Jch nehme an, daß auch der geringſte Beitrag
zur Vervollſtändigung der Kunde eines ſo räthſelhaften Geſchöpfes willkommen iſt und will deshalb
meine dürftigen Beobachtungen und Das, was ich den Wärtern abfragte, hier kurz zuſammenſtellen.

Der Aye-Aye iſt ein höchſt auffallendes Thier. Jch würde ihn, wäre ich ſein Entdecker geweſen,
Chiromys paradoxus genannt haben. Daß die Madagaſſen bei ſeinem Anblick Ausrufe der Verwun-
derung ausſtießen, wurde mir ſehr erklärlich; ich habe genau daſſelbe gethan.

Das Thier hat buchſtäblich mit keinem andern Säuger eine beachtenswerthe Aehnlichkeit. Es
erinnert in mancher Hinſicht an die Galagos; doch wird es ſchwerlich einem Forſcher einfallen, es mit
dieſen in einer Familie zu vereinigen. Der dicke, breite Kopf mit den großen Ohren, welche den
breiten Kopf noch breiter erſcheinen laſſen, die kleinen, gewölbten, ſtarren, regungsloſen, aber glühen-
den Augen mit viel kleinerm Stern, als das Nachtaffenauge ihn beſitzt, der Mund, welcher in der
That eine gewiſſe Aehnlichkeit mit einem Papageiſchnabel hat, die bedeutende Leibesgröße und der
lange Schwanz, welcher, wie der ganze Leib, mit dünn ſtehenden, aber langen, ſteifen, faſt borſten-
artigen Grannenhaaren beſetzt iſt und die ſo merkwürdigen Hände endlich, deren Mittelfinger ausſieht,
als ob er zuſammengedorrt wäre: dieſe Merkmale insgeſammt verleihen der ganzen Erſcheinung etwas
ſo Eigenthümliches, daß man ſich unwillkürlich den Kopf zermartert, in der fruchtloſen Abſicht, ein
dieſem Thiere verwandtes Geſchöpf aufzufinden.

Es kann für den Thierkundigen, welcher dieſes wunderſame Weſen lebend vor ſich ſieht, gar
keinem Zweifel unterliegen, daß er es mit einem vollendeten Nachtfreunde zu thun hat. Der Aye-Aye
iſt lichtſcheuer, als jedes mir bekannte Säugethier. Ein Nachtaffe läßt ſich wenigſtens erwecken,
tappt herum, ſchaut ſich die helle Tageswelt verwundert an, lauſcht theilnehmend auf das Summen
eines vorüberfliegenden Kerbthieres, leckt und putzt ſich ſogar: der Aye-Aye ſcheint, bei Tage, wenn
man ihn nach vieler Mühe wach gerüttelt, vollkommen geiſtesabweſend zu ſein. Mechaniſch, maſchinen-
artig ſchleppt er ſich wieder ſeinem Dunkelplatze zu, mechaniſch rollt er ſich zuſammen, mechaniſch ver-
hüllt er mit dem dicken Schwanze, den er wie einen Reifen um den Kopf ſchlägt, ſein Geſicht. Er

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[149/0207] Entdeckung und Wiederauffindung. Kennzeichen und Eigenſchaften. auch, ſich an die Baumäſte zu hängen. Die Hinterfüße haben vier mit krummen Klauen verſehene Finger: Der fünfte oder innere bildet den Daumen, und hat einen platten Nagel, gleich den Nägeln des Menſchen. — Der Aye-Aye hat in jeder Kinnlade zween Schneidezähne, die ſehr nahe beyſammen ſtehen, und dem Schnabel eines Papageien ähnlich ſehen: die untern ſind viel ſtärker als die obern. — Er hat große, breite und flache Ohren: Sie ſind ſchwarz, glatt, glänzend, und an der Außenſeite mit langen Haaren beſetzt. — Ueber den Augen und der Naſe, auf den Backen und am Kinn hat er Büſchel von langen Haaren. — Das ganze Thier iſt mit weißfalben Flaumen oder feinen Haaren bewachſen, aus denen große (ſtarke) ſchwarze Haare hervorſtechen. Der Vordertheil des Kopfes und Halſes ſind von falbem Weiß. Der Schwanz iſt platt, buſchig und mit langen Haaren beſetzt. Ob es ſchon ganz ſchwarz ſcheint, ſind die Haare deſſelben doch von ihrer Wurzel an bis zur Mitte ihrer ganzen Länge weiß. — Der Aye-Aye iſt vom Kopf bis zum Schwanz 18 Zoll 6 Linien, und der Schwanz deſſelben 1½ Fuß lang.‟ Ueber Vorkommen und Aufenthalt des Thieres berichtet uns Sonnerat gar Nichts, über ſein Betragen in der Gefangenſchaft ſehr wenig: „Dieſes Thier,‟ ſagt er, „ſcheint von der Art derjenigen zu ſeyn, die ſich in die Erde graben. Bei Tage ſieht es nicht; ſein Aug iſt röthlicht und ſtarr, wie das Aug der Eule. Es iſt ſehr träge, folglich auch ſehr ſanft. Jch hatte ein Männchen und ein Weibchen, aber beyde lebten nicht länger als zween Monate; ich nährte ſie mit gekochtem Reis, und ſie bedienten ſich der dünnen zween Finger ihrer Vorderfüße, wie die Chineſer ihrer Stäbchen. Sie waren ſcheu, furchtſam, liebten ſehr die Wärme, krochen immer zuſammen, um zu ſchlafen, legten ſich auf die Seite und verbargen ihren Kopf zwiſchen den Vorderfüßen. Sie lagen ſtets unbeweglich da; und nur durch vieles Rütteln konnte man ſie dahin bringen, daß ſie ſich regten.‟ Zu meinem innigen Bedauern war mir die Zeit meines Aufenthaltes in London ſo kurz zu- gemeſſen, daß ich dem jetzt dort lebenden Aye-Aye blos einen einzigen Abend widmen durfte. Dieſer eine Abend belehrte mich aber, daß vorſtehende Beſchreibung nicht nur einer Erweiterung, ſondern auch, theilweiſe wenigſtens, der Berichtigung bedarf. Jch nehme an, daß auch der geringſte Beitrag zur Vervollſtändigung der Kunde eines ſo räthſelhaften Geſchöpfes willkommen iſt und will deshalb meine dürftigen Beobachtungen und Das, was ich den Wärtern abfragte, hier kurz zuſammenſtellen. Der Aye-Aye iſt ein höchſt auffallendes Thier. Jch würde ihn, wäre ich ſein Entdecker geweſen, Chiromys paradoxus genannt haben. Daß die Madagaſſen bei ſeinem Anblick Ausrufe der Verwun- derung ausſtießen, wurde mir ſehr erklärlich; ich habe genau daſſelbe gethan. Das Thier hat buchſtäblich mit keinem andern Säuger eine beachtenswerthe Aehnlichkeit. Es erinnert in mancher Hinſicht an die Galagos; doch wird es ſchwerlich einem Forſcher einfallen, es mit dieſen in einer Familie zu vereinigen. Der dicke, breite Kopf mit den großen Ohren, welche den breiten Kopf noch breiter erſcheinen laſſen, die kleinen, gewölbten, ſtarren, regungsloſen, aber glühen- den Augen mit viel kleinerm Stern, als das Nachtaffenauge ihn beſitzt, der Mund, welcher in der That eine gewiſſe Aehnlichkeit mit einem Papageiſchnabel hat, die bedeutende Leibesgröße und der lange Schwanz, welcher, wie der ganze Leib, mit dünn ſtehenden, aber langen, ſteifen, faſt borſten- artigen Grannenhaaren beſetzt iſt und die ſo merkwürdigen Hände endlich, deren Mittelfinger ausſieht, als ob er zuſammengedorrt wäre: dieſe Merkmale insgeſammt verleihen der ganzen Erſcheinung etwas ſo Eigenthümliches, daß man ſich unwillkürlich den Kopf zermartert, in der fruchtloſen Abſicht, ein dieſem Thiere verwandtes Geſchöpf aufzufinden. Es kann für den Thierkundigen, welcher dieſes wunderſame Weſen lebend vor ſich ſieht, gar keinem Zweifel unterliegen, daß er es mit einem vollendeten Nachtfreunde zu thun hat. Der Aye-Aye iſt lichtſcheuer, als jedes mir bekannte Säugethier. Ein Nachtaffe läßt ſich wenigſtens erwecken, tappt herum, ſchaut ſich die helle Tageswelt verwundert an, lauſcht theilnehmend auf das Summen eines vorüberfliegenden Kerbthieres, leckt und putzt ſich ſogar: der Aye-Aye ſcheint, bei Tage, wenn man ihn nach vieler Mühe wach gerüttelt, vollkommen geiſtesabweſend zu ſein. Mechaniſch, maſchinen- artig ſchleppt er ſich wieder ſeinem Dunkelplatze zu, mechaniſch rollt er ſich zuſammen, mechaniſch ver- hüllt er mit dem dicken Schwanze, den er wie einen Reifen um den Kopf ſchlägt, ſein Geſicht. Er

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/207>, abgerufen am 27.11.2024.