nach seinem Wärter; allein einige kleine Züchtigungen reichten hin, solche Ausbrüche seines Zornes zu unterdrücken. Wenn man ihn streichelte, nahm er die ihn liebkosende Hand, drückte sie an seine Brust und richtete die halbgeöffneten Augen gegen seinen Wohlthäter. Mit Einbruch der Nacht wurde er munter. Zuerst rieb er sich die Augen, wie ein schlaftrunkner Mensch; dann sah er sich um und begann umherzustreifen. Er wanderte dabei auch geschickt auf Seilen herum, welche man für ihn ausgespannt hatte. Früchte und Milch genoß er sehr gern; besonders lüstern aber war er nur nach Vögeln und Kerfen. Hielt man ihm zum Spaß solch Wildpret vor, so kam er mit vorsichtigen Schritten heran- geschlichen, oft das ganze Zimmer durch, gerade so, wie Jemand, welcher auf den Zehen geht, um einen Andern zu überraschen. Wenn er sich dann seinem Raube etwa bis auf einen Fuß genähert hatte, blieb er stehen, richtete sich in die Höhe, rückte noch näher heran, streckte sachte die Arme aus, fuhr endlich blitzschnell auf seine Beute los und erdrückte sie in wenigen Augenblicken.
Ein anderer Lori dieser Art, welchen man in Holland lebend beobachtete, wachte erst abends gegen neun Uhr aus seinem Schlummer auf und bewegte sich dann äußerst langsam und gleichförmig, ließ sich auch nicht durch Antreiben zu einer schnellern Bewegung bringen. Wenn er kletterte, ließ er niemals einen Fuß los, bevor er sich mit dem andern wieder fest versichert hatte. Vögel und Kerfe fing er mit großem Geschick; sonst fraß er gekochten Reis, Brod, Eier und Früchte. Seine Stimme, welche man nur nachts hörte, klang kläglich, ungefähr wie Ai, Ai; im Unwillen murmelte oder knurrte er wie ein Eichhörnchen.
Jones hielt einen Tevang während seines Aufenthaltes in Jndien. Das Thier war sehr sanft während der warmen Jahreszeit, änderte aber sein Betragen, nachdem Kälte eingetreten war. Diese verstimmte es sichtlich und machte es bei der unbedeutendsten Veranlassung zornig. Während der heißen Zeit zeigte es sich sehr dankbar, wenn es gebadet wurde, während der kalten Zeit unwillig, sobald man es überhaupt störte. Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang fiel es in Schlaf und rollte sich dabei wie ein Jgel zusammen; eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang erwachte es, leckte und putzte sich nach Katzenart, nahm ein kleines Frühstück, schlummerte noch ein wenig und er- munterte sich erst dann vollständig, wenn die Dämmerung wirklich angebrochen war. Seine gewöhn- liche Nahrung bildeten die süßen Früchte Jndiens mit wenigen Ausnahmen. Es war nicht gefräßig, konnte aber gar nicht genug Heuschrecken oder andere Kerfe bekommen, und stellte ihnen, zumal in der heißen Jahreszeit die ganze Nacht nach. Wenn sich ein Kerbthier in seiner Nähe niederließ, heftete es seine leuchtenden Augen fest auf dasselbe, zog sich dann etwas zurück, sprang plötzlich schnell vor- wärts und fing die Beute mit beiden Händen. Gewöhnlich brachte es seine Speise nur mit einer Hand zum Munde; sonst aber brauchte es seine vier Hände ohne Bevorzugung des vordern Paares. Oft hielt es sich mit einer Hand oben am Käfig, während die drei anderen sich unten Etwas zu thun machten; am liebsten aber hing es sich, den Leib verkehrt, nach unten gerichtet, mit allen vier Händen an das obere Gitter seines Gefängnisses und schwang sich einige Minuten lang hin und her, als ver- suche es, sich die ihm fehlende Bewegung zu verschaffen. Gegen Tagesanbruch schien es am geneig- testen zu sein, mit seinem Wärter zu spielen, und wenn ihm dieser dann seinen Finger gab, leckte und saugte es recht artig daran. Mit Tagesanbruch verloren die Augen ihren Glanz, es wurde ruhiger und bereitete sich nun zu seinem zehn- bis zwölfstündigen Schlafe vor. -- Eines Tages fand man es todt in seiner gewöhnlichen Stellung.
Die einzige Unannehmlichkeit, welche das schmucke Thierchen in der Gefangenschaft verursacht, ist der widerliche Geruch, welchen es verbreitet: man vergißt Dies aber gern über der Freude, welche das so seltne und zarte Geschöpf seinem Herrn bereitet.
Alle die hier mitgetheilten Beobachtungen finden sich bereits in Okens trefflicher Naturgeschichte, welche vor mehr als zwanzig Jahren erschien. Seit dieser Zeit scheint Niemand etwas Wesentliches dazu geliefert zu haben.
Nach Niederschrift des Vorstehenden sah ich den plumpen Lori zu meiner großen Freude lebend im Thiergarten zu Amsterdam, aber leider nur bei Tage. Er zeigte sich jedoch nicht ganz so freundlich,
Die Halbaffen. Kurzfüßer. Loris. — Langfüßer.
nach ſeinem Wärter; allein einige kleine Züchtigungen reichten hin, ſolche Ausbrüche ſeines Zornes zu unterdrücken. Wenn man ihn ſtreichelte, nahm er die ihn liebkoſende Hand, drückte ſie an ſeine Bruſt und richtete die halbgeöffneten Augen gegen ſeinen Wohlthäter. Mit Einbruch der Nacht wurde er munter. Zuerſt rieb er ſich die Augen, wie ein ſchlaftrunkner Menſch; dann ſah er ſich um und begann umherzuſtreifen. Er wanderte dabei auch geſchickt auf Seilen herum, welche man für ihn ausgeſpannt hatte. Früchte und Milch genoß er ſehr gern; beſonders lüſtern aber war er nur nach Vögeln und Kerfen. Hielt man ihm zum Spaß ſolch Wildpret vor, ſo kam er mit vorſichtigen Schritten heran- geſchlichen, oft das ganze Zimmer durch, gerade ſo, wie Jemand, welcher auf den Zehen geht, um einen Andern zu überraſchen. Wenn er ſich dann ſeinem Raube etwa bis auf einen Fuß genähert hatte, blieb er ſtehen, richtete ſich in die Höhe, rückte noch näher heran, ſtreckte ſachte die Arme aus, fuhr endlich blitzſchnell auf ſeine Beute los und erdrückte ſie in wenigen Augenblicken.
Ein anderer Lori dieſer Art, welchen man in Holland lebend beobachtete, wachte erſt abends gegen neun Uhr aus ſeinem Schlummer auf und bewegte ſich dann äußerſt langſam und gleichförmig, ließ ſich auch nicht durch Antreiben zu einer ſchnellern Bewegung bringen. Wenn er kletterte, ließ er niemals einen Fuß los, bevor er ſich mit dem andern wieder feſt verſichert hatte. Vögel und Kerfe fing er mit großem Geſchick; ſonſt fraß er gekochten Reis, Brod, Eier und Früchte. Seine Stimme, welche man nur nachts hörte, klang kläglich, ungefähr wie Ai, Ai; im Unwillen murmelte oder knurrte er wie ein Eichhörnchen.
Jones hielt einen Tevang während ſeines Aufenthaltes in Jndien. Das Thier war ſehr ſanft während der warmen Jahreszeit, änderte aber ſein Betragen, nachdem Kälte eingetreten war. Dieſe verſtimmte es ſichtlich und machte es bei der unbedeutendſten Veranlaſſung zornig. Während der heißen Zeit zeigte es ſich ſehr dankbar, wenn es gebadet wurde, während der kalten Zeit unwillig, ſobald man es überhaupt ſtörte. Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang fiel es in Schlaf und rollte ſich dabei wie ein Jgel zuſammen; eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang erwachte es, leckte und putzte ſich nach Katzenart, nahm ein kleines Frühſtück, ſchlummerte noch ein wenig und er- munterte ſich erſt dann vollſtändig, wenn die Dämmerung wirklich angebrochen war. Seine gewöhn- liche Nahrung bildeten die ſüßen Früchte Jndiens mit wenigen Ausnahmen. Es war nicht gefräßig, konnte aber gar nicht genug Heuſchrecken oder andere Kerfe bekommen, und ſtellte ihnen, zumal in der heißen Jahreszeit die ganze Nacht nach. Wenn ſich ein Kerbthier in ſeiner Nähe niederließ, heftete es ſeine leuchtenden Augen feſt auf daſſelbe, zog ſich dann etwas zurück, ſprang plötzlich ſchnell vor- wärts und fing die Beute mit beiden Händen. Gewöhnlich brachte es ſeine Speiſe nur mit einer Hand zum Munde; ſonſt aber brauchte es ſeine vier Hände ohne Bevorzugung des vordern Paares. Oft hielt es ſich mit einer Hand oben am Käfig, während die drei anderen ſich unten Etwas zu thun machten; am liebſten aber hing es ſich, den Leib verkehrt, nach unten gerichtet, mit allen vier Händen an das obere Gitter ſeines Gefängniſſes und ſchwang ſich einige Minuten lang hin und her, als ver- ſuche es, ſich die ihm fehlende Bewegung zu verſchaffen. Gegen Tagesanbruch ſchien es am geneig- teſten zu ſein, mit ſeinem Wärter zu ſpielen, und wenn ihm dieſer dann ſeinen Finger gab, leckte und ſaugte es recht artig daran. Mit Tagesanbruch verloren die Augen ihren Glanz, es wurde ruhiger und bereitete ſich nun zu ſeinem zehn- bis zwölfſtündigen Schlafe vor. — Eines Tages fand man es todt in ſeiner gewöhnlichen Stellung.
Die einzige Unannehmlichkeit, welche das ſchmucke Thierchen in der Gefangenſchaft verurſacht, iſt der widerliche Geruch, welchen es verbreitet: man vergißt Dies aber gern über der Freude, welche das ſo ſeltne und zarte Geſchöpf ſeinem Herrn bereitet.
Alle die hier mitgetheilten Beobachtungen finden ſich bereits in Okens trefflicher Naturgeſchichte, welche vor mehr als zwanzig Jahren erſchien. Seit dieſer Zeit ſcheint Niemand etwas Weſentliches dazu geliefert zu haben.
Nach Niederſchrift des Vorſtehenden ſah ich den plumpen Lori zu meiner großen Freude lebend im Thiergarten zu Amſterdam, aber leider nur bei Tage. Er zeigte ſich jedoch nicht ganz ſo freundlich,
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[142/0200]
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unterdrücken. Wenn man ihn ſtreichelte, nahm er die ihn liebkoſende Hand, drückte ſie an ſeine Bruſt
und richtete die halbgeöffneten Augen gegen ſeinen Wohlthäter. Mit Einbruch der Nacht wurde er
munter. Zuerſt rieb er ſich die Augen, wie ein ſchlaftrunkner Menſch; dann ſah er ſich um und begann
umherzuſtreifen. Er wanderte dabei auch geſchickt auf Seilen herum, welche man für ihn ausgeſpannt
hatte. Früchte und Milch genoß er ſehr gern; beſonders lüſtern aber war er nur nach Vögeln und
Kerfen. Hielt man ihm zum Spaß ſolch Wildpret vor, ſo kam er mit vorſichtigen Schritten heran-
geſchlichen, oft das ganze Zimmer durch, gerade ſo, wie Jemand, welcher auf den Zehen geht, um
einen Andern zu überraſchen. Wenn er ſich dann ſeinem Raube etwa bis auf einen Fuß genähert
hatte, blieb er ſtehen, richtete ſich in die Höhe, rückte noch näher heran, ſtreckte ſachte die Arme aus,
fuhr endlich blitzſchnell auf ſeine Beute los und erdrückte ſie in wenigen Augenblicken.
Ein anderer Lori dieſer Art, welchen man in Holland lebend beobachtete, wachte erſt abends
gegen neun Uhr aus ſeinem Schlummer auf und bewegte ſich dann äußerſt langſam und gleichförmig,
ließ ſich auch nicht durch Antreiben zu einer ſchnellern Bewegung bringen. Wenn er kletterte,
ließ er niemals einen Fuß los, bevor er ſich mit dem andern wieder feſt verſichert hatte. Vögel und
Kerfe fing er mit großem Geſchick; ſonſt fraß er gekochten Reis, Brod, Eier und Früchte. Seine
Stimme, welche man nur nachts hörte, klang kläglich, ungefähr wie Ai, Ai; im Unwillen murmelte
oder knurrte er wie ein Eichhörnchen.
Jones hielt einen Tevang während ſeines Aufenthaltes in Jndien. Das Thier war ſehr ſanft
während der warmen Jahreszeit, änderte aber ſein Betragen, nachdem Kälte eingetreten war. Dieſe
verſtimmte es ſichtlich und machte es bei der unbedeutendſten Veranlaſſung zornig. Während der
heißen Zeit zeigte es ſich ſehr dankbar, wenn es gebadet wurde, während der kalten Zeit unwillig,
ſobald man es überhaupt ſtörte. Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang fiel es in Schlaf und
rollte ſich dabei wie ein Jgel zuſammen; eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang erwachte es,
leckte und putzte ſich nach Katzenart, nahm ein kleines Frühſtück, ſchlummerte noch ein wenig und er-
munterte ſich erſt dann vollſtändig, wenn die Dämmerung wirklich angebrochen war. Seine gewöhn-
liche Nahrung bildeten die ſüßen Früchte Jndiens mit wenigen Ausnahmen. Es war nicht gefräßig,
konnte aber gar nicht genug Heuſchrecken oder andere Kerfe bekommen, und ſtellte ihnen, zumal in
der heißen Jahreszeit die ganze Nacht nach. Wenn ſich ein Kerbthier in ſeiner Nähe niederließ, heftete
es ſeine leuchtenden Augen feſt auf daſſelbe, zog ſich dann etwas zurück, ſprang plötzlich ſchnell vor-
wärts und fing die Beute mit beiden Händen. Gewöhnlich brachte es ſeine Speiſe nur mit einer
Hand zum Munde; ſonſt aber brauchte es ſeine vier Hände ohne Bevorzugung des vordern Paares.
Oft hielt es ſich mit einer Hand oben am Käfig, während die drei anderen ſich unten Etwas zu thun
machten; am liebſten aber hing es ſich, den Leib verkehrt, nach unten gerichtet, mit allen vier Händen
an das obere Gitter ſeines Gefängniſſes und ſchwang ſich einige Minuten lang hin und her, als ver-
ſuche es, ſich die ihm fehlende Bewegung zu verſchaffen. Gegen Tagesanbruch ſchien es am geneig-
teſten zu ſein, mit ſeinem Wärter zu ſpielen, und wenn ihm dieſer dann ſeinen Finger gab, leckte und
ſaugte es recht artig daran. Mit Tagesanbruch verloren die Augen ihren Glanz, es wurde ruhiger
und bereitete ſich nun zu ſeinem zehn- bis zwölfſtündigen Schlafe vor. — Eines Tages fand man es
todt in ſeiner gewöhnlichen Stellung.
Die einzige Unannehmlichkeit, welche das ſchmucke Thierchen in der Gefangenſchaft verurſacht, iſt
der widerliche Geruch, welchen es verbreitet: man vergißt Dies aber gern über der Freude, welche
das ſo ſeltne und zarte Geſchöpf ſeinem Herrn bereitet.
Alle die hier mitgetheilten Beobachtungen finden ſich bereits in Okens trefflicher Naturgeſchichte,
welche vor mehr als zwanzig Jahren erſchien. Seit dieſer Zeit ſcheint Niemand etwas Weſentliches
dazu geliefert zu haben.
Nach Niederſchrift des Vorſtehenden ſah ich den plumpen Lori zu meiner großen Freude lebend
im Thiergarten zu Amſterdam, aber leider nur bei Tage. Er zeigte ſich jedoch nicht ganz ſo freundlich,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/200>, abgerufen am 16.02.2025.
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