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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Ein Blick auf das Leben der Gesammtheit.
Ausdruck ihres Gesichts ist gräßlich: es ist ein Mittelding zwischen jenem eines Cretins und eines Be-
trunkenen. Wenn man in ihr Auge sieht, so findet man den eigenen Blick bald wie an einer Mauer
abprallen; es ist Nichts, was sich dem Jnnern des Auges zeigt, keine Frage, keine Neugierde, kein Er-
staunen, kein Gedanke; kein Geist bewegt sich darin, -- mit einem Worte: es ist seelenlos. Jhr
Auge trügt nicht: -- es ist leider der treue Spiegel ihres Jnnern. Wie bei einem Thiere hat die Seele
des Neuholländers keinen Aufschwung; nur mit dem leiblichen Leben ist er beschäftigt, nur mit Dem,
was sein Körper bedarf. Hat nun die Natur diese ihre Stiefkinder einerseits blos auf die seelenlosen
Freuden des Körpers angewiesen, so hat sie ihnen anderseits nicht die Möglichkeit gegeben, ihre Wünsche
zu befriedigen, kaum ihren Unterhalt zu finden, ja, nicht einmal den Jnstinkt der Vorsicht, wie es bei
manchen Thieren der Fall ist, welche sich Vorräthe anlegen. Und wie nöthig wäre Dies gerade hier; denn
Neuholland erzeugt keine eßbare Frucht, keine Pflanze, welche zum Genusse, keinen genießbaren Samen,
keine Körnerfrucht, kein eßbares Knellengewächs, welche zum Anbau tauglich wären, kein vierfüßiges
Thier, welches als Hausthier gebraucht werden könnte, keines, welches Milch gibt, kein sich schnell
vermehrendes, kein Huhn. Schöne und wunderbare Pflanzen, außerordentliche Thierformen, --
allein Nichts, was für die Bedürfnisse des Menschen dienen kann. Geschmückt, wie der herrlichste Gar-
ten, in welchem der Gärtner jede Pflanze zum Liebling erkoren hat, breitet sich das Land unabsehbar
vor dem staunenden Fremdlinge aus: kräftig und unberührt von Menschen und Thieren ist Wald und
Flur; kein Fußpfad schlängelt sich durch den bunten Teppich der Wiesen, keine Spur des Wildes erspäht
der Blick. Es ist, als sei Nenholland nur für die Pflanzenwelt erschaffen. Jhre Formen sind edel und
schön, -- von Menschen und Thieren hat die Natur nur Zerrbilder geliefert."

Die Familienbande unter dem Urvolk Neuhollands sind lose: es gibt unter ihm keine engeren
Verbindungen, als die einer Horde. Wie ein Rudel wilder Thiere durchziehen die Neuholländer in
der jeder Horde gehörigen Gegend das Land, ohne ein Dorf, ohne ein Haus, ohne eine Hütte, ohne
ein Zelt zu besitzen. Keine Höhle, keine Grube schützt sie gegen das Wetter, nicht einmal Kleidung; von
keinem Anbau, von keinem Herde ist die Rede: -- auf solch einer niederen Stufe der Menschheit steht
der Neuholländer. Und dennoch! sollte man es glauben, ist es noch ein Schritt weiter, bis der
Uebergang des Menschen zum Thiere fast unmerklich ist. Diese niedrigste Menschengattung bewohnt
manche Gebirgsgegenden Jndiens; es ist ein Stamm, welcher unstreitig zu derselben Rasse, wie der
Neuholländer gehört; allein jener Jndianer hat es nicht bis zur Bildung einer Horde gebracht, kaum
eine Familie findet man vereinigt; -- Mann und Frau leben einzeln und flüchten affenähnlich auf die
Bäume, wenn man ihnen zufällig begegnet."

Auch diese hier geschilderten Geschöpfe heißen und sind Menschen; auch sie muß man in den
Kreis der Betrachtung ziehen, wenn man den Menschen mit dem Thiere vergleichen oder ihn von demselben
trennen will. Bei ihnen gilt die so beliebte Auffassung des Menschen vom Standpunkte der Gottesgelehr-
ten nicht mehr; auf ihren Leib sind die Worte der Bibel kaum mehr anwendbar, und ihr Verstand er-
reicht die Ausbildung nicht, daß wir von ihm und der Vernunft als Gegensätzen reden könnten. Und
dennoch stehen sie noch immer hoch über den Thieren: die ebenmäßige, einhellige Ausbildung
des Leibes allein schon ist es, welche ihnen ihre Stellung sichert. Durch sie, durch die
ihm gewordene Vollendung der thierischen Gestalt, unterscheidet sich auch der thier-
ähnlichste Mensch noch immer unendlich weit von dem menschenähnlichsten Thiere.
Und
so mag es erlaubt sein, von dem Menschen im Gegensatze zum Thiere zu reden; so mag es gerecht-
fertigt erscheinen, wenn ich hier die erste Ordnung der Klasse, welche wir im Nachstehenden betrachten
wollen, ganz überspringe oder höchstens hier und da berücksichtige, wo wir vergleichen müssen. Unser Buch
überläßt den Menschen Denen, welche berufen sind, ihn so ausführlich zu behandeln, als er behandelt
sein muß, und beschäftigt sich dafür ausschließlich mit den Säugethieren von der zweiten Ordnung an.

Der Altvater der Thierkunde, Linne, einer der größten Naturforscher aller Zeiten und
"das Haupt aller früheren, gegenwärtigen und zukünstigen Jünger der Wissenschaft," theilte in seinem
unsterblichen Werke "Systema naturae" die Thiere in sechs Klassen ein: in Säugethiere, Vögel,
Lurche, Fische, Kerbthiere
und Würmer. Er vereinigte somit in den beiden letzten Klassen
so viele verschieden gebaute und gebildete Geschöpfe, daß seine ausgezeichnete Arbeit doch nur für die
Zeiten der Kindheit unserer Wissenschaft giltig sein konnte. Viele Forscher versuchten es nach ihm,
diese Eintheilung zu berichtigen, bis endlich Cuvier im Jahre 1829 die beiden durchgreifenden Gegen-

Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
Ausdruck ihres Geſichts iſt gräßlich: es iſt ein Mittelding zwiſchen jenem eines Cretins und eines Be-
trunkenen. Wenn man in ihr Auge ſieht, ſo findet man den eigenen Blick bald wie an einer Mauer
abprallen; es iſt Nichts, was ſich dem Jnnern des Auges zeigt, keine Frage, keine Neugierde, kein Er-
ſtaunen, kein Gedanke; kein Geiſt bewegt ſich darin, — mit einem Worte: es iſt ſeelenlos. Jhr
Auge trügt nicht: — es iſt leider der treue Spiegel ihres Jnnern. Wie bei einem Thiere hat die Seele
des Neuholländers keinen Aufſchwung; nur mit dem leiblichen Leben iſt er beſchäftigt, nur mit Dem,
was ſein Körper bedarf. Hat nun die Natur dieſe ihre Stiefkinder einerſeits blos auf die ſeelenloſen
Freuden des Körpers angewieſen, ſo hat ſie ihnen anderſeits nicht die Möglichkeit gegeben, ihre Wünſche
zu befriedigen, kaum ihren Unterhalt zu finden, ja, nicht einmal den Jnſtinkt der Vorſicht, wie es bei
manchen Thieren der Fall iſt, welche ſich Vorräthe anlegen. Und wie nöthig wäre Dies gerade hier; denn
Neuholland erzeugt keine eßbare Frucht, keine Pflanze, welche zum Genuſſe, keinen genießbaren Samen,
keine Körnerfrucht, kein eßbares Knellengewächs, welche zum Anbau tauglich wären, kein vierfüßiges
Thier, welches als Hausthier gebraucht werden könnte, keines, welches Milch gibt, kein ſich ſchnell
vermehrendes, kein Huhn. Schöne und wunderbare Pflanzen, außerordentliche Thierformen, —
allein Nichts, was für die Bedürfniſſe des Menſchen dienen kann. Geſchmückt, wie der herrlichſte Gar-
ten, in welchem der Gärtner jede Pflanze zum Liebling erkoren hat, breitet ſich das Land unabſehbar
vor dem ſtaunenden Fremdlinge aus: kräftig und unberührt von Menſchen und Thieren iſt Wald und
Flur; kein Fußpfad ſchlängelt ſich durch den bunten Teppich der Wieſen, keine Spur des Wildes erſpäht
der Blick. Es iſt, als ſei Nenholland nur für die Pflanzenwelt erſchaffen. Jhre Formen ſind edel und
ſchön, — von Menſchen und Thieren hat die Natur nur Zerrbilder geliefert.‟

Die Familienbande unter dem Urvolk Neuhollands ſind loſe: es gibt unter ihm keine engeren
Verbindungen, als die einer Horde. Wie ein Rudel wilder Thiere durchziehen die Neuholländer in
der jeder Horde gehörigen Gegend das Land, ohne ein Dorf, ohne ein Haus, ohne eine Hütte, ohne
ein Zelt zu beſitzen. Keine Höhle, keine Grube ſchützt ſie gegen das Wetter, nicht einmal Kleidung; von
keinem Anbau, von keinem Herde iſt die Rede: — auf ſolch einer niederen Stufe der Menſchheit ſteht
der Neuholländer. Und dennoch! ſollte man es glauben, iſt es noch ein Schritt weiter, bis der
Uebergang des Menſchen zum Thiere faſt unmerklich iſt. Dieſe niedrigſte Menſchengattung bewohnt
manche Gebirgsgegenden Jndiens; es iſt ein Stamm, welcher unſtreitig zu derſelben Raſſe, wie der
Neuholländer gehört; allein jener Jndianer hat es nicht bis zur Bildung einer Horde gebracht, kaum
eine Familie findet man vereinigt; — Mann und Frau leben einzeln und flüchten affenähnlich auf die
Bäume, wenn man ihnen zufällig begegnet.‟

Auch dieſe hier geſchilderten Geſchöpfe heißen und ſind Menſchen; auch ſie muß man in den
Kreis der Betrachtung ziehen, wenn man den Menſchen mit dem Thiere vergleichen oder ihn von demſelben
trennen will. Bei ihnen gilt die ſo beliebte Auffaſſung des Menſchen vom Standpunkte der Gottesgelehr-
ten nicht mehr; auf ihren Leib ſind die Worte der Bibel kaum mehr anwendbar, und ihr Verſtand er-
reicht die Ausbildung nicht, daß wir von ihm und der Vernunft als Gegenſätzen reden könnten. Und
dennoch ſtehen ſie noch immer hoch über den Thieren: die ebenmäßige, einhellige Ausbildung
des Leibes allein ſchon iſt es, welche ihnen ihre Stellung ſichert. Durch ſie, durch die
ihm gewordene Vollendung der thieriſchen Geſtalt, unterſcheidet ſich auch der thier-
ähnlichſte Menſch noch immer unendlich weit von dem menſchenähnlichſten Thiere.
Und
ſo mag es erlaubt ſein, von dem Menſchen im Gegenſatze zum Thiere zu reden; ſo mag es gerecht-
fertigt erſcheinen, wenn ich hier die erſte Ordnung der Klaſſe, welche wir im Nachſtehenden betrachten
wollen, ganz überſpringe oder höchſtens hier und da berückſichtige, wo wir vergleichen müſſen. Unſer Buch
überläßt den Menſchen Denen, welche berufen ſind, ihn ſo ausführlich zu behandeln, als er behandelt
ſein muß, und beſchäftigt ſich dafür ausſchließlich mit den Säugethieren von der zweiten Ordnung an.

Der Altvater der Thierkunde, Linné, einer der größten Naturforſcher aller Zeiten und
„das Haupt aller früheren, gegenwärtigen und zukünſtigen Jünger der Wiſſenſchaft,‟ theilte in ſeinem
unſterblichen Werke „Systema naturae‟ die Thiere in ſechs Klaſſen ein: in Säugethiere, Vögel,
Lurche, Fiſche, Kerbthiere
und Würmer. Er vereinigte ſomit in den beiden letzten Klaſſen
ſo viele verſchieden gebaute und gebildete Geſchöpfe, daß ſeine ausgezeichnete Arbeit doch nur für die
Zeiten der Kindheit unſerer Wiſſenſchaft giltig ſein konnte. Viele Forſcher verſuchten es nach ihm,
dieſe Eintheilung zu berichtigen, bis endlich Cuvier im Jahre 1829 die beiden durchgreifenden Gegen-

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Bei ihnen gilt die ſo beliebte Auffaſſung des Menſchen vom Standpunkte der Gottesgelehr- ten nicht mehr; auf ihren Leib ſind die Worte der Bibel kaum mehr anwendbar, und ihr Verſtand er- reicht die Ausbildung nicht, daß wir von ihm und der Vernunft als Gegenſätzen reden könnten. Und dennoch ſtehen ſie noch immer hoch über den Thieren: die ebenmäßige, einhellige Ausbildung des Leibes allein ſchon iſt es, welche ihnen ihre Stellung ſichert. Durch ſie, durch die ihm gewordene Vollendung der thieriſchen Geſtalt, unterſcheidet ſich auch der thier- ähnlichſte Menſch noch immer unendlich weit von dem menſchenähnlichſten Thiere. Und ſo mag es erlaubt ſein, von dem Menſchen im Gegenſatze zum Thiere zu reden; ſo mag es gerecht- fertigt erſcheinen, wenn ich hier die erſte Ordnung der Klaſſe, welche wir im Nachſtehenden betrachten wollen, ganz überſpringe oder höchſtens hier und da berückſichtige, wo wir vergleichen müſſen. Unſer Buch überläßt den Menſchen Denen, welche berufen ſind, ihn ſo ausführlich zu behandeln, als er behandelt ſein muß, und beſchäftigt ſich dafür ausſchließlich mit den Säugethieren von der zweiten Ordnung an. Der Altvater der Thierkunde, Linné, einer der größten Naturforſcher aller Zeiten und „das Haupt aller früheren, gegenwärtigen und zukünſtigen Jünger der Wiſſenſchaft,‟ theilte in ſeinem unſterblichen Werke „Systema naturae‟ die Thiere in ſechs Klaſſen ein: in Säugethiere, Vögel, Lurche, Fiſche, Kerbthiere und Würmer. Er vereinigte ſomit in den beiden letzten Klaſſen ſo viele verſchieden gebaute und gebildete Geſchöpfe, daß ſeine ausgezeichnete Arbeit doch nur für die Zeiten der Kindheit unſerer Wiſſenſchaft giltig ſein konnte. Viele Forſcher verſuchten es nach ihm, dieſe Eintheilung zu berichtigen, bis endlich Cuvier im Jahre 1829 die beiden durchgreifenden Gegen-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. X[X]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/20>, abgerufen am 23.11.2024.