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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Jhre Sitten und ihre Jagd. Gefangenleben.

"Mein Gefangener schlief den ganzen Tag in der sonderbaren Stellung, welche ich hier dar-
gestellt habe; er faßte dabei seine Stange mit allen Händen, krümmte sich zu einem weichbehaarten
Ball zusammen und verbarg seinen Kopf tief zwischen seinen Beinen."

"Die merkwürdig großen und lebendigen Augen der Loris haben die Aufmerksamkeit der
Singhalesen erregt. Sie fangen den Theivangu seiner Augen wegen, aus denen sie Zauber- und
Liebesmittel zu bereiten glauben, und halten das arme Geschöpf aus Feuer, bis die Augäpfel bersten!"

Ein anderer Lori, der plumpe (Stenops tardigradus), ist etwas mehr bekannt geworden,
wahrscheinlich, weil er häufiger und verbreiteter ist, als sein schlanker Vetter. Soviel man weiß,
bewohnt der plumpe Lori die Waldungen des indischen Festlandes und die Sundainseln, wenigstens
Sumatra. Jn Ostindien heißt er Tonger oder Schläfer, und Tevang oder Schleicher; unter den

[Abbildung] Der plumpe Lori (Stenops tardigradus).
Hindus Lajja-Banar und auf Sumatra Bruh-Sa-
mundi.
Er ist größer und untersetzter gebaut, als sein
Verwandter; seine Leibeslänge beträgt etwas über einen
Fuß. Der Kopf ist rund, die Schnauze stumpf, und die
Nase springt nicht über die Mundöffnung vor; die eiför-
migen Ohren sind im Pelze versteckt. Gesicht und Hände
sind blos mit dünnstehenden Haaren besetzt; im Uebrigen ist
der Pelz dicht und weich, fast filzartig und oben bräunlich-
gelb, unten heller, an der Außenseite aber röthlich gefärbt.
Ueber den Rücken verläuft ein rostbrauner Streifen, welcher
sich auch über die Stirn, aber getheilt fortsetzt und durch
weiße Streifen unterbrochen wird.

Der plumpe Lori ist ein überall seltner Bewohner der
einsamsten Wälder seiner Heimat. Er lebt in kleinen
Familien zusammen, welche den Tag in Baumlöchern ver-
schlafen, nach Einbruch der Dämmerung munter werden
und nunmehr ihrer Nahrung nachgehen. Jn der Freiheit
ist das Thierchen von Europäern noch nicht beobachtet
worden; dagegen hat man es sehr oft zahm gehalten, auch
einige Male lebend nach Europa gebracht. Die Reisenden
Obsonville, Seba und Jones haben das Beste über
sein Leben berichtet. Der Tevang verdient seinen Namen.
Er schleicht so langsam dahin, daß er in einer Minute
kaum mehr als vier Klaftern zurücklegt. Höchst selten geht
er ein paar Schritte weit aufrecht, sonst immer nur auf
allen Vieren. Das Klettern versteht er besser; seine Trägheit ist aber auch hierbei sehr auffallend.
Gegen das Tageslicht ist er äußerst empfindlich; nachts aber sieht er vortrefflich und seine bei Tage
glanzlosen Augen leuchten dann. Sein Gehör ist so fein, daß er, auch wenn er schläft, augenblicklich
das Geräusch eines sich ihm nähernden Kerbthieres wahrnimmt und davon erweckt wird. Kerfe und
kleine Vögel versteht er meisterhaft zu beschleichen und dann mit einem einzigen, blitzschnellen Griffe zu
erhaschen. Seine gewöhnliche Stimme besteht in einem sanften Pfeifen, welches aber verschieden ist,
je nachdem es Vergnügen, Schmerz, Aerger oder Ungeduld ausdrücken soll; im Zorn läßt er durch-
dringende Töne vernehmen.

Die gefangenen Tevangs waren still, geduldig und schwermüthig. Sie ruhten den ganzen
Tag über in kauernder Stellung und stützten den Kopf auf ihre zusammengelegten Hände. Der
eine war anfangs mit einem Strick angebunden und hob ihn mehrere Male mit trauriger Geberde
auf, als klage er über seine Fesseln: sie zu brechen, versuchte er nicht. Er biß in der ersten Zeit

Jhre Sitten und ihre Jagd. Gefangenleben.

„Mein Gefangener ſchlief den ganzen Tag in der ſonderbaren Stellung, welche ich hier dar-
geſtellt habe; er faßte dabei ſeine Stange mit allen Händen, krümmte ſich zu einem weichbehaarten
Ball zuſammen und verbarg ſeinen Kopf tief zwiſchen ſeinen Beinen.‟

„Die merkwürdig großen und lebendigen Augen der Loris haben die Aufmerkſamkeit der
Singhaleſen erregt. Sie fangen den Theivangu ſeiner Augen wegen, aus denen ſie Zauber- und
Liebesmittel zu bereiten glauben, und halten das arme Geſchöpf aus Feuer, bis die Augäpfel berſten!‟

Ein anderer Lori, der plumpe (Stenops tardigradus), iſt etwas mehr bekannt geworden,
wahrſcheinlich, weil er häufiger und verbreiteter iſt, als ſein ſchlanker Vetter. Soviel man weiß,
bewohnt der plumpe Lori die Waldungen des indiſchen Feſtlandes und die Sundainſeln, wenigſtens
Sumatra. Jn Oſtindien heißt er Tonger oder Schläfer, und Tevang oder Schleicher; unter den

[Abbildung] Der plumpe Lori (Stenops tardigradus).
Hindus Lajja-Banar und auf Sumatra Bruh-Sa-
mundi.
Er iſt größer und unterſetzter gebaut, als ſein
Verwandter; ſeine Leibeslänge beträgt etwas über einen
Fuß. Der Kopf iſt rund, die Schnauze ſtumpf, und die
Naſe ſpringt nicht über die Mundöffnung vor; die eiför-
migen Ohren ſind im Pelze verſteckt. Geſicht und Hände
ſind blos mit dünnſtehenden Haaren beſetzt; im Uebrigen iſt
der Pelz dicht und weich, faſt filzartig und oben bräunlich-
gelb, unten heller, an der Außenſeite aber röthlich gefärbt.
Ueber den Rücken verläuft ein roſtbrauner Streifen, welcher
ſich auch über die Stirn, aber getheilt fortſetzt und durch
weiße Streifen unterbrochen wird.

Der plumpe Lori iſt ein überall ſeltner Bewohner der
einſamſten Wälder ſeiner Heimat. Er lebt in kleinen
Familien zuſammen, welche den Tag in Baumlöchern ver-
ſchlafen, nach Einbruch der Dämmerung munter werden
und nunmehr ihrer Nahrung nachgehen. Jn der Freiheit
iſt das Thierchen von Europäern noch nicht beobachtet
worden; dagegen hat man es ſehr oft zahm gehalten, auch
einige Male lebend nach Europa gebracht. Die Reiſenden
Obſonville, Seba und Jones haben das Beſte über
ſein Leben berichtet. Der Tevang verdient ſeinen Namen.
Er ſchleicht ſo langſam dahin, daß er in einer Minute
kaum mehr als vier Klaftern zurücklegt. Höchſt ſelten geht
er ein paar Schritte weit aufrecht, ſonſt immer nur auf
allen Vieren. Das Klettern verſteht er beſſer; ſeine Trägheit iſt aber auch hierbei ſehr auffallend.
Gegen das Tageslicht iſt er äußerſt empfindlich; nachts aber ſieht er vortrefflich und ſeine bei Tage
glanzloſen Augen leuchten dann. Sein Gehör iſt ſo fein, daß er, auch wenn er ſchläft, augenblicklich
das Geräuſch eines ſich ihm nähernden Kerbthieres wahrnimmt und davon erweckt wird. Kerfe und
kleine Vögel verſteht er meiſterhaft zu beſchleichen und dann mit einem einzigen, blitzſchnellen Griffe zu
erhaſchen. Seine gewöhnliche Stimme beſteht in einem ſanften Pfeifen, welches aber verſchieden iſt,
je nachdem es Vergnügen, Schmerz, Aerger oder Ungeduld ausdrücken ſoll; im Zorn läßt er durch-
dringende Töne vernehmen.

Die gefangenen Tevangs waren ſtill, geduldig und ſchwermüthig. Sie ruhten den ganzen
Tag über in kauernder Stellung und ſtützten den Kopf auf ihre zuſammengelegten Hände. Der
eine war anfangs mit einem Strick angebunden und hob ihn mehrere Male mit trauriger Geberde
auf, als klage er über ſeine Feſſeln: ſie zu brechen, verſuchte er nicht. Er biß in der erſten Zeit

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[141/0199] Jhre Sitten und ihre Jagd. Gefangenleben. „Mein Gefangener ſchlief den ganzen Tag in der ſonderbaren Stellung, welche ich hier dar- geſtellt habe; er faßte dabei ſeine Stange mit allen Händen, krümmte ſich zu einem weichbehaarten Ball zuſammen und verbarg ſeinen Kopf tief zwiſchen ſeinen Beinen.‟ „Die merkwürdig großen und lebendigen Augen der Loris haben die Aufmerkſamkeit der Singhaleſen erregt. Sie fangen den Theivangu ſeiner Augen wegen, aus denen ſie Zauber- und Liebesmittel zu bereiten glauben, und halten das arme Geſchöpf aus Feuer, bis die Augäpfel berſten!‟ Ein anderer Lori, der plumpe (Stenops tardigradus), iſt etwas mehr bekannt geworden, wahrſcheinlich, weil er häufiger und verbreiteter iſt, als ſein ſchlanker Vetter. Soviel man weiß, bewohnt der plumpe Lori die Waldungen des indiſchen Feſtlandes und die Sundainſeln, wenigſtens Sumatra. Jn Oſtindien heißt er Tonger oder Schläfer, und Tevang oder Schleicher; unter den [Abbildung Der plumpe Lori (Stenops tardigradus).] Hindus Lajja-Banar und auf Sumatra Bruh-Sa- mundi. Er iſt größer und unterſetzter gebaut, als ſein Verwandter; ſeine Leibeslänge beträgt etwas über einen Fuß. Der Kopf iſt rund, die Schnauze ſtumpf, und die Naſe ſpringt nicht über die Mundöffnung vor; die eiför- migen Ohren ſind im Pelze verſteckt. Geſicht und Hände ſind blos mit dünnſtehenden Haaren beſetzt; im Uebrigen iſt der Pelz dicht und weich, faſt filzartig und oben bräunlich- gelb, unten heller, an der Außenſeite aber röthlich gefärbt. Ueber den Rücken verläuft ein roſtbrauner Streifen, welcher ſich auch über die Stirn, aber getheilt fortſetzt und durch weiße Streifen unterbrochen wird. Der plumpe Lori iſt ein überall ſeltner Bewohner der einſamſten Wälder ſeiner Heimat. Er lebt in kleinen Familien zuſammen, welche den Tag in Baumlöchern ver- ſchlafen, nach Einbruch der Dämmerung munter werden und nunmehr ihrer Nahrung nachgehen. Jn der Freiheit iſt das Thierchen von Europäern noch nicht beobachtet worden; dagegen hat man es ſehr oft zahm gehalten, auch einige Male lebend nach Europa gebracht. Die Reiſenden Obſonville, Seba und Jones haben das Beſte über ſein Leben berichtet. Der Tevang verdient ſeinen Namen. Er ſchleicht ſo langſam dahin, daß er in einer Minute kaum mehr als vier Klaftern zurücklegt. Höchſt ſelten geht er ein paar Schritte weit aufrecht, ſonſt immer nur auf allen Vieren. Das Klettern verſteht er beſſer; ſeine Trägheit iſt aber auch hierbei ſehr auffallend. Gegen das Tageslicht iſt er äußerſt empfindlich; nachts aber ſieht er vortrefflich und ſeine bei Tage glanzloſen Augen leuchten dann. Sein Gehör iſt ſo fein, daß er, auch wenn er ſchläft, augenblicklich das Geräuſch eines ſich ihm nähernden Kerbthieres wahrnimmt und davon erweckt wird. Kerfe und kleine Vögel verſteht er meiſterhaft zu beſchleichen und dann mit einem einzigen, blitzſchnellen Griffe zu erhaſchen. Seine gewöhnliche Stimme beſteht in einem ſanften Pfeifen, welches aber verſchieden iſt, je nachdem es Vergnügen, Schmerz, Aerger oder Ungeduld ausdrücken ſoll; im Zorn läßt er durch- dringende Töne vernehmen. Die gefangenen Tevangs waren ſtill, geduldig und ſchwermüthig. Sie ruhten den ganzen Tag über in kauernder Stellung und ſtützten den Kopf auf ihre zuſammengelegten Hände. Der eine war anfangs mit einem Strick angebunden und hob ihn mehrere Male mit trauriger Geberde auf, als klage er über ſeine Feſſeln: ſie zu brechen, verſuchte er nicht. Er biß in der erſten Zeit

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/199>, abgerufen am 23.11.2024.