Die Mütter hatten ihre Noth mit den Kindern, welchen nach den süßen Früchten gelüstete. An- fangs schoben sie ihre Sprößlinge noch langsam mit der Hand weg, später zeigten sie ihre Ungeduld durch Grunzen, dann faßten sie das ungehorsame Kind bei dem Kopfe und stießen es mit Gewalt auf den Rücken zurück. Sobald sie sich aber gesättigt hatten, zogen sie das Junge wieder sachte hervor und legten es an die Brust. Die Mutterliebe zeigte sich durch die große Sorgfalt, mit welcher jede Alte ihr Junges behandelte, durch das Anlegen desselben an die Brust, durch beständiges Beobachten, durch das Absuchen seiner Haut und durch die Drohungen gegen die übrigen Affen, welche sich ihm nahten. Als die Jungen der drei Mütter gesogen hatten, kehrten zwei der größeren auf den Rücken ihrer Pflegerinnen zurück, das kleinste und schwächste aber blieb seiner Mutter an der Brust hängen. Die Bewegungen der Jungen waren weder leicht noch gefällig, sondern plump und unbeholfen, und die Thierchen waren sehr schläfrig.
Ein anderes Mal stieß Reugger auf eine Affenfamilie, welche sich eben anschickte, ein dicht am Walde gelegenes Maisfeld zu plündern. Sie stiegen sachte, sorgfältig sich umsehend, von einem Baume herab, brachen sich zwei oder drei Fruchtkolben ab und kehrten, dieselben mit der Hand an die Brust drückend, so schnell als möglich in den Wald zurück, um daselbst ihre Beute zu verzehren. Als Reugger sich zeigte, floh der ganze Trupp mit krächzendem Geschrei durch die Gipfel der Bäume; jeder aber nahm wenigstens einen Kolben mit sich weg. Reugger schoß nun auf die Fliehenden und sah ein Weibchen mit einem Säugling auf dem Rücken von einem Aste zum andern stürzen. Schon glaubte er, es in seine Gewalt bekommen zu haben, als es, schon mit dem Tode ringend, sich noch mit dem Schwanze um einen Ast schlang und an ihm wohl eine Viertelstunde hängen blieb, bis der Schwanz schlaff wurde und sich durch das Gewicht des Affen aufrollte. Das Junge hatte seine Mutter nicht verlassen, sich vielmehr, obgleich einige Unruhe zeigend, fest an sie angeklammert. Nach- dem sie erstarrt und es von der Mutter gedrückt worden war, suchte das arme verwaiste Thierchen die- selbe noch mit kläglichen Tönen zu rufen und kroch nach ihr hin, sobald es freigelassen wurde. Erst nach einigen Stunden, bei eingetretener Todeskälte, schien es dem Säugling vor seiner Mutter zu grauen, und er blieb willig in der Busentasche seines nunmehrigen Beschützers sitzen.
Unser Berichterstatter sagt, daß auch in der Familie des Cay die Zahl der Weibchen die der Männchen überträfe, und vermuthet wohl mit vollstem Recht, daß dieser Affe in Vielweiberei lebe. Jm Januar wirft das Weibchen ein Junges und trägt es die ersten Wochen an der Brust, später aber auf dem Rücken. Niemals verläßt die Mutter ihr Kind, nicht einmal, wenn sie verwundet wird. Rengger beobachtete zwar, daß ein Weibchen, welchem sein Jagdgefährte den einen Schenkel durch einen Schuß zerschmettert hatte, seinen Säugling von der Brust riß und auf einen Ast setzte; doch ist wohl wahrscheinlich, daß das mehr deshalb geschah, um den Säugling der Gefahr zu entrücken, als um sich selbst eine Erleichterung zu verschaffen.
Der junge Cay wird häufig eingefangen und gezähmt; alte lassen sich nicht an die Gefangen- schaft gewöhnen: sie werden traurig, verschmähen, Nahrung zu sich zu nehmen, lassen sich niemals zähmen und sterben gewöhnlich nach wenig Wochen. Der junge Cay dagegen vergißt leicht seine Freiheit, schließt sich an den Menschen an und theilt sehr bald, wie viele andere Affen, mit dem Menschen Speisen und Getränke. Er hat, wie alle seiner Gattung Verwandten, ein sanftes Aus- sehen, welches mit seiner großen Gewandtheit nicht im Einklange zu stehen scheint. Gewöhnlich stellt er sich auf alle vier Hände und streckt dabei den am Ende etwas eingerollten Schwanz aus. Der Gang auf ebenem Boden ist sehr verschieden, bald im Schritt, bald im Trapp, bald ein Hüpfen oder endlich ein Springen. Auf den Hinterfüßen geht er aus eigenem Antriebe höchstens drei oder vier Schritt weit; doch zwingt man ihn zum aufrechten Gang, indem man ihm die Vorderhände auf den Rücken bindet; Anfangs fällt er freilich oft auf das Gesicht und muß deshalb durch eine Schnur hinten gehalten werden. Zum Schlafen rollt er sich zusammen und bedeckt das Gesicht mit dem Arme und dem Schwanze. Er schläft des Nachts, und wenn die Hitze groß ist, in den Mittags- stunden; die übrige Tageszeit ist er in beständiger Bewegung.
Die Affen. Rollaffen. — Cay.
Die Mütter hatten ihre Noth mit den Kindern, welchen nach den ſüßen Früchten gelüſtete. An- fangs ſchoben ſie ihre Sprößlinge noch langſam mit der Hand weg, ſpäter zeigten ſie ihre Ungeduld durch Grunzen, dann faßten ſie das ungehorſame Kind bei dem Kopfe und ſtießen es mit Gewalt auf den Rücken zurück. Sobald ſie ſich aber geſättigt hatten, zogen ſie das Junge wieder ſachte hervor und legten es an die Bruſt. Die Mutterliebe zeigte ſich durch die große Sorgfalt, mit welcher jede Alte ihr Junges behandelte, durch das Anlegen deſſelben an die Bruſt, durch beſtändiges Beobachten, durch das Abſuchen ſeiner Haut und durch die Drohungen gegen die übrigen Affen, welche ſich ihm nahten. Als die Jungen der drei Mütter geſogen hatten, kehrten zwei der größeren auf den Rücken ihrer Pflegerinnen zurück, das kleinſte und ſchwächſte aber blieb ſeiner Mutter an der Bruſt hängen. Die Bewegungen der Jungen waren weder leicht noch gefällig, ſondern plump und unbeholfen, und die Thierchen waren ſehr ſchläfrig.
Ein anderes Mal ſtieß Reugger auf eine Affenfamilie, welche ſich eben anſchickte, ein dicht am Walde gelegenes Maisfeld zu plündern. Sie ſtiegen ſachte, ſorgfältig ſich umſehend, von einem Baume herab, brachen ſich zwei oder drei Fruchtkolben ab und kehrten, dieſelben mit der Hand an die Bruſt drückend, ſo ſchnell als möglich in den Wald zurück, um daſelbſt ihre Beute zu verzehren. Als Reugger ſich zeigte, floh der ganze Trupp mit krächzendem Geſchrei durch die Gipfel der Bäume; jeder aber nahm wenigſtens einen Kolben mit ſich weg. Reugger ſchoß nun auf die Fliehenden und ſah ein Weibchen mit einem Säugling auf dem Rücken von einem Aſte zum andern ſtürzen. Schon glaubte er, es in ſeine Gewalt bekommen zu haben, als es, ſchon mit dem Tode ringend, ſich noch mit dem Schwanze um einen Aſt ſchlang und an ihm wohl eine Viertelſtunde hängen blieb, bis der Schwanz ſchlaff wurde und ſich durch das Gewicht des Affen aufrollte. Das Junge hatte ſeine Mutter nicht verlaſſen, ſich vielmehr, obgleich einige Unruhe zeigend, feſt an ſie angeklammert. Nach- dem ſie erſtarrt und es von der Mutter gedrückt worden war, ſuchte das arme verwaiſte Thierchen die- ſelbe noch mit kläglichen Tönen zu rufen und kroch nach ihr hin, ſobald es freigelaſſen wurde. Erſt nach einigen Stunden, bei eingetretener Todeskälte, ſchien es dem Säugling vor ſeiner Mutter zu grauen, und er blieb willig in der Buſentaſche ſeines nunmehrigen Beſchützers ſitzen.
Unſer Berichterſtatter ſagt, daß auch in der Familie des Cay die Zahl der Weibchen die der Männchen überträfe, und vermuthet wohl mit vollſtem Recht, daß dieſer Affe in Vielweiberei lebe. Jm Januar wirft das Weibchen ein Junges und trägt es die erſten Wochen an der Bruſt, ſpäter aber auf dem Rücken. Niemals verläßt die Mutter ihr Kind, nicht einmal, wenn ſie verwundet wird. Rengger beobachtete zwar, daß ein Weibchen, welchem ſein Jagdgefährte den einen Schenkel durch einen Schuß zerſchmettert hatte, ſeinen Säugling von der Bruſt riß und auf einen Aſt ſetzte; doch iſt wohl wahrſcheinlich, daß das mehr deshalb geſchah, um den Säugling der Gefahr zu entrücken, als um ſich ſelbſt eine Erleichterung zu verſchaffen.
Der junge Cay wird häufig eingefangen und gezähmt; alte laſſen ſich nicht an die Gefangen- ſchaft gewöhnen: ſie werden traurig, verſchmähen, Nahrung zu ſich zu nehmen, laſſen ſich niemals zähmen und ſterben gewöhnlich nach wenig Wochen. Der junge Cay dagegen vergißt leicht ſeine Freiheit, ſchließt ſich an den Menſchen an und theilt ſehr bald, wie viele andere Affen, mit dem Menſchen Speiſen und Getränke. Er hat, wie alle ſeiner Gattung Verwandten, ein ſanftes Aus- ſehen, welches mit ſeiner großen Gewandtheit nicht im Einklange zu ſtehen ſcheint. Gewöhnlich ſtellt er ſich auf alle vier Hände und ſtreckt dabei den am Ende etwas eingerollten Schwanz aus. Der Gang auf ebenem Boden iſt ſehr verſchieden, bald im Schritt, bald im Trapp, bald ein Hüpfen oder endlich ein Springen. Auf den Hinterfüßen geht er aus eigenem Antriebe höchſtens drei oder vier Schritt weit; doch zwingt man ihn zum aufrechten Gang, indem man ihm die Vorderhände auf den Rücken bindet; Anfangs fällt er freilich oft auf das Geſicht und muß deshalb durch eine Schnur hinten gehalten werden. Zum Schlafen rollt er ſich zuſammen und bedeckt das Geſicht mit dem Arme und dem Schwanze. Er ſchläft des Nachts, und wenn die Hitze groß iſt, in den Mittags- ſtunden; die übrige Tageszeit iſt er in beſtändiger Bewegung.
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Die Affen. Rollaffen. — Cay.
Die Mütter hatten ihre Noth mit den Kindern, welchen nach den ſüßen Früchten gelüſtete. An-
fangs ſchoben ſie ihre Sprößlinge noch langſam mit der Hand weg, ſpäter zeigten ſie ihre Ungeduld
durch Grunzen, dann faßten ſie das ungehorſame Kind bei dem Kopfe und ſtießen es mit Gewalt auf
den Rücken zurück. Sobald ſie ſich aber geſättigt hatten, zogen ſie das Junge wieder ſachte hervor
und legten es an die Bruſt. Die Mutterliebe zeigte ſich durch die große Sorgfalt, mit welcher jede
Alte ihr Junges behandelte, durch das Anlegen deſſelben an die Bruſt, durch beſtändiges Beobachten,
durch das Abſuchen ſeiner Haut und durch die Drohungen gegen die übrigen Affen, welche ſich ihm
nahten. Als die Jungen der drei Mütter geſogen hatten, kehrten zwei der größeren auf den Rücken
ihrer Pflegerinnen zurück, das kleinſte und ſchwächſte aber blieb ſeiner Mutter an der Bruſt hängen.
Die Bewegungen der Jungen waren weder leicht noch gefällig, ſondern plump und unbeholfen, und
die Thierchen waren ſehr ſchläfrig.
Ein anderes Mal ſtieß Reugger auf eine Affenfamilie, welche ſich eben anſchickte, ein dicht am
Walde gelegenes Maisfeld zu plündern. Sie ſtiegen ſachte, ſorgfältig ſich umſehend, von einem
Baume herab, brachen ſich zwei oder drei Fruchtkolben ab und kehrten, dieſelben mit der Hand an
die Bruſt drückend, ſo ſchnell als möglich in den Wald zurück, um daſelbſt ihre Beute zu verzehren.
Als Reugger ſich zeigte, floh der ganze Trupp mit krächzendem Geſchrei durch die Gipfel der Bäume;
jeder aber nahm wenigſtens einen Kolben mit ſich weg. Reugger ſchoß nun auf die Fliehenden und
ſah ein Weibchen mit einem Säugling auf dem Rücken von einem Aſte zum andern ſtürzen. Schon
glaubte er, es in ſeine Gewalt bekommen zu haben, als es, ſchon mit dem Tode ringend, ſich noch
mit dem Schwanze um einen Aſt ſchlang und an ihm wohl eine Viertelſtunde hängen blieb, bis der
Schwanz ſchlaff wurde und ſich durch das Gewicht des Affen aufrollte. Das Junge hatte ſeine
Mutter nicht verlaſſen, ſich vielmehr, obgleich einige Unruhe zeigend, feſt an ſie angeklammert. Nach-
dem ſie erſtarrt und es von der Mutter gedrückt worden war, ſuchte das arme verwaiſte Thierchen die-
ſelbe noch mit kläglichen Tönen zu rufen und kroch nach ihr hin, ſobald es freigelaſſen wurde. Erſt
nach einigen Stunden, bei eingetretener Todeskälte, ſchien es dem Säugling vor ſeiner Mutter zu
grauen, und er blieb willig in der Buſentaſche ſeines nunmehrigen Beſchützers ſitzen.
Unſer Berichterſtatter ſagt, daß auch in der Familie des Cay die Zahl der Weibchen die der
Männchen überträfe, und vermuthet wohl mit vollſtem Recht, daß dieſer Affe in Vielweiberei lebe.
Jm Januar wirft das Weibchen ein Junges und trägt es die erſten Wochen an der Bruſt, ſpäter aber
auf dem Rücken. Niemals verläßt die Mutter ihr Kind, nicht einmal, wenn ſie verwundet wird.
Rengger beobachtete zwar, daß ein Weibchen, welchem ſein Jagdgefährte den einen Schenkel durch
einen Schuß zerſchmettert hatte, ſeinen Säugling von der Bruſt riß und auf einen Aſt ſetzte; doch
iſt wohl wahrſcheinlich, daß das mehr deshalb geſchah, um den Säugling der Gefahr zu entrücken,
als um ſich ſelbſt eine Erleichterung zu verſchaffen.
Der junge Cay wird häufig eingefangen und gezähmt; alte laſſen ſich nicht an die Gefangen-
ſchaft gewöhnen: ſie werden traurig, verſchmähen, Nahrung zu ſich zu nehmen, laſſen ſich niemals
zähmen und ſterben gewöhnlich nach wenig Wochen. Der junge Cay dagegen vergißt leicht ſeine
Freiheit, ſchließt ſich an den Menſchen an und theilt ſehr bald, wie viele andere Affen, mit dem
Menſchen Speiſen und Getränke. Er hat, wie alle ſeiner Gattung Verwandten, ein ſanftes Aus-
ſehen, welches mit ſeiner großen Gewandtheit nicht im Einklange zu ſtehen ſcheint. Gewöhnlich ſtellt
er ſich auf alle vier Hände und ſtreckt dabei den am Ende etwas eingerollten Schwanz aus. Der
Gang auf ebenem Boden iſt ſehr verſchieden, bald im Schritt, bald im Trapp, bald ein Hüpfen oder
endlich ein Springen. Auf den Hinterfüßen geht er aus eigenem Antriebe höchſtens drei oder vier
Schritt weit; doch zwingt man ihn zum aufrechten Gang, indem man ihm die Vorderhände auf den
Rücken bindet; Anfangs fällt er freilich oft auf das Geſicht und muß deshalb durch eine Schnur
hinten gehalten werden. Zum Schlafen rollt er ſich zuſammen und bedeckt das Geſicht mit dem
Arme und dem Schwanze. Er ſchläft des Nachts, und wenn die Hitze groß iſt, in den Mittags-
ſtunden; die übrige Tageszeit iſt er in beſtändiger Bewegung.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/168>, abgerufen am 22.11.2024.
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