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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Jagd. Aus dem Gefangenleben eines Miriki.
wenn es ihr gerade Spaß macht, tanzt sie so lustig und ausgelassen sonderbar auf dem Seile, daß
die Zuschauer kaum noch Arme und Beine vom Schwanze unterscheiden können. Jn solchen Augen-
blicken ist der Name "Spinnenaffe" vollständig angemessen; denn sie sieht dann einer riesigen
Tarantel in ihren Zuckungen äußerst ähnlich. So lange dieses launige Spiel dauert, hält sie von
Zeit zu Zeit inne und blickt mit freundlichem Hauptschütteln auf ihre Freunde, zieht rümpfend die Nase
und stößt sanfte kurze Töne aus. Gewöhnlich wird sie gegen Sonnenuntergang am lebendigsten."

"Eine besondere Liebhaberei von ihr besteht darin, daß sie im Tauwerk hinaufklettert, bis sie ein
wagerechtes Seil oder eine dünne Stange erreicht; hier hängt sie sich mit dem Schwanzende ganz knapp
aber fest an und, schwingt sich langsam hin und wieder und reibt einen Arm mit dem andern von dem
Handgelenke bis zum Ellbogen, als wollte sie das Haar gegen den Strich streichen. Sie muß

[Abbildung] Der Miriki (Ateles oder Brachyteles hypoxanthus).
schlechterdings ihren Schwanz um irgend etwas winden, und wo möglich möchte sie keinen Schritt gehen,
ohne sich mittelst dieses langen und geschmeidigen Gliedes zu versichern."

"Gegen viele ihrer Verwandten, die unverbesserliche Diebe sind und mit den Schwanzenden ganz
ruhig Dinge stehlen, auf welche ihre Aufmerksamkeit gar nicht gewendet zu sein scheint, ist Sally sehr
ehrenhaft und hat niemals Etwas entwendet, als höchstens gelegentlich eine Frucht oder ein Stückchen
Kuchen. Jhre Mahlzeit hält sie an ihres Herrn Tische und beträgt sich dabei höchst anständig, ja,
sie ißt nicht einmal, bevor sie die Erlaubniß dazu erhalten, und hält sich dann an ihren eignen Teller,
gleich einem wohl erzogenem Geschöpfe. Jhre Nahrung besteht hauptsächlich aus Pflanzenstoffen,
Früchten und Weißbrod, obschon sie hin und wieder mit einem Hühnerbein bewirthet wird. Rücksichtlich
ihrer Speise ist sie ziemlich wählerisch, und wenn man ihr ein Stück gar zu trockenen Brodes giebt, so
beschnuppert sie es argwöhnisch, wirft es auf den Boden und thut mit verächtlicher Miene, als ob es

Jagd. Aus dem Gefangenleben eines Miriki.
wenn es ihr gerade Spaß macht, tanzt ſie ſo luſtig und ausgelaſſen ſonderbar auf dem Seile, daß
die Zuſchauer kaum noch Arme und Beine vom Schwanze unterſcheiden können. Jn ſolchen Augen-
blicken iſt der Name „Spinnenaffe‟ vollſtändig angemeſſen; denn ſie ſieht dann einer rieſigen
Tarantel in ihren Zuckungen äußerſt ähnlich. So lange dieſes launige Spiel dauert, hält ſie von
Zeit zu Zeit inne und blickt mit freundlichem Hauptſchütteln auf ihre Freunde, zieht rümpfend die Naſe
und ſtößt ſanfte kurze Töne aus. Gewöhnlich wird ſie gegen Sonnenuntergang am lebendigſten.‟

„Eine beſondere Liebhaberei von ihr beſteht darin, daß ſie im Tauwerk hinaufklettert, bis ſie ein
wagerechtes Seil oder eine dünne Stange erreicht; hier hängt ſie ſich mit dem Schwanzende ganz knapp
aber feſt an und, ſchwingt ſich langſam hin und wieder und reibt einen Arm mit dem andern von dem
Handgelenke bis zum Ellbogen, als wollte ſie das Haar gegen den Strich ſtreichen. Sie muß

[Abbildung] Der Miriki (Ateles oder Brachyteles hypoxanthus).
ſchlechterdings ihren Schwanz um irgend etwas winden, und wo möglich möchte ſie keinen Schritt gehen,
ohne ſich mittelſt dieſes langen und geſchmeidigen Gliedes zu verſichern.‟

„Gegen viele ihrer Verwandten, die unverbeſſerliche Diebe ſind und mit den Schwanzenden ganz
ruhig Dinge ſtehlen, auf welche ihre Aufmerkſamkeit gar nicht gewendet zu ſein ſcheint, iſt Sally ſehr
ehrenhaft und hat niemals Etwas entwendet, als höchſtens gelegentlich eine Frucht oder ein Stückchen
Kuchen. Jhre Mahlzeit hält ſie an ihres Herrn Tiſche und beträgt ſich dabei höchſt anſtändig, ja,
ſie ißt nicht einmal, bevor ſie die Erlaubniß dazu erhalten, und hält ſich dann an ihren eignen Teller,
gleich einem wohl erzogenem Geſchöpfe. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich aus Pflanzenſtoffen,
Früchten und Weißbrod, obſchon ſie hin und wieder mit einem Hühnerbein bewirthet wird. Rückſichtlich
ihrer Speiſe iſt ſie ziemlich wähleriſch, und wenn man ihr ein Stück gar zu trockenen Brodes giebt, ſo
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[105/0163] Jagd. Aus dem Gefangenleben eines Miriki. wenn es ihr gerade Spaß macht, tanzt ſie ſo luſtig und ausgelaſſen ſonderbar auf dem Seile, daß die Zuſchauer kaum noch Arme und Beine vom Schwanze unterſcheiden können. Jn ſolchen Augen- blicken iſt der Name „Spinnenaffe‟ vollſtändig angemeſſen; denn ſie ſieht dann einer rieſigen Tarantel in ihren Zuckungen äußerſt ähnlich. So lange dieſes launige Spiel dauert, hält ſie von Zeit zu Zeit inne und blickt mit freundlichem Hauptſchütteln auf ihre Freunde, zieht rümpfend die Naſe und ſtößt ſanfte kurze Töne aus. Gewöhnlich wird ſie gegen Sonnenuntergang am lebendigſten.‟ „Eine beſondere Liebhaberei von ihr beſteht darin, daß ſie im Tauwerk hinaufklettert, bis ſie ein wagerechtes Seil oder eine dünne Stange erreicht; hier hängt ſie ſich mit dem Schwanzende ganz knapp aber feſt an und, ſchwingt ſich langſam hin und wieder und reibt einen Arm mit dem andern von dem Handgelenke bis zum Ellbogen, als wollte ſie das Haar gegen den Strich ſtreichen. Sie muß [Abbildung Der Miriki (Ateles oder Brachyteles hypoxanthus).] ſchlechterdings ihren Schwanz um irgend etwas winden, und wo möglich möchte ſie keinen Schritt gehen, ohne ſich mittelſt dieſes langen und geſchmeidigen Gliedes zu verſichern.‟ „Gegen viele ihrer Verwandten, die unverbeſſerliche Diebe ſind und mit den Schwanzenden ganz ruhig Dinge ſtehlen, auf welche ihre Aufmerkſamkeit gar nicht gewendet zu ſein ſcheint, iſt Sally ſehr ehrenhaft und hat niemals Etwas entwendet, als höchſtens gelegentlich eine Frucht oder ein Stückchen Kuchen. Jhre Mahlzeit hält ſie an ihres Herrn Tiſche und beträgt ſich dabei höchſt anſtändig, ja, ſie ißt nicht einmal, bevor ſie die Erlaubniß dazu erhalten, und hält ſich dann an ihren eignen Teller, gleich einem wohl erzogenem Geſchöpfe. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich aus Pflanzenſtoffen, Früchten und Weißbrod, obſchon ſie hin und wieder mit einem Hühnerbein bewirthet wird. Rückſichtlich ihrer Speiſe iſt ſie ziemlich wähleriſch, und wenn man ihr ein Stück gar zu trockenen Brodes giebt, ſo beſchnuppert ſie es argwöhniſch, wirft es auf den Boden und thut mit verächtlicher Miene, als ob es

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/163>, abgerufen am 28.11.2024.