Während des Tages sind die höchsten Bäume des Waldes der Lieblingsaufenthalt des Brüllaffen; bei anbrechender Dämmerung zieht er sich in das dichte, von Schlingpflanzen durchflochtene Laub der niedrigen Bäume zurück und überläßt sich da dem Schlafe. Langsam, fast kriechend klettert er von einem Ast zu dem andern, Blätter und Knospen auswählend, langsam mit der Hand sie abpflückend und langsam sie zum Munde bringend. Jst er gesättigt, so setzt er sich in zusammengekauerter Stellung auf einem Aste nieder und verharrt hier regungslos, wie ein uraltes, schlafendes Männchen erscheinend, welches den Kopf auf die Brust stützt; oder er legt sich der Länge lang über den Ast hin, läßt die vier Glieder zu beiden Seiten steif herabhängen und hält sich eben nur mit dem Wickelschwanze fest. Was der Eine thut, wird von dem Andern langsam und gedankenlos nachgemacht. Verläßt eins der erwachsenen Männchen den Baum, auf welchem die Familie sich gerade aufhält, so folgen ihm alle übrigen Glieder der Gesellschaft rücksichtslos nach. "Wahrhaft erstaunlich," sagt Humboldt, "ist die Einförmigkeit in den Bewegungen dieses Affen. So oft die Zweige benachbarter Bäume nicht zusammenreichen, hängt sich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dem zum Fassen bestimmten schwieligen Theile des Schwanzes auf, läßt den Körper frei schweben und schwingt ihn hin und her, bis es den nächsten Ast packen kann. Der ganze Zug macht an derselben Stelle genau dieselbe Bewegung."
Für die Brüllaffen ist der Schwanz unzweifelhaft das wichtigste aller Bewegungswerkzeuge; sie brauchen ihn, um sich zu versichern -- und das thun sie in jeder Stellung; -- sie benutzen ihn selbst, um Etwas mit ihm zu erfassen und an sich zu ziehen. Jmmer und immer dient er hauptsächlich dazu, jeder ihrer langsamen Bewegungen die ihnen unerläßlich dünkende Sicherheit zu verleihen. Man kann nicht behaupten, daß sie schlecht kletterten: sie sind im Gegentheil sehr geschickt; aber niemals machen sie, wie andere Affen, weite, niemals gewagte Sprünge. Beim Dahinschreiten halten sie sich fest auf dem Aste an, bis der hin- und hertastende Schwanz einen sichern Halt gefunden und denselben in einer oder zwei Windungen umschlungen hat; beim Herabklettern halten sie sich so lange an dem Aste, welchen sie verlassen wollen, bis sie mit den Händen einen neuen sichern Halt gefunden haben, beim Aufwärtssteigen an dem untern Aste, bis sie mit allen vier Füßen den obern sicher gepackt haben. Die Kraft des Schwanzes ist größer, als die der Hände. Die Beugemuskeln an seiner Spitze sind so stark, daß sie, einer Uhrfeder vergleichbar, das Schwanzende immer zusammenrollen. Der Brüllaffe kann sich mit der Spitze seines Schwanzes, auch wenn er dieselbe nur mit einer halben Windung um den Ast schlingt, wie an einem Haken aufhängen, er kann alles einem solchen Werkzeuge nur Mögliche ausführen und ist verloren, dem Verderben Preis gegeben, wenn er seines Schwanzes beraubt wurde. Noch im Tode trägt der Schwanz längere Zeit die Last des Körpers, und nicht immer strecken sich unter dieser Last die eingerollten Muskeln: Azara erzählt, daß man zuweilen schon halb verfaulte Carayas noch fest an ihrem Aste hängen sieht.
Wenig andere Thiere sind so ausschließlich an die Bäume gebunden, als die Brüllaffen. Sie kommen nur höchst selten auf die Erde hernieder, wahrscheinlich blos dann, wenn es ihnen unmöglich ist, von den niederen Aesten und Schlingpflanzen herab zu trinken. Humboldt sagt, daß sie nicht im Stande wären, Wanderungen oder auch nur Wandelungen auf ebenem Boden zu unternehmen, und Rengger erklärt die Behauptung der Jndianer, nach welcher die Brüllaffen manchmal über breite Ströme setzen sollen, für ein Märchen, welches den Fremden aufgebürdet wird. "Sie fürchten sich." sagt er, "so sehr vor dem Wasser, daß, wenn sie durch das schnelle Anschwellen des Stromes auf einem Baume isolirt werden, sie eher verhungern, als daß sie durch Schwimmen einen andern Baum zu gewinnen suchen. So traf ich einst eine solche Affenherde auf einem von Wasser rings umgebenen Baum an, welche, ganz abgemagert, sich vor Schwäche kaum mehr bewegen konnte. Sie hatte nicht nur alle Blätter und zarten Zweige, sondern sogar einen Theil der Rinde des Baumes verzehrt. Um den nahen Wald zu erreichen, hätte sie nur eine Strecke von sechzig Fuß zu durchschwimmen gehabt." Derselbe Naturforscher versichert, daß er niemals einen Brüllaffen auf einem freien Felde gesehen oder seine Fährte irgendwo auf dem Boden angetroffen habe.
Die Affen. Brüllaffen.
Während des Tages ſind die höchſten Bäume des Waldes der Lieblingsaufenthalt des Brüllaffen; bei anbrechender Dämmerung zieht er ſich in das dichte, von Schlingpflanzen durchflochtene Laub der niedrigen Bäume zurück und überläßt ſich da dem Schlafe. Langſam, faſt kriechend klettert er von einem Aſt zu dem andern, Blätter und Knospen auswählend, langſam mit der Hand ſie abpflückend und langſam ſie zum Munde bringend. Jſt er geſättigt, ſo ſetzt er ſich in zuſammengekauerter Stellung auf einem Aſte nieder und verharrt hier regungslos, wie ein uraltes, ſchlafendes Männchen erſcheinend, welches den Kopf auf die Bruſt ſtützt; oder er legt ſich der Länge lang über den Aſt hin, läßt die vier Glieder zu beiden Seiten ſteif herabhängen und hält ſich eben nur mit dem Wickelſchwanze feſt. Was der Eine thut, wird von dem Andern langſam und gedankenlos nachgemacht. Verläßt eins der erwachſenen Männchen den Baum, auf welchem die Familie ſich gerade aufhält, ſo folgen ihm alle übrigen Glieder der Geſellſchaft rückſichtslos nach. „Wahrhaft erſtaunlich,‟ ſagt Humboldt, „iſt die Einförmigkeit in den Bewegungen dieſes Affen. So oft die Zweige benachbarter Bäume nicht zuſammenreichen, hängt ſich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dem zum Faſſen beſtimmten ſchwieligen Theile des Schwanzes auf, läßt den Körper frei ſchweben und ſchwingt ihn hin und her, bis es den nächſten Aſt packen kann. Der ganze Zug macht an derſelben Stelle genau dieſelbe Bewegung.‟
Für die Brüllaffen iſt der Schwanz unzweifelhaft das wichtigſte aller Bewegungswerkzeuge; ſie brauchen ihn, um ſich zu verſichern — und das thun ſie in jeder Stellung; — ſie benutzen ihn ſelbſt, um Etwas mit ihm zu erfaſſen und an ſich zu ziehen. Jmmer und immer dient er hauptſächlich dazu, jeder ihrer langſamen Bewegungen die ihnen unerläßlich dünkende Sicherheit zu verleihen. Man kann nicht behaupten, daß ſie ſchlecht kletterten: ſie ſind im Gegentheil ſehr geſchickt; aber niemals machen ſie, wie andere Affen, weite, niemals gewagte Sprünge. Beim Dahinſchreiten halten ſie ſich feſt auf dem Aſte an, bis der hin- und hertaſtende Schwanz einen ſichern Halt gefunden und denſelben in einer oder zwei Windungen umſchlungen hat; beim Herabklettern halten ſie ſich ſo lange an dem Aſte, welchen ſie verlaſſen wollen, bis ſie mit den Händen einen neuen ſichern Halt gefunden haben, beim Aufwärtsſteigen an dem untern Aſte, bis ſie mit allen vier Füßen den obern ſicher gepackt haben. Die Kraft des Schwanzes iſt größer, als die der Hände. Die Beugemuskeln an ſeiner Spitze ſind ſo ſtark, daß ſie, einer Uhrfeder vergleichbar, das Schwanzende immer zuſammenrollen. Der Brüllaffe kann ſich mit der Spitze ſeines Schwanzes, auch wenn er dieſelbe nur mit einer halben Windung um den Aſt ſchlingt, wie an einem Haken aufhängen, er kann alles einem ſolchen Werkzeuge nur Mögliche ausführen und iſt verloren, dem Verderben Preis gegeben, wenn er ſeines Schwanzes beraubt wurde. Noch im Tode trägt der Schwanz längere Zeit die Laſt des Körpers, und nicht immer ſtrecken ſich unter dieſer Laſt die eingerollten Muskeln: Azara erzählt, daß man zuweilen ſchon halb verfaulte Carayas noch feſt an ihrem Aſte hängen ſieht.
Wenig andere Thiere ſind ſo ausſchließlich an die Bäume gebunden, als die Brüllaffen. Sie kommen nur höchſt ſelten auf die Erde hernieder, wahrſcheinlich blos dann, wenn es ihnen unmöglich iſt, von den niederen Aeſten und Schlingpflanzen herab zu trinken. Humboldt ſagt, daß ſie nicht im Stande wären, Wanderungen oder auch nur Wandelungen auf ebenem Boden zu unternehmen, und Rengger erklärt die Behauptung der Jndianer, nach welcher die Brüllaffen manchmal über breite Ströme ſetzen ſollen, für ein Märchen, welches den Fremden aufgebürdet wird. „Sie fürchten ſich.‟ ſagt er, „ſo ſehr vor dem Waſſer, daß, wenn ſie durch das ſchnelle Anſchwellen des Stromes auf einem Baume iſolirt werden, ſie eher verhungern, als daß ſie durch Schwimmen einen andern Baum zu gewinnen ſuchen. So traf ich einſt eine ſolche Affenherde auf einem von Waſſer rings umgebenen Baum an, welche, ganz abgemagert, ſich vor Schwäche kaum mehr bewegen konnte. Sie hatte nicht nur alle Blätter und zarten Zweige, ſondern ſogar einen Theil der Rinde des Baumes verzehrt. Um den nahen Wald zu erreichen, hätte ſie nur eine Strecke von ſechzig Fuß zu durchſchwimmen gehabt.‟ Derſelbe Naturforſcher verſichert, daß er niemals einen Brüllaffen auf einem freien Felde geſehen oder ſeine Fährte irgendwo auf dem Boden angetroffen habe.
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Die Affen. Brüllaffen.
Während des Tages ſind die höchſten Bäume des Waldes der Lieblingsaufenthalt des Brüllaffen;
bei anbrechender Dämmerung zieht er ſich in das dichte, von Schlingpflanzen durchflochtene Laub der
niedrigen Bäume zurück und überläßt ſich da dem Schlafe. Langſam, faſt kriechend klettert er von
einem Aſt zu dem andern, Blätter und Knospen auswählend, langſam mit der Hand ſie abpflückend
und langſam ſie zum Munde bringend. Jſt er geſättigt, ſo ſetzt er ſich in zuſammengekauerter Stellung
auf einem Aſte nieder und verharrt hier regungslos, wie ein uraltes, ſchlafendes Männchen erſcheinend,
welches den Kopf auf die Bruſt ſtützt; oder er legt ſich der Länge lang über den Aſt hin, läßt die
vier Glieder zu beiden Seiten ſteif herabhängen und hält ſich eben nur mit dem Wickelſchwanze feſt.
Was der Eine thut, wird von dem Andern langſam und gedankenlos nachgemacht. Verläßt eins der
erwachſenen Männchen den Baum, auf welchem die Familie ſich gerade aufhält, ſo folgen ihm alle
übrigen Glieder der Geſellſchaft rückſichtslos nach. „Wahrhaft erſtaunlich,‟ ſagt Humboldt, „iſt die
Einförmigkeit in den Bewegungen dieſes Affen. So oft die Zweige benachbarter Bäume nicht
zuſammenreichen, hängt ſich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dem zum Faſſen beſtimmten
ſchwieligen Theile des Schwanzes auf, läßt den Körper frei ſchweben und ſchwingt ihn hin und her,
bis es den nächſten Aſt packen kann. Der ganze Zug macht an derſelben Stelle genau dieſelbe
Bewegung.‟
Für die Brüllaffen iſt der Schwanz unzweifelhaft das wichtigſte aller Bewegungswerkzeuge; ſie
brauchen ihn, um ſich zu verſichern — und das thun ſie in jeder Stellung; — ſie benutzen ihn
ſelbſt, um Etwas mit ihm zu erfaſſen und an ſich zu ziehen. Jmmer und immer dient er hauptſächlich
dazu, jeder ihrer langſamen Bewegungen die ihnen unerläßlich dünkende Sicherheit zu verleihen. Man
kann nicht behaupten, daß ſie ſchlecht kletterten: ſie ſind im Gegentheil ſehr geſchickt; aber niemals
machen ſie, wie andere Affen, weite, niemals gewagte Sprünge. Beim Dahinſchreiten halten ſie ſich
feſt auf dem Aſte an, bis der hin- und hertaſtende Schwanz einen ſichern Halt gefunden und denſelben
in einer oder zwei Windungen umſchlungen hat; beim Herabklettern halten ſie ſich ſo lange an dem
Aſte, welchen ſie verlaſſen wollen, bis ſie mit den Händen einen neuen ſichern Halt gefunden haben,
beim Aufwärtsſteigen an dem untern Aſte, bis ſie mit allen vier Füßen den obern ſicher gepackt haben.
Die Kraft des Schwanzes iſt größer, als die der Hände. Die Beugemuskeln an ſeiner Spitze ſind
ſo ſtark, daß ſie, einer Uhrfeder vergleichbar, das Schwanzende immer zuſammenrollen. Der Brüllaffe
kann ſich mit der Spitze ſeines Schwanzes, auch wenn er dieſelbe nur mit einer halben Windung um
den Aſt ſchlingt, wie an einem Haken aufhängen, er kann alles einem ſolchen Werkzeuge nur Mögliche
ausführen und iſt verloren, dem Verderben Preis gegeben, wenn er ſeines Schwanzes beraubt wurde.
Noch im Tode trägt der Schwanz längere Zeit die Laſt des Körpers, und nicht immer ſtrecken ſich
unter dieſer Laſt die eingerollten Muskeln: Azara erzählt, daß man zuweilen ſchon halb verfaulte
Carayas noch feſt an ihrem Aſte hängen ſieht.
Wenig andere Thiere ſind ſo ausſchließlich an die Bäume gebunden, als die Brüllaffen. Sie
kommen nur höchſt ſelten auf die Erde hernieder, wahrſcheinlich blos dann, wenn es ihnen unmöglich
iſt, von den niederen Aeſten und Schlingpflanzen herab zu trinken. Humboldt ſagt, daß ſie nicht im
Stande wären, Wanderungen oder auch nur Wandelungen auf ebenem Boden zu unternehmen, und
Rengger erklärt die Behauptung der Jndianer, nach welcher die Brüllaffen manchmal über breite
Ströme ſetzen ſollen, für ein Märchen, welches den Fremden aufgebürdet wird. „Sie fürchten ſich.‟
ſagt er, „ſo ſehr vor dem Waſſer, daß, wenn ſie durch das ſchnelle Anſchwellen des Stromes auf einem
Baume iſolirt werden, ſie eher verhungern, als daß ſie durch Schwimmen einen andern Baum zu
gewinnen ſuchen. So traf ich einſt eine ſolche Affenherde auf einem von Waſſer rings umgebenen
Baum an, welche, ganz abgemagert, ſich vor Schwäche kaum mehr bewegen konnte. Sie hatte nicht
nur alle Blätter und zarten Zweige, ſondern ſogar einen Theil der Rinde des Baumes verzehrt. Um
den nahen Wald zu erreichen, hätte ſie nur eine Strecke von ſechzig Fuß zu durchſchwimmen gehabt.‟
Derſelbe Naturforſcher verſichert, daß er niemals einen Brüllaffen auf einem freien Felde geſehen oder
ſeine Fährte irgendwo auf dem Boden angetroffen habe.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/156>, abgerufen am 22.11.2024.
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