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Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.

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Vagabunden dürfte freilich eine kurze Strafzeit in der Regel nicht
ausreichen. Für diese verhängt das Strafgesetz zwar Freiheits-
strafen von längerer Dauer. Allein auch in dieser Beziehung
wird das bestehende Gesetz in der Regel nur mangelhaft oder
beinahe gar nicht vollzogen.

In dieser Beziehung kann ich mich ebenfalls auf die bereits
erwähnten Württembergischen "Blätter für das Armenwesen"
(Jahrgang 1882, Seite 172) berufen.

Sie klagen über die bei den Amtsgerichten vielfach ein-
gerissene Praxis, es sich bei der Untersuchung und Bestrafung
der Fälle von Vagabondage so leicht und bequem wie möglich
zu machen. (Dieselbe Praxis findet sich übrigens auch in an-
dern Ländern.)

Statt bei jedem Vagabunden, welcher eingeliefert wird,
selbst auf die Gefahr hin, daß dadurch eine Untersuchungshaft,
welche sich bei hartnäckiger Verweigerung wahrheitsgemäßer
Auskunft Seitens des Angeschuldigten zu verlängern droht, noth-
wendig wird, eine genaue Fesstellung der Person, sowie die
nöthigen Erhebungen über seine Vergangenheit und über die von
ihm bereits erlittenen Strafen, aus welchen sich das Vorhandensein
des Rückfalls und des wiederholten Rückfalls und somit die Noth-
wendigkeit höherer Strafen ergiebt, eintreten zu lassen, begnügt
sich der Richter damit, in summarischer -- fast möchte man
sagen: standrechtlicher -- Weise den Delinquenten auf ein Paar
Tage einzustecken, welche schnell verbüßt sind und so wenig
geeignet, etwas an der wirklichen Lage der Dinge zu ändern,
daß sich vielmehr der Bestrafte beeilt, nach deren Ablaufe die
Lebensweise, wegen deren er verurtheilt wurde, alsbald mit ge-
stärkten Kräften wieder von vorn anzufangen.

Bei einem solchen Verfahren wird dann auch die in unseren
Gesetzen vorgeschriebene Ueberweisung des gewohnheitsmäßigen
Landstreichers an die Landespolizeibehörde, sowie die so außer-
ordentlich wirksame und unter Umständen absolut nothwendige
Einweisung in das Arbeitshaus gänzlich vereitelt, -- ein neuer
Beweis, wie ein Fehler im Vollzug eine ganze Reihe von Miß-
ständen erzeugt, und daß, wie ich bereits bemerkt habe, es
besser wäre, wenn man zunächst einmal sich bemühte, die be-
stehenden Gesetze in dem Sinne, in welchem sie gegeben sind,
genau und vollständig zu vollziehen, statt über den mangelhaften

Vagabunden dürfte freilich eine kurze Strafzeit in der Regel nicht
ausreichen. Für diese verhängt das Strafgesetz zwar Freiheits-
strafen von längerer Dauer. Allein auch in dieser Beziehung
wird das bestehende Gesetz in der Regel nur mangelhaft oder
beinahe gar nicht vollzogen.

In dieser Beziehung kann ich mich ebenfalls auf die bereits
erwähnten Württembergischen «Blätter für das Armenwesen»
(Jahrgang 1882, Seite 172) berufen.

Sie klagen über die bei den Amtsgerichten vielfach ein-
gerissene Praxis, es sich bei der Untersuchung und Bestrafung
der Fälle von Vagabondage so leicht und bequem wie möglich
zu machen. (Dieselbe Praxis findet sich übrigens auch in an-
dern Ländern.)

Statt bei jedem Vagabunden, welcher eingeliefert wird,
selbst auf die Gefahr hin, daß dadurch eine Untersuchungshaft,
welche sich bei hartnäckiger Verweigerung wahrheitsgemäßer
Auskunft Seitens des Angeschuldigten zu verlängern droht, noth-
wendig wird, eine genaue Fesstellung der Person, sowie die
nöthigen Erhebungen über seine Vergangenheit und über die von
ihm bereits erlittenen Strafen, aus welchen sich das Vorhandensein
des Rückfalls und des wiederholten Rückfalls und somit die Noth-
wendigkeit höherer Strafen ergiebt, eintreten zu lassen, begnügt
sich der Richter damit, in summarischer — fast möchte man
sagen: standrechtlicher — Weise den Delinquenten auf ein Paar
Tage einzustecken, welche schnell verbüßt sind und so wenig
geeignet, etwas an der wirklichen Lage der Dinge zu ändern,
daß sich vielmehr der Bestrafte beeilt, nach deren Ablaufe die
Lebensweise, wegen deren er verurtheilt wurde, alsbald mit ge-
stärkten Kräften wieder von vorn anzufangen.

Bei einem solchen Verfahren wird dann auch die in unseren
Gesetzen vorgeschriebene Ueberweisung des gewohnheitsmäßigen
Landstreichers an die Landespolizeibehörde, sowie die so außer-
ordentlich wirksame und unter Umständen absolut nothwendige
Einweisung in das Arbeitshaus gänzlich vereitelt, — ein neuer
Beweis, wie ein Fehler im Vollzug eine ganze Reihe von Miß-
ständen erzeugt, und daß, wie ich bereits bemerkt habe, es
besser wäre, wenn man zunächst einmal sich bemühte, die be-
stehenden Gesetze in dem Sinne, in welchem sie gegeben sind,
genau und vollständig zu vollziehen, statt über den mangelhaften

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[11/0013] Vagabunden dürfte freilich eine kurze Strafzeit in der Regel nicht ausreichen. Für diese verhängt das Strafgesetz zwar Freiheits- strafen von längerer Dauer. Allein auch in dieser Beziehung wird das bestehende Gesetz in der Regel nur mangelhaft oder beinahe gar nicht vollzogen. In dieser Beziehung kann ich mich ebenfalls auf die bereits erwähnten Württembergischen «Blätter für das Armenwesen» (Jahrgang 1882, Seite 172) berufen. Sie klagen über die bei den Amtsgerichten vielfach ein- gerissene Praxis, es sich bei der Untersuchung und Bestrafung der Fälle von Vagabondage so leicht und bequem wie möglich zu machen. (Dieselbe Praxis findet sich übrigens auch in an- dern Ländern.) Statt bei jedem Vagabunden, welcher eingeliefert wird, selbst auf die Gefahr hin, daß dadurch eine Untersuchungshaft, welche sich bei hartnäckiger Verweigerung wahrheitsgemäßer Auskunft Seitens des Angeschuldigten zu verlängern droht, noth- wendig wird, eine genaue Fesstellung der Person, sowie die nöthigen Erhebungen über seine Vergangenheit und über die von ihm bereits erlittenen Strafen, aus welchen sich das Vorhandensein des Rückfalls und des wiederholten Rückfalls und somit die Noth- wendigkeit höherer Strafen ergiebt, eintreten zu lassen, begnügt sich der Richter damit, in summarischer — fast möchte man sagen: standrechtlicher — Weise den Delinquenten auf ein Paar Tage einzustecken, welche schnell verbüßt sind und so wenig geeignet, etwas an der wirklichen Lage der Dinge zu ändern, daß sich vielmehr der Bestrafte beeilt, nach deren Ablaufe die Lebensweise, wegen deren er verurtheilt wurde, alsbald mit ge- stärkten Kräften wieder von vorn anzufangen. Bei einem solchen Verfahren wird dann auch die in unseren Gesetzen vorgeschriebene Ueberweisung des gewohnheitsmäßigen Landstreichers an die Landespolizeibehörde, sowie die so außer- ordentlich wirksame und unter Umständen absolut nothwendige Einweisung in das Arbeitshaus gänzlich vereitelt, — ein neuer Beweis, wie ein Fehler im Vollzug eine ganze Reihe von Miß- ständen erzeugt, und daß, wie ich bereits bemerkt habe, es besser wäre, wenn man zunächst einmal sich bemühte, die be- stehenden Gesetze in dem Sinne, in welchem sie gegeben sind, genau und vollständig zu vollziehen, statt über den mangelhaften

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Zitationshilfe: Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/13>, abgerufen am 25.11.2024.