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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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einem Ausnahmegesetz unterworfen blieben, durch das in Preußen
die Hälfte aller Arbeiter kein Koalitionsrecht besitzt, so trifft das alles
die Frauen härter noch als die Männer. Aber mehr noch als das: selbst
das bestehende geringe Koalitionsrecht der Jndustrie-Arbeiter möchten
sie aufs äußerste beschränkt sehen, denn sie brauchen wehrlose Sklaven,
nicht freie Menschen. Dementsprechend ist auch ihr Verhalten in
allen Schulfragen. "Der dümmste Arbeiter ist der beste", dieser Aus-
spruch eines offenherzigen Konservativen ist die Herzensüberzeugung
aller seiner Parteigänger. Darum sollen dem Proletarierkinde die
Schätze des Wissens ebenso verschlossen bleiben, wie die materiellen
Reichthümer der Welt. Um aber die Zwingburg der Rechtlosigkeit
und Unabhängigkeit, in der die Arbeiter als ewige Sträflinge leben
sollen, zu vollenden, ist ihr Bestreben auch noch darauf gerichtet,
ihnen das politische Wahlrecht einzuschränken oder völlig zu nehmen.
Jhr Jdeal ist eben jene Zeit der Leibeigenschaft, in der es nur Herren
gab und willenlose Knechte; die Guten unter ihnen möchten vielleicht
für ihre Untergebenen sorgen wollen, wie strenge Väter für ihre
Kinder, aber kein Einziger sieht weder in dem Arbeiter, noch in der
Frau den freien, gleichberechtigten Nebenmenschen.

Doch noch mehr Beweise giebt es, um die Konservativen zu
Feinden des Proletariats und der Frauen zu stempeln: der
Militarismus und Marinismus findet in ihnen seine Stütze, für
jede Art indirekter Steuer, die dem Volk die sauer erworbenen
Pfennige aus der Tasche zieht, sind sie zu haben, die Lebensmittel-
zölle, die allein ihre Säckel füllen, die Armen aber bitterstem Elend
preisgeben werden, sind einem großen Theil der Konservativen, vor
allem dem Bunde der Landwirthe, noch nicht einmal hoch genug.
Sie, die "Stützen von Thron und Altar", drohen der Regierung mit
ihrem Abfall, wenn sie Brot und Fleisch nicht noch theurer
machen will.

Man nennt das weibliche Geschlecht das konservative Element
in der Menschheit; es neigt auch dazu, sich an Altes und Ueber-
liefertes anzuklammern. Sind es aber wohl die Konservativen,
denen die Frauen sich anzuschließen, deren Politik sie zu unterstützen
haben?

Das Zentrum, die große, im deutschen Reichstage jetzt
ausschlaggebende Partei, die infolge des Kulturkampfes, den Fürst
Bismarck gegen die katholische Kirche führte, entstand, steht in sehr
vielen Punkten auf demselben Boden wie die Konservativen. Das
eigentliche Bindemittel aber, das seine Glieder zusammenhält, ist
die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche. Daher repräsentiren
seine Parteigänger die verschiedensten Volkskreise und Jnteressen-
gruppen: Agrarier und Jndustrielle, Besitzende und Proletarier,
und selbst die Geschicklichkeit eines Eiertänzers reicht nicht aus, ihnen
allen gerecht zu werden. Unausbleiblich sind deshalb die Wider-
sprüche, in die sich das Zentrum unaufhörlich verwickelt, und die,

einem Ausnahmegesetz unterworfen blieben, durch das in Preußen
die Hälfte aller Arbeiter kein Koalitionsrecht besitzt, so trifft das alles
die Frauen härter noch als die Männer. Aber mehr noch als das: selbst
das bestehende geringe Koalitionsrecht der Jndustrie-Arbeiter möchten
sie aufs äußerste beschränkt sehen, denn sie brauchen wehrlose Sklaven,
nicht freie Menschen. Dementsprechend ist auch ihr Verhalten in
allen Schulfragen. „Der dümmste Arbeiter ist der beste“, dieser Aus-
spruch eines offenherzigen Konservativen ist die Herzensüberzeugung
aller seiner Parteigänger. Darum sollen dem Proletarierkinde die
Schätze des Wissens ebenso verschlossen bleiben, wie die materiellen
Reichthümer der Welt. Um aber die Zwingburg der Rechtlosigkeit
und Unabhängigkeit, in der die Arbeiter als ewige Sträflinge leben
sollen, zu vollenden, ist ihr Bestreben auch noch darauf gerichtet,
ihnen das politische Wahlrecht einzuschränken oder völlig zu nehmen.
Jhr Jdeal ist eben jene Zeit der Leibeigenschaft, in der es nur Herren
gab und willenlose Knechte; die Guten unter ihnen möchten vielleicht
für ihre Untergebenen sorgen wollen, wie strenge Väter für ihre
Kinder, aber kein Einziger sieht weder in dem Arbeiter, noch in der
Frau den freien, gleichberechtigten Nebenmenschen.

Doch noch mehr Beweise giebt es, um die Konservativen zu
Feinden des Proletariats und der Frauen zu stempeln: der
Militarismus und Marinismus findet in ihnen seine Stütze, für
jede Art indirekter Steuer, die dem Volk die sauer erworbenen
Pfennige aus der Tasche zieht, sind sie zu haben, die Lebensmittel-
zölle, die allein ihre Säckel füllen, die Armen aber bitterstem Elend
preisgeben werden, sind einem großen Theil der Konservativen, vor
allem dem Bunde der Landwirthe, noch nicht einmal hoch genug.
Sie, die „Stützen von Thron und Altar“, drohen der Regierung mit
ihrem Abfall, wenn sie Brot und Fleisch nicht noch theurer
machen will.

Man nennt das weibliche Geschlecht das konservative Element
in der Menschheit; es neigt auch dazu, sich an Altes und Ueber-
liefertes anzuklammern. Sind es aber wohl die Konservativen,
denen die Frauen sich anzuschließen, deren Politik sie zu unterstützen
haben?

Das Zentrum, die große, im deutschen Reichstage jetzt
ausschlaggebende Partei, die infolge des Kulturkampfes, den Fürst
Bismarck gegen die katholische Kirche führte, entstand, steht in sehr
vielen Punkten auf demselben Boden wie die Konservativen. Das
eigentliche Bindemittel aber, das seine Glieder zusammenhält, ist
die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche. Daher repräsentiren
seine Parteigänger die verschiedensten Volkskreise und Jnteressen-
gruppen: Agrarier und Jndustrielle, Besitzende und Proletarier,
und selbst die Geschicklichkeit eines Eiertänzers reicht nicht aus, ihnen
allen gerecht zu werden. Unausbleiblich sind deshalb die Wider-
sprüche, in die sich das Zentrum unaufhörlich verwickelt, und die,

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[32/0031] einem Ausnahmegesetz unterworfen blieben, durch das in Preußen die Hälfte aller Arbeiter kein Koalitionsrecht besitzt, so trifft das alles die Frauen härter noch als die Männer. Aber mehr noch als das: selbst das bestehende geringe Koalitionsrecht der Jndustrie-Arbeiter möchten sie aufs äußerste beschränkt sehen, denn sie brauchen wehrlose Sklaven, nicht freie Menschen. Dementsprechend ist auch ihr Verhalten in allen Schulfragen. „Der dümmste Arbeiter ist der beste“, dieser Aus- spruch eines offenherzigen Konservativen ist die Herzensüberzeugung aller seiner Parteigänger. Darum sollen dem Proletarierkinde die Schätze des Wissens ebenso verschlossen bleiben, wie die materiellen Reichthümer der Welt. Um aber die Zwingburg der Rechtlosigkeit und Unabhängigkeit, in der die Arbeiter als ewige Sträflinge leben sollen, zu vollenden, ist ihr Bestreben auch noch darauf gerichtet, ihnen das politische Wahlrecht einzuschränken oder völlig zu nehmen. Jhr Jdeal ist eben jene Zeit der Leibeigenschaft, in der es nur Herren gab und willenlose Knechte; die Guten unter ihnen möchten vielleicht für ihre Untergebenen sorgen wollen, wie strenge Väter für ihre Kinder, aber kein Einziger sieht weder in dem Arbeiter, noch in der Frau den freien, gleichberechtigten Nebenmenschen. Doch noch mehr Beweise giebt es, um die Konservativen zu Feinden des Proletariats und der Frauen zu stempeln: der Militarismus und Marinismus findet in ihnen seine Stütze, für jede Art indirekter Steuer, die dem Volk die sauer erworbenen Pfennige aus der Tasche zieht, sind sie zu haben, die Lebensmittel- zölle, die allein ihre Säckel füllen, die Armen aber bitterstem Elend preisgeben werden, sind einem großen Theil der Konservativen, vor allem dem Bunde der Landwirthe, noch nicht einmal hoch genug. Sie, die „Stützen von Thron und Altar“, drohen der Regierung mit ihrem Abfall, wenn sie Brot und Fleisch nicht noch theurer machen will. Man nennt das weibliche Geschlecht das konservative Element in der Menschheit; es neigt auch dazu, sich an Altes und Ueber- liefertes anzuklammern. Sind es aber wohl die Konservativen, denen die Frauen sich anzuschließen, deren Politik sie zu unterstützen haben? Das Zentrum, die große, im deutschen Reichstage jetzt ausschlaggebende Partei, die infolge des Kulturkampfes, den Fürst Bismarck gegen die katholische Kirche führte, entstand, steht in sehr vielen Punkten auf demselben Boden wie die Konservativen. Das eigentliche Bindemittel aber, das seine Glieder zusammenhält, ist die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche. Daher repräsentiren seine Parteigänger die verschiedensten Volkskreise und Jnteressen- gruppen: Agrarier und Jndustrielle, Besitzende und Proletarier, und selbst die Geschicklichkeit eines Eiertänzers reicht nicht aus, ihnen allen gerecht zu werden. Unausbleiblich sind deshalb die Wider- sprüche, in die sich das Zentrum unaufhörlich verwickelt, und die,

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/31>, abgerufen am 23.11.2024.