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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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vielen, vielen armseligen Sklaven der Hausindustrie! Und all diese
Kinder, die zu einem Geschlecht geistig und körperlich siecher, sittlich
korrumpirter Menschen heranwachsen, sollen nicht einmal vollständig
vor dieser Zukunft geschützt werden, weil man vor dem drohenden
Zorn der um ihren Profit besorgten Unternehmer zittert! Und
weiter: erinnern wir uns, daß es Kinder sind, Kinder im schonungs-
bedürftigsten Alter, die überall dort zum Gesindedienst herangezogen
werden, wo die Arbeit die schwerste, die Bedingungen die schlechtesten
sind, und Erwachsene sich deshalb dafür nicht mehr finden lassen;
erinnern wir uns, daß die Landwirthschaft alljährlich zahllose kind-
liche Arbeitskräfte verschlingt: den schwachen Rücken gebeugt, Lunge,
Herz und Magen zusammengepreßt, die Füße oft stundenlang in
Koth und Schlamm, den erhitzten Körper allem Wind und Wetter
preisgegeben - so hocken die Kinder der Armen auf den Kartoffel-
und Rübenfeldern, um den Reichen die Ernte einzuheimsen! An
allen diesen Kindern aber geht die Gesetzgebung blinden Auges, un-
gerührten Herzens vorüber!

Ein riesiges, unbebautes Feld winkt hier den Frauen. Daß
sie, die Mütter des Volkes, die Berufenen sind, um für die Kinder
einzutreten, daß der Fluch kommender Generationen sie treffen muß,
wenn sie feige bei Seite stehen, das unterliegt keinem Zweifel. Die
Kinder sind stumm in ihrer Qual, und doch dringt der Hilfeschrei
aus den Herzen von Hunderttausenden freudloser Kinder vernehm-
lich an das Ohr derer, die sie geboren haben. O, daß sie nicht taub
sein möchten!

Bedarf es wirklich noch langathmiger Beweise, um darzuthun,
daß Fraueninteresscn hier auf dem Spiele stehen, daß es Sache der
Frauen ist, hier einzugreifen? Sollte es noch nothwendig sein,
ihnen zu erzählen, was sie alle Tage am eigenen Leibe erfahren:
daß der vorhandene Arbeiterschutz in keiner Weise ausreicht, um
Familienleben und Gesundheit zu sichern, daß selbst der elfstündige
Arbeitstag und die anderthalbstündige Mittagspause ein Hohn ist auf
alles häusliche Glück, in dessen Namen man vorgab, sie zu schaffen,
daß die gebotene Arbeitsruhe der Wöchnerinnen für die Mutter und
vor allem für das Kind so gut wie werthlos ist, daß der Kinder-
schutz nur eine Wunde verklebt, während die schleichende Krankheit
nur weiter um sich greift? Würde es möglich sein, daß ein Weib aus
dem Volke noch behaupten könnte, mit dem vorhandenen gesetzlichen
Schutz sei genug gethan, es bliebe ihr und ihresgleichen nichts zu
thun mehr übrig?

Das charakteristische Bild der Einseitigkeit, der ängstlichen Zurück-
haltung wiederholt sich auf allen Gebieten der Sozialreform. Auch
auf dem der Arbeiterversicherung. Trotzdem ist sie schon in ihrer
gegenwärtigen Gestalt von großer Bedeutung und stellt den ersten
Schritt auf einem Wege dar, der thatsächlich zu einer wesentlichen
Verbesserung der Lebensbedingungen des Proletariats führen kann.

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vielen, vielen armseligen Sklaven der Hausindustrie! Und all diese
Kinder, die zu einem Geschlecht geistig und körperlich siecher, sittlich
korrumpirter Menschen heranwachsen, sollen nicht einmal vollständig
vor dieser Zukunft geschützt werden, weil man vor dem drohenden
Zorn der um ihren Profit besorgten Unternehmer zittert! Und
weiter: erinnern wir uns, daß es Kinder sind, Kinder im schonungs-
bedürftigsten Alter, die überall dort zum Gesindedienst herangezogen
werden, wo die Arbeit die schwerste, die Bedingungen die schlechtesten
sind, und Erwachsene sich deshalb dafür nicht mehr finden lassen;
erinnern wir uns, daß die Landwirthschaft alljährlich zahllose kind-
liche Arbeitskräfte verschlingt: den schwachen Rücken gebeugt, Lunge,
Herz und Magen zusammengepreßt, die Füße oft stundenlang in
Koth und Schlamm, den erhitzten Körper allem Wind und Wetter
preisgegeben – so hocken die Kinder der Armen auf den Kartoffel-
und Rübenfeldern, um den Reichen die Ernte einzuheimsen! An
allen diesen Kindern aber geht die Gesetzgebung blinden Auges, un-
gerührten Herzens vorüber!

Ein riesiges, unbebautes Feld winkt hier den Frauen. Daß
sie, die Mütter des Volkes, die Berufenen sind, um für die Kinder
einzutreten, daß der Fluch kommender Generationen sie treffen muß,
wenn sie feige bei Seite stehen, das unterliegt keinem Zweifel. Die
Kinder sind stumm in ihrer Qual, und doch dringt der Hilfeschrei
aus den Herzen von Hunderttausenden freudloser Kinder vernehm-
lich an das Ohr derer, die sie geboren haben. O, daß sie nicht taub
sein möchten!

Bedarf es wirklich noch langathmiger Beweise, um darzuthun,
daß Fraueninteresscn hier auf dem Spiele stehen, daß es Sache der
Frauen ist, hier einzugreifen? Sollte es noch nothwendig sein,
ihnen zu erzählen, was sie alle Tage am eigenen Leibe erfahren:
daß der vorhandene Arbeiterschutz in keiner Weise ausreicht, um
Familienleben und Gesundheit zu sichern, daß selbst der elfstündige
Arbeitstag und die anderthalbstündige Mittagspause ein Hohn ist auf
alles häusliche Glück, in dessen Namen man vorgab, sie zu schaffen,
daß die gebotene Arbeitsruhe der Wöchnerinnen für die Mutter und
vor allem für das Kind so gut wie werthlos ist, daß der Kinder-
schutz nur eine Wunde verklebt, während die schleichende Krankheit
nur weiter um sich greift? Würde es möglich sein, daß ein Weib aus
dem Volke noch behaupten könnte, mit dem vorhandenen gesetzlichen
Schutz sei genug gethan, es bliebe ihr und ihresgleichen nichts zu
thun mehr übrig?

Das charakteristische Bild der Einseitigkeit, der ängstlichen Zurück-
haltung wiederholt sich auf allen Gebieten der Sozialreform. Auch
auf dem der Arbeiterversicherung. Trotzdem ist sie schon in ihrer
gegenwärtigen Gestalt von großer Bedeutung und stellt den ersten
Schritt auf einem Wege dar, der thatsächlich zu einer wesentlichen
Verbesserung der Lebensbedingungen des Proletariats führen kann.

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[19/0018] vielen, vielen armseligen Sklaven der Hausindustrie! Und all diese Kinder, die zu einem Geschlecht geistig und körperlich siecher, sittlich korrumpirter Menschen heranwachsen, sollen nicht einmal vollständig vor dieser Zukunft geschützt werden, weil man vor dem drohenden Zorn der um ihren Profit besorgten Unternehmer zittert! Und weiter: erinnern wir uns, daß es Kinder sind, Kinder im schonungs- bedürftigsten Alter, die überall dort zum Gesindedienst herangezogen werden, wo die Arbeit die schwerste, die Bedingungen die schlechtesten sind, und Erwachsene sich deshalb dafür nicht mehr finden lassen; erinnern wir uns, daß die Landwirthschaft alljährlich zahllose kind- liche Arbeitskräfte verschlingt: den schwachen Rücken gebeugt, Lunge, Herz und Magen zusammengepreßt, die Füße oft stundenlang in Koth und Schlamm, den erhitzten Körper allem Wind und Wetter preisgegeben – so hocken die Kinder der Armen auf den Kartoffel- und Rübenfeldern, um den Reichen die Ernte einzuheimsen! An allen diesen Kindern aber geht die Gesetzgebung blinden Auges, un- gerührten Herzens vorüber! Ein riesiges, unbebautes Feld winkt hier den Frauen. Daß sie, die Mütter des Volkes, die Berufenen sind, um für die Kinder einzutreten, daß der Fluch kommender Generationen sie treffen muß, wenn sie feige bei Seite stehen, das unterliegt keinem Zweifel. Die Kinder sind stumm in ihrer Qual, und doch dringt der Hilfeschrei aus den Herzen von Hunderttausenden freudloser Kinder vernehm- lich an das Ohr derer, die sie geboren haben. O, daß sie nicht taub sein möchten! Bedarf es wirklich noch langathmiger Beweise, um darzuthun, daß Fraueninteresscn hier auf dem Spiele stehen, daß es Sache der Frauen ist, hier einzugreifen? Sollte es noch nothwendig sein, ihnen zu erzählen, was sie alle Tage am eigenen Leibe erfahren: daß der vorhandene Arbeiterschutz in keiner Weise ausreicht, um Familienleben und Gesundheit zu sichern, daß selbst der elfstündige Arbeitstag und die anderthalbstündige Mittagspause ein Hohn ist auf alles häusliche Glück, in dessen Namen man vorgab, sie zu schaffen, daß die gebotene Arbeitsruhe der Wöchnerinnen für die Mutter und vor allem für das Kind so gut wie werthlos ist, daß der Kinder- schutz nur eine Wunde verklebt, während die schleichende Krankheit nur weiter um sich greift? Würde es möglich sein, daß ein Weib aus dem Volke noch behaupten könnte, mit dem vorhandenen gesetzlichen Schutz sei genug gethan, es bliebe ihr und ihresgleichen nichts zu thun mehr übrig? Das charakteristische Bild der Einseitigkeit, der ängstlichen Zurück- haltung wiederholt sich auf allen Gebieten der Sozialreform. Auch auf dem der Arbeiterversicherung. Trotzdem ist sie schon in ihrer gegenwärtigen Gestalt von großer Bedeutung und stellt den ersten Schritt auf einem Wege dar, der thatsächlich zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebensbedingungen des Proletariats führen kann. 2*

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/18>, abgerufen am 24.11.2024.