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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832.

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ger bis zum 80sten Grade der Breite gelangen können. Die Gren-
zen des fast ganz undurchdringlichen Eises, welche in der Gegend
von Island und Spitzbergen eine so bedeutende Einbiegung haben,
sind indeß nicht völlig unveränderlich, sondern um die Jahre 18
bis 22 dieses Jahrhunderts konnte man zu den östlichen Küsten
Grönlands gelangen, die seit vielen Jahren unzugänglich gewesen
waren. Diese Befreiung von Eise war dadurch entstanden, daß
vorzüglich im Jahre 1818 ungeheure Eismassen sich abgelöset hat-
ten und nach Süden zu getrieben waren, so große Massen, daß
Schiffe, die von Neufundland (in 47° Breite) absegelten, viele
Tage lang von Eis umgeben und so weit als das Auge reichte
davon umgeben waren.

In jenen nördlichen Meeren und vorzüglich in der Davis-
straße kommen Eisberge von mehr als 100 Fuß, ja bis 250 Fuß
über dem Wasser und so tief gehend vor, daß sie bei 600 Fuß
Tiefe des Wassers auf dem Grunde sitzen bleiben. Sie sind so
zahlreich, daß Roß 700 auf einmal in der einen Hälfte des Hori-
zontes zählte. Die Entstehung dieser ungeheuern Massen scheint
vielleicht einzig oder doch wenigstens vorzüglich an den Ufern der
festen Länder statt zu finden, und die Vermuthung, daß sie von
den Abhängen der Berge ins Meer herab stürzen, hat sehr viel für
sich. Aber auch nachdem sie so das Meer erreicht haben, können
sie durch Regen und Schnee und durch feuchte Niederschläge aus
der wärmern Luft noch sehr zunehmen, daher denn auch sich im
Sommer oft oben auf denselben aufgethautes süßes Wasser findet.
Diejenigen Eismassen dagegen, welche wenig über das Wasser her-
vorragend die Eisfelder bilden, entstehen auch mitten auf dem
Meere, indem bei stärkerer Kälte das Wasser sich mit Eiscrystallen
füllt, aus deren Vereinigung dann die oft Meilen weit verbreiteten,
theils aus großen theils aus kleinen Stücken bestehenden, Eisfelder
hervorgehen. Diese Eismassen setzen die jene Gegenden besuchen-
den Schiffer oft in die größesten Gefahren. Oft finden diese sich
durch schnell sich vereinigende Eismassen so von Eis umgeben, daß
sie nirgends einen Ausweg sehen, und den Bewegungen des Eises
ganz und gar folgen müssen. Dabei ereignet es sich zuweilen, daß
mehrere ungeheure Eisfelder so gegen einander drängen, daß Schiffe
in Gefahr gerathen, von ihnen zerdrückt zu werden. Besonders


ger bis zum 80ſten Grade der Breite gelangen koͤnnen. Die Gren-
zen des faſt ganz undurchdringlichen Eiſes, welche in der Gegend
von Island und Spitzbergen eine ſo bedeutende Einbiegung haben,
ſind indeß nicht voͤllig unveraͤnderlich, ſondern um die Jahre 18
bis 22 dieſes Jahrhunderts konnte man zu den oͤſtlichen Kuͤſten
Groͤnlands gelangen, die ſeit vielen Jahren unzugaͤnglich geweſen
waren. Dieſe Befreiung von Eiſe war dadurch entſtanden, daß
vorzuͤglich im Jahre 1818 ungeheure Eismaſſen ſich abgeloͤſet hat-
ten und nach Suͤden zu getrieben waren, ſo große Maſſen, daß
Schiffe, die von Neufundland (in 47° Breite) abſegelten, viele
Tage lang von Eis umgeben und ſo weit als das Auge reichte
davon umgeben waren.

In jenen noͤrdlichen Meeren und vorzuͤglich in der Davis-
ſtraße kommen Eisberge von mehr als 100 Fuß, ja bis 250 Fuß
uͤber dem Waſſer und ſo tief gehend vor, daß ſie bei 600 Fuß
Tiefe des Waſſers auf dem Grunde ſitzen bleiben. Sie ſind ſo
zahlreich, daß Roß 700 auf einmal in der einen Haͤlfte des Hori-
zontes zaͤhlte. Die Entſtehung dieſer ungeheuern Maſſen ſcheint
vielleicht einzig oder doch wenigſtens vorzuͤglich an den Ufern der
feſten Laͤnder ſtatt zu finden, und die Vermuthung, daß ſie von
den Abhaͤngen der Berge ins Meer herab ſtuͤrzen, hat ſehr viel fuͤr
ſich. Aber auch nachdem ſie ſo das Meer erreicht haben, koͤnnen
ſie durch Regen und Schnee und durch feuchte Niederſchlaͤge aus
der waͤrmern Luft noch ſehr zunehmen, daher denn auch ſich im
Sommer oft oben auf denſelben aufgethautes ſuͤßes Waſſer findet.
Diejenigen Eismaſſen dagegen, welche wenig uͤber das Waſſer her-
vorragend die Eisfelder bilden, entſtehen auch mitten auf dem
Meere, indem bei ſtaͤrkerer Kaͤlte das Waſſer ſich mit Eiscryſtallen
fuͤllt, aus deren Vereinigung dann die oft Meilen weit verbreiteten,
theils aus großen theils aus kleinen Stuͤcken beſtehenden, Eisfelder
hervorgehen. Dieſe Eismaſſen ſetzen die jene Gegenden beſuchen-
den Schiffer oft in die groͤßeſten Gefahren. Oft finden dieſe ſich
durch ſchnell ſich vereinigende Eismaſſen ſo von Eis umgeben, daß
ſie nirgends einen Ausweg ſehen, und den Bewegungen des Eiſes
ganz und gar folgen muͤſſen. Dabei ereignet es ſich zuweilen, daß
mehrere ungeheure Eisfelder ſo gegen einander draͤngen, daß Schiffe
in Gefahr gerathen, von ihnen zerdruͤckt zu werden. Beſonders

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[91/0105] ger bis zum 80ſten Grade der Breite gelangen koͤnnen. Die Gren- zen des faſt ganz undurchdringlichen Eiſes, welche in der Gegend von Island und Spitzbergen eine ſo bedeutende Einbiegung haben, ſind indeß nicht voͤllig unveraͤnderlich, ſondern um die Jahre 18 bis 22 dieſes Jahrhunderts konnte man zu den oͤſtlichen Kuͤſten Groͤnlands gelangen, die ſeit vielen Jahren unzugaͤnglich geweſen waren. Dieſe Befreiung von Eiſe war dadurch entſtanden, daß vorzuͤglich im Jahre 1818 ungeheure Eismaſſen ſich abgeloͤſet hat- ten und nach Suͤden zu getrieben waren, ſo große Maſſen, daß Schiffe, die von Neufundland (in 47° Breite) abſegelten, viele Tage lang von Eis umgeben und ſo weit als das Auge reichte davon umgeben waren. In jenen noͤrdlichen Meeren und vorzuͤglich in der Davis- ſtraße kommen Eisberge von mehr als 100 Fuß, ja bis 250 Fuß uͤber dem Waſſer und ſo tief gehend vor, daß ſie bei 600 Fuß Tiefe des Waſſers auf dem Grunde ſitzen bleiben. Sie ſind ſo zahlreich, daß Roß 700 auf einmal in der einen Haͤlfte des Hori- zontes zaͤhlte. Die Entſtehung dieſer ungeheuern Maſſen ſcheint vielleicht einzig oder doch wenigſtens vorzuͤglich an den Ufern der feſten Laͤnder ſtatt zu finden, und die Vermuthung, daß ſie von den Abhaͤngen der Berge ins Meer herab ſtuͤrzen, hat ſehr viel fuͤr ſich. Aber auch nachdem ſie ſo das Meer erreicht haben, koͤnnen ſie durch Regen und Schnee und durch feuchte Niederſchlaͤge aus der waͤrmern Luft noch ſehr zunehmen, daher denn auch ſich im Sommer oft oben auf denſelben aufgethautes ſuͤßes Waſſer findet. Diejenigen Eismaſſen dagegen, welche wenig uͤber das Waſſer her- vorragend die Eisfelder bilden, entſtehen auch mitten auf dem Meere, indem bei ſtaͤrkerer Kaͤlte das Waſſer ſich mit Eiscryſtallen fuͤllt, aus deren Vereinigung dann die oft Meilen weit verbreiteten, theils aus großen theils aus kleinen Stuͤcken beſtehenden, Eisfelder hervorgehen. Dieſe Eismaſſen ſetzen die jene Gegenden beſuchen- den Schiffer oft in die groͤßeſten Gefahren. Oft finden dieſe ſich durch ſchnell ſich vereinigende Eismaſſen ſo von Eis umgeben, daß ſie nirgends einen Ausweg ſehen, und den Bewegungen des Eiſes ganz und gar folgen muͤſſen. Dabei ereignet es ſich zuweilen, daß mehrere ungeheure Eisfelder ſo gegen einander draͤngen, daß Schiffe in Gefahr gerathen, von ihnen zerdruͤckt zu werden. Beſonders

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/105>, abgerufen am 23.11.2024.