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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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ßen, weil in jedem solchen Crystalle nicht bloß nur eine solche,
zwischen den ganz stumpfen Ecken gezogene Linie vorkömmt, son-
dern auch keine andre Linie sich ebenso als einzig in ihrer Art dar-
stellt. Wenn der zufällig gebildete Crystall ungleiche Seiten hat,
so muß man dennoch unter der Axe des Crystalls diese im gleichsei-
tigen Crystalle gezogene Linie verstehen, die bei unsern Betrachtun-
gen vorzüglich in Beziehung auf die kleinen Crystalle, aus welchen
wir den großen Crystall uns zusammengesetzt denken, vorkömmt.

An diesem Crystalle zeigen sich die Erscheinungen der doppelten
Strahlenbrechung auf folgende Weise. Wenn sich unter der
Grundfläche im T (Fig. 126.) ein kenntlicher Punct befindet, zu
welchem die vom Auge O ausgehende Linie gegen beide Oberflächen
ABC, DKL, senkrecht gezogen ist, so sieht das Auge O jenen
Punct doppelt; bei genauerer Untersuchung überzeugt man sich,
daß zwar die Richtung, nach welcher das eine dieser doppelten
Bilder gesehen wird, mit der Senkrechten OT genau übereinstimmt,
der Lichtstrahl also ungebrochen zum Auge kömmt, daß aber der andre
Strahl, ganz den Gesetzen der gewöhnlichen Brechung entgegen,
auch hier eine Brechung leidet. Man bemerkt, so lange das Auge
genau in der gegen beide Oberflächen senkrechten und durch den
Punct T gehenden Linie bleibt, daß beide Bilder in derjenigen
Richtung liegen, die mit der den stumpfen Winkel ABC halbi-
renden Linie parallel ist, und daß die Brechung, die wir die unge-
wöhnliche Brechung zu nennen berechtigt sind, in derjenigen
Ebne geschieht, in welcher sich die vorhin angegebene Axe des
Crystalles befindet. Diese Bemerkung gilt in Beziehung auf jedes
Paar paralleler Seitenflächen des Crystalles, und es läßt sich also
wohl einsehen, daß jene Axe in einer bestimmten Beziehung mit
der doppelten Brechung steht. Entfernt sich das Auge von der
durch T auf beide Ebenen ABC, DKL, gezogenen Senkrechten,
bleibt aber in derjenigen auf ABC senkrechten Ebene, die durch
T mit den Axen der Crystalle, aus welchen wir den großen Crystall
zusammengesetzt ansehen, parallel ist, so bleibt auch der ungewöhn-
lich gebrochene Strahl in dieser Ebne; weicht dagegen das Auge
von dieser Ebne ab, so ist für den ungewöhnlichen Strahl das bei
der gewöhnlichen Brechung ganz allgemeine und auch hier für den
gewöhnlich gebrochenen Strahl immer statt findende Gesetz, daß

ßen, weil in jedem ſolchen Cryſtalle nicht bloß nur eine ſolche,
zwiſchen den ganz ſtumpfen Ecken gezogene Linie vorkoͤmmt, ſon-
dern auch keine andre Linie ſich ebenſo als einzig in ihrer Art dar-
ſtellt. Wenn der zufaͤllig gebildete Cryſtall ungleiche Seiten hat,
ſo muß man dennoch unter der Axe des Cryſtalls dieſe im gleichſei-
tigen Cryſtalle gezogene Linie verſtehen, die bei unſern Betrachtun-
gen vorzuͤglich in Beziehung auf die kleinen Cryſtalle, aus welchen
wir den großen Cryſtall uns zuſammengeſetzt denken, vorkoͤmmt.

An dieſem Cryſtalle zeigen ſich die Erſcheinungen der doppelten
Strahlenbrechung auf folgende Weiſe. Wenn ſich unter der
Grundflaͤche im T (Fig. 126.) ein kenntlicher Punct befindet, zu
welchem die vom Auge O ausgehende Linie gegen beide Oberflaͤchen
ABC, DKL, ſenkrecht gezogen iſt, ſo ſieht das Auge O jenen
Punct doppelt; bei genauerer Unterſuchung uͤberzeugt man ſich,
daß zwar die Richtung, nach welcher das eine dieſer doppelten
Bilder geſehen wird, mit der Senkrechten OT genau uͤbereinſtimmt,
der Lichtſtrahl alſo ungebrochen zum Auge koͤmmt, daß aber der andre
Strahl, ganz den Geſetzen der gewoͤhnlichen Brechung entgegen,
auch hier eine Brechung leidet. Man bemerkt, ſo lange das Auge
genau in der gegen beide Oberflaͤchen ſenkrechten und durch den
Punct T gehenden Linie bleibt, daß beide Bilder in derjenigen
Richtung liegen, die mit der den ſtumpfen Winkel ABC halbi-
renden Linie parallel iſt, und daß die Brechung, die wir die unge-
woͤhnliche Brechung zu nennen berechtigt ſind, in derjenigen
Ebne geſchieht, in welcher ſich die vorhin angegebene Axe des
Cryſtalles befindet. Dieſe Bemerkung gilt in Beziehung auf jedes
Paar paralleler Seitenflaͤchen des Cryſtalles, und es laͤßt ſich alſo
wohl einſehen, daß jene Axe in einer beſtimmten Beziehung mit
der doppelten Brechung ſteht. Entfernt ſich das Auge von der
durch T auf beide Ebenen ABC, DKL, gezogenen Senkrechten,
bleibt aber in derjenigen auf ABC ſenkrechten Ebene, die durch
T mit den Axen der Cryſtalle, aus welchen wir den großen Cryſtall
zuſammengeſetzt anſehen, parallel iſt, ſo bleibt auch der ungewoͤhn-
lich gebrochene Strahl in dieſer Ebne; weicht dagegen das Auge
von dieſer Ebne ab, ſo iſt fuͤr den ungewoͤhnlichen Strahl das bei
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[302/0316] ßen, weil in jedem ſolchen Cryſtalle nicht bloß nur eine ſolche, zwiſchen den ganz ſtumpfen Ecken gezogene Linie vorkoͤmmt, ſon- dern auch keine andre Linie ſich ebenſo als einzig in ihrer Art dar- ſtellt. Wenn der zufaͤllig gebildete Cryſtall ungleiche Seiten hat, ſo muß man dennoch unter der Axe des Cryſtalls dieſe im gleichſei- tigen Cryſtalle gezogene Linie verſtehen, die bei unſern Betrachtun- gen vorzuͤglich in Beziehung auf die kleinen Cryſtalle, aus welchen wir den großen Cryſtall uns zuſammengeſetzt denken, vorkoͤmmt. An dieſem Cryſtalle zeigen ſich die Erſcheinungen der doppelten Strahlenbrechung auf folgende Weiſe. Wenn ſich unter der Grundflaͤche im T (Fig. 126.) ein kenntlicher Punct befindet, zu welchem die vom Auge O ausgehende Linie gegen beide Oberflaͤchen ABC, DKL, ſenkrecht gezogen iſt, ſo ſieht das Auge O jenen Punct doppelt; bei genauerer Unterſuchung uͤberzeugt man ſich, daß zwar die Richtung, nach welcher das eine dieſer doppelten Bilder geſehen wird, mit der Senkrechten OT genau uͤbereinſtimmt, der Lichtſtrahl alſo ungebrochen zum Auge koͤmmt, daß aber der andre Strahl, ganz den Geſetzen der gewoͤhnlichen Brechung entgegen, auch hier eine Brechung leidet. Man bemerkt, ſo lange das Auge genau in der gegen beide Oberflaͤchen ſenkrechten und durch den Punct T gehenden Linie bleibt, daß beide Bilder in derjenigen Richtung liegen, die mit der den ſtumpfen Winkel ABC halbi- renden Linie parallel iſt, und daß die Brechung, die wir die unge- woͤhnliche Brechung zu nennen berechtigt ſind, in derjenigen Ebne geſchieht, in welcher ſich die vorhin angegebene Axe des Cryſtalles befindet. Dieſe Bemerkung gilt in Beziehung auf jedes Paar paralleler Seitenflaͤchen des Cryſtalles, und es laͤßt ſich alſo wohl einſehen, daß jene Axe in einer beſtimmten Beziehung mit der doppelten Brechung ſteht. Entfernt ſich das Auge von der durch T auf beide Ebenen ABC, DKL, gezogenen Senkrechten, bleibt aber in derjenigen auf ABC ſenkrechten Ebene, die durch T mit den Axen der Cryſtalle, aus welchen wir den großen Cryſtall zuſammengeſetzt anſehen, parallel iſt, ſo bleibt auch der ungewoͤhn- lich gebrochene Strahl in dieſer Ebne; weicht dagegen das Auge von dieſer Ebne ab, ſo iſt fuͤr den ungewoͤhnlichen Strahl das bei der gewoͤhnlichen Brechung ganz allgemeine und auch hier fuͤr den gewoͤhnlich gebrochenen Strahl immer ſtatt findende Geſetz, daß

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/316>, abgerufen am 22.11.2024.