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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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über einander hervorragen, die ganze hinterwärts liegende Fläche
sich so zeigt, wie man sie von einem hohen Standpuncte aus sehen
würde. Die ganze Gegend liegt Meilen weit vor dem Blicke offen
da, so daß man statt einer horizontalen Ebne eine ziemlich anstei-
gende Fläche vor sich zu sehen glaubt. Damit diese Erscheinung
statt finden könne, müssen durch starke Erwärmung der oberen
Luftschichten diese dünne genug geworden sein, um den zuerst vom
Gegenstande mit schwacher Neigung aufwärts gehenden Lichtstrahl
wieder herabwärts zu brechen. Dieses ist bei der sphärischen Ge-
stalt der Schichten möglich; denn (Fig. 81.) wenn der Strahl AB
in C horizontal geworden ist, so sollte er in D in eine dünnere
Schichte übergehen, weil er aber vom Einfallslothe abwärts gebro-
chen nicht in diese Schichte übergehen kann, so wird er unter eben
dem Winkel zurückgeworfen, unter welchem er an diese Schichte
antraf, und setzt nun seinen Weg herabwärts fort. Der Beobach-
ter in F sieht dann den Meerhorizont höher als die wahre Horizon-
tallinie FG, so wie es bei den vorhin erwähnten Beobachtungen
der Fall ist.

Die Erscheinung einer Verdoppelung der Gegenstände, die
hiemit öfters verbunden ist, wird sich besser verstehen lassen, wenn
ich vorher erzähle, welche Erscheinungen einem entgegengesetzten
Zustande der Atmosphäre entsprechen. Wir sind gewohnt die un-
tere Luft immer als die dichtere und folglich als die das Licht am
stärksten brechende anzusehen; aber bei starker Erhitzung der Erd-
Oberfläche leidet dies Gesetz, daß die tiefern Schichten dichter als
die höhern sind, merkliche Ausnahmen. Die Erde kann leicht 5
Reaum. Grade wärmer sein, als die Luft in 10 Fuß Höhe, und
wenn sie dann den untersten Luftschichten auch nur 2 Gr. Wärme
ertheilt, so ist die Luft dort um ein Hunderttel ausgedehnt, also
nur so dicht mehr, wie sie bei unveränderter Wärme und einem
um 3 1/3 Linie niedrigerm Barometerstande sein würde, das ist nur
so dicht, als die kältere Luft in 250 Fuß Höhe ist. Bei diesem
Zustande der Luft wird also ein, wenig von der Horizontallinie ab-
weichender, herabwärts gehender Lichtstrahl in den unteren Schich-
ten vom Perpendikel abwärts gebrochen, seine Neigung gegen den
Horizont wird geringer, er wird endlich ganz horizontal, und nimmt
dann, wenn er weiter geht, eine immer mehr gegen den Horizont

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uͤber einander hervorragen, die ganze hinterwaͤrts liegende Flaͤche
ſich ſo zeigt, wie man ſie von einem hohen Standpuncte aus ſehen
wuͤrde. Die ganze Gegend liegt Meilen weit vor dem Blicke offen
da, ſo daß man ſtatt einer horizontalen Ebne eine ziemlich anſtei-
gende Flaͤche vor ſich zu ſehen glaubt. Damit dieſe Erſcheinung
ſtatt finden koͤnne, muͤſſen durch ſtarke Erwaͤrmung der oberen
Luftſchichten dieſe duͤnne genug geworden ſein, um den zuerſt vom
Gegenſtande mit ſchwacher Neigung aufwaͤrts gehenden Lichtſtrahl
wieder herabwaͤrts zu brechen. Dieſes iſt bei der ſphaͤriſchen Ge-
ſtalt der Schichten moͤglich; denn (Fig. 81.) wenn der Strahl AB
in C horizontal geworden iſt, ſo ſollte er in D in eine duͤnnere
Schichte uͤbergehen, weil er aber vom Einfallslothe abwaͤrts gebro-
chen nicht in dieſe Schichte uͤbergehen kann, ſo wird er unter eben
dem Winkel zuruͤckgeworfen, unter welchem er an dieſe Schichte
antraf, und ſetzt nun ſeinen Weg herabwaͤrts fort. Der Beobach-
ter in F ſieht dann den Meerhorizont hoͤher als die wahre Horizon-
tallinie FG, ſo wie es bei den vorhin erwaͤhnten Beobachtungen
der Fall iſt.

Die Erſcheinung einer Verdoppelung der Gegenſtaͤnde, die
hiemit oͤfters verbunden iſt, wird ſich beſſer verſtehen laſſen, wenn
ich vorher erzaͤhle, welche Erſcheinungen einem entgegengeſetzten
Zuſtande der Atmoſphaͤre entſprechen. Wir ſind gewohnt die un-
tere Luft immer als die dichtere und folglich als die das Licht am
ſtaͤrkſten brechende anzuſehen; aber bei ſtarker Erhitzung der Erd-
Oberflaͤche leidet dies Geſetz, daß die tiefern Schichten dichter als
die hoͤhern ſind, merkliche Ausnahmen. Die Erde kann leicht 5
Reaum. Grade waͤrmer ſein, als die Luft in 10 Fuß Hoͤhe, und
wenn ſie dann den unterſten Luftſchichten auch nur 2 Gr. Waͤrme
ertheilt, ſo iſt die Luft dort um ein Hunderttel ausgedehnt, alſo
nur ſo dicht mehr, wie ſie bei unveraͤnderter Waͤrme und einem
um 3⅓ Linie niedrigerm Barometerſtande ſein wuͤrde, das iſt nur
ſo dicht, als die kaͤltere Luft in 250 Fuß Hoͤhe iſt. Bei dieſem
Zuſtande der Luft wird alſo ein, wenig von der Horizontallinie ab-
weichender, herabwaͤrts gehender Lichtſtrahl in den unteren Schich-
ten vom Perpendikel abwaͤrts gebrochen, ſeine Neigung gegen den
Horizont wird geringer, er wird endlich ganz horizontal, und nimmt
dann, wenn er weiter geht, eine immer mehr gegen den Horizont

L 2
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[163/0177] uͤber einander hervorragen, die ganze hinterwaͤrts liegende Flaͤche ſich ſo zeigt, wie man ſie von einem hohen Standpuncte aus ſehen wuͤrde. Die ganze Gegend liegt Meilen weit vor dem Blicke offen da, ſo daß man ſtatt einer horizontalen Ebne eine ziemlich anſtei- gende Flaͤche vor ſich zu ſehen glaubt. Damit dieſe Erſcheinung ſtatt finden koͤnne, muͤſſen durch ſtarke Erwaͤrmung der oberen Luftſchichten dieſe duͤnne genug geworden ſein, um den zuerſt vom Gegenſtande mit ſchwacher Neigung aufwaͤrts gehenden Lichtſtrahl wieder herabwaͤrts zu brechen. Dieſes iſt bei der ſphaͤriſchen Ge- ſtalt der Schichten moͤglich; denn (Fig. 81.) wenn der Strahl AB in C horizontal geworden iſt, ſo ſollte er in D in eine duͤnnere Schichte uͤbergehen, weil er aber vom Einfallslothe abwaͤrts gebro- chen nicht in dieſe Schichte uͤbergehen kann, ſo wird er unter eben dem Winkel zuruͤckgeworfen, unter welchem er an dieſe Schichte antraf, und ſetzt nun ſeinen Weg herabwaͤrts fort. Der Beobach- ter in F ſieht dann den Meerhorizont hoͤher als die wahre Horizon- tallinie FG, ſo wie es bei den vorhin erwaͤhnten Beobachtungen der Fall iſt. Die Erſcheinung einer Verdoppelung der Gegenſtaͤnde, die hiemit oͤfters verbunden iſt, wird ſich beſſer verſtehen laſſen, wenn ich vorher erzaͤhle, welche Erſcheinungen einem entgegengeſetzten Zuſtande der Atmoſphaͤre entſprechen. Wir ſind gewohnt die un- tere Luft immer als die dichtere und folglich als die das Licht am ſtaͤrkſten brechende anzuſehen; aber bei ſtarker Erhitzung der Erd- Oberflaͤche leidet dies Geſetz, daß die tiefern Schichten dichter als die hoͤhern ſind, merkliche Ausnahmen. Die Erde kann leicht 5 Reaum. Grade waͤrmer ſein, als die Luft in 10 Fuß Hoͤhe, und wenn ſie dann den unterſten Luftſchichten auch nur 2 Gr. Waͤrme ertheilt, ſo iſt die Luft dort um ein Hunderttel ausgedehnt, alſo nur ſo dicht mehr, wie ſie bei unveraͤnderter Waͤrme und einem um 3⅓ Linie niedrigerm Barometerſtande ſein wuͤrde, das iſt nur ſo dicht, als die kaͤltere Luft in 250 Fuß Hoͤhe iſt. Bei dieſem Zuſtande der Luft wird alſo ein, wenig von der Horizontallinie ab- weichender, herabwaͤrts gehender Lichtſtrahl in den unteren Schich- ten vom Perpendikel abwaͤrts gebrochen, ſeine Neigung gegen den Horizont wird geringer, er wird endlich ganz horizontal, und nimmt dann, wenn er weiter geht, eine immer mehr gegen den Horizont L 2

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/177>, abgerufen am 27.11.2024.