Ein andres Mittel ist die Beobachtung des Schattens. Man läßt durch eine kleine Oeffnung einen Sonnenstrahl (Fig. 50.) in ein dunkles Zimmer fallen, und beobachtet, indem er an der Spitze B der undurchsichtigen Wand AB vorbeigeht, wo er in C die Ebne AC erreicht. Hierauf stellt man an AB einen durchsichtigen Kör- per AD, z. B. einen Glaskörper, dessen obere Seite mit AC pa- rallel ist, und beobachtet nun, daß der Lichtstrahl nicht nach C, sondern im Glase fortgehend nach E kömmt; und hierin ist wieder ein Mittel gegeben, um die Größe der Brechung zu finden, oder zu bestimmen, wie der Winkel, welchen der Strahl BC in der Luft mit dem Einfallslothe machte, von demjenigen verschieden ist, den der gebrochene Strahl BE mit eben dem Einfallslothe macht. Durch ähnliche Versuche ist das Gesetz, daß die Sinus jener Win- kel bei allen Einfallswinkeln einerlei Verhältniß behalten, wenn die brechende Materie dieselbe bleibt, gefunden worden.
Einzelne Erscheinungen, die durch Refraction bewirkt werden.
Eine große Menge von Erscheinungen, die sich zum Theil uns täglich darbieten, erhalten schon aus dem bisher Angeführten ihre vollständige Erklärung, und auf einige derselben werde ich Sie wenigstens aufmerksam machen.
Wenn man einen graden Stab in geneigter Richtung in eine ebne Wasserfläche taucht, so erscheint er wie gebrochen, als ob der Theil im Wasser mit dem Theile außer dem Wasser einen Winkel machte. Denn, wenn das Auge von der Seite her gegen den Stab sieht, so erscheinen alle im Wasser befindlichen Theile des Stabes höher hinauf gerückt, und der untergetauchte Theil ist daher anscheinend weniger, als der nicht eingetauchte Theil, gegen die Oberfläche des Wassers geneigt. Und selbst wenn das Auge sich in der durch die Richtung des Stabes auf die Oberfläche des Was- sers senkrecht gelegten Ebne befindet, gilt eben diese Betrachtung. Der vom Endpuncte A (Fig. 51.) kommende Lichtstrahl gelangt nämlich in der Richtung BO zum Auge O, weil er in B gebro- chen wird, und da eben dies für alle übrigen Puncte D gilt, so sehen wir den Stab so verkürzt, als ob er sich in der Richtung Hda befände. Auch die Täuschung, als ob der Boden des Ge-
Ein andres Mittel iſt die Beobachtung des Schattens. Man laͤßt durch eine kleine Oeffnung einen Sonnenſtrahl (Fig. 50.) in ein dunkles Zimmer fallen, und beobachtet, indem er an der Spitze B der undurchſichtigen Wand AB vorbeigeht, wo er in C die Ebne AC erreicht. Hierauf ſtellt man an AB einen durchſichtigen Koͤr- per AD, z. B. einen Glaskoͤrper, deſſen obere Seite mit AC pa- rallel iſt, und beobachtet nun, daß der Lichtſtrahl nicht nach C, ſondern im Glaſe fortgehend nach E koͤmmt; und hierin iſt wieder ein Mittel gegeben, um die Groͤße der Brechung zu finden, oder zu beſtimmen, wie der Winkel, welchen der Strahl BC in der Luft mit dem Einfallslothe machte, von demjenigen verſchieden iſt, den der gebrochene Strahl BE mit eben dem Einfallslothe macht. Durch aͤhnliche Verſuche iſt das Geſetz, daß die Sinus jener Win- kel bei allen Einfallswinkeln einerlei Verhaͤltniß behalten, wenn die brechende Materie dieſelbe bleibt, gefunden worden.
Einzelne Erſcheinungen, die durch Refraction bewirkt werden.
Eine große Menge von Erſcheinungen, die ſich zum Theil uns taͤglich darbieten, erhalten ſchon aus dem bisher Angefuͤhrten ihre vollſtaͤndige Erklaͤrung, und auf einige derſelben werde ich Sie wenigſtens aufmerkſam machen.
Wenn man einen graden Stab in geneigter Richtung in eine ebne Waſſerflaͤche taucht, ſo erſcheint er wie gebrochen, als ob der Theil im Waſſer mit dem Theile außer dem Waſſer einen Winkel machte. Denn, wenn das Auge von der Seite her gegen den Stab ſieht, ſo erſcheinen alle im Waſſer befindlichen Theile des Stabes hoͤher hinauf geruͤckt, und der untergetauchte Theil iſt daher anſcheinend weniger, als der nicht eingetauchte Theil, gegen die Oberflaͤche des Waſſers geneigt. Und ſelbſt wenn das Auge ſich in der durch die Richtung des Stabes auf die Oberflaͤche des Waſ- ſers ſenkrecht gelegten Ebne befindet, gilt eben dieſe Betrachtung. Der vom Endpuncte A (Fig. 51.) kommende Lichtſtrahl gelangt naͤmlich in der Richtung BO zum Auge O, weil er in B gebro- chen wird, und da eben dies fuͤr alle uͤbrigen Puncte D gilt, ſo ſehen wir den Stab ſo verkuͤrzt, als ob er ſich in der Richtung Hda befaͤnde. Auch die Taͤuſchung, als ob der Boden des Ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0117"n="103"/><p>Ein andres Mittel iſt die Beobachtung des Schattens. Man<lb/>
laͤßt durch eine kleine Oeffnung einen Sonnenſtrahl (<hirendition="#aq"><hirendition="#b">Fig. 50.</hi></hi>) in<lb/>
ein dunkles Zimmer fallen, und beobachtet, indem er an der Spitze<lb/><hirendition="#aq"><hirendition="#b">B</hi></hi> der undurchſichtigen Wand <hirendition="#aq"><hirendition="#b">AB</hi></hi> vorbeigeht, wo er in <hirendition="#aq"><hirendition="#b">C</hi></hi> die Ebne<lb/><hirendition="#aq"><hirendition="#b">AC</hi></hi> erreicht. Hierauf ſtellt man an <hirendition="#aq"><hirendition="#b">AB</hi></hi> einen durchſichtigen Koͤr-<lb/>
per <hirendition="#aq"><hirendition="#b">AD,</hi></hi> z. B. einen Glaskoͤrper, deſſen obere Seite mit <hirendition="#aq"><hirendition="#b">AC</hi></hi> pa-<lb/>
rallel iſt, und beobachtet nun, daß der Lichtſtrahl nicht nach <hirendition="#aq"><hirendition="#b">C,</hi></hi><lb/>ſondern im Glaſe fortgehend nach <hirendition="#aq"><hirendition="#b">E</hi></hi> koͤmmt; und hierin iſt wieder<lb/>
ein Mittel gegeben, um die Groͤße der Brechung zu finden, oder<lb/>
zu beſtimmen, wie der Winkel, welchen der Strahl <hirendition="#aq"><hirendition="#b">BC</hi></hi> in der<lb/>
Luft mit dem Einfallslothe machte, von demjenigen verſchieden iſt,<lb/>
den der gebrochene Strahl <hirendition="#aq"><hirendition="#b">BE</hi></hi> mit eben dem Einfallslothe macht.<lb/>
Durch aͤhnliche Verſuche iſt das Geſetz, daß die Sinus jener Win-<lb/>
kel bei allen Einfallswinkeln einerlei Verhaͤltniß behalten, wenn die<lb/>
brechende Materie dieſelbe bleibt, gefunden worden.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#g">Einzelne Erſcheinungen</hi>, <hirendition="#g">die durch Refraction bewirkt<lb/>
werden</hi>.</head><lb/><p>Eine große Menge von Erſcheinungen, die ſich zum Theil<lb/>
uns taͤglich darbieten, erhalten ſchon aus dem bisher Angefuͤhrten<lb/>
ihre vollſtaͤndige Erklaͤrung, und auf einige derſelben werde ich Sie<lb/>
wenigſtens aufmerkſam machen.</p><lb/><p>Wenn man einen graden Stab in geneigter Richtung in eine<lb/>
ebne Waſſerflaͤche taucht, ſo erſcheint er wie gebrochen, als ob der<lb/>
Theil im Waſſer mit dem Theile außer dem Waſſer einen Winkel<lb/>
machte. Denn, wenn das Auge von der Seite her gegen den<lb/>
Stab ſieht, ſo erſcheinen alle im Waſſer befindlichen Theile des<lb/>
Stabes hoͤher hinauf geruͤckt, und der untergetauchte Theil iſt<lb/>
daher anſcheinend weniger, als der nicht eingetauchte Theil, gegen<lb/>
die Oberflaͤche des Waſſers geneigt. Und ſelbſt wenn das Auge ſich<lb/>
in der durch die Richtung des Stabes auf die Oberflaͤche des Waſ-<lb/>ſers ſenkrecht gelegten Ebne befindet, gilt eben dieſe Betrachtung.<lb/>
Der vom Endpuncte <hirendition="#aq"><hirendition="#b">A</hi></hi> (<hirendition="#aq"><hirendition="#b">Fig. 51.</hi></hi>) kommende Lichtſtrahl gelangt<lb/>
naͤmlich in der Richtung <hirendition="#aq"><hirendition="#b">BO</hi></hi> zum Auge <hirendition="#aq"><hirendition="#b">O,</hi></hi> weil er in <hirendition="#aq"><hirendition="#b">B</hi></hi> gebro-<lb/>
chen wird, und da eben dies fuͤr alle uͤbrigen Puncte <hirendition="#aq"><hirendition="#b">D</hi></hi> gilt, ſo<lb/>ſehen wir den Stab ſo verkuͤrzt, als ob er ſich in der Richtung<lb/><hirendition="#aq"><hirendition="#b">Hda</hi></hi> befaͤnde. Auch die Taͤuſchung, als ob der Boden des Ge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[103/0117]
Ein andres Mittel iſt die Beobachtung des Schattens. Man
laͤßt durch eine kleine Oeffnung einen Sonnenſtrahl (Fig. 50.) in
ein dunkles Zimmer fallen, und beobachtet, indem er an der Spitze
B der undurchſichtigen Wand AB vorbeigeht, wo er in C die Ebne
AC erreicht. Hierauf ſtellt man an AB einen durchſichtigen Koͤr-
per AD, z. B. einen Glaskoͤrper, deſſen obere Seite mit AC pa-
rallel iſt, und beobachtet nun, daß der Lichtſtrahl nicht nach C,
ſondern im Glaſe fortgehend nach E koͤmmt; und hierin iſt wieder
ein Mittel gegeben, um die Groͤße der Brechung zu finden, oder
zu beſtimmen, wie der Winkel, welchen der Strahl BC in der
Luft mit dem Einfallslothe machte, von demjenigen verſchieden iſt,
den der gebrochene Strahl BE mit eben dem Einfallslothe macht.
Durch aͤhnliche Verſuche iſt das Geſetz, daß die Sinus jener Win-
kel bei allen Einfallswinkeln einerlei Verhaͤltniß behalten, wenn die
brechende Materie dieſelbe bleibt, gefunden worden.
Einzelne Erſcheinungen, die durch Refraction bewirkt
werden.
Eine große Menge von Erſcheinungen, die ſich zum Theil
uns taͤglich darbieten, erhalten ſchon aus dem bisher Angefuͤhrten
ihre vollſtaͤndige Erklaͤrung, und auf einige derſelben werde ich Sie
wenigſtens aufmerkſam machen.
Wenn man einen graden Stab in geneigter Richtung in eine
ebne Waſſerflaͤche taucht, ſo erſcheint er wie gebrochen, als ob der
Theil im Waſſer mit dem Theile außer dem Waſſer einen Winkel
machte. Denn, wenn das Auge von der Seite her gegen den
Stab ſieht, ſo erſcheinen alle im Waſſer befindlichen Theile des
Stabes hoͤher hinauf geruͤckt, und der untergetauchte Theil iſt
daher anſcheinend weniger, als der nicht eingetauchte Theil, gegen
die Oberflaͤche des Waſſers geneigt. Und ſelbſt wenn das Auge ſich
in der durch die Richtung des Stabes auf die Oberflaͤche des Waſ-
ſers ſenkrecht gelegten Ebne befindet, gilt eben dieſe Betrachtung.
Der vom Endpuncte A (Fig. 51.) kommende Lichtſtrahl gelangt
naͤmlich in der Richtung BO zum Auge O, weil er in B gebro-
chen wird, und da eben dies fuͤr alle uͤbrigen Puncte D gilt, ſo
ſehen wir den Stab ſo verkuͤrzt, als ob er ſich in der Richtung
Hda befaͤnde. Auch die Taͤuſchung, als ob der Boden des Ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/117>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.