sehen daher, daß der Zusammenhang der Theile einer allmählig wirkenden Kraft besser widersteht, daß die Seitenmittheilung einer nur auf wenige Theile beschränkt wirkenden Kraft sich wirksamer zum Fortreißen der nicht unmittelbar getroffenen Theile zeigt, wenn die Kraft langsam und stetig wirkt; es ist, als ob diese Seitenmit- theilung eine gewisse Zeit forderte, so daß bei sehr raschem Stoße das Losreißen der Theile schon erfolgt ist, ehe diese Seitenmitthei- lung eintreten konnte. Unzählige tägliche Erfahrungen beruhen hierauf. Ein scharf gefaltetes Papier kann nach der Richtung dieser Falte zerrissen werden; aber nur dann, wenn man mit einem schnellen Risse die Theile trennt, geht der Riß grade fort, und langsam, Punct für Punct trennend, ist man der Gefahr seitwärts einzureißen, weit mehr ausgesetzt.
Und so wie hier der Zweck durch eine schnelle Bewegung, nach sicher bestimmter Richtung ausgeführt, erreicht wird, so dient zu andern Zwecken eine recht langsame, vorsichtige Bewegung. Ein eingerostetes Schloß soll geöffnet werden, und der Schlüssel, obgleich er richtig eingesteckt ist, läßt sich nicht drehen; -- ein Ungeschickter sieht sich sogleich nach einem Verstärkungsmittel seiner Kraft, eine durch den obern Ring zu steckende Stange und dergleichen um; wendet rasch alle Gewalt an, und bricht den Bart des Schlüssels ab; der Schlosser dagegen, oder wer auch nur mit Schlössern umzu- gehen weiß, faßt den Schlüssel leise, drängt langsam vorwärts, verstärkt recht langsam seine Kraft, und erreicht dadurch seinen Zweck. -- Man will eine verhältnißmäßig schwere Last an einem ziemlich schwachen Faden oder Seile fortziehen; -- es gelingt viel- leicht bei recht langsam und stetig vermehrter Kraft, aber der Faden reißt, wenn man die Last mit einem Stoße auf einmal in Bewe- gung setzen will. --
Diese ungleiche Einwirkung einer plötzlich wirkenden und einer langsam andrängenden Kraft zeigt sich auch in einigen Erscheinun- gen, die sich beim Steinesprengen und beim schnellen Reiben weichen Eisens an Glas oder Stahl darbieten. Es ist bekannt, daß man beim Absprengen der Steinmassen vom natürlichen Fels oder beim Zersprengen einzelner Steine sich des Schießpulvers so bedient, daß man cylindrische Löcher so tief, als man es nach Maaßgabe der abzusprengenden Stücke nöthig findet, einbohrt, sie
ſehen daher, daß der Zuſammenhang der Theile einer allmaͤhlig wirkenden Kraft beſſer widerſteht, daß die Seitenmittheilung einer nur auf wenige Theile beſchraͤnkt wirkenden Kraft ſich wirkſamer zum Fortreißen der nicht unmittelbar getroffenen Theile zeigt, wenn die Kraft langſam und ſtetig wirkt; es iſt, als ob dieſe Seitenmit- theilung eine gewiſſe Zeit forderte, ſo daß bei ſehr raſchem Stoße das Losreißen der Theile ſchon erfolgt iſt, ehe dieſe Seitenmitthei- lung eintreten konnte. Unzaͤhlige taͤgliche Erfahrungen beruhen hierauf. Ein ſcharf gefaltetes Papier kann nach der Richtung dieſer Falte zerriſſen werden; aber nur dann, wenn man mit einem ſchnellen Riſſe die Theile trennt, geht der Riß grade fort, und langſam, Punct fuͤr Punct trennend, iſt man der Gefahr ſeitwaͤrts einzureißen, weit mehr ausgeſetzt.
Und ſo wie hier der Zweck durch eine ſchnelle Bewegung, nach ſicher beſtimmter Richtung ausgefuͤhrt, erreicht wird, ſo dient zu andern Zwecken eine recht langſame, vorſichtige Bewegung. Ein eingeroſtetes Schloß ſoll geoͤffnet werden, und der Schluͤſſel, obgleich er richtig eingeſteckt iſt, laͤßt ſich nicht drehen; — ein Ungeſchickter ſieht ſich ſogleich nach einem Verſtaͤrkungsmittel ſeiner Kraft, eine durch den obern Ring zu ſteckende Stange und dergleichen um; wendet raſch alle Gewalt an, und bricht den Bart des Schluͤſſels ab; der Schloſſer dagegen, oder wer auch nur mit Schloͤſſern umzu- gehen weiß, faßt den Schluͤſſel leiſe, draͤngt langſam vorwaͤrts, verſtaͤrkt recht langſam ſeine Kraft, und erreicht dadurch ſeinen Zweck. — Man will eine verhaͤltnißmaͤßig ſchwere Laſt an einem ziemlich ſchwachen Faden oder Seile fortziehen; — es gelingt viel- leicht bei recht langſam und ſtetig vermehrter Kraft, aber der Faden reißt, wenn man die Laſt mit einem Stoße auf einmal in Bewe- gung ſetzen will. —
Dieſe ungleiche Einwirkung einer ploͤtzlich wirkenden und einer langſam andraͤngenden Kraft zeigt ſich auch in einigen Erſcheinun- gen, die ſich beim Steineſprengen und beim ſchnellen Reiben weichen Eiſens an Glas oder Stahl darbieten. Es iſt bekannt, daß man beim Abſprengen der Steinmaſſen vom natuͤrlichen Fels oder beim Zerſprengen einzelner Steine ſich des Schießpulvers ſo bedient, daß man cylindriſche Loͤcher ſo tief, als man es nach Maaßgabe der abzuſprengenden Stuͤcke noͤthig findet, einbohrt, ſie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0056"n="34"/>ſehen daher, daß der Zuſammenhang der Theile einer allmaͤhlig<lb/>
wirkenden Kraft beſſer widerſteht, daß die Seitenmittheilung einer<lb/>
nur auf wenige Theile beſchraͤnkt wirkenden Kraft ſich wirkſamer<lb/>
zum Fortreißen der nicht unmittelbar getroffenen Theile zeigt, wenn<lb/>
die Kraft langſam und ſtetig wirkt; es iſt, als ob dieſe Seitenmit-<lb/>
theilung eine gewiſſe Zeit forderte, ſo daß bei ſehr raſchem Stoße<lb/>
das Losreißen der Theile ſchon erfolgt iſt, ehe dieſe Seitenmitthei-<lb/>
lung eintreten konnte. Unzaͤhlige taͤgliche Erfahrungen beruhen<lb/>
hierauf. Ein ſcharf gefaltetes Papier kann nach der Richtung dieſer<lb/>
Falte zerriſſen werden; aber nur dann, wenn man mit einem<lb/>ſchnellen Riſſe die Theile trennt, geht der Riß grade fort, und<lb/>
langſam, Punct fuͤr Punct trennend, iſt man der Gefahr ſeitwaͤrts<lb/>
einzureißen, weit mehr ausgeſetzt.</p><lb/><p>Und ſo wie hier der Zweck durch eine ſchnelle Bewegung, nach<lb/>ſicher beſtimmter Richtung ausgefuͤhrt, erreicht wird, ſo dient zu<lb/>
andern Zwecken eine recht langſame, vorſichtige Bewegung. Ein<lb/>
eingeroſtetes Schloß ſoll geoͤffnet werden, und der Schluͤſſel, obgleich<lb/>
er richtig eingeſteckt iſt, laͤßt ſich nicht drehen; — ein Ungeſchickter<lb/>ſieht ſich ſogleich nach einem Verſtaͤrkungsmittel ſeiner Kraft, eine<lb/>
durch den obern Ring zu ſteckende Stange und dergleichen um;<lb/>
wendet raſch alle Gewalt an, und bricht den Bart des Schluͤſſels<lb/>
ab; der Schloſſer dagegen, oder wer auch nur mit Schloͤſſern umzu-<lb/>
gehen weiß, faßt den Schluͤſſel leiſe, draͤngt langſam vorwaͤrts,<lb/>
verſtaͤrkt recht langſam ſeine Kraft, und erreicht dadurch ſeinen<lb/>
Zweck. — Man will eine verhaͤltnißmaͤßig ſchwere Laſt an einem<lb/>
ziemlich ſchwachen Faden oder Seile fortziehen; — es gelingt viel-<lb/>
leicht bei recht langſam und ſtetig vermehrter Kraft, aber der Faden<lb/>
reißt, wenn man die Laſt mit einem Stoße auf einmal in Bewe-<lb/>
gung ſetzen will. —</p><lb/><p>Dieſe ungleiche Einwirkung einer ploͤtzlich wirkenden und einer<lb/>
langſam andraͤngenden Kraft zeigt ſich auch in einigen Erſcheinun-<lb/>
gen, die ſich beim Steineſprengen und beim ſchnellen Reiben<lb/>
weichen Eiſens an Glas oder Stahl darbieten. Es iſt bekannt,<lb/>
daß man beim Abſprengen der Steinmaſſen vom natuͤrlichen Fels<lb/>
oder beim Zerſprengen einzelner Steine ſich des Schießpulvers ſo<lb/>
bedient, daß man cylindriſche Loͤcher ſo tief, als man es nach<lb/>
Maaßgabe der abzuſprengenden Stuͤcke noͤthig findet, einbohrt, ſie<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[34/0056]
ſehen daher, daß der Zuſammenhang der Theile einer allmaͤhlig
wirkenden Kraft beſſer widerſteht, daß die Seitenmittheilung einer
nur auf wenige Theile beſchraͤnkt wirkenden Kraft ſich wirkſamer
zum Fortreißen der nicht unmittelbar getroffenen Theile zeigt, wenn
die Kraft langſam und ſtetig wirkt; es iſt, als ob dieſe Seitenmit-
theilung eine gewiſſe Zeit forderte, ſo daß bei ſehr raſchem Stoße
das Losreißen der Theile ſchon erfolgt iſt, ehe dieſe Seitenmitthei-
lung eintreten konnte. Unzaͤhlige taͤgliche Erfahrungen beruhen
hierauf. Ein ſcharf gefaltetes Papier kann nach der Richtung dieſer
Falte zerriſſen werden; aber nur dann, wenn man mit einem
ſchnellen Riſſe die Theile trennt, geht der Riß grade fort, und
langſam, Punct fuͤr Punct trennend, iſt man der Gefahr ſeitwaͤrts
einzureißen, weit mehr ausgeſetzt.
Und ſo wie hier der Zweck durch eine ſchnelle Bewegung, nach
ſicher beſtimmter Richtung ausgefuͤhrt, erreicht wird, ſo dient zu
andern Zwecken eine recht langſame, vorſichtige Bewegung. Ein
eingeroſtetes Schloß ſoll geoͤffnet werden, und der Schluͤſſel, obgleich
er richtig eingeſteckt iſt, laͤßt ſich nicht drehen; — ein Ungeſchickter
ſieht ſich ſogleich nach einem Verſtaͤrkungsmittel ſeiner Kraft, eine
durch den obern Ring zu ſteckende Stange und dergleichen um;
wendet raſch alle Gewalt an, und bricht den Bart des Schluͤſſels
ab; der Schloſſer dagegen, oder wer auch nur mit Schloͤſſern umzu-
gehen weiß, faßt den Schluͤſſel leiſe, draͤngt langſam vorwaͤrts,
verſtaͤrkt recht langſam ſeine Kraft, und erreicht dadurch ſeinen
Zweck. — Man will eine verhaͤltnißmaͤßig ſchwere Laſt an einem
ziemlich ſchwachen Faden oder Seile fortziehen; — es gelingt viel-
leicht bei recht langſam und ſtetig vermehrter Kraft, aber der Faden
reißt, wenn man die Laſt mit einem Stoße auf einmal in Bewe-
gung ſetzen will. —
Dieſe ungleiche Einwirkung einer ploͤtzlich wirkenden und einer
langſam andraͤngenden Kraft zeigt ſich auch in einigen Erſcheinun-
gen, die ſich beim Steineſprengen und beim ſchnellen Reiben
weichen Eiſens an Glas oder Stahl darbieten. Es iſt bekannt,
daß man beim Abſprengen der Steinmaſſen vom natuͤrlichen Fels
oder beim Zerſprengen einzelner Steine ſich des Schießpulvers ſo
bedient, daß man cylindriſche Loͤcher ſo tief, als man es nach
Maaßgabe der abzuſprengenden Stuͤcke noͤthig findet, einbohrt, ſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/56>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.