Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

den übrigen, allein die dem Stoße angemessene Bewegung anneh-
men, wenn zum Beispiel die durch das Schießpulver in so unge-
mein schnelle Bewegung gesetzte Flintenkugel durch eine leicht be-
wegliche dünne Holzplatte dringt, ohne die ganze Masse aus der
Stelle zu bewegen. Man kann ähnliche Erscheinungen leicht er-
halten. Legt man zum Beispiel eine Menge von Platten mit pa-
rallelen Oberflächen, die Steine des Damenspieles oder ebenge-
schliffene Metallplatten, auf einander, bis sie eine ziemlich hohe
Säule bilden, so wird bei einem langsamen Drucke, der von der
Seite her einen dieser Körper, etwa mit Hülfe eines Messers, das
nur einen derselben mit seiner Schärfe berührt, fortzuschieben
strebt, der ganze obere Theil der Säule mit fortgeschoben und eben
deshalb auch umgeworfen werden; schlägt man dagegen mit recht
sicherm, raschem Stoße mit der Schärfe des Messers an einen
der mittlern Körper, so schlägt man diesen heraus, und die höher
liegenden Stücke werden so wenig mit fortgerissen, daß die Säule
ruhig stehen bleibt, und höchstens nur, (wenn man nicht zu unge-
schickt getroffen hat,) die nächsten Platten sich um etwas Weniges
auf die Seite gerückt finden. Ein ähnlicher, sehr bekannter Ver-
such ist der, wo ein Pfeifenstiel horizontal an zwei Haaren aufge-
hängt wird; bei einem langsamen, allmählig verstärkten Drucke
auf die Mitte des Pfeifenstieles reißen die Haare, aber ein hefti-
ger, auf die Mitte des Pfeifenstieles geführter Schlag zerbricht die-
sen, ohne die Haare zu zerreißen. Wenn man ein Kartenblatt auf
ein Glas und auf jenes ein Stück Geld legt, so wird, bei langsa-
mem Drucke von der Seite, die Karte mit dem Gelde auf die Seite
geschoben, aber ein rascher Schlag an die Karte, eine an die Karte
treffende losgeschnellte Feder, oder selbst der auf diese Weise antref-
fende Finger, führt die Karte unter dem Geldstücke fort, so daß
dies in das Glas herabfällt. Um das, worauf es ankömmt, damit
diese Erscheinung das Auffallende verliere, deutlicher hervorzuheben,
haben wir nur nöthig, an ähnliche Versuche mit weichen Körpern
zu denken. Wenn ich eine weiche Thonkugel mit dem Finger vor-
sichtig berühre, so kann ich sie fortschieben, ohne eben einen tiefen
Eindruck in ihre Masse zu machen; aber ein heftiger Stoß mit
der Spitze des Fingers gegen diese weiche Masse macht den Finger
tief eindringen, ohne die ganze Masse erheblich fortzuführen. Wir

I. C

den uͤbrigen, allein die dem Stoße angemeſſene Bewegung anneh-
men, wenn zum Beiſpiel die durch das Schießpulver in ſo unge-
mein ſchnelle Bewegung geſetzte Flintenkugel durch eine leicht be-
wegliche duͤnne Holzplatte dringt, ohne die ganze Maſſe aus der
Stelle zu bewegen. Man kann aͤhnliche Erſcheinungen leicht er-
halten. Legt man zum Beiſpiel eine Menge von Platten mit pa-
rallelen Oberflaͤchen, die Steine des Damenſpieles oder ebenge-
ſchliffene Metallplatten, auf einander, bis ſie eine ziemlich hohe
Saͤule bilden, ſo wird bei einem langſamen Drucke, der von der
Seite her einen dieſer Koͤrper, etwa mit Huͤlfe eines Meſſers, das
nur einen derſelben mit ſeiner Schaͤrfe beruͤhrt, fortzuſchieben
ſtrebt, der ganze obere Theil der Saͤule mit fortgeſchoben und eben
deshalb auch umgeworfen werden; ſchlaͤgt man dagegen mit recht
ſicherm, raſchem Stoße mit der Schaͤrfe des Meſſers an einen
der mittlern Koͤrper, ſo ſchlaͤgt man dieſen heraus, und die hoͤher
liegenden Stuͤcke werden ſo wenig mit fortgeriſſen, daß die Saͤule
ruhig ſtehen bleibt, und hoͤchſtens nur, (wenn man nicht zu unge-
ſchickt getroffen hat,) die naͤchſten Platten ſich um etwas Weniges
auf die Seite geruͤckt finden. Ein aͤhnlicher, ſehr bekannter Ver-
ſuch iſt der, wo ein Pfeifenſtiel horizontal an zwei Haaren aufge-
haͤngt wird; bei einem langſamen, allmaͤhlig verſtaͤrkten Drucke
auf die Mitte des Pfeifenſtieles reißen die Haare, aber ein hefti-
ger, auf die Mitte des Pfeifenſtieles gefuͤhrter Schlag zerbricht die-
ſen, ohne die Haare zu zerreißen. Wenn man ein Kartenblatt auf
ein Glas und auf jenes ein Stuͤck Geld legt, ſo wird, bei langſa-
mem Drucke von der Seite, die Karte mit dem Gelde auf die Seite
geſchoben, aber ein raſcher Schlag an die Karte, eine an die Karte
treffende losgeſchnellte Feder, oder ſelbſt der auf dieſe Weiſe antref-
fende Finger, fuͤhrt die Karte unter dem Geldſtuͤcke fort, ſo daß
dies in das Glas herabfaͤllt. Um das, worauf es ankoͤmmt, damit
dieſe Erſcheinung das Auffallende verliere, deutlicher hervorzuheben,
haben wir nur noͤthig, an aͤhnliche Verſuche mit weichen Koͤrpern
zu denken. Wenn ich eine weiche Thonkugel mit dem Finger vor-
ſichtig beruͤhre, ſo kann ich ſie fortſchieben, ohne eben einen tiefen
Eindruck in ihre Maſſe zu machen; aber ein heftiger Stoß mit
der Spitze des Fingers gegen dieſe weiche Maſſe macht den Finger
tief eindringen, ohne die ganze Maſſe erheblich fortzufuͤhren. Wir

I. C
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0055" n="33"/>
den u&#x0364;brigen, allein die dem Stoße angeme&#x017F;&#x017F;ene Bewegung anneh-<lb/>
men, wenn zum Bei&#x017F;piel die durch das Schießpulver in &#x017F;o unge-<lb/>
mein &#x017F;chnelle Bewegung ge&#x017F;etzte Flintenkugel durch eine leicht be-<lb/>
wegliche du&#x0364;nne Holzplatte dringt, ohne die ganze Ma&#x017F;&#x017F;e aus der<lb/>
Stelle zu bewegen. Man kann a&#x0364;hnliche Er&#x017F;cheinungen leicht er-<lb/>
halten. Legt man zum Bei&#x017F;piel eine Menge von Platten mit pa-<lb/>
rallelen Oberfla&#x0364;chen, die Steine des Damen&#x017F;pieles oder ebenge-<lb/>
&#x017F;chliffene Metallplatten, auf einander, bis &#x017F;ie eine ziemlich hohe<lb/>
Sa&#x0364;ule bilden, &#x017F;o wird bei einem lang&#x017F;amen Drucke, der von der<lb/>
Seite her einen die&#x017F;er Ko&#x0364;rper, etwa mit Hu&#x0364;lfe eines Me&#x017F;&#x017F;ers, das<lb/>
nur einen der&#x017F;elben mit &#x017F;einer Scha&#x0364;rfe beru&#x0364;hrt, fortzu&#x017F;chieben<lb/>
&#x017F;trebt, der ganze obere Theil der Sa&#x0364;ule mit fortge&#x017F;choben und eben<lb/>
deshalb auch umgeworfen werden; &#x017F;chla&#x0364;gt man dagegen mit recht<lb/>
&#x017F;icherm, ra&#x017F;chem Stoße mit der Scha&#x0364;rfe des Me&#x017F;&#x017F;ers an einen<lb/>
der mittlern Ko&#x0364;rper, &#x017F;o &#x017F;chla&#x0364;gt man die&#x017F;en heraus, und die ho&#x0364;her<lb/>
liegenden Stu&#x0364;cke werden &#x017F;o wenig mit fortgeri&#x017F;&#x017F;en, daß die Sa&#x0364;ule<lb/>
ruhig &#x017F;tehen bleibt, und ho&#x0364;ch&#x017F;tens nur, (wenn man nicht zu unge-<lb/>
&#x017F;chickt getroffen hat,) die na&#x0364;ch&#x017F;ten Platten &#x017F;ich um etwas Weniges<lb/>
auf die Seite geru&#x0364;ckt finden. Ein a&#x0364;hnlicher, &#x017F;ehr bekannter Ver-<lb/>
&#x017F;uch i&#x017F;t der, wo ein Pfeifen&#x017F;tiel horizontal an zwei Haaren aufge-<lb/>
ha&#x0364;ngt wird; bei einem lang&#x017F;amen, allma&#x0364;hlig ver&#x017F;ta&#x0364;rkten Drucke<lb/>
auf die Mitte des Pfeifen&#x017F;tieles reißen die Haare, aber ein hefti-<lb/>
ger, auf die Mitte des Pfeifen&#x017F;tieles gefu&#x0364;hrter Schlag zerbricht die-<lb/>
&#x017F;en, ohne die Haare zu zerreißen. Wenn man ein Kartenblatt auf<lb/>
ein Glas und auf jenes ein Stu&#x0364;ck Geld legt, &#x017F;o wird, bei lang&#x017F;a-<lb/>
mem Drucke von der Seite, die Karte mit dem Gelde auf die Seite<lb/>
ge&#x017F;choben, aber ein ra&#x017F;cher Schlag an die Karte, eine an die Karte<lb/>
treffende losge&#x017F;chnellte Feder, oder &#x017F;elb&#x017F;t der auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e antref-<lb/>
fende Finger, fu&#x0364;hrt die Karte unter dem Geld&#x017F;tu&#x0364;cke fort, &#x017F;o daß<lb/>
dies in das Glas herabfa&#x0364;llt. Um das, worauf es anko&#x0364;mmt, damit<lb/>
die&#x017F;e Er&#x017F;cheinung das Auffallende verliere, deutlicher hervorzuheben,<lb/>
haben wir nur no&#x0364;thig, an a&#x0364;hnliche Ver&#x017F;uche mit weichen Ko&#x0364;rpern<lb/>
zu denken. Wenn ich eine weiche Thonkugel mit dem Finger vor-<lb/>
&#x017F;ichtig beru&#x0364;hre, &#x017F;o kann ich &#x017F;ie fort&#x017F;chieben, ohne eben einen tiefen<lb/>
Eindruck in ihre Ma&#x017F;&#x017F;e zu machen; aber ein heftiger Stoß mit<lb/>
der Spitze des Fingers gegen die&#x017F;e weiche Ma&#x017F;&#x017F;e macht den Finger<lb/>
tief eindringen, ohne die ganze Ma&#x017F;&#x017F;e erheblich fortzufu&#x0364;hren. Wir<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">I.</hi></hi> C</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0055] den uͤbrigen, allein die dem Stoße angemeſſene Bewegung anneh- men, wenn zum Beiſpiel die durch das Schießpulver in ſo unge- mein ſchnelle Bewegung geſetzte Flintenkugel durch eine leicht be- wegliche duͤnne Holzplatte dringt, ohne die ganze Maſſe aus der Stelle zu bewegen. Man kann aͤhnliche Erſcheinungen leicht er- halten. Legt man zum Beiſpiel eine Menge von Platten mit pa- rallelen Oberflaͤchen, die Steine des Damenſpieles oder ebenge- ſchliffene Metallplatten, auf einander, bis ſie eine ziemlich hohe Saͤule bilden, ſo wird bei einem langſamen Drucke, der von der Seite her einen dieſer Koͤrper, etwa mit Huͤlfe eines Meſſers, das nur einen derſelben mit ſeiner Schaͤrfe beruͤhrt, fortzuſchieben ſtrebt, der ganze obere Theil der Saͤule mit fortgeſchoben und eben deshalb auch umgeworfen werden; ſchlaͤgt man dagegen mit recht ſicherm, raſchem Stoße mit der Schaͤrfe des Meſſers an einen der mittlern Koͤrper, ſo ſchlaͤgt man dieſen heraus, und die hoͤher liegenden Stuͤcke werden ſo wenig mit fortgeriſſen, daß die Saͤule ruhig ſtehen bleibt, und hoͤchſtens nur, (wenn man nicht zu unge- ſchickt getroffen hat,) die naͤchſten Platten ſich um etwas Weniges auf die Seite geruͤckt finden. Ein aͤhnlicher, ſehr bekannter Ver- ſuch iſt der, wo ein Pfeifenſtiel horizontal an zwei Haaren aufge- haͤngt wird; bei einem langſamen, allmaͤhlig verſtaͤrkten Drucke auf die Mitte des Pfeifenſtieles reißen die Haare, aber ein hefti- ger, auf die Mitte des Pfeifenſtieles gefuͤhrter Schlag zerbricht die- ſen, ohne die Haare zu zerreißen. Wenn man ein Kartenblatt auf ein Glas und auf jenes ein Stuͤck Geld legt, ſo wird, bei langſa- mem Drucke von der Seite, die Karte mit dem Gelde auf die Seite geſchoben, aber ein raſcher Schlag an die Karte, eine an die Karte treffende losgeſchnellte Feder, oder ſelbſt der auf dieſe Weiſe antref- fende Finger, fuͤhrt die Karte unter dem Geldſtuͤcke fort, ſo daß dies in das Glas herabfaͤllt. Um das, worauf es ankoͤmmt, damit dieſe Erſcheinung das Auffallende verliere, deutlicher hervorzuheben, haben wir nur noͤthig, an aͤhnliche Verſuche mit weichen Koͤrpern zu denken. Wenn ich eine weiche Thonkugel mit dem Finger vor- ſichtig beruͤhre, ſo kann ich ſie fortſchieben, ohne eben einen tiefen Eindruck in ihre Maſſe zu machen; aber ein heftiger Stoß mit der Spitze des Fingers gegen dieſe weiche Maſſe macht den Finger tief eindringen, ohne die ganze Maſſe erheblich fortzufuͤhren. Wir I. C

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/55
Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/55>, abgerufen am 24.11.2024.