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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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nicht auf unser Ohr allein, sondern auf unser Gemüth macht, über
den ihr eignen Ausdruck von heiterer oder fröhlicher, von ernster
oder trauriger Empfindung, über die Mittheilung von Begriffen
und Empfindungen durch die Sprache, kurz über die ganze Einwir-
kung dieser hörbaren Töne auf unsre geistige Thätigkeit geben kön-
nen, so enthalten sie doch, selbst in ihren bloß mechanischen Bezie-
hungen, so viel Unerwartetes, zeigen uns zwischen den mechanischen
Bestimmungen der Töne und dem Wohlgefallen oder Misfallen, das
unser Ohr daran findet, eine so sicher begründete Uebereinstimmung,
daß man kein Bedenken tragen darf, die Acustik, die Lehre vom
Schalle, als einen der schönsten Theile der Naturlehre zu empfehlen.

Daß wir unter Schall jede Einwirkung auf unser Gehör ver-
stehen, ist bekannt, und ebenso bekannt sind die vielen Worte, durch
welche wir verschiedene Arten des Schalles, oder die Ungleichheit des
Eindruckes, den er auf unser Ohr macht, bezeichnen. Das allge-
meinste darunter ist das Wort Schall, welches alle andere in sich
schließt; von den andern will ich nur einige zu erklären suchen. Ge-
räusch
ist ein zwar längere Zeit fortwährender, aber nicht die
Empfindung einer Gleichartigkeit in seiner ganzen Dauer gebender
Schall; der Ton hingegen hat diese Gleichartigkeit. Wir geben
aber der Abwechselung mehrerer Töne nicht den Namen eines Ge-
räusches, weil unser Ohr fein genug hört, um selbst in dem schnellen
Wechsel der Töne die Reinheit des Tones, das ist den gleichartigen
Eindruck während der sehr kurzen Zeit der Dauer eines Tones,
zu bemerken. Im Klange ist allemal die Empfindung von Ton,
und selbst die Mischung mehrerer Töne kann darin merkbar sein.
Vom Klange zum bloßen Geräusch findet ein Uebergang statt, und
in dem Geräusche kann ein dumpfer Klang erkennbar werden, ohne
Zweifel dann, wenn unter den einzelnen Schall-Erregungen einige
gleichförmig dauernd mit andern, selbst in den kleinsten Zeitmomen-
ten ungleichartigen gemischt sind. Daß wir unter Knall einen sehr
kurz abgebrochenen und dabei sehr lauten Schall verstehen, daß im
Geklapper eine gewisse gleichförmige Wiederkehr gleichartigen Ge-
räusches merklich ist, daß der Donner in einem durch verschiedene
Grade der Stärke abnehmenden und wieder zunehmenden dumpfen
oder tiefen Schalle besteht, daß das Sausen und Zischen ein gleich-
förmiger Schall ist, der aber so wie das schwirrende Getön, welches

nicht auf unſer Ohr allein, ſondern auf unſer Gemuͤth macht, uͤber
den ihr eignen Ausdruck von heiterer oder froͤhlicher, von ernſter
oder trauriger Empfindung, uͤber die Mittheilung von Begriffen
und Empfindungen durch die Sprache, kurz uͤber die ganze Einwir-
kung dieſer hoͤrbaren Toͤne auf unſre geiſtige Thaͤtigkeit geben koͤn-
nen, ſo enthalten ſie doch, ſelbſt in ihren bloß mechaniſchen Bezie-
hungen, ſo viel Unerwartetes, zeigen uns zwiſchen den mechaniſchen
Beſtimmungen der Toͤne und dem Wohlgefallen oder Misfallen, das
unſer Ohr daran findet, eine ſo ſicher begruͤndete Uebereinſtimmung,
daß man kein Bedenken tragen darf, die Acuſtik, die Lehre vom
Schalle, als einen der ſchoͤnſten Theile der Naturlehre zu empfehlen.

Daß wir unter Schall jede Einwirkung auf unſer Gehoͤr ver-
ſtehen, iſt bekannt, und ebenſo bekannt ſind die vielen Worte, durch
welche wir verſchiedene Arten des Schalles, oder die Ungleichheit des
Eindruckes, den er auf unſer Ohr macht, bezeichnen. Das allge-
meinſte darunter iſt das Wort Schall, welches alle andere in ſich
ſchließt; von den andern will ich nur einige zu erklaͤren ſuchen. Ge-
raͤuſch
iſt ein zwar laͤngere Zeit fortwaͤhrender, aber nicht die
Empfindung einer Gleichartigkeit in ſeiner ganzen Dauer gebender
Schall; der Ton hingegen hat dieſe Gleichartigkeit. Wir geben
aber der Abwechſelung mehrerer Toͤne nicht den Namen eines Ge-
raͤuſches, weil unſer Ohr fein genug hoͤrt, um ſelbſt in dem ſchnellen
Wechſel der Toͤne die Reinheit des Tones, das iſt den gleichartigen
Eindruck waͤhrend der ſehr kurzen Zeit der Dauer eines Tones,
zu bemerken. Im Klange iſt allemal die Empfindung von Ton,
und ſelbſt die Miſchung mehrerer Toͤne kann darin merkbar ſein.
Vom Klange zum bloßen Geraͤuſch findet ein Uebergang ſtatt, und
in dem Geraͤuſche kann ein dumpfer Klang erkennbar werden, ohne
Zweifel dann, wenn unter den einzelnen Schall-Erregungen einige
gleichfoͤrmig dauernd mit andern, ſelbſt in den kleinſten Zeitmomen-
ten ungleichartigen gemiſcht ſind. Daß wir unter Knall einen ſehr
kurz abgebrochenen und dabei ſehr lauten Schall verſtehen, daß im
Geklapper eine gewiſſe gleichfoͤrmige Wiederkehr gleichartigen Ge-
raͤuſches merklich iſt, daß der Donner in einem durch verſchiedene
Grade der Staͤrke abnehmenden und wieder zunehmenden dumpfen
oder tiefen Schalle beſteht, daß das Sauſen und Ziſchen ein gleich-
foͤrmiger Schall iſt, der aber ſo wie das ſchwirrende Getoͤn, welches

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[281/0303] nicht auf unſer Ohr allein, ſondern auf unſer Gemuͤth macht, uͤber den ihr eignen Ausdruck von heiterer oder froͤhlicher, von ernſter oder trauriger Empfindung, uͤber die Mittheilung von Begriffen und Empfindungen durch die Sprache, kurz uͤber die ganze Einwir- kung dieſer hoͤrbaren Toͤne auf unſre geiſtige Thaͤtigkeit geben koͤn- nen, ſo enthalten ſie doch, ſelbſt in ihren bloß mechaniſchen Bezie- hungen, ſo viel Unerwartetes, zeigen uns zwiſchen den mechaniſchen Beſtimmungen der Toͤne und dem Wohlgefallen oder Misfallen, das unſer Ohr daran findet, eine ſo ſicher begruͤndete Uebereinſtimmung, daß man kein Bedenken tragen darf, die Acuſtik, die Lehre vom Schalle, als einen der ſchoͤnſten Theile der Naturlehre zu empfehlen. Daß wir unter Schall jede Einwirkung auf unſer Gehoͤr ver- ſtehen, iſt bekannt, und ebenſo bekannt ſind die vielen Worte, durch welche wir verſchiedene Arten des Schalles, oder die Ungleichheit des Eindruckes, den er auf unſer Ohr macht, bezeichnen. Das allge- meinſte darunter iſt das Wort Schall, welches alle andere in ſich ſchließt; von den andern will ich nur einige zu erklaͤren ſuchen. Ge- raͤuſch iſt ein zwar laͤngere Zeit fortwaͤhrender, aber nicht die Empfindung einer Gleichartigkeit in ſeiner ganzen Dauer gebender Schall; der Ton hingegen hat dieſe Gleichartigkeit. Wir geben aber der Abwechſelung mehrerer Toͤne nicht den Namen eines Ge- raͤuſches, weil unſer Ohr fein genug hoͤrt, um ſelbſt in dem ſchnellen Wechſel der Toͤne die Reinheit des Tones, das iſt den gleichartigen Eindruck waͤhrend der ſehr kurzen Zeit der Dauer eines Tones, zu bemerken. Im Klange iſt allemal die Empfindung von Ton, und ſelbſt die Miſchung mehrerer Toͤne kann darin merkbar ſein. Vom Klange zum bloßen Geraͤuſch findet ein Uebergang ſtatt, und in dem Geraͤuſche kann ein dumpfer Klang erkennbar werden, ohne Zweifel dann, wenn unter den einzelnen Schall-Erregungen einige gleichfoͤrmig dauernd mit andern, ſelbſt in den kleinſten Zeitmomen- ten ungleichartigen gemiſcht ſind. Daß wir unter Knall einen ſehr kurz abgebrochenen und dabei ſehr lauten Schall verſtehen, daß im Geklapper eine gewiſſe gleichfoͤrmige Wiederkehr gleichartigen Ge- raͤuſches merklich iſt, daß der Donner in einem durch verſchiedene Grade der Staͤrke abnehmenden und wieder zunehmenden dumpfen oder tiefen Schalle beſteht, daß das Sauſen und Ziſchen ein gleich- foͤrmiger Schall iſt, der aber ſo wie das ſchwirrende Getoͤn, welches

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/303>, abgerufen am 22.11.2024.