pern beobachtet werden. Die Naturlehre im engern Sinne dagegen hat den Zweck, die Veränderungen in der Körperwelt aufzufassen, und die Naturgesetze, nach welchen sie erfolgen, auf- zusuchen. Sie umfaßt daher eigentlich ebensowohl die Erschei- nungen der belebten, als der leblosen Schöpfung; aber um das immer noch sehr große Gebiet der Naturlehre etwas enger zu begrenzen, sondern wir die Physiologie, die von den Gesetzen handelt, nach welchen die Erscheinungen der lebendigen Körper sich richten, von ihr ab. Diese Gesetze des Lebens und der Le- bensthätigkeit bieten so viel Schwieriges und so viel Eigenthüm- liches dar, daß sie mit großem Rechte als eine eigne Wissenschaft bildend angesehen werden; indeß stützt sich auch wieder die Phy- siologie sehr oft auf die allgemeinen Gesetze, die in der leblosen Körperwelt gelten, und manche Erscheinung kömmt genau so oder allenfalls nur wenig modificirt, bei den belebten, wie bei den leblosen Körpern vor, so daß manche Phänomene der belebten Welt, als größtentheils in das Gebiet der Physik fallend, anzu- sehen sind. -- Ich sollte hier nun freilich die Frage beantworten, wo denn das Reich der Lebensthätigkeit anfange, und wo dem- nach die Forschungen der Physik in dieser Hinsicht ihre Grenze finden; aber diese Untersuchung, deren Schwierigkeit selbst da, wo sie sich bei den einzelnen Erscheinungen darbietet, schon sehr groß ist, würde unüberwindliche Schwierigkeiten darbieten, wenn man sie im Allgemeinen durchzuführen unternehmen wollte, und ich will daher lieber hier eine offen eingestandene Lücke lassen, als bei dem verfehlten Unternehmen, sie auszufüllen, ver- weilen.
Alle Veränderungen also, die wir in der leblosen Natur wahrnehmen, gehören der Betrachtung der Naturkunde oder der im engern Sinne so genannten Physik an. Wie sie sich an- einander reihen, soll uns eine wohlgeordnete Beobachtung lehren, und unser bei jeder Erscheinung nach der Ursache derselben fragen- der Verstand, soll aus der Verbindung der Erscheinungen auf ihre Ursachen, auf ihre nächsten und auf ihre höher hinauf liegenden Grund-Ursachen schließen; auf diesem Wege soll, wenn es möglich ist, ein System der Physik dargestellt werden, welches uns die An- ordnung der ganzen Natur überschauen läßt, welches alle Erschei-
A 2
pern beobachtet werden. Die Naturlehre im engern Sinne dagegen hat den Zweck, die Veraͤnderungen in der Koͤrperwelt aufzufaſſen, und die Naturgeſetze, nach welchen ſie erfolgen, auf- zuſuchen. Sie umfaßt daher eigentlich ebenſowohl die Erſchei- nungen der belebten, als der lebloſen Schoͤpfung; aber um das immer noch ſehr große Gebiet der Naturlehre etwas enger zu begrenzen, ſondern wir die Phyſiologie, die von den Geſetzen handelt, nach welchen die Erſcheinungen der lebendigen Koͤrper ſich richten, von ihr ab. Dieſe Geſetze des Lebens und der Le- bensthaͤtigkeit bieten ſo viel Schwieriges und ſo viel Eigenthuͤm- liches dar, daß ſie mit großem Rechte als eine eigne Wiſſenſchaft bildend angeſehen werden; indeß ſtuͤtzt ſich auch wieder die Phy- ſiologie ſehr oft auf die allgemeinen Geſetze, die in der lebloſen Koͤrperwelt gelten, und manche Erſcheinung koͤmmt genau ſo oder allenfalls nur wenig modificirt, bei den belebten, wie bei den lebloſen Koͤrpern vor, ſo daß manche Phaͤnomene der belebten Welt, als groͤßtentheils in das Gebiet der Phyſik fallend, anzu- ſehen ſind. — Ich ſollte hier nun freilich die Frage beantworten, wo denn das Reich der Lebensthaͤtigkeit anfange, und wo dem- nach die Forſchungen der Phyſik in dieſer Hinſicht ihre Grenze finden; aber dieſe Unterſuchung, deren Schwierigkeit ſelbſt da, wo ſie ſich bei den einzelnen Erſcheinungen darbietet, ſchon ſehr groß iſt, wuͤrde unuͤberwindliche Schwierigkeiten darbieten, wenn man ſie im Allgemeinen durchzufuͤhren unternehmen wollte, und ich will daher lieber hier eine offen eingeſtandene Luͤcke laſſen, als bei dem verfehlten Unternehmen, ſie auszufuͤllen, ver- weilen.
Alle Veraͤnderungen alſo, die wir in der lebloſen Natur wahrnehmen, gehoͤren der Betrachtung der Naturkunde oder der im engern Sinne ſo genannten Phyſik an. Wie ſie ſich an- einander reihen, ſoll uns eine wohlgeordnete Beobachtung lehren, und unſer bei jeder Erſcheinung nach der Urſache derſelben fragen- der Verſtand, ſoll aus der Verbindung der Erſcheinungen auf ihre Urſachen, auf ihre naͤchſten und auf ihre hoͤher hinauf liegenden Grund-Urſachen ſchließen; auf dieſem Wege ſoll, wenn es moͤglich iſt, ein Syſtem der Phyſik dargeſtellt werden, welches uns die An- ordnung der ganzen Natur uͤberſchauen laͤßt, welches alle Erſchei-
A 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0025"n="03[3]"/>
pern beobachtet werden. <hirendition="#g">Die Naturlehre</hi> im engern Sinne<lb/>
dagegen hat den Zweck, die Veraͤnderungen in der Koͤrperwelt<lb/>
aufzufaſſen, und die Naturgeſetze, nach welchen ſie erfolgen, auf-<lb/>
zuſuchen. Sie umfaßt daher eigentlich ebenſowohl die Erſchei-<lb/>
nungen der belebten, als der lebloſen Schoͤpfung; aber um das<lb/>
immer noch ſehr große Gebiet der Naturlehre etwas enger zu<lb/>
begrenzen, ſondern wir die <hirendition="#g">Phyſiologie</hi>, die von den Geſetzen<lb/>
handelt, nach welchen die Erſcheinungen der lebendigen Koͤrper<lb/>ſich richten, von ihr ab. Dieſe Geſetze des Lebens und der Le-<lb/>
bensthaͤtigkeit bieten ſo viel Schwieriges und ſo viel Eigenthuͤm-<lb/>
liches dar, daß ſie mit großem Rechte als eine eigne Wiſſenſchaft<lb/>
bildend angeſehen werden; indeß ſtuͤtzt ſich auch wieder die Phy-<lb/>ſiologie ſehr oft auf die allgemeinen Geſetze, die in der lebloſen<lb/>
Koͤrperwelt gelten, und manche Erſcheinung koͤmmt genau ſo<lb/>
oder allenfalls nur wenig modificirt, bei den belebten, wie bei den<lb/>
lebloſen Koͤrpern vor, ſo daß manche Phaͤnomene der belebten<lb/>
Welt, als groͤßtentheils in das Gebiet der Phyſik fallend, anzu-<lb/>ſehen ſind. — Ich ſollte hier nun freilich die Frage beantworten,<lb/>
wo denn das Reich der Lebensthaͤtigkeit anfange, und wo dem-<lb/>
nach die Forſchungen der Phyſik in dieſer Hinſicht ihre Grenze<lb/>
finden; aber dieſe Unterſuchung, deren Schwierigkeit ſelbſt da,<lb/>
wo ſie ſich bei den einzelnen Erſcheinungen darbietet, ſchon<lb/>ſehr groß iſt, wuͤrde unuͤberwindliche Schwierigkeiten darbieten,<lb/>
wenn man ſie im Allgemeinen durchzufuͤhren unternehmen wollte,<lb/>
und ich will daher lieber hier eine offen eingeſtandene Luͤcke<lb/>
laſſen, als bei dem verfehlten Unternehmen, ſie auszufuͤllen, ver-<lb/>
weilen.</p><lb/><p>Alle Veraͤnderungen alſo, die wir in der <hirendition="#g">lebloſen</hi> Natur<lb/>
wahrnehmen, gehoͤren der Betrachtung der <hirendition="#g">Naturkunde</hi> oder der<lb/>
im engern Sinne ſo genannten <hirendition="#g">Phyſik</hi> an. Wie ſie ſich an-<lb/>
einander reihen, ſoll uns eine wohlgeordnete Beobachtung lehren,<lb/>
und unſer bei jeder Erſcheinung nach der Urſache derſelben fragen-<lb/>
der Verſtand, ſoll aus der Verbindung der Erſcheinungen auf ihre<lb/>
Urſachen, auf ihre naͤchſten und auf ihre hoͤher hinauf liegenden<lb/>
Grund-Urſachen ſchließen; auf dieſem Wege ſoll, wenn es moͤglich<lb/>
iſt, ein Syſtem der Phyſik dargeſtellt werden, welches uns die An-<lb/>
ordnung der ganzen Natur uͤberſchauen laͤßt, welches alle Erſchei-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 2</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[03[3]/0025]
pern beobachtet werden. Die Naturlehre im engern Sinne
dagegen hat den Zweck, die Veraͤnderungen in der Koͤrperwelt
aufzufaſſen, und die Naturgeſetze, nach welchen ſie erfolgen, auf-
zuſuchen. Sie umfaßt daher eigentlich ebenſowohl die Erſchei-
nungen der belebten, als der lebloſen Schoͤpfung; aber um das
immer noch ſehr große Gebiet der Naturlehre etwas enger zu
begrenzen, ſondern wir die Phyſiologie, die von den Geſetzen
handelt, nach welchen die Erſcheinungen der lebendigen Koͤrper
ſich richten, von ihr ab. Dieſe Geſetze des Lebens und der Le-
bensthaͤtigkeit bieten ſo viel Schwieriges und ſo viel Eigenthuͤm-
liches dar, daß ſie mit großem Rechte als eine eigne Wiſſenſchaft
bildend angeſehen werden; indeß ſtuͤtzt ſich auch wieder die Phy-
ſiologie ſehr oft auf die allgemeinen Geſetze, die in der lebloſen
Koͤrperwelt gelten, und manche Erſcheinung koͤmmt genau ſo
oder allenfalls nur wenig modificirt, bei den belebten, wie bei den
lebloſen Koͤrpern vor, ſo daß manche Phaͤnomene der belebten
Welt, als groͤßtentheils in das Gebiet der Phyſik fallend, anzu-
ſehen ſind. — Ich ſollte hier nun freilich die Frage beantworten,
wo denn das Reich der Lebensthaͤtigkeit anfange, und wo dem-
nach die Forſchungen der Phyſik in dieſer Hinſicht ihre Grenze
finden; aber dieſe Unterſuchung, deren Schwierigkeit ſelbſt da,
wo ſie ſich bei den einzelnen Erſcheinungen darbietet, ſchon
ſehr groß iſt, wuͤrde unuͤberwindliche Schwierigkeiten darbieten,
wenn man ſie im Allgemeinen durchzufuͤhren unternehmen wollte,
und ich will daher lieber hier eine offen eingeſtandene Luͤcke
laſſen, als bei dem verfehlten Unternehmen, ſie auszufuͤllen, ver-
weilen.
Alle Veraͤnderungen alſo, die wir in der lebloſen Natur
wahrnehmen, gehoͤren der Betrachtung der Naturkunde oder der
im engern Sinne ſo genannten Phyſik an. Wie ſie ſich an-
einander reihen, ſoll uns eine wohlgeordnete Beobachtung lehren,
und unſer bei jeder Erſcheinung nach der Urſache derſelben fragen-
der Verſtand, ſoll aus der Verbindung der Erſcheinungen auf ihre
Urſachen, auf ihre naͤchſten und auf ihre hoͤher hinauf liegenden
Grund-Urſachen ſchließen; auf dieſem Wege ſoll, wenn es moͤglich
iſt, ein Syſtem der Phyſik dargeſtellt werden, welches uns die An-
ordnung der ganzen Natur uͤberſchauen laͤßt, welches alle Erſchei-
A 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 03[3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/25>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.