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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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auf der Erde finden daher in jener minder schnellen aus Norden in
südlichere Gegenden kommenden Luft einen Widerstand an ihrer Ost-
seite, es scheint, als würden sie von einem aus Osten herandringen-
den Strome getroffen, und da auf diese Weise ein wirklich von Nor-
den kommender Luftstrom sich mit dieser relativen Bewegung der
Lufttheilchen gegen die Ostseite der Gegenstände auf der Erde ver-
bindet, so entsteht ein nordöstlicher oder ostnordöstlicher Wind, wie
wir ihn in den verschiedenen Gegenden der nördlichen Halbkugel fin-
den. Auch in unsern Gegenden ist dieser nordöstliche Wind, der sich
bei heiterm Wetter immer einfindet, eine Folge dieser ungleichen
Erwärmung, und daß er dieses ist, zeigt sich besonders darin, daß er
in den Jahreszeiten am meisten herrscht, wo der Unterschied der
Temperatur in den nördlichen Gegenden und in der Mitte der ge-
mäßigten Zone am größesten ist. Wenn man die mittlere Wärme,
die zu bestimmter Jahreszeit in Mannheim und in Petersburg statt
findet, vergleicht, so findet man, daß sie nie mehr, als im Anfange
des März, verschieden ist, und daß dann der mittlere Unterschied,
nach den Beobachtungen mehrerer Jahre, auf 12 Grade des Reau-
mur'schen Thermometers geht; im Januar und im Anfange des
Februar beträgt dieser Unterschied nur etwa 9 Grade, im April etwa
6 Grade, in den Herbstmonaten nur 4 bis 5 Grade, im Juli und
im Anfange des August kaum 2 Grade; und ganz diesen Unter-
schieden angemessen, sind die drei letzten Wintermonate weit mehr,
als die erstern, durch kalte Nordostwinde ausgezeichnet; der März
besonders bringt in seinem ersten Drittel fast immer noch größere
Kälte, als der Höhe der Sonne gemäß scheint, und sein kalter aus-
trocknender Nordostwind ist uns empfindlicher, als er selbst im Win-
ter zu sein pflegt. Im Sommer dagegen zeigt sich wenig Neigung
zum vorherrschenden Nordostwinde, sondern der Westwind herrscht,
weil die Erwärmung größer ist über dem festen Lande, als über
dem Atlantischen Meere. Warum jener Nordostwind zugleich aus-
trocknend ist, und heitern Himmel macht, das gehört mehr in die
Lehre von der Wärme und von den Dämpfen, und ich will hier nur
obenhin bemerken, daß in den Phänomenen der Wolken zuweilen
ein oberer warmer Luftstrom kenntlich zu werden scheint, während
unten dieser kalte Luftstrom statt findet, wenigstens hat die Behaup-
tung viel für sich, daß die Schäfchenwolken im Frühling, bei anhal-

auf der Erde finden daher in jener minder ſchnellen aus Norden in
ſuͤdlichere Gegenden kommenden Luft einen Widerſtand an ihrer Oſt-
ſeite, es ſcheint, als wuͤrden ſie von einem aus Oſten herandringen-
den Strome getroffen, und da auf dieſe Weiſe ein wirklich von Nor-
den kommender Luftſtrom ſich mit dieſer relativen Bewegung der
Lufttheilchen gegen die Oſtſeite der Gegenſtaͤnde auf der Erde ver-
bindet, ſo entſteht ein nordoͤſtlicher oder oſtnordoͤſtlicher Wind, wie
wir ihn in den verſchiedenen Gegenden der noͤrdlichen Halbkugel fin-
den. Auch in unſern Gegenden iſt dieſer nordoͤſtliche Wind, der ſich
bei heiterm Wetter immer einfindet, eine Folge dieſer ungleichen
Erwaͤrmung, und daß er dieſes iſt, zeigt ſich beſonders darin, daß er
in den Jahreszeiten am meiſten herrſcht, wo der Unterſchied der
Temperatur in den noͤrdlichen Gegenden und in der Mitte der ge-
maͤßigten Zone am groͤßeſten iſt. Wenn man die mittlere Waͤrme,
die zu beſtimmter Jahreszeit in Mannheim und in Petersburg ſtatt
findet, vergleicht, ſo findet man, daß ſie nie mehr, als im Anfange
des Maͤrz, verſchieden iſt, und daß dann der mittlere Unterſchied,
nach den Beobachtungen mehrerer Jahre, auf 12 Grade des Reau-
mur'ſchen Thermometers geht; im Januar und im Anfange des
Februar betraͤgt dieſer Unterſchied nur etwa 9 Grade, im April etwa
6 Grade, in den Herbſtmonaten nur 4 bis 5 Grade, im Juli und
im Anfange des Auguſt kaum 2 Grade; und ganz dieſen Unter-
ſchieden angemeſſen, ſind die drei letzten Wintermonate weit mehr,
als die erſtern, durch kalte Nordoſtwinde ausgezeichnet; der Maͤrz
beſonders bringt in ſeinem erſten Drittel faſt immer noch groͤßere
Kaͤlte, als der Hoͤhe der Sonne gemaͤß ſcheint, und ſein kalter aus-
trocknender Nordoſtwind iſt uns empfindlicher, als er ſelbſt im Win-
ter zu ſein pflegt. Im Sommer dagegen zeigt ſich wenig Neigung
zum vorherrſchenden Nordoſtwinde, ſondern der Weſtwind herrſcht,
weil die Erwaͤrmung groͤßer iſt uͤber dem feſten Lande, als uͤber
dem Atlantiſchen Meere. Warum jener Nordoſtwind zugleich aus-
trocknend iſt, und heitern Himmel macht, das gehoͤrt mehr in die
Lehre von der Waͤrme und von den Daͤmpfen, und ich will hier nur
obenhin bemerken, daß in den Phaͤnomenen der Wolken zuweilen
ein oberer warmer Luftſtrom kenntlich zu werden ſcheint, waͤhrend
unten dieſer kalte Luftſtrom ſtatt findet, wenigſtens hat die Behaup-
tung viel fuͤr ſich, daß die Schaͤfchenwolken im Fruͤhling, bei anhal-

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[143/0165] auf der Erde finden daher in jener minder ſchnellen aus Norden in ſuͤdlichere Gegenden kommenden Luft einen Widerſtand an ihrer Oſt- ſeite, es ſcheint, als wuͤrden ſie von einem aus Oſten herandringen- den Strome getroffen, und da auf dieſe Weiſe ein wirklich von Nor- den kommender Luftſtrom ſich mit dieſer relativen Bewegung der Lufttheilchen gegen die Oſtſeite der Gegenſtaͤnde auf der Erde ver- bindet, ſo entſteht ein nordoͤſtlicher oder oſtnordoͤſtlicher Wind, wie wir ihn in den verſchiedenen Gegenden der noͤrdlichen Halbkugel fin- den. Auch in unſern Gegenden iſt dieſer nordoͤſtliche Wind, der ſich bei heiterm Wetter immer einfindet, eine Folge dieſer ungleichen Erwaͤrmung, und daß er dieſes iſt, zeigt ſich beſonders darin, daß er in den Jahreszeiten am meiſten herrſcht, wo der Unterſchied der Temperatur in den noͤrdlichen Gegenden und in der Mitte der ge- maͤßigten Zone am groͤßeſten iſt. Wenn man die mittlere Waͤrme, die zu beſtimmter Jahreszeit in Mannheim und in Petersburg ſtatt findet, vergleicht, ſo findet man, daß ſie nie mehr, als im Anfange des Maͤrz, verſchieden iſt, und daß dann der mittlere Unterſchied, nach den Beobachtungen mehrerer Jahre, auf 12 Grade des Reau- mur'ſchen Thermometers geht; im Januar und im Anfange des Februar betraͤgt dieſer Unterſchied nur etwa 9 Grade, im April etwa 6 Grade, in den Herbſtmonaten nur 4 bis 5 Grade, im Juli und im Anfange des Auguſt kaum 2 Grade; und ganz dieſen Unter- ſchieden angemeſſen, ſind die drei letzten Wintermonate weit mehr, als die erſtern, durch kalte Nordoſtwinde ausgezeichnet; der Maͤrz beſonders bringt in ſeinem erſten Drittel faſt immer noch groͤßere Kaͤlte, als der Hoͤhe der Sonne gemaͤß ſcheint, und ſein kalter aus- trocknender Nordoſtwind iſt uns empfindlicher, als er ſelbſt im Win- ter zu ſein pflegt. Im Sommer dagegen zeigt ſich wenig Neigung zum vorherrſchenden Nordoſtwinde, ſondern der Weſtwind herrſcht, weil die Erwaͤrmung groͤßer iſt uͤber dem feſten Lande, als uͤber dem Atlantiſchen Meere. Warum jener Nordoſtwind zugleich aus- trocknend iſt, und heitern Himmel macht, das gehoͤrt mehr in die Lehre von der Waͤrme und von den Daͤmpfen, und ich will hier nur obenhin bemerken, daß in den Phaͤnomenen der Wolken zuweilen ein oberer warmer Luftſtrom kenntlich zu werden ſcheint, waͤhrend unten dieſer kalte Luftſtrom ſtatt findet, wenigſtens hat die Behaup- tung viel fuͤr ſich, daß die Schaͤfchenwolken im Fruͤhling, bei anhal-

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/165>, abgerufen am 24.11.2024.