jung, wenn ich an diese Dinge denke. Ich weiß alles noch so lebhaft, wie's mir war, wie's mich deuchte; empfinde noch jedes selige Weilchen, das ich mit meinem Aennchen zubrachte -- möchte jeden Tritt beschreiben, den ich an ihrer Seite that. Verzeiht mir's, und überschlagt's, wenn's Euch eckelt.
Aennchens Stiefäti war ein leichtsinniger Brenz- wirth; ihm galt's gleichviel, wer kam und ihm sein Brenz absoff. Ich war nun in Kurzem bey seinem Töchtergen wieder wohl am Brett, und genoß dann und wann ein herrliches Viertelstündchen bey ihr. Das lag nun meinem Vater gar nicht recht. Er sprach mir ernstlich zu; es half aber alles nichts; Aennchen war mir viel zu lieb. Fürchterlich schimpft' er bisweilen auf dieß verdammte Brenznest, wie er es nannte; und Anne sah' er für eine liederliche Dirn' an -- und doch, Gott weiß es! das war sie -- wenigstens damals nicht; das redlichste brävste Mäd- chen das ich je untern Händen gehabt, fast meiner Länge, so schlank und hübsch geformt, daß es eine Lust war. Aber ja, schwätzen konnt' sie wie eine Dohle. Ihre Stimme klang wie ein Orgelpfeifchen. Sie war immer munter und allert; um und um lauter Leben; und das macht' es eben, daß mancher Sauertopf so schlimm von ihr dachte. Wenn meine Mutter meinen Vater nicht bisweilen eines Bessern belehrt, er hätt' mit Stock und Stein drein ge- schlagen.
So verstrich der Sommer. Noch in keinem hat- ten mir die Vögel, die ich alle Morgen mit Ent-
jung, wenn ich an dieſe Dinge denke. Ich weiß alles noch ſo lebhaft, wie’s mir war, wie’s mich deuchte; empfinde noch jedes ſelige Weilchen, das ich mit meinem Aennchen zubrachte — moͤchte jeden Tritt beſchreiben, den ich an ihrer Seite that. Verzeiht mir’s, und uͤberſchlagt’s, wenn’s Euch eckelt.
Aennchens Stiefaͤti war ein leichtſinniger Brenz- wirth; ihm galt’s gleichviel, wer kam und ihm ſein Brenz abſoff. Ich war nun in Kurzem bey ſeinem Toͤchtergen wieder wohl am Brett, und genoß dann und wann ein herrliches Viertelſtuͤndchen bey ihr. Das lag nun meinem Vater gar nicht recht. Er ſprach mir ernſtlich zu; es half aber alles nichts; Aennchen war mir viel zu lieb. Fuͤrchterlich ſchimpft’ er bisweilen auf dieß verdammte Brenzneſt, wie er es nannte; und Anne ſah’ er fuͤr eine liederliche Dirn’ an — und doch, Gott weiß es! das war ſie — wenigſtens damals nicht; das redlichſte braͤvſte Maͤd- chen das ich je untern Haͤnden gehabt, faſt meiner Laͤnge, ſo ſchlank und huͤbſch geformt, daß es eine Luſt war. Aber ja, ſchwaͤtzen konnt’ ſie wie eine Dohle. Ihre Stimme klang wie ein Orgelpfeifchen. Sie war immer munter und allert; um und um lauter Leben; und das macht’ es eben, daß mancher Sauertopf ſo ſchlimm von ihr dachte. Wenn meine Mutter meinen Vater nicht bisweilen eines Beſſern belehrt, er haͤtt’ mit Stock und Stein drein ge- ſchlagen.
So verſtrich der Sommer. Noch in keinem hat- ten mir die Voͤgel, die ich alle Morgen mit Ent-
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jung, wenn ich an dieſe Dinge denke. Ich weiß
alles noch ſo lebhaft, wie’s mir war, wie’s mich
deuchte; empfinde noch jedes ſelige Weilchen, das
ich mit meinem Aennchen zubrachte — moͤchte
jeden Tritt beſchreiben, den ich an ihrer Seite that.
Verzeiht mir’s, und uͤberſchlagt’s, wenn’s Euch eckelt.
Aennchens Stiefaͤti war ein leichtſinniger Brenz-
wirth; ihm galt’s gleichviel, wer kam und ihm ſein
Brenz abſoff. Ich war nun in Kurzem bey ſeinem
Toͤchtergen wieder wohl am Brett, und genoß dann
und wann ein herrliches Viertelſtuͤndchen bey ihr.
Das lag nun meinem Vater gar nicht recht. Er
ſprach mir ernſtlich zu; es half aber alles nichts;
Aennchen war mir viel zu lieb. Fuͤrchterlich ſchimpft’
er bisweilen auf dieß verdammte Brenzneſt, wie er
es nannte; und Anne ſah’ er fuͤr eine liederliche
Dirn’ an — und doch, Gott weiß es! das war ſie —
wenigſtens damals nicht; das redlichſte braͤvſte Maͤd-
chen das ich je untern Haͤnden gehabt, faſt meiner
Laͤnge, ſo ſchlank und huͤbſch geformt, daß es eine
Luſt war. Aber ja, ſchwaͤtzen konnt’ ſie wie eine
Dohle. Ihre Stimme klang wie ein Orgelpfeifchen.
Sie war immer munter und allert; um und um
lauter Leben; und das macht’ es eben, daß mancher
Sauertopf ſo ſchlimm von ihr dachte. Wenn meine
Mutter meinen Vater nicht bisweilen eines Beſſern
belehrt, er haͤtt’ mit Stock und Stein drein ge-
ſchlagen.
So verſtrich der Sommer. Noch in keinem hat-
ten mir die Voͤgel, die ich alle Morgen mit Ent-
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/86>, abgerufen am 27.07.2024.
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