Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch mein Bruder Jakob verrichtete um die
nämliche Zeit ähnliche Knechtendienst'. Die Kleinern
hingegen mußten in den Stunden neben der Schule
spinnen. Unter diesen war Georg ein besonders
lustiger Erzvogel. Wenn man ihn an seinem Räd-
chen glaubte, saß er auf einem Baum, oder auf
dem Dach, und schrie Guckuck! "Du fauler Lecker"!
hieß es dann etwa von Seite der Mutter, wenn sie
ihn so in den Lüften erblickte; und von seiner: "Ich
"will kommen wenn du mich nicht schlagen willst;
"sonst steig ich dir bis in Himmel auf"! Was war
da zu thun? Man mußte meist des Elends lachen.

XXIX.
Wie? Schon Grillen im Kopf.

-- Und warum nicht? wenn einer in sein zwanzigstes
geht, darf er schon ahnden, es gebe zweyerley Leu-
the. Der Weibel hatte ein bluthübsches Töchter-
gen, aber scheu' wie ein Hase. Es war mir eine
Freud' wenn ich sie sah', ohne zu wissen warum?
Nach etlichen Jahren heurathete sie einen Schlin-
gel, der ihr ein Häufchen Jungens auflud, und sich
endlich als ein Schelm aus dem Land machte. Das
gute Kind!

Dann hatte unser Nachbar Uli eine Stieftochter,
Aennchen; die konnt' ich alle Sonntage sehn. Alle-
mal winselt' es mir ein wenig um's Herzgrübchen.
Ich wußte wieder nicht warum? denk' aber wohl,
weils mich so hübsch dünkte: Einmal an etwas an-

Auch mein Bruder Jakob verrichtete um die
naͤmliche Zeit aͤhnliche Knechtendienſt’. Die Kleinern
hingegen mußten in den Stunden neben der Schule
ſpinnen. Unter dieſen war Georg ein beſonders
luſtiger Erzvogel. Wenn man ihn an ſeinem Raͤd-
chen glaubte, ſaß er auf einem Baum, oder auf
dem Dach, und ſchrie Guckuck! „Du fauler Lecker„!
hieß es dann etwa von Seite der Mutter, wenn ſie
ihn ſo in den Luͤften erblickte; und von ſeiner: „Ich
„will kommen wenn du mich nicht ſchlagen willſt;
„ſonſt ſteig ich dir bis in Himmel auf„! Was war
da zu thun? Man mußte meiſt des Elends lachen.

XXIX.
Wie? Schon Grillen im Kopf.

Und warum nicht? wenn einer in ſein zwanzigſtes
geht, darf er ſchon ahnden, es gebe zweyerley Leu-
the. Der Weibel hatte ein bluthuͤbſches Toͤchter-
gen, aber ſcheu’ wie ein Haſe. Es war mir eine
Freud’ wenn ich ſie ſah’, ohne zu wiſſen warum?
Nach etlichen Jahren heurathete ſie einen Schlin-
gel, der ihr ein Haͤufchen Jungens auflud, und ſich
endlich als ein Schelm aus dem Land machte. Das
gute Kind!

Dann hatte unſer Nachbar Uli eine Stieftochter,
Aennchen; die konnt’ ich alle Sonntage ſehn. Alle-
mal winſelt’ es mir ein wenig um’s Herzgruͤbchen.
Ich wußte wieder nicht warum? denk’ aber wohl,
weils mich ſo huͤbſch duͤnkte: Einmal an etwas an-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0076" n="60"/>
        <p>Auch mein Bruder <hi rendition="#fr">Jakob</hi> verrichtete um die<lb/>
na&#x0364;mliche Zeit a&#x0364;hnliche Knechtendien&#x017F;t&#x2019;. Die Kleinern<lb/>
hingegen mußten in den Stunden neben der Schule<lb/>
&#x017F;pinnen. Unter die&#x017F;en war <hi rendition="#fr">Georg</hi> ein be&#x017F;onders<lb/>
lu&#x017F;tiger Erzvogel. Wenn man ihn an &#x017F;einem Ra&#x0364;d-<lb/>
chen glaubte, &#x017F;aß er auf einem Baum, oder auf<lb/>
dem Dach, und &#x017F;chrie Guckuck! &#x201E;Du fauler Lecker&#x201E;!<lb/>
hieß es dann etwa von Seite der Mutter, wenn &#x017F;ie<lb/>
ihn &#x017F;o in den Lu&#x0364;ften erblickte; und von &#x017F;einer: &#x201E;Ich<lb/>
&#x201E;will kommen wenn du mich nicht &#x017F;chlagen will&#x017F;t;<lb/>
&#x201E;&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;teig ich dir bis in Himmel auf&#x201E;! Was war<lb/>
da zu thun? Man mußte mei&#x017F;t des Elends lachen.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#g"> <hi rendition="#aq">XXIX.</hi> </hi><lb/> <hi rendition="#fr">Wie? Schon Grillen im Kopf.</hi> </head><lb/>
        <p>&#x2014; <hi rendition="#in">U</hi>nd warum nicht? wenn einer in &#x017F;ein zwanzig&#x017F;tes<lb/>
geht, darf er &#x017F;chon ahnden, es gebe zweyerley Leu-<lb/>
the. Der Weibel hatte ein bluthu&#x0364;b&#x017F;ches To&#x0364;chter-<lb/>
gen, aber &#x017F;cheu&#x2019; wie ein Ha&#x017F;e. Es war mir eine<lb/>
Freud&#x2019; wenn ich &#x017F;ie &#x017F;ah&#x2019;, ohne zu wi&#x017F;&#x017F;en warum?<lb/>
Nach etlichen Jahren heurathete &#x017F;ie einen Schlin-<lb/>
gel, der ihr ein Ha&#x0364;ufchen Jungens auflud, und &#x017F;ich<lb/>
endlich als ein Schelm aus dem Land machte. Das<lb/>
gute Kind!</p><lb/>
        <p>Dann hatte un&#x017F;er Nachbar <hi rendition="#fr">Uli</hi> eine Stieftochter,<lb/><hi rendition="#fr">Aennchen;</hi> die konnt&#x2019; ich alle Sonntage &#x017F;ehn. Alle-<lb/>
mal win&#x017F;elt&#x2019; es mir ein wenig um&#x2019;s Herzgru&#x0364;bchen.<lb/>
Ich wußte wieder nicht warum? denk&#x2019; aber wohl,<lb/>
weils mich &#x017F;o hu&#x0364;b&#x017F;ch du&#x0364;nkte: Einmal an etwas an-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0076] Auch mein Bruder Jakob verrichtete um die naͤmliche Zeit aͤhnliche Knechtendienſt’. Die Kleinern hingegen mußten in den Stunden neben der Schule ſpinnen. Unter dieſen war Georg ein beſonders luſtiger Erzvogel. Wenn man ihn an ſeinem Raͤd- chen glaubte, ſaß er auf einem Baum, oder auf dem Dach, und ſchrie Guckuck! „Du fauler Lecker„! hieß es dann etwa von Seite der Mutter, wenn ſie ihn ſo in den Luͤften erblickte; und von ſeiner: „Ich „will kommen wenn du mich nicht ſchlagen willſt; „ſonſt ſteig ich dir bis in Himmel auf„! Was war da zu thun? Man mußte meiſt des Elends lachen. XXIX. Wie? Schon Grillen im Kopf. — Und warum nicht? wenn einer in ſein zwanzigſtes geht, darf er ſchon ahnden, es gebe zweyerley Leu- the. Der Weibel hatte ein bluthuͤbſches Toͤchter- gen, aber ſcheu’ wie ein Haſe. Es war mir eine Freud’ wenn ich ſie ſah’, ohne zu wiſſen warum? Nach etlichen Jahren heurathete ſie einen Schlin- gel, der ihr ein Haͤufchen Jungens auflud, und ſich endlich als ein Schelm aus dem Land machte. Das gute Kind! Dann hatte unſer Nachbar Uli eine Stieftochter, Aennchen; die konnt’ ich alle Sonntage ſehn. Alle- mal winſelt’ es mir ein wenig um’s Herzgruͤbchen. Ich wußte wieder nicht warum? denk’ aber wohl, weils mich ſo huͤbſch duͤnkte: Einmal an etwas an-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/76
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/76>, abgerufen am 13.11.2024.