Indessen wundert' es mich doch bisweilen sehr, wie mein Vater und der Pfarrer von diesem und jenem Spruch in der Bibel, von diesem und jenem Büch- lin denke. Letztrer kam oft zu uns, selbst zu Win- terszeit, wenn er schier im Schnee stecken blieb. Da war ich sehr aufmerksam auf alle Discurse, und merkte bald, daß sie meist bey Weitem nicht einerley Meinung waren. Anfangs kam's mir unbegreiflich vor, wie doch der Aeti so frech seyn, und dem Pfar- rer widersprechen dürfe? Dann dacht ich auf der andern Seite wieder: Aber mein Vater und der flüchtige Pater zusammen sind doch auch keine Narren, und schöpfen ihre Gründe ja wie jener aus der glei- chen Bibel. Das ging dann in meinem Sinn so hin und her, bis ich's etwa wieder vergaß, und andern Fantaseyen nachhieng. Inzwischen kam ich in dem nämlichen Jahr zu diesem Pfarrer, Heinrich Näf von Zürich, in die Unterweisung zum H. Abendmal. Er unterrichtete mich sehr gut und gründlich, und war mir in der Seele lieb. Oft erzählt' ich meinem Vater ganze Stunden lang, was er mit mir geredet hatte; und meynte dann, er sollte davon so gerührt werden wie ich. Bisweilen that er, mir zu gefallen, wirklich dergleichen *); aber ich merkte wohl, daß
*)Dergleichen thun. Schweizerscher Provinzialaus- druck für: Sich so stellen.
XXIII. Unterweiſung.
(1752.)
Indeſſen wundert’ es mich doch bisweilen ſehr, wie mein Vater und der Pfarrer von dieſem und jenem Spruch in der Bibel, von dieſem und jenem Buͤch- lin denke. Letztrer kam oft zu uns, ſelbſt zu Win- terszeit, wenn er ſchier im Schnee ſtecken blieb. Da war ich ſehr aufmerkſam auf alle Discurſe, und merkte bald, daß ſie meiſt bey Weitem nicht einerley Meinung waren. Anfangs kam’s mir unbegreiflich vor, wie doch der Aeti ſo frech ſeyn, und dem Pfar- rer widerſprechen duͤrfe? Dann dacht ich auf der andern Seite wieder: Aber mein Vater und der fluͤchtige Pater zuſammen ſind doch auch keine Narren, und ſchoͤpfen ihre Gruͤnde ja wie jener aus der glei- chen Bibel. Das ging dann in meinem Sinn ſo hin und her, bis ich’s etwa wieder vergaß, und andern Fantaſeyen nachhieng. Inzwiſchen kam ich in dem naͤmlichen Jahr zu dieſem Pfarrer, Heinrich Naͤf von Zuͤrich, in die Unterweiſung zum H. Abendmal. Er unterrichtete mich ſehr gut und gruͤndlich, und war mir in der Seele lieb. Oft erzaͤhlt’ ich meinem Vater ganze Stunden lang, was er mit mir geredet hatte; und meynte dann, er ſollte davon ſo geruͤhrt werden wie ich. Bisweilen that er, mir zu gefallen, wirklich dergleichen *); aber ich merkte wohl, daß
*)Dergleichen thun. Schweizerſcher Provinzialaus- druck für: Sich ſo ſtellen.
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XXIII.
Unterweiſung.
(1752.)
Indeſſen wundert’ es mich doch bisweilen ſehr, wie
mein Vater und der Pfarrer von dieſem und jenem
Spruch in der Bibel, von dieſem und jenem Buͤch-
lin denke. Letztrer kam oft zu uns, ſelbſt zu Win-
terszeit, wenn er ſchier im Schnee ſtecken blieb. Da
war ich ſehr aufmerkſam auf alle Discurſe, und
merkte bald, daß ſie meiſt bey Weitem nicht einerley
Meinung waren. Anfangs kam’s mir unbegreiflich
vor, wie doch der Aeti ſo frech ſeyn, und dem Pfar-
rer widerſprechen duͤrfe? Dann dacht ich auf der
andern Seite wieder: Aber mein Vater und der
fluͤchtige Pater zuſammen ſind doch auch keine Narren,
und ſchoͤpfen ihre Gruͤnde ja wie jener aus der glei-
chen Bibel. Das ging dann in meinem Sinn ſo hin
und her, bis ich’s etwa wieder vergaß, und andern
Fantaſeyen nachhieng. Inzwiſchen kam ich in dem
naͤmlichen Jahr zu dieſem Pfarrer, Heinrich Naͤf
von Zuͤrich, in die Unterweiſung zum H. Abendmal.
Er unterrichtete mich ſehr gut und gruͤndlich, und
war mir in der Seele lieb. Oft erzaͤhlt’ ich meinem
Vater ganze Stunden lang, was er mit mir geredet
hatte; und meynte dann, er ſollte davon ſo geruͤhrt
werden wie ich. Bisweilen that er, mir zu gefallen,
wirklich dergleichen *); aber ich merkte wohl, daß
*) Dergleichen thun. Schweizerſcher Provinzialaus-
druck für: Sich ſo ſtellen.
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/62>, abgerufen am 01.03.2025.
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