gelium. Auch Ich las' viel darinn; predigte etlichen unsrer Nachbarn mit einer ängstlich andächtigen Miene, die Hand vor die Stirn gestemmt, halbe Abende aus dem Pater vor, und gab ihnen alles vor baare Münz aus; und dieß nach meiner eignen völligsten Ueber- zeugung. Mir stieg nur kein Gedanke auf, daß ein Mensch ein Buch schreiben könnte, worinn nicht alles pur lautere Wahrheit wäre; und da mein Vater und der Hans nicht daran zweifelten, schien mir alles vol- lends Ja und Amen zu seyn. Aber das brachte mich dann eben auf allerley jammerhafte Vorstellun- gen. Ich wollte mich gern auf den bevorstehnden Jüngsten Tag recht zubereiten; allein da fand ich entsetzliche Schwierigkeiten, nicht so fast in einem bö- sen Thun und Lassen, als in meinem oft argen Sinn und Denken. Dann wollt ich mir wieder Alles aus dem Kopf schlagen; aber vergebens, wenn ich zumal unterweilen auch in der Offenbarung Johannis oder im Propheten Daniel las, so schien mir alles das, was der Pater schrieb, vollends gewiß und unfehl- bar. Und was das Schlimmste war, so verlor ich ob dieser Ueberzeugung gar alle Freud' und Muth. Wenn ich dann im Gegentheil den Aeti und den Nachbar fast noch fröhlicher sah als zuvor, machte mich solches gar confus; und kann ich mir's noch itzund nicht erklären, wie das zugieng. So viel weiß ich wohl, sie steckten damals beyde in schweren Schul- den, und hoften vielleicht durch das End der Welt davon befreyt zu werden: Wenigstens hört' ich sie oft vom Neusunden Land, Carolina, Pensylyani
gelium. Auch Ich las’ viel darinn; predigte etlichen unſrer Nachbarn mit einer aͤngſtlich andaͤchtigen Miene, die Hand vor die Stirn geſtemmt, halbe Abende aus dem Pater vor, und gab ihnen alles vor baare Muͤnz aus; und dieß nach meiner eignen voͤlligſten Ueber- zeugung. Mir ſtieg nur kein Gedanke auf, daß ein Menſch ein Buch ſchreiben koͤnnte, worinn nicht alles pur lautere Wahrheit waͤre; und da mein Vater und der Hans nicht daran zweifelten, ſchien mir alles vol- lends Ja und Amen zu ſeyn. Aber das brachte mich dann eben auf allerley jammerhafte Vorſtellun- gen. Ich wollte mich gern auf den bevorſtehnden Juͤngſten Tag recht zubereiten; allein da fand ich entſetzliche Schwierigkeiten, nicht ſo faſt in einem boͤ- ſen Thun und Laſſen, als in meinem oft argen Sinn und Denken. Dann wollt ich mir wieder Alles aus dem Kopf ſchlagen; aber vergebens, wenn ich zumal unterweilen auch in der Offenbarung Johannis oder im Propheten Daniel las, ſo ſchien mir alles das, was der Pater ſchrieb, vollends gewiß und unfehl- bar. Und was das Schlimmſte war, ſo verlor ich ob dieſer Ueberzeugung gar alle Freud’ und Muth. Wenn ich dann im Gegentheil den Aeti und den Nachbar faſt noch froͤhlicher ſah als zuvor, machte mich ſolches gar confus; und kann ich mir’s noch itzund nicht erklaͤren, wie das zugieng. So viel weiß ich wohl, ſie ſteckten damals beyde in ſchweren Schul- den, und hoften vielleicht durch das End der Welt davon befreyt zu werden: Wenigſtens hoͤrt’ ich ſie oft vom Neuſunden Land, Carolina, Penſylyani
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gelium. Auch Ich las’ viel darinn; predigte etlichen
unſrer Nachbarn mit einer aͤngſtlich andaͤchtigen Miene,
die Hand vor die Stirn geſtemmt, halbe Abende aus
dem Pater vor, und gab ihnen alles vor baare Muͤnz
aus; und dieß nach meiner eignen voͤlligſten Ueber-
zeugung. Mir ſtieg nur kein Gedanke auf, daß ein
Menſch ein Buch ſchreiben koͤnnte, worinn nicht alles
pur lautere Wahrheit waͤre; und da mein Vater und
der Hans nicht daran zweifelten, ſchien mir alles vol-
lends Ja und Amen zu ſeyn. Aber das brachte
mich dann eben auf allerley jammerhafte Vorſtellun-
gen. Ich wollte mich gern auf den bevorſtehnden
Juͤngſten Tag recht zubereiten; allein da fand ich
entſetzliche Schwierigkeiten, nicht ſo faſt in einem boͤ-
ſen Thun und Laſſen, als in meinem oft argen Sinn
und Denken. Dann wollt ich mir wieder Alles aus
dem Kopf ſchlagen; aber vergebens, wenn ich zumal
unterweilen auch in der Offenbarung Johannis oder
im Propheten Daniel las, ſo ſchien mir alles das,
was der Pater ſchrieb, vollends gewiß und unfehl-
bar. Und was das Schlimmſte war, ſo verlor ich
ob dieſer Ueberzeugung gar alle Freud’ und Muth.
Wenn ich dann im Gegentheil den Aeti und den
Nachbar faſt noch froͤhlicher ſah als zuvor, machte
mich ſolches gar confus; und kann ich mir’s noch
itzund nicht erklaͤren, wie das zugieng. So viel weiß
ich wohl, ſie ſteckten damals beyde in ſchweren Schul-
den, und hoften vielleicht durch das End der Welt
davon befreyt zu werden: Wenigſtens hoͤrt’ ich ſie
oft vom Neuſunden Land, Carolina, Penſylyani
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/60>, abgerufen am 18.12.2024.
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