Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

Am Bühl *). Aber dergleichen Faren und Bocks-
sprüng' in Druck geben, ist Narrheit über Narrheit.

Paul. Du weißt's vielleicht nicht -- Der Am
Bühl
war eben des Ulis beßter Herzensfreund.
Vom Nutzen oder Nichtnutzen aber verstehst du so
viel als die Kuh von der Muskatnuß. Ich einmal
will seiner Zeit die Geschicht' gern lesen, obgleich sie
freylich nichts sonderbares enthalten kann.

Peter. Das denk' ich auch, und wollt' dir's grad
itzt sagen, wie's Vater Unser. Bin mit dem Lappe
aufgewachsen, und muß es ja wissen. Seine Eltern
hieß man immer die Näbis von ihrem Wohnort her,
einem elenden Nest von zwey armseligen Hütten.
Man kann sich die adeliche Familie denken. Sie
stellten auf zwey und zwanzig Beine 11. Kinder, zü-
gelten hernach von einer Stelle zur andern, und konn-
ten sich des Betelns kaum erwehren. Im Drey-
schlatt
mußte sein Vater gar mit seinen Gläubigern
capituliren, und mit dem ganzen Fasel halb nackt da-
von ziehn. Uli, den ältesten, kannt' ich schon als
Schulerbub', in der Zeit da er ein Biß'l elend lesen
und schreiben gelernt. Er, wie die übrigen alle,
wuchs halb nackend und wild auf, mit seiner schmu-
tzigen Rotznas'. Jedermann neckt' und lachte ihn aus,
weil er so tölpisch dahergieng, alle Augenblick' über
Stock' und Stein stolperte, alle Vögel begaffte, und
nie zu seinen Füssen sah. Als er nun allmälig zu
einem grossen starken Bengel emporschoß, und itzt
seinem Vater an die Hand gehen sollte -- nahm er

*) Verfasser der Brieftasche aus den Alpen.

Am Buͤhl *). Aber dergleichen Faren und Bocks-
ſpruͤng’ in Druck geben, iſt Narrheit uͤber Narrheit.

Paul. Du weißt’s vielleicht nicht — Der Am
Buͤhl
war eben des Ulis beßter Herzensfreund.
Vom Nutzen oder Nichtnutzen aber verſtehſt du ſo
viel als die Kuh von der Muskatnuß. Ich einmal
will ſeiner Zeit die Geſchicht’ gern leſen, obgleich ſie
freylich nichts ſonderbares enthalten kann.

Peter. Das denk’ ich auch, und wollt’ dir’s grad
itzt ſagen, wie’s Vater Unſer. Bin mit dem Lappe
aufgewachſen, und muß es ja wiſſen. Seine Eltern
hieß man immer die Naͤbis von ihrem Wohnort her,
einem elenden Neſt von zwey armſeligen Huͤtten.
Man kann ſich die adeliche Familie denken. Sie
ſtellten auf zwey und zwanzig Beine 11. Kinder, zuͤ-
gelten hernach von einer Stelle zur andern, und konn-
ten ſich des Betelns kaum erwehren. Im Drey-
ſchlatt
mußte ſein Vater gar mit ſeinen Glaͤubigern
capituliren, und mit dem ganzen Faſel halb nackt da-
von ziehn. Uli, den aͤlteſten, kannt’ ich ſchon als
Schulerbub’, in der Zeit da er ein Biß’l elend leſen
und ſchreiben gelernt. Er, wie die uͤbrigen alle,
wuchs halb nackend und wild auf, mit ſeiner ſchmu-
tzigen Rotznaſ’. Jedermann neckt’ und lachte ihn aus,
weil er ſo toͤlpiſch dahergieng, alle Augenblick’ uͤber
Stock’ und Stein ſtolperte, alle Voͤgel begaffte, und
nie zu ſeinen Fuͤſſen ſah. Als er nun allmaͤlig zu
einem groſſen ſtarken Bengel emporſchoß, und itzt
ſeinem Vater an die Hand gehen ſollte — nahm er

*) Verfaſſer der Brieftaſche aus den Alpen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0306" n="290"/><hi rendition="#fr">Am Bu&#x0364;hl</hi><note place="foot" n="*)">Verfa&#x017F;&#x017F;er der <hi rendition="#g">Briefta&#x017F;che aus den Alpen</hi>.</note>. Aber dergleichen Faren und Bocks-<lb/>
&#x017F;pru&#x0364;ng&#x2019; in Druck geben, i&#x017F;t Narrheit u&#x0364;ber Narrheit.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Paul</hi>. Du weißt&#x2019;s vielleicht nicht &#x2014; Der <hi rendition="#fr">Am<lb/>
Bu&#x0364;hl</hi> war eben des <hi rendition="#fr">Ulis</hi> beßter Herzensfreund.<lb/>
Vom Nutzen oder Nichtnutzen aber ver&#x017F;teh&#x017F;t du &#x017F;o<lb/>
viel als die Kuh von der Muskatnuß. Ich einmal<lb/>
will &#x017F;einer Zeit die Ge&#x017F;chicht&#x2019; gern le&#x017F;en, obgleich &#x017F;ie<lb/>
freylich nichts &#x017F;onderbares enthalten kann.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Peter</hi>. Das denk&#x2019; ich auch, und wollt&#x2019; dir&#x2019;s grad<lb/>
itzt &#x017F;agen, wie&#x2019;s Vater Un&#x017F;er. Bin mit dem Lappe<lb/>
aufgewach&#x017F;en, und muß es ja wi&#x017F;&#x017F;en. Seine Eltern<lb/>
hieß man immer die <hi rendition="#fr">Na&#x0364;bis</hi> von ihrem Wohnort her,<lb/>
einem elenden Ne&#x017F;t von zwey arm&#x017F;eligen Hu&#x0364;tten.<lb/>
Man kann &#x017F;ich die adeliche Familie denken. Sie<lb/>
&#x017F;tellten auf zwey und zwanzig Beine 11. Kinder, zu&#x0364;-<lb/>
gelten hernach von einer Stelle zur andern, und konn-<lb/>
ten &#x017F;ich des Betelns kaum erwehren. Im <hi rendition="#fr">Drey-<lb/>
&#x017F;chlatt</hi> mußte &#x017F;ein Vater gar mit &#x017F;einen Gla&#x0364;ubigern<lb/>
capituliren, und mit dem ganzen Fa&#x017F;el halb nackt da-<lb/>
von ziehn. <hi rendition="#fr">Uli</hi>, den a&#x0364;lte&#x017F;ten, kannt&#x2019; ich &#x017F;chon als<lb/>
Schulerbub&#x2019;, in der Zeit da er ein Biß&#x2019;l elend le&#x017F;en<lb/>
und &#x017F;chreiben gelernt. Er, wie die u&#x0364;brigen alle,<lb/>
wuchs halb nackend und wild auf, mit &#x017F;einer &#x017F;chmu-<lb/>
tzigen Rotzna&#x017F;&#x2019;. Jedermann neckt&#x2019; und lachte ihn aus,<lb/>
weil er &#x017F;o to&#x0364;lpi&#x017F;ch dahergieng, alle Augenblick&#x2019; u&#x0364;ber<lb/>
Stock&#x2019; und Stein &#x017F;tolperte, alle Vo&#x0364;gel begaffte, und<lb/>
nie zu &#x017F;einen Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ah. Als er nun allma&#x0364;lig zu<lb/>
einem gro&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tarken Bengel empor&#x017F;choß, und itzt<lb/>
&#x017F;einem Vater an die Hand gehen &#x017F;ollte &#x2014; nahm er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[290/0306] Am Buͤhl *). Aber dergleichen Faren und Bocks- ſpruͤng’ in Druck geben, iſt Narrheit uͤber Narrheit. Paul. Du weißt’s vielleicht nicht — Der Am Buͤhl war eben des Ulis beßter Herzensfreund. Vom Nutzen oder Nichtnutzen aber verſtehſt du ſo viel als die Kuh von der Muskatnuß. Ich einmal will ſeiner Zeit die Geſchicht’ gern leſen, obgleich ſie freylich nichts ſonderbares enthalten kann. Peter. Das denk’ ich auch, und wollt’ dir’s grad itzt ſagen, wie’s Vater Unſer. Bin mit dem Lappe aufgewachſen, und muß es ja wiſſen. Seine Eltern hieß man immer die Naͤbis von ihrem Wohnort her, einem elenden Neſt von zwey armſeligen Huͤtten. Man kann ſich die adeliche Familie denken. Sie ſtellten auf zwey und zwanzig Beine 11. Kinder, zuͤ- gelten hernach von einer Stelle zur andern, und konn- ten ſich des Betelns kaum erwehren. Im Drey- ſchlatt mußte ſein Vater gar mit ſeinen Glaͤubigern capituliren, und mit dem ganzen Faſel halb nackt da- von ziehn. Uli, den aͤlteſten, kannt’ ich ſchon als Schulerbub’, in der Zeit da er ein Biß’l elend leſen und ſchreiben gelernt. Er, wie die uͤbrigen alle, wuchs halb nackend und wild auf, mit ſeiner ſchmu- tzigen Rotznaſ’. Jedermann neckt’ und lachte ihn aus, weil er ſo toͤlpiſch dahergieng, alle Augenblick’ uͤber Stock’ und Stein ſtolperte, alle Voͤgel begaffte, und nie zu ſeinen Fuͤſſen ſah. Als er nun allmaͤlig zu einem groſſen ſtarken Bengel emporſchoß, und itzt ſeinem Vater an die Hand gehen ſollte — nahm er *) Verfaſſer der Brieftaſche aus den Alpen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/306
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/306>, abgerufen am 24.11.2024.