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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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nehmen, wenn ich nur noch in etwas meine Au-
thorität behaupten wollte. Aber die Leyer mei-
ner Frau konnt' ich darum auch itzt noch unmöglich
leyern; unmöglich stundenlang donnern und lamenti-
ren; unmöglich viele hundert Waidsprüche und Le-
bensregeln, haltbare und unhaltbare, in die Kreutz'
und Queer' ihnen vorschreiben; und wenn ich's je
gekonnt hätte, sah' ich die Folgen einer solchen Art
Kinderzucht nur allzudeutlich ein: Daß nämlich am
End' gar nichts gethan und geachtet, aus Uebel immer
Aerger wird, und das junge Füllen zuletzt anfängt
wild und taub hintenauszuschlagen. Ich begnügte
mich also ihnen meine Meinung immer mit wenig
Worten, aber im ernsten Tone zu sagen; und be-
sonders nie früher als es vonnöthen war, und nie-
mals blosse Kleinigkeiten zu abnden. Mehrmals hatt'
ich schon eine lange Predigt studirt; aber immer war
ich glücklich genug, sie noch zu rechter Zeit zu ver-
schlücken, wenn ich die Sachen bey näherer Untersu-
chung so schlimm nicht fand, als ich es im er-
sten Ingrimm vermuthet hatte. Ueberhaupt aber
fand ich, daß Gelindigkeit und sanfte Güte, zwar
nicht immer, aber doch die meisten Male mehr
wirkt, als Strenge und Lautthun. -- Doch, ich merke
wohl, ich fange an meine Tugenden zu mahlen --
und sollte meine Fehler erzählen. Aber noch einmal,
in diesen letzten Zeilen möcht' ich mich, so gut es seyn
kann, ein wenig beruhigen. Meine aufrichtigen
Geständnisse findet der Liebhaber ja oben, und wird
daraus meinen Charackter ziemlich genau zu bestim-

nehmen, wenn ich nur noch in etwas meine Au-
thoritaͤt behaupten wollte. Aber die Leyer mei-
ner Frau konnt’ ich darum auch itzt noch unmoͤglich
leyern; unmoͤglich ſtundenlang donnern und lamenti-
ren; unmoͤglich viele hundert Waidſpruͤche und Le-
bensregeln, haltbare und unhaltbare, in die Kreutz’
und Queer’ ihnen vorſchreiben; und wenn ich’s je
gekonnt haͤtte, ſah’ ich die Folgen einer ſolchen Art
Kinderzucht nur allzudeutlich ein: Daß naͤmlich am
End’ gar nichts gethan und geachtet, aus Uebel immer
Aerger wird, und das junge Fuͤllen zuletzt anfaͤngt
wild und taub hintenauszuſchlagen. Ich begnuͤgte
mich alſo ihnen meine Meinung immer mit wenig
Worten, aber im ernſten Tone zu ſagen; und be-
ſonders nie fruͤher als es vonnoͤthen war, und nie-
mals bloſſe Kleinigkeiten zu abnden. Mehrmals hatt’
ich ſchon eine lange Predigt ſtudirt; aber immer war
ich gluͤcklich genug, ſie noch zu rechter Zeit zu ver-
ſchluͤcken, wenn ich die Sachen bey naͤherer Unterſu-
chung ſo ſchlimm nicht fand, als ich es im er-
ſten Ingrimm vermuthet hatte. Ueberhaupt aber
fand ich, daß Gelindigkeit und ſanfte Guͤte, zwar
nicht immer, aber doch die meiſten Male mehr
wirkt, als Strenge und Lautthun. — Doch, ich merke
wohl, ich fange an meine Tugenden zu mahlen —
und ſollte meine Fehler erzaͤhlen. Aber noch einmal,
in dieſen letzten Zeilen moͤcht’ ich mich, ſo gut es ſeyn
kann, ein wenig beruhigen. Meine aufrichtigen
Geſtaͤndniſſe findet der Liebhaber ja oben, und wird
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[259/0275] nehmen, wenn ich nur noch in etwas meine Au- thoritaͤt behaupten wollte. Aber die Leyer mei- ner Frau konnt’ ich darum auch itzt noch unmoͤglich leyern; unmoͤglich ſtundenlang donnern und lamenti- ren; unmoͤglich viele hundert Waidſpruͤche und Le- bensregeln, haltbare und unhaltbare, in die Kreutz’ und Queer’ ihnen vorſchreiben; und wenn ich’s je gekonnt haͤtte, ſah’ ich die Folgen einer ſolchen Art Kinderzucht nur allzudeutlich ein: Daß naͤmlich am End’ gar nichts gethan und geachtet, aus Uebel immer Aerger wird, und das junge Fuͤllen zuletzt anfaͤngt wild und taub hintenauszuſchlagen. Ich begnuͤgte mich alſo ihnen meine Meinung immer mit wenig Worten, aber im ernſten Tone zu ſagen; und be- ſonders nie fruͤher als es vonnoͤthen war, und nie- mals bloſſe Kleinigkeiten zu abnden. Mehrmals hatt’ ich ſchon eine lange Predigt ſtudirt; aber immer war ich gluͤcklich genug, ſie noch zu rechter Zeit zu ver- ſchluͤcken, wenn ich die Sachen bey naͤherer Unterſu- chung ſo ſchlimm nicht fand, als ich es im er- ſten Ingrimm vermuthet hatte. Ueberhaupt aber fand ich, daß Gelindigkeit und ſanfte Guͤte, zwar nicht immer, aber doch die meiſten Male mehr wirkt, als Strenge und Lautthun. — Doch, ich merke wohl, ich fange an meine Tugenden zu mahlen — und ſollte meine Fehler erzaͤhlen. Aber noch einmal, in dieſen letzten Zeilen moͤcht’ ich mich, ſo gut es ſeyn kann, ein wenig beruhigen. Meine aufrichtigen Geſtaͤndniſſe findet der Liebhaber ja oben, und wird daraus meinen Charackter ziemlich genau zu beſtim-

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/275>, abgerufen am 25.11.2024.