"müssen". Ich hingegen --- ich will es nur geste- hen --- mag wohl eher in einer bösen Laune gebetet haben: "Beßter Vater! In deinem Hause sind viele "Wohnungen; also hast du gewiß auch mir ein stilles "Winkelgen bestimmt. Auch meinem Weibe ordne "ein artiges --- nur nicht zu nahe bey dem meinigen". Sind das nun nicht alles aufrichtige Geständnisse? Sag' an, lieber Nachkömmling! Ja! ich gesteh' es ja noch einmal, daß meine Frau weit weit besser ist als ich, und sie's vortreflich gut meint, wenn's schon nicht immer jedermann für gut annehmen kann. So ließ sie sich's z. E. nicht ausreden, daß es nicht ihre Pflicht wäre, mir des Nachts laut in die Ohren zu schrey'n -- daß sie bete, und daß ich ihr nachbeten könne. Und wenn ich ihr hundertmal sage, das Lautschreyen nütze nichts, da gilt alles gleich viel; sie schreyt. --- Da muß ich, denk' ich, freylich abermals nur mein allzueckles Ohr anklagen, und wieder und überall sa- gen und bekennen: Ja, ja! sie ist weit bräver als ich.
Barmherzigkeit -- welch ein beruhigendes Wort! -- Barmherzigkeit meines Gottes, dessen Güte über allen Verstand geht, dessen Gnade keine Grenzen kennt! Wenn ich so in angsthaften Stunden alle Trostsprüche deiner Offenbarung zusammenraffe, macht dieß einige Wort einen solchen Eindruck auf mein Herz, daß es der Hauptgrund meiner Beruhigung wird. Indessen bin ich, wie andre Menschen, frey- lich nicht weniger geneigt, auch etwas Tröstendes in mir selbst aufzusuchen. Und da sagt mir nämlich die
„muͤſſen„. Ich hingegen --- ich will es nur geſte- hen --- mag wohl eher in einer boͤſen Laune gebetet haben: „Beßter Vater! In deinem Hauſe ſind viele „Wohnungen; alſo haſt du gewiß auch mir ein ſtilles „Winkelgen beſtimmt. Auch meinem Weibe ordne „ein artiges --- nur nicht zu nahe bey dem meinigen„. Sind das nun nicht alles aufrichtige Geſtaͤndniſſe? Sag’ an, lieber Nachkoͤmmling! Ja! ich geſteh’ es ja noch einmal, daß meine Frau weit weit beſſer iſt als ich, und ſie’s vortreflich gut meint, wenn’s ſchon nicht immer jedermann fuͤr gut annehmen kann. So ließ ſie ſich’s z. E. nicht ausreden, daß es nicht ihre Pflicht waͤre, mir des Nachts laut in die Ohren zu ſchrey’n -- daß ſie bete, und daß ich ihr nachbeten koͤnne. Und wenn ich ihr hundertmal ſage, das Lautſchreyen nuͤtze nichts, da gilt alles gleich viel; ſie ſchreyt. --- Da muß ich, denk’ ich, freylich abermals nur mein allzueckles Ohr anklagen, und wieder und uͤberall ſa- gen und bekennen: Ja, ja! ſie iſt weit braͤver als ich.
Barmherzigkeit — welch ein beruhigendes Wort! — Barmherzigkeit meines Gottes, deſſen Guͤte uͤber allen Verſtand geht, deſſen Gnade keine Grenzen kennt! Wenn ich ſo in angſthaften Stunden alle Troſtſpruͤche deiner Offenbarung zuſammenraffe, macht dieß einige Wort einen ſolchen Eindruck auf mein Herz, daß es der Hauptgrund meiner Beruhigung wird. Indeſſen bin ich, wie andre Menſchen, frey- lich nicht weniger geneigt, auch etwas Troͤſtendes in mir ſelbſt aufzuſuchen. Und da ſagt mir naͤmlich die
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„muͤſſen„. Ich hingegen --- ich will es nur geſte-
hen --- mag wohl eher in einer boͤſen Laune gebetet
haben: „Beßter Vater! In deinem Hauſe ſind viele
„Wohnungen; alſo haſt du gewiß auch mir ein ſtilles
„Winkelgen beſtimmt. Auch meinem Weibe ordne
„ein artiges --- nur nicht zu nahe bey dem meinigen„.
Sind das nun nicht alles aufrichtige Geſtaͤndniſſe?
Sag’ an, lieber Nachkoͤmmling! Ja! ich geſteh’ es
ja noch einmal, daß meine Frau weit weit beſſer iſt
als ich, und ſie’s vortreflich gut meint, wenn’s ſchon
nicht immer jedermann fuͤr gut annehmen kann. So
ließ ſie ſich’s z. E. nicht ausreden, daß es nicht ihre
Pflicht waͤre, mir des Nachts laut in die Ohren zu
ſchrey’n -- daß ſie bete, und daß ich ihr nachbeten koͤnne.
Und wenn ich ihr hundertmal ſage, das Lautſchreyen
nuͤtze nichts, da gilt alles gleich viel; ſie ſchreyt. ---
Da muß ich, denk’ ich, freylich abermals nur mein
allzueckles Ohr anklagen, und wieder und uͤberall ſa-
gen und bekennen: Ja, ja! ſie iſt weit braͤver als ich.
Barmherzigkeit — welch ein beruhigendes Wort!
— Barmherzigkeit meines Gottes, deſſen Guͤte uͤber
allen Verſtand geht, deſſen Gnade keine Grenzen
kennt! Wenn ich ſo in angſthaften Stunden alle
Troſtſpruͤche deiner Offenbarung zuſammenraffe, macht
dieß einige Wort einen ſolchen Eindruck auf mein
Herz, daß es der Hauptgrund meiner Beruhigung
wird. Indeſſen bin ich, wie andre Menſchen, frey-
lich nicht weniger geneigt, auch etwas Troͤſtendes in
mir ſelbſt aufzuſuchen. Und da ſagt mir naͤmlich die
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/271>, abgerufen am 16.02.2025.
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