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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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ich ihre ehevorigen jugendlichen Gesichtszüge mitun-
ter noch deutlich. Ich konnte mich der Thränen kaum
erwehren. Sie war unglücklicher Weise an einen
brutalen und dabey lüderlichen Mann gerathen, der
nachwerts wirklich banquerout machte. Schon damals
war sie in sehr ärmlichen Umständen. Sie kannte
mich nicht mehr. Ich fragte sie alles aus, nach ih-
rer Herkunft, wer ihr Mann sey, u. s. f. Und end-
lich auch: Ob sie sich nicht mehr eines gewissen U. B.
erinnre, den sie vor zwanzig Jahren etliche Tag' nach
einander beym Schwanen angetroffen. Hier sah sie
"mir starr ins Gesicht --- fiel mir an die Hand: "Ja!
"Er ist's, er ist's"! und grosse Tropfen rollten über
ihre blassen Wangen herab. Nun ließ sie alles stehn,
setzte sich zu mir hin, erzählte mir der Länge und
Breite nach ihre Schicksale, und ich ihr die meinigen,
bis späth in die Nacht hinein. Beym Schlafengehn
konnten wir uns nicht erwehren, jene seligen Stun-
den durch ein Paar Küße zu erneuern; aber weiter
stieg mir auch nur kein arger Gedanke auf. Im
Verfolg kehrte ich noch manchmal bey ihr ein. Sie
starb etwa vier Jahre nach unserm ersten Wieder-
sehn -- und es thnt wir so wohl, noch eine Thräne
auf ihr Grab zu weinen, wo sie itzt mit so viel an-
dern guten Seelen im Frieden wohnt. Und nun
weiters.

Daß ich in meiner obigen Geschichte über die aller-
ernsthaftesten Scenen meines Lebens --- Wie ich an
meine Dulcinea kam --- ein eigen Haus baute --- ei-
nen Gewerb anfieng, u. s. f. so kurz hinweggeschlüpft,

ich ihre ehevorigen jugendlichen Geſichtszuͤge mitun-
ter noch deutlich. Ich konnte mich der Thraͤnen kaum
erwehren. Sie war ungluͤcklicher Weiſe an einen
brutalen und dabey luͤderlichen Mann gerathen, der
nachwerts wirklich banquerout machte. Schon damals
war ſie in ſehr aͤrmlichen Umſtaͤnden. Sie kannte
mich nicht mehr. Ich fragte ſie alles aus, nach ih-
rer Herkunft, wer ihr Mann ſey, u. ſ. f. Und end-
lich auch: Ob ſie ſich nicht mehr eines gewiſſen U. B.
erinnre, den ſie vor zwanzig Jahren etliche Tag’ nach
einander beym Schwanen angetroffen. Hier ſah ſie
„mir ſtarr ins Geſicht --- fiel mir an die Hand: „Ja!
„Er iſt’s, er iſt’s„! und groſſe Tropfen rollten uͤber
ihre blaſſen Wangen herab. Nun ließ ſie alles ſtehn,
ſetzte ſich zu mir hin, erzaͤhlte mir der Laͤnge und
Breite nach ihre Schickſale, und ich ihr die meinigen,
bis ſpaͤth in die Nacht hinein. Beym Schlafengehn
konnten wir uns nicht erwehren, jene ſeligen Stun-
den durch ein Paar Kuͤße zu erneuern; aber weiter
ſtieg mir auch nur kein arger Gedanke auf. Im
Verfolg kehrte ich noch manchmal bey ihr ein. Sie
ſtarb etwa vier Jahre nach unſerm erſten Wieder-
ſehn — und es thnt wir ſo wohl, noch eine Thraͤne
auf ihr Grab zu weinen, wo ſie itzt mit ſo viel an-
dern guten Seelen im Frieden wohnt. Und nun
weiters.

Daß ich in meiner obigen Geſchichte uͤber die aller-
ernſthafteſten Scenen meines Lebens --- Wie ich an
meine Dulcinea kam --- ein eigen Haus baute --- ei-
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[247/0263] ich ihre ehevorigen jugendlichen Geſichtszuͤge mitun- ter noch deutlich. Ich konnte mich der Thraͤnen kaum erwehren. Sie war ungluͤcklicher Weiſe an einen brutalen und dabey luͤderlichen Mann gerathen, der nachwerts wirklich banquerout machte. Schon damals war ſie in ſehr aͤrmlichen Umſtaͤnden. Sie kannte mich nicht mehr. Ich fragte ſie alles aus, nach ih- rer Herkunft, wer ihr Mann ſey, u. ſ. f. Und end- lich auch: Ob ſie ſich nicht mehr eines gewiſſen U. B. erinnre, den ſie vor zwanzig Jahren etliche Tag’ nach einander beym Schwanen angetroffen. Hier ſah ſie „mir ſtarr ins Geſicht --- fiel mir an die Hand: „Ja! „Er iſt’s, er iſt’s„! und groſſe Tropfen rollten uͤber ihre blaſſen Wangen herab. Nun ließ ſie alles ſtehn, ſetzte ſich zu mir hin, erzaͤhlte mir der Laͤnge und Breite nach ihre Schickſale, und ich ihr die meinigen, bis ſpaͤth in die Nacht hinein. Beym Schlafengehn konnten wir uns nicht erwehren, jene ſeligen Stun- den durch ein Paar Kuͤße zu erneuern; aber weiter ſtieg mir auch nur kein arger Gedanke auf. Im Verfolg kehrte ich noch manchmal bey ihr ein. Sie ſtarb etwa vier Jahre nach unſerm erſten Wieder- ſehn — und es thnt wir ſo wohl, noch eine Thraͤne auf ihr Grab zu weinen, wo ſie itzt mit ſo viel an- dern guten Seelen im Frieden wohnt. Und nun weiters. Daß ich in meiner obigen Geſchichte uͤber die aller- ernſthafteſten Scenen meines Lebens --- Wie ich an meine Dulcinea kam --- ein eigen Haus baute --- ei- nen Gewerb anfieng, u. ſ. f. ſo kurz hinweggeſchluͤpft,

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/263>, abgerufen am 22.11.2024.