Herisau ankamen, wollt' ich sie nach Haus beglei- ten. "Das bey Leib nicht"! sagte sie; "Ich dörft's "um alles in der Welt nicht. Nach dem Nachtessen "vielleicht, kann ich denn eher noch ein Weilchen zum "Schwanen kommen". Mit einem solchen Ersatz war ich natürlich sehr zufrieden. Damals wußt' ich noch nicht, wer mein Schätzgen war, und erfuhr erst itzt im Wirthshaus: Daß sie ein Töchtergen aus einem guten Kaufmannshaus, und ungefehr sechszehn Jahr alt sey. Ungefehr nach einer Stunde kam das liebe Geschöpf -- Cäthchen hieß es -- mit einem arti- gen jungen Kind auf dem Arm, das sein Schwesterchen war -- denn anders hätt' es nicht entrinnen kön- nen --- als eben auch die verwünschte Ur -- sel in die Stube trat, mich gleichfalls aufsuchen wollte --- bald aber Unrath merkte, mir bittere Vorwürfe mach- te --- und davon gieng. Alsdann gab uns der Wirth ein eigen Zimmer --- Cäthchen hinein, und ich nach- geschwind wie der Wind. Ich hatte ein artiges Es- sen bestellt. Nun waren ich und das herrliche Mäd- chen allein, allein. O was dieses einzige Wort in sich faßt! Tage hätt' es währen sollen, und nicht zwey oder drey wie Augenblicke verflossene Stunden. Und doch --- die Wände unsers Stübchens --- das Kind auf Cäthchens Schooß --- die Sternen am Himmel sollen Zeugen seyn unsrer süssen, zärtlichen, aber schuldlosen Vertraulichkeit. Ich blieb noch die halbe Woche dort. Mein Engel kam alle Tage mit ihrem Schwesterchen vier bis fünfmal zu mir. Endlich aber gieng mir die Baarschaft aus --- ich mußte mich los-
Heriſau ankamen, wollt’ ich ſie nach Haus beglei- ten. „Das bey Leib nicht„! ſagte ſie; „Ich doͤrft’s „um alles in der Welt nicht. Nach dem Nachteſſen „vielleicht, kann ich denn eher noch ein Weilchen zum „Schwanen kommen„. Mit einem ſolchen Erſatz war ich natuͤrlich ſehr zufrieden. Damals wußt’ ich noch nicht, wer mein Schaͤtzgen war, und erfuhr erſt itzt im Wirthshaus: Daß ſie ein Toͤchtergen aus einem guten Kaufmannshaus, und ungefehr ſechszehn Jahr alt ſey. Ungefehr nach einer Stunde kam das liebe Geſchoͤpf — Caͤthchen hieß es — mit einem arti- gen jungen Kind auf dem Arm, das ſein Schweſterchen war — denn anders haͤtt’ es nicht entrinnen koͤn- nen --- als eben auch die verwuͤnſchte Ur -- ſel in die Stube trat, mich gleichfalls aufſuchen wollte --- bald aber Unrath merkte, mir bittere Vorwuͤrfe mach- te --- und davon gieng. Alsdann gab uns der Wirth ein eigen Zimmer --- Caͤthchen hinein, und ich nach- geſchwind wie der Wind. Ich hatte ein artiges Eſ- ſen beſtellt. Nun waren ich und das herrliche Maͤd- chen allein, allein. O was dieſes einzige Wort in ſich faßt! Tage haͤtt’ es waͤhren ſollen, und nicht zwey oder drey wie Augenblicke verfloſſene Stunden. Und doch --- die Waͤnde unſers Stuͤbchens --- das Kind auf Caͤthchens Schooß --- die Sternen am Himmel ſollen Zeugen ſeyn unſrer ſuͤſſen, zaͤrtlichen, aber ſchuldloſen Vertraulichkeit. Ich blieb noch die halbe Woche dort. Mein Engel kam alle Tage mit ihrem Schweſterchen vier bis fuͤnfmal zu mir. Endlich aber gieng mir die Baarſchaft aus --- ich mußte mich los-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0260"n="244"/><hirendition="#fr">Heriſau</hi> ankamen, wollt’ ich ſie nach Haus beglei-<lb/>
ten. „Das bey Leib nicht„! ſagte ſie; „Ich doͤrft’s<lb/>„um alles in der Welt nicht. Nach dem Nachteſſen<lb/>„vielleicht, kann ich denn eher noch ein Weilchen zum<lb/>„<hirendition="#fr">Schwanen</hi> kommen„. Mit einem ſolchen Erſatz<lb/>
war ich natuͤrlich ſehr zufrieden. Damals wußt’ ich<lb/>
noch nicht, wer mein Schaͤtzgen war, und erfuhr<lb/>
erſt itzt im Wirthshaus: Daß ſie ein Toͤchtergen aus<lb/>
einem guten Kaufmannshaus, und ungefehr ſechszehn<lb/>
Jahr alt ſey. Ungefehr nach einer Stunde kam das<lb/>
liebe Geſchoͤpf —<hirendition="#fr">Caͤthchen</hi> hieß es — mit einem arti-<lb/>
gen jungen Kind auf dem Arm, das ſein Schweſterchen<lb/>
war — denn anders haͤtt’ es nicht entrinnen koͤn-<lb/>
nen --- als eben auch die verwuͤnſchte <hirendition="#fr">Ur -- ſel</hi> in<lb/>
die Stube trat, mich gleichfalls aufſuchen wollte ---<lb/>
bald aber Unrath merkte, mir bittere Vorwuͤrfe mach-<lb/>
te --- und davon gieng. Alsdann gab uns der Wirth<lb/>
ein eigen Zimmer --- <hirendition="#fr">Caͤthchen</hi> hinein, und ich nach-<lb/>
geſchwind wie der Wind. Ich hatte ein artiges Eſ-<lb/>ſen beſtellt. Nun waren ich und das herrliche Maͤd-<lb/>
chen allein, allein. O was dieſes einzige Wort in<lb/>ſich faßt! Tage haͤtt’ es waͤhren ſollen, und nicht<lb/>
zwey oder drey wie Augenblicke verfloſſene Stunden.<lb/>
Und doch --- die Waͤnde unſers Stuͤbchens --- das Kind<lb/>
auf <hirendition="#fr">Caͤthchens</hi> Schooß --- die Sternen am Himmel<lb/>ſollen Zeugen ſeyn unſrer ſuͤſſen, zaͤrtlichen, aber<lb/>ſchuldloſen Vertraulichkeit. Ich blieb noch die halbe<lb/>
Woche dort. Mein Engel kam alle Tage mit ihrem<lb/>
Schweſterchen vier bis fuͤnfmal zu mir. Endlich aber<lb/>
gieng mir die Baarſchaft aus --- ich mußte mich los-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[244/0260]
Heriſau ankamen, wollt’ ich ſie nach Haus beglei-
ten. „Das bey Leib nicht„! ſagte ſie; „Ich doͤrft’s
„um alles in der Welt nicht. Nach dem Nachteſſen
„vielleicht, kann ich denn eher noch ein Weilchen zum
„Schwanen kommen„. Mit einem ſolchen Erſatz
war ich natuͤrlich ſehr zufrieden. Damals wußt’ ich
noch nicht, wer mein Schaͤtzgen war, und erfuhr
erſt itzt im Wirthshaus: Daß ſie ein Toͤchtergen aus
einem guten Kaufmannshaus, und ungefehr ſechszehn
Jahr alt ſey. Ungefehr nach einer Stunde kam das
liebe Geſchoͤpf — Caͤthchen hieß es — mit einem arti-
gen jungen Kind auf dem Arm, das ſein Schweſterchen
war — denn anders haͤtt’ es nicht entrinnen koͤn-
nen --- als eben auch die verwuͤnſchte Ur -- ſel in
die Stube trat, mich gleichfalls aufſuchen wollte ---
bald aber Unrath merkte, mir bittere Vorwuͤrfe mach-
te --- und davon gieng. Alsdann gab uns der Wirth
ein eigen Zimmer --- Caͤthchen hinein, und ich nach-
geſchwind wie der Wind. Ich hatte ein artiges Eſ-
ſen beſtellt. Nun waren ich und das herrliche Maͤd-
chen allein, allein. O was dieſes einzige Wort in
ſich faßt! Tage haͤtt’ es waͤhren ſollen, und nicht
zwey oder drey wie Augenblicke verfloſſene Stunden.
Und doch --- die Waͤnde unſers Stuͤbchens --- das Kind
auf Caͤthchens Schooß --- die Sternen am Himmel
ſollen Zeugen ſeyn unſrer ſuͤſſen, zaͤrtlichen, aber
ſchuldloſen Vertraulichkeit. Ich blieb noch die halbe
Woche dort. Mein Engel kam alle Tage mit ihrem
Schweſterchen vier bis fuͤnfmal zu mir. Endlich aber
gieng mir die Baarſchaft aus --- ich mußte mich los-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/260>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.