meine sorglose lüderliche Lebensart verderbte immer alles wieder. Mit Kindern meines Standes war mein Umgang freylich, Gott verzeih' mir's! oft nur all- zufrey; in Absicht auf solche hingegen, die über mir stuhnden, verließ mich meine Feigheit nie; und das war mir am meisten hinderlich. Denn wer weiß nicht, wie oft der dümmste Labetsch *), bloß mit einem beherzten angriffigen Wesen zuerst sein Glück macht. Aber mir so viele Mühe geben -- kriechen, bitten, seufzen und verzweifeln -- konnt' ich eben nicht. Ei- nes Tags gieng ich nach Herisau an eine Landsge- meinde. Meine gute Mutter steckte mir all' ihr kleines Spaargeldlin von etwa 6. fl. bey. Einer meiner Bekannten im Appenzeller-Land trachtete mir zu Trogen, in einer grossen Gesellschaft, eine gewisse Ursel aufzusalzen, die mir aber durchaus nicht behagen wollte. Ich suchte also ihr je eher je lie- ber wieder los zu werden. Es glückte mir auf dem Rückweg nach Herisau, wo sie sich -- oder vielmehr ich mich unter dem grossen Haufen verlor. Es war eine grosse Menge jungen Volkes. Bey einbrechen- der Abenddämmerung näherte man sich einander, und formirte Paar und Paar -- als ich mit eins ein wun- derschönes Mädel, sauber wie Milch und Blut, er- blickte, das mit zwey andern solchen Dingen davon schlenterte. Ich streckt' ihm die Hand entgegen, es ergriff sie mit den beyden seinigen, und mir war- schirten bald Arm an Arm in dulci Jubilo unter Singen und Schäckern unsre Strasse. Als wir zu
*)Nigaud.
meine ſorgloſe luͤderliche Lebensart verderbte immer alles wieder. Mit Kindern meines Standes war mein Umgang freylich, Gott verzeih’ mir’s! oft nur all- zufrey; in Abſicht auf ſolche hingegen, die uͤber mir ſtuhnden, verließ mich meine Feigheit nie; und das war mir am meiſten hinderlich. Denn wer weiß nicht, wie oft der duͤmmſte Labetſch *), bloß mit einem beherzten angriffigen Weſen zuerſt ſein Gluͤck macht. Aber mir ſo viele Muͤhe geben — kriechen, bitten, ſeufzen und verzweifeln — konnt’ ich eben nicht. Ei- nes Tags gieng ich nach Heriſau an eine Landsge- meinde. Meine gute Mutter ſteckte mir all’ ihr kleines Spaargeldlin von etwa 6. fl. bey. Einer meiner Bekannten im Appenzeller-Land trachtete mir zu Trogen, in einer groſſen Geſellſchaft, eine gewiſſe Urſel aufzuſalzen, die mir aber durchaus nicht behagen wollte. Ich ſuchte alſo ihr je eher je lie- ber wieder los zu werden. Es gluͤckte mir auf dem Ruͤckweg nach Heriſau, wo ſie ſich — oder vielmehr ich mich unter dem groſſen Haufen verlor. Es war eine groſſe Menge jungen Volkes. Bey einbrechen- der Abenddaͤmmerung naͤherte man ſich einander, und formirte Paar und Paar — als ich mit eins ein wun- derſchoͤnes Maͤdel, ſauber wie Milch und Blut, er- blickte, das mit zwey andern ſolchen Dingen davon ſchlenterte. Ich ſtreckt’ ihm die Hand entgegen, es ergriff ſie mit den beyden ſeinigen, und mir war- ſchirten bald Arm an Arm in dulci Jubilo unter Singen und Schaͤckern unſre Straſſe. Als wir zu
*)Nigaud.
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meine ſorgloſe luͤderliche Lebensart verderbte immer
alles wieder. Mit Kindern meines Standes war mein
Umgang freylich, Gott verzeih’ mir’s! oft nur all-
zufrey; in Abſicht auf ſolche hingegen, die uͤber mir
ſtuhnden, verließ mich meine Feigheit nie; und das
war mir am meiſten hinderlich. Denn wer weiß nicht,
wie oft der duͤmmſte Labetſch *), bloß mit einem
beherzten angriffigen Weſen zuerſt ſein Gluͤck macht.
Aber mir ſo viele Muͤhe geben — kriechen, bitten,
ſeufzen und verzweifeln — konnt’ ich eben nicht. Ei-
nes Tags gieng ich nach Heriſau an eine Landsge-
meinde. Meine gute Mutter ſteckte mir all’ ihr
kleines Spaargeldlin von etwa 6. fl. bey. Einer
meiner Bekannten im Appenzeller-Land trachtete
mir zu Trogen, in einer groſſen Geſellſchaft, eine
gewiſſe Urſel aufzuſalzen, die mir aber durchaus nicht
behagen wollte. Ich ſuchte alſo ihr je eher je lie-
ber wieder los zu werden. Es gluͤckte mir auf dem
Ruͤckweg nach Heriſau, wo ſie ſich — oder vielmehr
ich mich unter dem groſſen Haufen verlor. Es war
eine groſſe Menge jungen Volkes. Bey einbrechen-
der Abenddaͤmmerung naͤherte man ſich einander, und
formirte Paar und Paar — als ich mit eins ein wun-
derſchoͤnes Maͤdel, ſauber wie Milch und Blut, er-
blickte, das mit zwey andern ſolchen Dingen davon
ſchlenterte. Ich ſtreckt’ ihm die Hand entgegen, es
ergriff ſie mit den beyden ſeinigen, und mir war-
ſchirten bald Arm an Arm in dulci Jubilo unter
Singen und Schaͤckern unſre Straſſe. Als wir zu
*) Nigaud.
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/259>, abgerufen am 25.11.2024.
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