Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

wer weißt's? Selbst diese flüchtige Andacht unterhielt
vielleicht manche gute Gesinnung in mir, die sonst
auch noch zu Trümmern gegangen wäre, und be-
hütete mich vor groben Ausschweifungen, deren ich
mir, Gott Lob! keiner einzigen bewußt bin. So z.
B. wenn ich schon mit hübschen Mädchens für mein
Leben gern umgehen mochte, hätt' ich's doch auf
allen meinen Reisen und Kriegszügen nie über's Herz ge-
bracht, nur ein eineinziges zu übertölpeln, wenn ich auch
dazu noch so viel Reitzung gehabt. Wahrlich, mein Ge-
wissen war so zart über diesen Punkt, daß ich mir
vielmehr oft nachwerts ruchlose Vorwürfe über meine
eigne Feigheit gemacht; mir den und diesen guten
Anlaß wieder zurückgewünscht, u. s. f. Aber wenn
sich denn wirklich die Gelegenheit von neuem eräug-
nete, und alles bis zum Genusse fix und fertig war,
so fuhr ein zitternder Schauer mir durch Mark und
Beine, daß ich zurückbebte, meinen Gegenstand mit
guten Worten abfertigte, oder leise davon schliech.
Auf dem ganzen Transport bis nach Berlin bin ich,
bis auf ein einziges Nestchen, vollends ganz rein da-
von gekommen. In dieser grossen Stadt hätt' ich
an gemeinen Weibsleuthen keinen Schuh' gewischt.
Hingegen will ich's nicht verbergen, daß meine zü-
gellose Einbildungskraft ein Paarmal über glänzen-
de Damen und Mamselles brütete. Aber es stellten
sich immer noch zu rechter Zeit genugsame Hinder-
nisse in den Weg; die Anfechtungen verschwanden,
und besserer Sinn und Denken erwachten wieder.
Während meiner Campagne und auf der Heimreise

Q

wer weißt’s? Selbſt dieſe fluͤchtige Andacht unterhielt
vielleicht manche gute Geſinnung in mir, die ſonſt
auch noch zu Truͤmmern gegangen waͤre, und be-
huͤtete mich vor groben Ausſchweifungen, deren ich
mir, Gott Lob! keiner einzigen bewußt bin. So z.
B. wenn ich ſchon mit huͤbſchen Maͤdchens fuͤr mein
Leben gern umgehen mochte, haͤtt’ ich’s doch auf
allen meinen Reiſen und Kriegszuͤgen nie uͤber’s Herz ge-
bracht, nur ein eineinziges zu uͤbertoͤlpeln, wenn ich auch
dazu noch ſo viel Reitzung gehabt. Wahrlich, mein Ge-
wiſſen war ſo zart uͤber dieſen Punkt, daß ich mir
vielmehr oft nachwerts ruchloſe Vorwuͤrfe uͤber meine
eigne Feigheit gemacht; mir den und dieſen guten
Anlaß wieder zuruͤckgewuͤnſcht, u. ſ. f. Aber wenn
ſich denn wirklich die Gelegenheit von neuem eraͤug-
nete, und alles bis zum Genuſſe fix und fertig war,
ſo fuhr ein zitternder Schauer mir durch Mark und
Beine, daß ich zuruͤckbebte, meinen Gegenſtand mit
guten Worten abfertigte, oder leiſe davon ſchliech.
Auf dem ganzen Transport bis nach Berlin bin ich,
bis auf ein einziges Neſtchen, vollends ganz rein da-
von gekommen. In dieſer groſſen Stadt haͤtt’ ich
an gemeinen Weibsleuthen keinen Schuh’ gewiſcht.
Hingegen will ich’s nicht verbergen, daß meine zuͤ-
gelloſe Einbildungskraft ein Paarmal uͤber glaͤnzen-
de Damen und Mamſelles bruͤtete. Aber es ſtellten
ſich immer noch zu rechter Zeit genugſame Hinder-
niſſe in den Weg; die Anfechtungen verſchwanden,
und beſſerer Sinn und Denken erwachten wieder.
Waͤhrend meiner Campagne und auf der Heimreiſe

Q
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0257" n="241"/>
wer weißt&#x2019;s? Selb&#x017F;t die&#x017F;e flu&#x0364;chtige Andacht unterhielt<lb/>
vielleicht manche gute Ge&#x017F;innung in mir, die &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
auch noch zu Tru&#x0364;mmern gegangen wa&#x0364;re, und be-<lb/>
hu&#x0364;tete mich vor groben Aus&#x017F;chweifungen, deren ich<lb/>
mir, Gott Lob! keiner einzigen bewußt bin. So z.<lb/>
B. wenn ich &#x017F;chon mit hu&#x0364;b&#x017F;chen Ma&#x0364;dchens fu&#x0364;r mein<lb/>
Leben gern umgehen mochte, ha&#x0364;tt&#x2019; ich&#x2019;s doch auf<lb/>
allen meinen Rei&#x017F;en und Kriegszu&#x0364;gen nie u&#x0364;ber&#x2019;s Herz ge-<lb/>
bracht, nur ein eineinziges zu u&#x0364;berto&#x0364;lpeln, wenn ich auch<lb/>
dazu noch &#x017F;o viel Reitzung gehabt. Wahrlich, mein Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en war &#x017F;o zart u&#x0364;ber die&#x017F;en Punkt, daß ich mir<lb/>
vielmehr oft nachwerts ruchlo&#x017F;e Vorwu&#x0364;rfe u&#x0364;ber meine<lb/>
eigne Feigheit gemacht; mir den und die&#x017F;en guten<lb/>
Anlaß wieder zuru&#x0364;ckgewu&#x0364;n&#x017F;cht, u. &#x017F;. f. Aber wenn<lb/>
&#x017F;ich denn wirklich die Gelegenheit von neuem era&#x0364;ug-<lb/>
nete, und alles bis zum Genu&#x017F;&#x017F;e fix und fertig war,<lb/>
&#x017F;o fuhr ein zitternder Schauer mir durch Mark und<lb/>
Beine, daß ich zuru&#x0364;ckbebte, meinen Gegen&#x017F;tand mit<lb/>
guten Worten abfertigte, oder lei&#x017F;e davon &#x017F;chliech.<lb/>
Auf dem ganzen Transport bis nach <hi rendition="#fr">Berlin</hi> bin ich,<lb/>
bis auf ein einziges Ne&#x017F;tchen, vollends ganz rein da-<lb/>
von gekommen. In die&#x017F;er gro&#x017F;&#x017F;en Stadt ha&#x0364;tt&#x2019; ich<lb/>
an gemeinen Weibsleuthen keinen Schuh&#x2019; gewi&#x017F;cht.<lb/>
Hingegen will ich&#x2019;s nicht verbergen, daß meine zu&#x0364;-<lb/>
gello&#x017F;e Einbildungskraft ein Paarmal u&#x0364;ber gla&#x0364;nzen-<lb/>
de Damen und Mam&#x017F;elles bru&#x0364;tete. Aber es &#x017F;tellten<lb/>
&#x017F;ich immer noch zu rechter Zeit genug&#x017F;ame Hinder-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e in den Weg; die Anfechtungen ver&#x017F;chwanden,<lb/>
und be&#x017F;&#x017F;erer Sinn und Denken erwachten wieder.<lb/>
Wa&#x0364;hrend meiner Campagne und auf der Heimrei&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0257] wer weißt’s? Selbſt dieſe fluͤchtige Andacht unterhielt vielleicht manche gute Geſinnung in mir, die ſonſt auch noch zu Truͤmmern gegangen waͤre, und be- huͤtete mich vor groben Ausſchweifungen, deren ich mir, Gott Lob! keiner einzigen bewußt bin. So z. B. wenn ich ſchon mit huͤbſchen Maͤdchens fuͤr mein Leben gern umgehen mochte, haͤtt’ ich’s doch auf allen meinen Reiſen und Kriegszuͤgen nie uͤber’s Herz ge- bracht, nur ein eineinziges zu uͤbertoͤlpeln, wenn ich auch dazu noch ſo viel Reitzung gehabt. Wahrlich, mein Ge- wiſſen war ſo zart uͤber dieſen Punkt, daß ich mir vielmehr oft nachwerts ruchloſe Vorwuͤrfe uͤber meine eigne Feigheit gemacht; mir den und dieſen guten Anlaß wieder zuruͤckgewuͤnſcht, u. ſ. f. Aber wenn ſich denn wirklich die Gelegenheit von neuem eraͤug- nete, und alles bis zum Genuſſe fix und fertig war, ſo fuhr ein zitternder Schauer mir durch Mark und Beine, daß ich zuruͤckbebte, meinen Gegenſtand mit guten Worten abfertigte, oder leiſe davon ſchliech. Auf dem ganzen Transport bis nach Berlin bin ich, bis auf ein einziges Neſtchen, vollends ganz rein da- von gekommen. In dieſer groſſen Stadt haͤtt’ ich an gemeinen Weibsleuthen keinen Schuh’ gewiſcht. Hingegen will ich’s nicht verbergen, daß meine zuͤ- gelloſe Einbildungskraft ein Paarmal uͤber glaͤnzen- de Damen und Mamſelles bruͤtete. Aber es ſtellten ſich immer noch zu rechter Zeit genugſame Hinder- niſſe in den Weg; die Anfechtungen verſchwanden, und beſſerer Sinn und Denken erwachten wieder. Waͤhrend meiner Campagne und auf der Heimreiſe Q

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/257
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/257>, abgerufen am 22.11.2024.