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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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und reinen Herzens sey, eingesogen. Da wurde mir
nur das allerstrengste Gesetz eingepredigt; da schweb-
ten mir immer unübersteigliche Berge, und die schwer-
sten Stellen aus dem Neuen Testament von Händ'
und Füß' abhauen, Augausreißen u. s. f. vor. Mein
Herz war von jeher äusserst empfindlich; ich erstaun-
te daher sehr oft, wenn ich weit bessere Menschen als
ich, bey diesem oder jenem Zufall, bey Erzählung
irgend eines Unglücks, bey Anhörung einer rühren-
den Predigt, u. d. gl. wie ich wähnte ganz frostig
bleiben sah. Man denke sich also meine damalige
Lage in einem rohen einsamen Schneegebürg': Ohne
Gesellschaft, ausser jenen schmutzigen Buben und un-
fläthigen Alten auf der einen -- auf der andern Sei-
te jenen schwärmerschen Unterricht, den mein junger
feuerfangender Busen so begierig aufnahm; dann
mein von Natur tobendes Temperament, und eine
Einbildungskraft, welche mir nicht nur den ganzen
Tag über keine Minute Ruhe ließ, sondern mich auch
des Nachts verfolgte, und mir oft Träume bildete,
daß mir noch beym Erwachen der Schweiß über alle
Finger lief. Damals war (wie man schon zum Theil
aus meiner obigen Geschichte wird ersehen haben)
meine größte Lust, an einem schönen Morgen oder
stillen Abend, währendem Hüten meiner Geißen,
mich auf irgend einem hohen Berge in einen Dorn-
busch zu setzen -- dann jenes Büchelgen hervorzu-
langen das ich viele Zeit überall und immer bey mir
trug, und daraus mich über meine Pflichten gegen
Gott, gegen meine Eltern, gegen alle Menschen

und reinen Herzens ſey, eingeſogen. Da wurde mir
nur das allerſtrengſte Geſetz eingepredigt; da ſchweb-
ten mir immer unuͤberſteigliche Berge, und die ſchwer-
ſten Stellen aus dem Neuen Teſtament von Haͤnd’
und Fuͤß’ abhauen, Augausreißen u. ſ. f. vor. Mein
Herz war von jeher aͤuſſerſt empfindlich; ich erſtaun-
te daher ſehr oft, wenn ich weit beſſere Menſchen als
ich, bey dieſem oder jenem Zufall, bey Erzaͤhlung
irgend eines Ungluͤcks, bey Anhoͤrung einer ruͤhren-
den Predigt, u. d. gl. wie ich waͤhnte ganz froſtig
bleiben ſah. Man denke ſich alſo meine damalige
Lage in einem rohen einſamen Schneegebuͤrg’: Ohne
Geſellſchaft, auſſer jenen ſchmutzigen Buben und un-
flaͤthigen Alten auf der einen — auf der andern Sei-
te jenen ſchwaͤrmerſchen Unterricht, den mein junger
feuerfangender Buſen ſo begierig aufnahm; dann
mein von Natur tobendes Temperament, und eine
Einbildungskraft, welche mir nicht nur den ganzen
Tag uͤber keine Minute Ruhe ließ, ſondern mich auch
des Nachts verfolgte, und mir oft Traͤume bildete,
daß mir noch beym Erwachen der Schweiß uͤber alle
Finger lief. Damals war (wie man ſchon zum Theil
aus meiner obigen Geſchichte wird erſehen haben)
meine groͤßte Luſt, an einem ſchoͤnen Morgen oder
ſtillen Abend, waͤhrendem Huͤten meiner Geißen,
mich auf irgend einem hohen Berge in einen Dorn-
buſch zu ſetzen — dann jenes Buͤchelgen hervorzu-
langen das ich viele Zeit uͤberall und immer bey mir
trug, und daraus mich uͤber meine Pflichten gegen
Gott, gegen meine Eltern, gegen alle Menſchen

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[236/0252] und reinen Herzens ſey, eingeſogen. Da wurde mir nur das allerſtrengſte Geſetz eingepredigt; da ſchweb- ten mir immer unuͤberſteigliche Berge, und die ſchwer- ſten Stellen aus dem Neuen Teſtament von Haͤnd’ und Fuͤß’ abhauen, Augausreißen u. ſ. f. vor. Mein Herz war von jeher aͤuſſerſt empfindlich; ich erſtaun- te daher ſehr oft, wenn ich weit beſſere Menſchen als ich, bey dieſem oder jenem Zufall, bey Erzaͤhlung irgend eines Ungluͤcks, bey Anhoͤrung einer ruͤhren- den Predigt, u. d. gl. wie ich waͤhnte ganz froſtig bleiben ſah. Man denke ſich alſo meine damalige Lage in einem rohen einſamen Schneegebuͤrg’: Ohne Geſellſchaft, auſſer jenen ſchmutzigen Buben und un- flaͤthigen Alten auf der einen — auf der andern Sei- te jenen ſchwaͤrmerſchen Unterricht, den mein junger feuerfangender Buſen ſo begierig aufnahm; dann mein von Natur tobendes Temperament, und eine Einbildungskraft, welche mir nicht nur den ganzen Tag uͤber keine Minute Ruhe ließ, ſondern mich auch des Nachts verfolgte, und mir oft Traͤume bildete, daß mir noch beym Erwachen der Schweiß uͤber alle Finger lief. Damals war (wie man ſchon zum Theil aus meiner obigen Geſchichte wird erſehen haben) meine groͤßte Luſt, an einem ſchoͤnen Morgen oder ſtillen Abend, waͤhrendem Huͤten meiner Geißen, mich auf irgend einem hohen Berge in einen Dorn- buſch zu ſetzen — dann jenes Buͤchelgen hervorzu- langen das ich viele Zeit uͤberall und immer bey mir trug, und daraus mich uͤber meine Pflichten gegen Gott, gegen meine Eltern, gegen alle Menſchen

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/252>, abgerufen am 09.11.2024.