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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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wurden wir noch alle gar an der Ruhr krank; mei-
ne zwey Aeltst gebohrnen starben, wir übrigen
erholten uns wieder. Inzwischen harrt' ich auf Gott
und günstigere Zeiten. Aber umsonst! Und war ich
nicht ein Thor, und bin ich's nicht itzt noch, wenn
ich auch nur ein wenig zurückdenke, auf mein sorg-
loses in den Tag hinein leben? Bin ich denn nicht selbst
schuld an allem meinem Elend? Meine Unbesonnenheit,
meine Leichtgläubigkeit, mein unwiderstehlicher Hang zum
Lesen und Schreiben, haben nicht die mich dahin ge-
bracht? Wenn mein Weib, wenn ich selbst, mir solche nur
zu wohl verdiente Vorwürfe machen, dann kämpf' ich
oft mit der Verzweiflung; wälze mich halbe Nächte
im Bett herum, rufe dem Tod herbey, und bald
jede Art mein Leben zu endigen scheint mir erträg-
licher, als die äusserste Noth der ich alle Tage ent-
gegensehe. Voll Schwermuth schleich' ich dann lang-
sam unsrer Thur nach, und blicke vom Felsen her-
ab scharf in die Tiefe. Gott! wenn nur meine Seele
in diesen Fluthen auch untergehen könnte! Das ein-
temal lispelte mir der Teufel des Neides -- freylich
eine grosse Wahrheit ein: Wie viele Schätze werden
nicht auf dieser Erde verschwendet! Wie manches
Tausend auf Karten und Würfel gesetzt, wo dir ein
einziges aus dem Labyrinth helfen könnte! Ein an-
dermal heißt mich dieser böse Feind gar, zusammen-
packen, und alles im Stich lassen. Aber nein! da
bewahre mich Gott dafür! Ja, im blossen Hemd wollt'
ich auf und davon, mich an die Algier verkaufen,
wenn dann nur meine Ehre gerettet, und Weib und

wurden wir noch alle gar an der Ruhr krank; mei-
ne zwey Aeltſt gebohrnen ſtarben, wir uͤbrigen
erholten uns wieder. Inzwiſchen harrt’ ich auf Gott
und guͤnſtigere Zeiten. Aber umſonſt! Und war ich
nicht ein Thor, und bin ich’s nicht itzt noch, wenn
ich auch nur ein wenig zuruͤckdenke, auf mein ſorg-
loſes in den Tag hinein leben? Bin ich denn nicht ſelbſt
ſchuld an allem meinem Elend? Meine Unbeſonnenheit,
meine Leichtglaͤubigkeit, mein unwiderſtehlicher Hang zum
Leſen und Schreiben, haben nicht die mich dahin ge-
bracht? Wenn mein Weib, wenn ich ſelbſt, mir ſolche nur
zu wohl verdiente Vorwuͤrfe machen, dann kaͤmpf’ ich
oft mit der Verzweiflung; waͤlze mich halbe Naͤchte
im Bett herum, rufe dem Tod herbey, und bald
jede Art mein Leben zu endigen ſcheint mir ertraͤg-
licher, als die aͤuſſerſte Noth der ich alle Tage ent-
gegenſehe. Voll Schwermuth ſchleich’ ich dann lang-
ſam unſrer Thur nach, und blicke vom Felſen her-
ab ſcharf in die Tiefe. Gott! wenn nur meine Seele
in dieſen Fluthen auch untergehen koͤnnte! Das ein-
temal liſpelte mir der Teufel des Neides — freylich
eine groſſe Wahrheit ein: Wie viele Schaͤtze werden
nicht auf dieſer Erde verſchwendet! Wie manches
Tauſend auf Karten und Wuͤrfel geſetzt, wo dir ein
einziges aus dem Labyrinth helfen koͤnnte! Ein an-
dermal heißt mich dieſer boͤſe Feind gar, zuſammen-
packen, und alles im Stich laſſen. Aber nein! da
bewahre mich Gott dafuͤr! Ja, im bloſſen Hemd wollt’
ich auf und davon, mich an die Algier verkaufen,
wenn dann nur meine Ehre gerettet, und Weib und

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[222/0238] wurden wir noch alle gar an der Ruhr krank; mei- ne zwey Aeltſt gebohrnen ſtarben, wir uͤbrigen erholten uns wieder. Inzwiſchen harrt’ ich auf Gott und guͤnſtigere Zeiten. Aber umſonſt! Und war ich nicht ein Thor, und bin ich’s nicht itzt noch, wenn ich auch nur ein wenig zuruͤckdenke, auf mein ſorg- loſes in den Tag hinein leben? Bin ich denn nicht ſelbſt ſchuld an allem meinem Elend? Meine Unbeſonnenheit, meine Leichtglaͤubigkeit, mein unwiderſtehlicher Hang zum Leſen und Schreiben, haben nicht die mich dahin ge- bracht? Wenn mein Weib, wenn ich ſelbſt, mir ſolche nur zu wohl verdiente Vorwuͤrfe machen, dann kaͤmpf’ ich oft mit der Verzweiflung; waͤlze mich halbe Naͤchte im Bett herum, rufe dem Tod herbey, und bald jede Art mein Leben zu endigen ſcheint mir ertraͤg- licher, als die aͤuſſerſte Noth der ich alle Tage ent- gegenſehe. Voll Schwermuth ſchleich’ ich dann lang- ſam unſrer Thur nach, und blicke vom Felſen her- ab ſcharf in die Tiefe. Gott! wenn nur meine Seele in dieſen Fluthen auch untergehen koͤnnte! Das ein- temal liſpelte mir der Teufel des Neides — freylich eine groſſe Wahrheit ein: Wie viele Schaͤtze werden nicht auf dieſer Erde verſchwendet! Wie manches Tauſend auf Karten und Wuͤrfel geſetzt, wo dir ein einziges aus dem Labyrinth helfen koͤnnte! Ein an- dermal heißt mich dieſer boͤſe Feind gar, zuſammen- packen, und alles im Stich laſſen. Aber nein! da bewahre mich Gott dafuͤr! Ja, im bloſſen Hemd wollt’ ich auf und davon, mich an die Algier verkaufen, wenn dann nur meine Ehre gerettet, und Weib und

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/238>, abgerufen am 24.11.2024.