bin der älteste Sohn eines blutarmen Vaters von 11. Kindern, der in einem wilden Schneeberg unsers Lands erzogen ward, und bis in sein sechszehntes Jahr fast ohne allen Unterricht blieb, da ich zum H. Nacht- mahl unterwiesen wurde, auch von selbst ein wenig schreiben lernte, weil ich grosse Lust dazu hatte. Mein sel. Vater mußte unter seiner Schuldenlast erliegen, Haus und Heimath verlassen, und mit seiner zahl- reichen Familie unterzukommen suchen, wo er konnte und mochte, und Arbeit und ein kümmerliches Brodt für uns zu finden war. Die Hälfte von uns war damals noch unerzogen. Bis in mein neunzehntes Jahr blieb mir die Welt ganz unbekannt, als ein schlauer Betrüger mich auf Schaffhausen führte, um, wie er sagte, mir einen Herrendienst zu ver- schaffen. Mein Vater war's zufrieden -- und ich wurde, ohne mein Wissen, an einen preußischen Werber verkauft, der mich freylich so lange als sei- nen Bedienten hielt, bis ich nach Berlin kam, wo man mich unter die Soldaten steckte -- und noch itzt nicht begreifen wollte, wie man mich so habe betrie- gen können. Es gieng eben ins Feld. O wie mußt' ich da meine vorigen in Leichtsinn vollbrachten guten Tage so theuer büssen! Doch ich flehte zu Gott, und er half mir ins Vater and. In der ersten Schlacht bey Lowositz nämlich, kam ich wieder auf freyen Fuß, und kehrte sofort nach Hause. In dem Städtgen Rhei- neck küßt' ich zum erstenmal wieder die Schweitzer- Erde, und schätzte mich für den glücklichsten Mann, ob ich schon nichts als ein Paar Brandenburgische
bin der aͤlteſte Sohn eines blutarmen Vaters von 11. Kindern, der in einem wilden Schneeberg unſers Lands erzogen ward, und bis in ſein ſechszehntes Jahr faſt ohne allen Unterricht blieb, da ich zum H. Nacht- mahl unterwieſen wurde, auch von ſelbſt ein wenig ſchreiben lernte, weil ich groſſe Luſt dazu hatte. Mein ſel. Vater mußte unter ſeiner Schuldenlaſt erliegen, Haus und Heimath verlaſſen, und mit ſeiner zahl- reichen Familie unterzukommen ſuchen, wo er konnte und mochte, und Arbeit und ein kuͤmmerliches Brodt fuͤr uns zu finden war. Die Haͤlfte von uns war damals noch unerzogen. Bis in mein neunzehntes Jahr blieb mir die Welt ganz unbekannt, als ein ſchlauer Betruͤger mich auf Schaffhauſen fuͤhrte, um, wie er ſagte, mir einen Herrendienſt zu ver- ſchaffen. Mein Vater war’s zufrieden — und ich wurde, ohne mein Wiſſen, an einen preußiſchen Werber verkauft, der mich freylich ſo lange als ſei- nen Bedienten hielt, bis ich nach Berlin kam, wo man mich unter die Soldaten ſteckte — und noch itzt nicht begreifen wollte, wie man mich ſo habe betrie- gen koͤnnen. Es gieng eben ins Feld. O wie mußt’ ich da meine vorigen in Leichtſinn vollbrachten guten Tage ſo theuer buͤſſen! Doch ich flehte zu Gott, und er half mir ins Vater and. In der erſten Schlacht bey Lowoſitz naͤmlich, kam ich wieder auf freyen Fuß, und kehrte ſofort nach Hauſe. In dem Staͤdtgen Rhei- neck kuͤßt’ ich zum erſtenmal wieder die Schweitzer- Erde, und ſchaͤtzte mich fuͤr den gluͤcklichſten Mann, ob ich ſchon nichts als ein Paar Brandenburgiſche
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0236"n="220"/>
bin der aͤlteſte Sohn eines blutarmen Vaters von 11.<lb/>
Kindern, der in einem wilden Schneeberg unſers Lands<lb/>
erzogen ward, und bis in ſein ſechszehntes Jahr faſt<lb/>
ohne allen Unterricht blieb, da ich zum H. Nacht-<lb/>
mahl unterwieſen wurde, auch von ſelbſt ein wenig<lb/>ſchreiben lernte, weil ich groſſe Luſt dazu hatte. Mein<lb/>ſel. Vater mußte unter ſeiner Schuldenlaſt erliegen,<lb/>
Haus und Heimath verlaſſen, und mit ſeiner zahl-<lb/>
reichen Familie unterzukommen ſuchen, wo er konnte<lb/>
und mochte, und Arbeit und ein kuͤmmerliches Brodt<lb/>
fuͤr uns zu finden war. Die Haͤlfte von uns war<lb/>
damals noch unerzogen. Bis in mein neunzehntes<lb/>
Jahr blieb mir die Welt ganz unbekannt, als ein<lb/>ſchlauer Betruͤger mich auf <hirendition="#fr">Schaffhauſen</hi> fuͤhrte,<lb/>
um, wie er ſagte, mir einen Herrendienſt zu ver-<lb/>ſchaffen. Mein Vater war’s zufrieden — und ich<lb/>
wurde, ohne mein Wiſſen, an einen preußiſchen<lb/>
Werber verkauft, der mich freylich ſo lange als ſei-<lb/>
nen Bedienten hielt, bis ich nach <hirendition="#fr">Berlin</hi> kam, wo<lb/>
man mich unter die Soldaten ſteckte — und noch itzt<lb/>
nicht begreifen wollte, wie man mich ſo habe betrie-<lb/>
gen koͤnnen. Es gieng eben ins Feld. O wie mußt’<lb/>
ich da meine vorigen in Leichtſinn vollbrachten guten<lb/>
Tage ſo theuer buͤſſen! Doch ich flehte zu Gott, und<lb/>
er half mir ins Vater and. In der erſten Schlacht<lb/>
bey <hirendition="#fr">Lowoſitz</hi> naͤmlich, kam ich wieder auf freyen Fuß,<lb/>
und kehrte ſofort nach Hauſe. In dem Staͤdtgen <hirendition="#fr">Rhei-<lb/>
neck</hi> kuͤßt’ ich zum erſtenmal wieder die Schweitzer-<lb/>
Erde, und ſchaͤtzte mich fuͤr den gluͤcklichſten Mann,<lb/>
ob ich ſchon nichts als ein Paar Brandenburgiſche<lb/></p></div></body></text></TEI>
[220/0236]
bin der aͤlteſte Sohn eines blutarmen Vaters von 11.
Kindern, der in einem wilden Schneeberg unſers Lands
erzogen ward, und bis in ſein ſechszehntes Jahr faſt
ohne allen Unterricht blieb, da ich zum H. Nacht-
mahl unterwieſen wurde, auch von ſelbſt ein wenig
ſchreiben lernte, weil ich groſſe Luſt dazu hatte. Mein
ſel. Vater mußte unter ſeiner Schuldenlaſt erliegen,
Haus und Heimath verlaſſen, und mit ſeiner zahl-
reichen Familie unterzukommen ſuchen, wo er konnte
und mochte, und Arbeit und ein kuͤmmerliches Brodt
fuͤr uns zu finden war. Die Haͤlfte von uns war
damals noch unerzogen. Bis in mein neunzehntes
Jahr blieb mir die Welt ganz unbekannt, als ein
ſchlauer Betruͤger mich auf Schaffhauſen fuͤhrte,
um, wie er ſagte, mir einen Herrendienſt zu ver-
ſchaffen. Mein Vater war’s zufrieden — und ich
wurde, ohne mein Wiſſen, an einen preußiſchen
Werber verkauft, der mich freylich ſo lange als ſei-
nen Bedienten hielt, bis ich nach Berlin kam, wo
man mich unter die Soldaten ſteckte — und noch itzt
nicht begreifen wollte, wie man mich ſo habe betrie-
gen koͤnnen. Es gieng eben ins Feld. O wie mußt’
ich da meine vorigen in Leichtſinn vollbrachten guten
Tage ſo theuer buͤſſen! Doch ich flehte zu Gott, und
er half mir ins Vater and. In der erſten Schlacht
bey Lowoſitz naͤmlich, kam ich wieder auf freyen Fuß,
und kehrte ſofort nach Hauſe. In dem Staͤdtgen Rhei-
neck kuͤßt’ ich zum erſtenmal wieder die Schweitzer-
Erde, und ſchaͤtzte mich fuͤr den gluͤcklichſten Mann,
ob ich ſchon nichts als ein Paar Brandenburgiſche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/236>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.