"Ich, davon laufen? --- Mein zwar unsanftes, "aber getreues Weib, und meine unschuldigen klei- "nen Kinder im Stich lassen --- meinen Feinden "ihre Winkelprophezeyungen zu ihrer größten Freude "wahr machen? --- Ich, ich sollte das thun? In "welcher Ecke der Erde könnt' ich eine Stunde Ru- "he geniessen --- wo mich verbergen, daß der Wurm "in meinem Busen, daß die Rache des Höchsten mich "nicht finden könnte"? --- "Nein! Nein! nicht so"; hob dann wieder eine andre Stimm' in meinem Inn- wendigen an; "aber Weib und Kinder mitnehmen, "und irgend einen Ort aussuchen, wo der Baum- "wollengewerb noch nicht florirt, und wo man ihn "doch gern einrichten möchte --- da könntest du dein "Glück bauen; verstehst ja die rohe Frucht sowohl "als das Garn --- kannst jene selber karten, käm- "men, spinnen, und dieses sieden, spuhlen, zet- "teln --- bist sogar im Stand, ein Spinnrad, eine "Kunkel zu machen --- und also die Leuthe vollends "alles zu lehren. Dann kehrst du nach einigen Jah- "ren geehrt und reich zurück in dein Vaterland, "zahlst deine Schulden --- Kapital und Zinse"! --- Aber dann bedacht' ich mich bald wieder eines Bessern: "Wie, was? O du Lügengeist! Schon vor dreyßig "Jahren hast du mir, so wie heute, von lauter gu- "ten Tagen vorgeschwatzt, mir einen güldnen Berg "nach dem andern gezeigt --- und mich immer be- "trogen, immer in tiefere Labyrinthe verwickelt --- "mich zum Narrn gemacht --- und itzt möchtest du "mich gar zum Schelmen machen? Wie? Ich sollte
„Ich, davon laufen? --- Mein zwar unſanftes, „aber getreues Weib, und meine unſchuldigen klei- „nen Kinder im Stich laſſen --- meinen Feinden „ihre Winkelprophezeyungen zu ihrer groͤßten Freude „wahr machen? --- Ich, ich ſollte das thun? In „welcher Ecke der Erde koͤnnt’ ich eine Stunde Ru- „he genieſſen --- wo mich verbergen, daß der Wurm „in meinem Buſen, daß die Rache des Hoͤchſten mich „nicht finden koͤnnte„? --- „Nein! Nein! nicht ſo„; hob dann wieder eine andre Stimm’ in meinem Inn- wendigen an; „aber Weib und Kinder mitnehmen, „und irgend einen Ort ausſuchen, wo der Baum- „wollengewerb noch nicht florirt, und wo man ihn „doch gern einrichten moͤchte --- da koͤnnteſt du dein „Gluͤck bauen; verſtehſt ja die rohe Frucht ſowohl „als das Garn --- kannſt jene ſelber karten, kaͤm- „men, ſpinnen, und dieſes ſieden, ſpuhlen, zet- „teln --- biſt ſogar im Stand, ein Spinnrad, eine „Kunkel zu machen --- und alſo die Leuthe vollends „alles zu lehren. Dann kehrſt du nach einigen Jah- „ren geehrt und reich zuruͤck in dein Vaterland, „zahlſt deine Schulden --- Kapital und Zinſe„! --- Aber dann bedacht’ ich mich bald wieder eines Beſſern: „Wie, was? O du Luͤgengeiſt! Schon vor dreyßig „Jahren haſt du mir, ſo wie heute, von lauter gu- „ten Tagen vorgeſchwatzt, mir einen guͤldnen Berg „nach dem andern gezeigt --- und mich immer be- „trogen, immer in tiefere Labyrinthe verwickelt --- „mich zum Narrn gemacht --- und itzt moͤchteſt du „mich gar zum Schelmen machen? Wie? Ich ſollte
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„Ich, davon laufen? --- Mein zwar unſanftes,
„aber getreues Weib, und meine unſchuldigen klei-
„nen Kinder im Stich laſſen --- meinen Feinden
„ihre Winkelprophezeyungen zu ihrer groͤßten Freude
„wahr machen? --- Ich, ich ſollte das thun? In
„welcher Ecke der Erde koͤnnt’ ich eine Stunde Ru-
„he genieſſen --- wo mich verbergen, daß der Wurm
„in meinem Buſen, daß die Rache des Hoͤchſten mich
„nicht finden koͤnnte„? --- „Nein! Nein! nicht ſo„;
hob dann wieder eine andre Stimm’ in meinem Inn-
wendigen an; „aber Weib und Kinder mitnehmen,
„und irgend einen Ort ausſuchen, wo der Baum-
„wollengewerb noch nicht florirt, und wo man ihn
„doch gern einrichten moͤchte --- da koͤnnteſt du dein
„Gluͤck bauen; verſtehſt ja die rohe Frucht ſowohl
„als das Garn --- kannſt jene ſelber karten, kaͤm-
„men, ſpinnen, und dieſes ſieden, ſpuhlen, zet-
„teln --- biſt ſogar im Stand, ein Spinnrad, eine
„Kunkel zu machen --- und alſo die Leuthe vollends
„alles zu lehren. Dann kehrſt du nach einigen Jah-
„ren geehrt und reich zuruͤck in dein Vaterland,
„zahlſt deine Schulden --- Kapital und Zinſe„! ---
Aber dann bedacht’ ich mich bald wieder eines Beſſern:
„Wie, was? O du Luͤgengeiſt! Schon vor dreyßig
„Jahren haſt du mir, ſo wie heute, von lauter gu-
„ten Tagen vorgeſchwatzt, mir einen guͤldnen Berg
„nach dem andern gezeigt --- und mich immer be-
„trogen, immer in tiefere Labyrinthe verwickelt ---
„mich zum Narrn gemacht --- und itzt moͤchteſt du
„mich gar zum Schelmen machen? Wie? Ich ſollte
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/232>, abgerufen am 24.11.2024.
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