"muß ich doch vor meinem eignen Weib meinen "Kummer verbergen". Mit solchen Gedanken wälzt' ich mich ein Paar lange Nächte auf meinem Lager herum; dann faßt' ich, wie mit Eins, wieder Muth; tröstete mich aufs neue mit der Hilfe von oben her- ab, befahl dem Himmel meine Sachen -- und gieng meine Wege, wie zuvor. Zwar prüft' ich mich selbst unterweilen, ob und in wie fern' ich an meinen ge- genwärtigen Umständen selbst Schuld trage. Aber, ach! wie geneigt ist man in solcher Lage, sich selbst zu rechtfertigen. Freylich konnt' ich mir wirklich keine eigentliche Verschwendung oder Lüderlichkeit vorwer- fen; aber doch ein gewisses gleichgültiges, leichtgläu- biges, ungeschicktes Wesen, u. s. f. Denn erstlich hatt' ich nie gelernt, recht mit dem Geld umzugehn; auch hatte es nie keine Reitze für mich, als in wie fern' ichs alle Tag' zu brauchen wußte. Hiernächst traut' ich jedem Halunken, wenn er mir nur ein gut Wort gab; und noch itzt könnte mich ein ehrlich Ge- sicht um den letzten Heller im Sack betriegen. End- lich und vornämlich verstuhnden lange weder ich noch mein Weib den Handel recht, und kauften und ver- kauften immer zur verkehrten Zeit.
Mittlerweile ward meine Frau schwanger, und den ganzen Sommer (1772.) über kränklich, und schämte sich vor allen Wänden, daß sie bey diesen betrübten Zeitläusen ein Kind haben sollte. Ja sie hätte selbst mir bald eine ähnliche Empfindung eingepredigt. Im Herbst- monathe, da die rothe Ruhr allethalben graßirte, kehr- te sie auch bey mir ein, und traf zuerst meinen lieben
„muß ich doch vor meinem eignen Weib meinen „Kummer verbergen„. Mit ſolchen Gedanken waͤlzt’ ich mich ein Paar lange Naͤchte auf meinem Lager herum; dann faßt’ ich, wie mit Eins, wieder Muth; troͤſtete mich aufs neue mit der Hilfe von oben her- ab, befahl dem Himmel meine Sachen — und gieng meine Wege, wie zuvor. Zwar pruͤft’ ich mich ſelbſt unterweilen, ob und in wie fern’ ich an meinen ge- genwaͤrtigen Umſtaͤnden ſelbſt Schuld trage. Aber, ach! wie geneigt iſt man in ſolcher Lage, ſich ſelbſt zu rechtfertigen. Freylich konnt’ ich mir wirklich keine eigentliche Verſchwendung oder Luͤderlichkeit vorwer- fen; aber doch ein gewiſſes gleichguͤltiges, leichtglaͤu- biges, ungeſchicktes Weſen, u. ſ. f. Denn erſtlich hatt’ ich nie gelernt, recht mit dem Geld umzugehn; auch hatte es nie keine Reitze fuͤr mich, als in wie fern’ ichs alle Tag’ zu brauchen wußte. Hiernaͤchſt traut’ ich jedem Halunken, wenn er mir nur ein gut Wort gab; und noch itzt koͤnnte mich ein ehrlich Ge- ſicht um den letzten Heller im Sack betriegen. End- lich und vornaͤmlich verſtuhnden lange weder ich noch mein Weib den Handel recht, und kauften und ver- kauften immer zur verkehrten Zeit.
Mittlerweile ward meine Frau ſchwanger, und den ganzen Sommer (1772.) uͤber kraͤnklich, und ſchaͤmte ſich vor allen Waͤnden, daß ſie bey dieſen betruͤbten Zeitlaͤuſen ein Kind haben ſollte. Ja ſie haͤtte ſelbſt mir bald eine aͤhnliche Empfindung eingepredigt. Im Herbſt- monathe, da die rothe Ruhr allethalben graßirte, kehr- te ſie auch bey mir ein, und traf zuerſt meinen lieben
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„muß ich doch vor meinem eignen Weib meinen
„Kummer verbergen„. Mit ſolchen Gedanken waͤlzt’
ich mich ein Paar lange Naͤchte auf meinem Lager
herum; dann faßt’ ich, wie mit Eins, wieder Muth;
troͤſtete mich aufs neue mit der Hilfe von oben her-
ab, befahl dem Himmel meine Sachen — und gieng
meine Wege, wie zuvor. Zwar pruͤft’ ich mich ſelbſt
unterweilen, ob und in wie fern’ ich an meinen ge-
genwaͤrtigen Umſtaͤnden ſelbſt Schuld trage. Aber,
ach! wie geneigt iſt man in ſolcher Lage, ſich ſelbſt
zu rechtfertigen. Freylich konnt’ ich mir wirklich keine
eigentliche Verſchwendung oder Luͤderlichkeit vorwer-
fen; aber doch ein gewiſſes gleichguͤltiges, leichtglaͤu-
biges, ungeſchicktes Weſen, u. ſ. f. Denn erſtlich
hatt’ ich nie gelernt, recht mit dem Geld umzugehn;
auch hatte es nie keine Reitze fuͤr mich, als in wie
fern’ ichs alle Tag’ zu brauchen wußte. Hiernaͤchſt
traut’ ich jedem Halunken, wenn er mir nur ein gut
Wort gab; und noch itzt koͤnnte mich ein ehrlich Ge-
ſicht um den letzten Heller im Sack betriegen. End-
lich und vornaͤmlich verſtuhnden lange weder ich noch
mein Weib den Handel recht, und kauften und ver-
kauften immer zur verkehrten Zeit.
Mittlerweile ward meine Frau ſchwanger, und den
ganzen Sommer (1772.) uͤber kraͤnklich, und ſchaͤmte
ſich vor allen Waͤnden, daß ſie bey dieſen betruͤbten
Zeitlaͤuſen ein Kind haben ſollte. Ja ſie haͤtte ſelbſt mir
bald eine aͤhnliche Empfindung eingepredigt. Im Herbſt-
monathe, da die rothe Ruhr allethalben graßirte, kehr-
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/216>, abgerufen am 22.11.2024.
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