ger; ich hatte ebenfalls eine Anfoderung an ihn, und war selber bey dem Auffallsact gegenwärtig; freylich mehr ihm zum Beystande, als um meiner Schuld willen. O! was das vor ein erbärmliches Speckta- kel ist, wenn einer so, wie ein armer Delinquent, dastehn -- sein Schulden- und Sündenregister vor- lesen hören -- so viele bittre, theils laute, theils leise Vorwürfe in sich fressen -- sein Haus, seine Mobilien, alles, bis auf ein armseliges Bett und Gewand, um einen Spottpreiß verganten sehn -- das Geheul von Weib und Kindern hören, und zu allem schweigen muß, wie eine Maus. O! wie fuhr's mir da durch Mark und Bein! Und doch konnt' ich weder rathen noch helfen -- nichts thun, als für mei- ner Schwester Kinder zu beten -- und dazu im Her- zen denken: "Auch du, auch du steckst eben so tief "im Koth! Heut oder Morgens kann es, muß es "dir eben so gehn, wenn's nicht bald anders wird. "Und wie sollt' es anders werden? Oder, darf ich "Thor auf ein Wunder hoffen? Nach dem natürli- "chen Gang dei Dinge kann ich mich unmöglich er- "holen. Vielleicht harren deine Gläubiger noch eine "Weile; aber alle Augenblick' kann die Geduld ih- "nen ausgehn. -- Doch, wer weiß? Der alte Gott "lebt noch! Es wird nicht immer so währen. -- Aber "ach! Und wenn's auch besser würde, so braucht' es "Jahre lang, bis ich mich wieder erholen könnte. "Und so lang werden meine Schuldherren mir ge- "wiß nicht Zeit lassen. Ach mein Gott! Was soll "ich anfangen? Keiner Seele darf ich mich vertrauen --
ger; ich hatte ebenfalls eine Anfoderung an ihn, und war ſelber bey dem Auffallsact gegenwaͤrtig; freylich mehr ihm zum Beyſtande, als um meiner Schuld willen. O! was das vor ein erbaͤrmliches Speckta- kel iſt, wenn einer ſo, wie ein armer Delinquent, daſtehn — ſein Schulden- und Suͤndenregiſter vor- leſen hoͤren — ſo viele bittre, theils laute, theils leiſe Vorwuͤrfe in ſich freſſen — ſein Haus, ſeine Mobilien, alles, bis auf ein armſeliges Bett und Gewand, um einen Spottpreiß verganten ſehn — das Geheul von Weib und Kindern hoͤren, und zu allem ſchweigen muß, wie eine Maus. O! wie fuhr’s mir da durch Mark und Bein! Und doch konnt’ ich weder rathen noch helfen — nichts thun, als fuͤr mei- ner Schweſter Kinder zu beten — und dazu im Her- zen denken: „Auch du, auch du ſteckſt eben ſo tief „im Koth! Heut oder Morgens kann es, muß es „dir eben ſo gehn, wenn’s nicht bald anders wird. „Und wie ſollt’ es anders werden? Oder, darf ich „Thor auf ein Wunder hoffen? Nach dem natuͤrli- „chen Gang dei Dinge kann ich mich unmoͤglich er- „holen. Vielleicht harren deine Glaͤubiger noch eine „Weile; aber alle Augenblick’ kann die Geduld ih- „nen ausgehn. — Doch, wer weiß? Der alte Gott „lebt noch! Es wird nicht immer ſo waͤhren. — Aber „ach! Und wenn’s auch beſſer wuͤrde, ſo braucht’ es „Jahre lang, bis ich mich wieder erholen koͤnnte. „Und ſo lang werden meine Schuldherren mir ge- „wiß nicht Zeit laſſen. Ach mein Gott! Was ſoll „ich anfangen? Keiner Seele darf ich mich vertrauen —
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0215"n="199"/>
ger; ich hatte ebenfalls eine Anfoderung an ihn, und<lb/>
war ſelber bey dem Auffallsact gegenwaͤrtig; freylich<lb/>
mehr ihm zum Beyſtande, als um meiner Schuld<lb/>
willen. O! was das vor ein erbaͤrmliches Speckta-<lb/>
kel iſt, wenn einer ſo, wie ein armer Delinquent,<lb/>
daſtehn —ſein Schulden- und Suͤndenregiſter vor-<lb/>
leſen hoͤren —ſo viele bittre, theils laute, theils<lb/>
leiſe Vorwuͤrfe in ſich freſſen —ſein Haus, ſeine<lb/>
Mobilien, alles, bis auf ein armſeliges Bett und<lb/>
Gewand, um einen Spottpreiß verganten ſehn —<lb/>
das Geheul von Weib und Kindern hoͤren, und zu<lb/>
allem ſchweigen muß, wie eine Maus. O! wie fuhr’s<lb/>
mir da durch Mark und Bein! Und doch konnt’ ich<lb/>
weder rathen noch helfen — nichts thun, als fuͤr mei-<lb/>
ner Schweſter Kinder zu beten — und dazu im Her-<lb/>
zen denken: „Auch du, auch du ſteckſt eben ſo tief<lb/>„im Koth! Heut oder Morgens kann es, muß es<lb/>„dir eben ſo gehn, wenn’s nicht bald anders wird.<lb/>„Und wie ſollt’ es anders werden? Oder, darf ich<lb/>„Thor auf ein Wunder hoffen? Nach dem natuͤrli-<lb/>„chen Gang dei Dinge kann ich mich <choice><sic>nn</sic><corr>un</corr></choice>moͤglich er-<lb/>„holen. Vielleicht harren deine Glaͤubiger noch eine<lb/>„Weile; aber alle Augenblick’ kann die Geduld ih-<lb/>„nen ausgehn. — Doch, wer weiß? Der alte Gott<lb/>„lebt noch! Es wird nicht immer ſo waͤhren. — Aber<lb/>„ach! Und wenn’s auch beſſer wuͤrde, ſo braucht’ es<lb/>„Jahre lang, bis ich mich wieder erholen koͤnnte.<lb/>„Und ſo lang werden meine Schuldherren mir ge-<lb/>„wiß nicht Zeit laſſen. Ach mein Gott! Was ſoll<lb/>„ich anfangen? Keiner Seele darf ich mich vertrauen —<lb/></p></div></body></text></TEI>
[199/0215]
ger; ich hatte ebenfalls eine Anfoderung an ihn, und
war ſelber bey dem Auffallsact gegenwaͤrtig; freylich
mehr ihm zum Beyſtande, als um meiner Schuld
willen. O! was das vor ein erbaͤrmliches Speckta-
kel iſt, wenn einer ſo, wie ein armer Delinquent,
daſtehn — ſein Schulden- und Suͤndenregiſter vor-
leſen hoͤren — ſo viele bittre, theils laute, theils
leiſe Vorwuͤrfe in ſich freſſen — ſein Haus, ſeine
Mobilien, alles, bis auf ein armſeliges Bett und
Gewand, um einen Spottpreiß verganten ſehn —
das Geheul von Weib und Kindern hoͤren, und zu
allem ſchweigen muß, wie eine Maus. O! wie fuhr’s
mir da durch Mark und Bein! Und doch konnt’ ich
weder rathen noch helfen — nichts thun, als fuͤr mei-
ner Schweſter Kinder zu beten — und dazu im Her-
zen denken: „Auch du, auch du ſteckſt eben ſo tief
„im Koth! Heut oder Morgens kann es, muß es
„dir eben ſo gehn, wenn’s nicht bald anders wird.
„Und wie ſollt’ es anders werden? Oder, darf ich
„Thor auf ein Wunder hoffen? Nach dem natuͤrli-
„chen Gang dei Dinge kann ich mich unmoͤglich er-
„holen. Vielleicht harren deine Glaͤubiger noch eine
„Weile; aber alle Augenblick’ kann die Geduld ih-
„nen ausgehn. — Doch, wer weiß? Der alte Gott
„lebt noch! Es wird nicht immer ſo waͤhren. — Aber
„ach! Und wenn’s auch beſſer wuͤrde, ſo braucht’ es
„Jahre lang, bis ich mich wieder erholen koͤnnte.
„Und ſo lang werden meine Schuldherren mir ge-
„wiß nicht Zeit laſſen. Ach mein Gott! Was ſoll
„ich anfangen? Keiner Seele darf ich mich vertrauen —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/215>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.