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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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alle andern Menschen um ihn her für bös, sich sel-
ber allein für gut hielt, und darum jene --- kurz je-
des Bein nach seiner Pfeife wollte tanzen lehren.
Jede, auch noch so schuldlose Freude des Lebens mach-
te mir Scrupel über Scrupel; ich wollte mir bald so-
gar die Befriedigung eigentlich unentbehrlicher Bedürf-
nisse des Lebens versagen; und doch steckte mein Bu-
sen noch voll schnöder Lust, und tausend abentheuerli-
cher Begierden, die ich so oft ertappte, als ich nur
hineinzugucken Muths genug hatte --- und dann frey-
lich fast zur Verzweiflung gerieth, doch allemal von
neuem wieder Posto faßte, und meine Sachen mit
Beten, Lesen --- und --- o ich abscheulicher Kerl! ---
hauptsächlich damit wieder zu verbessern suchte, daß
ich meiner Frau und Gesehwisterten, wie ein Pfarrer,
zusprach, und ihnen die Höll' bis zum Verspringen
heiß machte. Oft fiel's mir gar ein, ich sollte, gleich
den Herrnhutern und Inspirirten, in der weiten Welt
herumziehn, und Buß' predigen. Wenn ich dann aber
so nur einem meiner Brüder oder Schwestern eine Ser-
mon hielt, und schon im Text stockte, dann dacht'
ich wieder: Du Narr! Hast ja keine Gaben zu einem
Apostel, und also auch keinen Beruf dazu. Dann fiel
ich darauf, ich könnte vielleicht besser mit der Feder
zurechte kommen, und flugs entschloß ich mich ein Büch-
lin zum Trost und Heil wo nicht ganz Tockenburgs,
wenigstens meiner Gemeinde zu schreiben, oder es
zuletzt auch nur meiner Nachkommenschaft --- statt
des Erbguts zu hinterlassen.

alle andern Menſchen um ihn her fuͤr boͤs, ſich ſel-
ber allein fuͤr gut hielt, und darum jene --- kurz je-
des Bein nach ſeiner Pfeife wollte tanzen lehren.
Jede, auch noch ſo ſchuldloſe Freude des Lebens mach-
te mir Scrupel uͤber Scrupel; ich wollte mir bald ſo-
gar die Befriedigung eigentlich unentbehrlicher Beduͤrf-
niſſe des Lebens verſagen; und doch ſteckte mein Bu-
ſen noch voll ſchnoͤder Luſt, und tauſend abentheuerli-
cher Begierden, die ich ſo oft ertappte, als ich nur
hineinzugucken Muths genug hatte --- und dann frey-
lich faſt zur Verzweiflung gerieth, doch allemal von
neuem wieder Poſto faßte, und meine Sachen mit
Beten, Leſen --- und --- o ich abſcheulicher Kerl! ---
hauptſaͤchlich damit wieder zu verbeſſern ſuchte, daß
ich meiner Frau und Geſehwiſterten, wie ein Pfarrer,
zuſprach, und ihnen die Hoͤll’ bis zum Verſpringen
heiß machte. Oft fiel’s mir gar ein, ich ſollte, gleich
den Herrnhutern und Inſpirirten, in der weiten Welt
herumziehn, und Buß’ predigen. Wenn ich dann aber
ſo nur einem meiner Bruͤder oder Schweſtern eine Ser-
mon hielt, und ſchon im Text ſtockte, dann dacht’
ich wieder: Du Narr! Haſt ja keine Gaben zu einem
Apoſtel, und alſo auch keinen Beruf dazu. Dann fiel
ich darauf, ich koͤnnte vielleicht beſſer mit der Feder
zurechte kommen, und flugs entſchloß ich mich ein Buͤch-
lin zum Troſt und Heil wo nicht ganz Tockenburgs,
wenigſtens meiner Gemeinde zu ſchreiben, oder es
zuletzt auch nur meiner Nachkommenſchaft --- ſtatt
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[190/0206] alle andern Menſchen um ihn her fuͤr boͤs, ſich ſel- ber allein fuͤr gut hielt, und darum jene --- kurz je- des Bein nach ſeiner Pfeife wollte tanzen lehren. Jede, auch noch ſo ſchuldloſe Freude des Lebens mach- te mir Scrupel uͤber Scrupel; ich wollte mir bald ſo- gar die Befriedigung eigentlich unentbehrlicher Beduͤrf- niſſe des Lebens verſagen; und doch ſteckte mein Bu- ſen noch voll ſchnoͤder Luſt, und tauſend abentheuerli- cher Begierden, die ich ſo oft ertappte, als ich nur hineinzugucken Muths genug hatte --- und dann frey- lich faſt zur Verzweiflung gerieth, doch allemal von neuem wieder Poſto faßte, und meine Sachen mit Beten, Leſen --- und --- o ich abſcheulicher Kerl! --- hauptſaͤchlich damit wieder zu verbeſſern ſuchte, daß ich meiner Frau und Geſehwiſterten, wie ein Pfarrer, zuſprach, und ihnen die Hoͤll’ bis zum Verſpringen heiß machte. Oft fiel’s mir gar ein, ich ſollte, gleich den Herrnhutern und Inſpirirten, in der weiten Welt herumziehn, und Buß’ predigen. Wenn ich dann aber ſo nur einem meiner Bruͤder oder Schweſtern eine Ser- mon hielt, und ſchon im Text ſtockte, dann dacht’ ich wieder: Du Narr! Haſt ja keine Gaben zu einem Apoſtel, und alſo auch keinen Beruf dazu. Dann fiel ich darauf, ich koͤnnte vielleicht beſſer mit der Feder zurechte kommen, und flugs entſchloß ich mich ein Buͤch- lin zum Troſt und Heil wo nicht ganz Tockenburgs, wenigſtens meiner Gemeinde zu ſchreiben, oder es zuletzt auch nur meiner Nachkommenſchaft --- ſtatt des Erbguts zu hinterlaſſen.

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/206>, abgerufen am 21.11.2024.