Geleit bis auf Leutmeritz, glaub' ich, wo ich, un- ter lauter Stockböhmen übernachtete, und freylich nicht wußte ob ich da mein Haupt sicher zur Ruhe legen konnte -- aber -- und dieß war das Beßte -- von dem Tumult des Tags noch einen so vertau- melten Kopf hatte, daß dieser Kapitalpunkt mir am allermindesten betrug. Morgens darauf (2. Okt.) gieng ich mit einem Tansport ins Kaiserliche Hauptlager nach Budin ab. Hier traf ich bey 200. andrer Preußischer Deserteurs an, von denen so zu reden jeder seinen eigenen Weg, und sein Tempo in Ob- acht genommen hatte; neben andernauch unsern Bach- mann. Wie sprangen wir beyde hoch auf vor Entzücken, uns so unerwartet wieder in Freyheit zu sehn! Da gieng's an ein Erzählen und Jubilieren, als wenn wir schon zu Haus hinterm Ofen sässen. Einzig hieß es bisweilen: Ach! wäre nur auch der Schä- rer von Weil bey uns! Wo mag der doch geblie- ben seyn? Wir hatten die Erlaubniß, alles im La- ger zu besichtigen. Offiziers und Soldaten stuhnden dann bey Haufen nm uns her, denen wir mehr erzählen sollten, als uns bekannt war. Etliche in- dessen wußten Winds genug zu machen, und, ih- ren dießmaligen Wirthen zu schmeicheln, zur Ver- kleinerung der Preussen hundert Lügen auszuhe- cken. Da gab's denn auch unter den Kaiserli- chen manchen Erzprahler; und der kleinste Zwerge rühmte sich, wer weiß wie manchen langbeinigten Bran- denburger -- auf seiner eignen Flucht in die Flucht geschlagen zu haben. Drauf führte man uns zu et-
Geleit bis auf Leutmeritz, glaub’ ich, wo ich, un- ter lauter Stockboͤhmen uͤbernachtete, und freylich nicht wußte ob ich da mein Haupt ſicher zur Ruhe legen konnte — aber — und dieß war das Beßte — von dem Tumult des Tags noch einen ſo vertau- melten Kopf hatte, daß dieſer Kapitalpunkt mir am allermindeſten betrug. Morgens darauf (2. Okt.) gieng ich mit einem Tansport ins Kaiſerliche Hauptlager nach Budin ab. Hier traf ich bey 200. andrer Preußiſcher Deſerteurs an, von denen ſo zu reden jeder ſeinen eigenen Weg, und ſein Tempo in Ob- acht genommen hatte; neben andernauch unſern Bach- mann. Wie ſprangen wir beyde hoch auf vor Entzuͤcken, uns ſo unerwartet wieder in Freyheit zu ſehn! Da gieng’s an ein Erzaͤhlen und Jubilieren, als wenn wir ſchon zu Haus hinterm Ofen ſaͤſſen. Einzig hieß es bisweilen: Ach! waͤre nur auch der Schaͤ- rer von Weil bey uns! Wo mag der doch geblie- ben ſeyn? Wir hatten die Erlaubniß, alles im La- ger zu beſichtigen. Offiziers und Soldaten ſtuhnden dann bey Haufen nm uns her, denen wir mehr erzaͤhlen ſollten, als uns bekannt war. Etliche in- deſſen wußten Winds genug zu machen, und, ih- ren dießmaligen Wirthen zu ſchmeicheln, zur Ver- kleinerung der Preuſſen hundert Luͤgen auszuhe- cken. Da gab’s denn auch unter den Kaiſerli- chen manchen Erzprahler; und der kleinſte Zwerge ruͤhmte ſich, wer weiß wie manchen langbeinigten Bran- denburger — auf ſeiner eignen Flucht in die Flucht geſchlagen zu haben. Drauf fuͤhrte man uns zu et-
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Geleit bis auf Leutmeritz, glaub’ ich, wo ich, un-
ter lauter Stockboͤhmen uͤbernachtete, und freylich
nicht wußte ob ich da mein Haupt ſicher zur Ruhe
legen konnte — aber — und dieß war das Beßte —
von dem Tumult des Tags noch einen ſo vertau-
melten Kopf hatte, daß dieſer Kapitalpunkt mir am
allermindeſten betrug. Morgens darauf (2. Okt.)
gieng ich mit einem Tansport ins Kaiſerliche
Hauptlager nach Budin ab. Hier traf ich bey 200.
andrer Preußiſcher Deſerteurs an, von denen ſo zu
reden jeder ſeinen eigenen Weg, und ſein Tempo in Ob-
acht genommen hatte; neben andernauch unſern Bach-
mann. Wie ſprangen wir beyde hoch auf vor Entzuͤcken,
uns ſo unerwartet wieder in Freyheit zu ſehn! Da
gieng’s an ein Erzaͤhlen und Jubilieren, als wenn
wir ſchon zu Haus hinterm Ofen ſaͤſſen. Einzig
hieß es bisweilen: Ach! waͤre nur auch der Schaͤ-
rer von Weil bey uns! Wo mag der doch geblie-
ben ſeyn? Wir hatten die Erlaubniß, alles im La-
ger zu beſichtigen. Offiziers und Soldaten ſtuhnden
dann bey Haufen nm uns her, denen wir mehr
erzaͤhlen ſollten, als uns bekannt war. Etliche in-
deſſen wußten Winds genug zu machen, und, ih-
ren dießmaligen Wirthen zu ſchmeicheln, zur Ver-
kleinerung der Preuſſen hundert Luͤgen auszuhe-
cken. Da gab’s denn auch unter den Kaiſerli-
chen manchen Erzprahler; und der kleinſte Zwerge
ruͤhmte ſich, wer weiß wie manchen langbeinigten Bran-
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/174>, abgerufen am 26.11.2024.
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